Tja! … äh … Tja, im Sinne von?

„Alte Zeiten kann man nicht wiederholen. Wie schon der Name sagt, sind diese Zeiten alt. Neue Zeiten können nie wie alte Zeiten sein. Wenn sie es versuchen, wirken sie alt und verbraucht, so wie diejenigen, die sie herbeisehnen. Man soll nie alten Zeiten nachtrauern. Wer alten Zeiten nachtrauert, der ist alt und trauert.“, ist in dem 2006 erschienen und Daniel Glattauer schlagartig zum Bestsellerautor katapultierten E-Mail-Roman „Gut gegen Nordwind“ zu lesen. Alten Zeiten trauert das Paar Dorek, beide um die Vierzig, in dem neuen, schmalen Büchlein des österreichischen Autors auch nicht nach. In ihrem hitzigen Disput und den ständigen Streitereien und Wortgefechten, die sie sich liefern, haben sie dafür schlichtweg gar keine Zeit. In Polemik ein vortrefflich eingespieltes Team mit einer „außergewöhnlich lebendigen Streitkultur auf hohem Niveau“, sind Joana und Valentin allerdings irgendwie der Meinung, dass man seine Beziehung doch wieder in ein liebevolleres Fahrwasser geleiten und sich dabei Hilfe holen sollte. Besser gesagt stellt Joana dies fest. Ihr Gatte fügt sich notgedrungen, nachdem ihm Frau und Tochter unmissverständlich die Pistole auf die Brust setzen.

Da sitzen die Zwei, deren eine „Ur-Ur-Ur-Großmutter eine Beißzange“ war und der andere offensichtlich aus einer „Gefrierbeutel- und Waschlappendynastie“ stammt, wenn man ihren Verbalattacken Glauben schenkt, nun im Raum von „Herr… äh … Magister…“, einem Paartherapeuten, mit größtmöglichem Abstand zueinander und versuchen sich mittels Rollentausch und diverser Übungen zunächst einmal in Gesprächskultur. Doch ihr „Minenfeld aus Vorwürfen“, ihr gegenseitiges Angiften und „Beflegeln“, ihr „chronisch, kategorischer Dauerkonflikt“, so scheint es, kann auch der beste Psychoanalytiker nicht lösen. Bis… ja bis die Situation kippt und einen völlig anderen Verlauf nimmt. Nun scheint „Hari … äh … Herr … äh … Harald“, wie der Berater gegen Ende von den beiden Kampfhähnen genannt wird, der Therapierte zu sein. Denn letztendlich, so der Autor in einem Interview, geht es auch darum, dass man das Glück, das man sich erarbeitet hat, auch aushalten muss.

Keine zwei Stunden benötigt man, um das schmale Bändchen von Daniel Glattauer zu lesen. Genau die Zeit einer Therapiesitzung, so hat es den Anschein. Oder einer Komödie im ortsansässigen Schauspielhaus. Und genau so versteht sich der Text auch. „Die Wunderübung“ ist keine erzählte Geschichte, sondern offenbart sich als Drehbuch zu einem Drei-Personen-Bühnenstück, Regie- und Handlungsanweisungen inklusive. Während seiner fünfsemestrigen Ausbildung zum Psychosozialen Berater, einem Studium, in dem sich Glattauer vom Schreiben ausruhen bzw. ablenken wollte, kam ihm in den Kursen zur Paartherapie die Idee zu dieser Komödie: einem sogenannten Genderstück. Dem Autor gelingt es dabei witzig und ernsthaft zugleich, einen Blick hinter die Fassade einer Langzeitbeziehung und ihrer zwei pubertierenden Kinder zu werfen. Gewohnt nonchalant und abgewürzt mit einer guten Prise Humor, könnte dieses Stück gut und gerne einen angenehmen, aber auch hintergründigen Theaterabend versprechen. Denn dass sich Daniel Glattauer mit seinen drei Figuren identifiziert, abwechselnd in drei Wirklichkeiten lebt und ein durchaus authentisches Sprachrohr jedes Einzelnen ist, spürt man in dem abgedruckten Dialog auf jeder Seite. Die Uraufführung ist zwar erst Anfang des nächsten Jahres an den Wiener Kammerspielen geplant, doch einen netten Vorgeschmack kann sich der Leser jetzt schon mit diesem Text holen.

Fazit: Auch wenn Daniel Glattauers Zeilen die ein oder andere gewohnt-amüsante Wortspielerei und Situationskomik offenbaren, so bietet letztendlich das kleine Kammerspiel keine allzu große Wunder-Offenbarungen und ist gewiss auch nicht in die Kategorie „Große Literatur“ einzuordnen. Ein herzerfrischendes, witziges und amüsant zu lesendes, schmales Büchlein ist es jedoch allemal. Ein Text, der bei dem ein oder anderen vielleicht sogar einen authentischen Blick unter die Bettdecke des eigenen ungemachten Schlafgemaches wirft.

Daniel Glattauer
Die Wunderübung
Deuticke Verlag (Februar 2014)
112 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3552062394
ISBN-13: 978-3552062399
Preis: 12,90 EUR

Über Heike Geilen 597 Artikel
Heike Geilen, geboren 1963, studierte Bauingenieurswesen an der Technischen Universität Cottbus. Sie arbeitet als freie Autorin und Rezensentin für verschiedene Literaturportale. Von ihr ist eine Vielzahl von Rezensionen zu unterschiedlichsten Themen im Internet zu finden.

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