Trotz der schweren Regierungskrise in London versucht Premierministerin May das Brexit-Land als „cool Britannia“ aussehen zu lassen.

Ob der Durchhaltewille fürs politische Überleben genügt?

Englische Fahne vor Luxusjacht in Monaco, Foto: Stefan Groß

Trotz der schweren Regierungskrise in London versucht Premierministerin May das Brexit-Land als „cool Britannia“ aussehen zu lassen. Ob der Durchhaltewille fürs politische Überleben genügt?

  Eines muss man den Briten ja lassen. Sie bleiben auch in verzwacktesten Situationen (meistens) cool. So auch Premierministerin Theresa May. Nur eine Nacht nach dem plötzlichen Abgang ihres Brexit-Ministers David Davis und nur wenige Minuten nach dem spektakulären Rücktritt von Außenminister Boris Johnson zeigte die konservative Politikerin die landesübliche „stiff upper lip“ (übersetzt: sie hielt die Ohren steif). Trotz höchster Anspannung parierte die 61jährige im Unterhaus die Fragen einer hohnlachenden Meute von Oppositionsabgeordneten. Alles gehe nach Plan, schmetterte May ein ums andere Mal: Austritt aus dem EU-Binnenmarkt, Kündigung der Zollunion, harte Außengrenze mitten durch die grüne Insel Irland.

Dennoch fragen Beobachter, wie lange das mit dieser Regierung in London noch weitergehen kann. Denn das uneinige Königreich steckt in einer veritablen Krise. Es sind nur noch neun Monate, dann ist Großbritannien kein EU-Mitglied mehr. Und bis dahin muss ein hochkomplexes Brexit-Abkommen nicht nur ausgehandelt sein, sondern vom Unter- und Oberhaus in London sowie vom Europäischen Parlament und allen Volksvertretungen der 27 verbliebenen EU-Nationen ratifiziert sein. Ein Zeitplan, der mehr als sportlich ist.

Es ist fast schon symbolisch, dass May in der Stunde ihrer bislang größten politischen Verletzung den bisherigen Gesundheitsminister Jeremy Hunt (ein ehemaliger Brexit-Gegner) als neuen Chefdiplomaten berufen und mit Dominic Raab den bisherigen Wohnungsbauminister (einen klaren EU-Skeptiker) damit beauftragt hat, ein passendes Dach mit Kontinentaleuropa zu bauen. Den Amtsneulingen obliegt es nun, Regelungen zu finden, die in der EU mehrheitsfähig sind, und zugleich Forderungen aus der eigenen Partei nach möglichst klarer Kante gegen die EU27 zu erfüllen. Das dürfte schwierig werden, denn etwa jeder fünfte konservative Abgeordnete ist ein May-Gegner. Das ist viel, weil die Premierministerin nur hauchdünn mit Duldung der Democratic Unionist Party (DUP) regiert, einer nationalistischen Regionalpartei aus der Provinz Nordirland.

Die britische Opposition indessen ist ein mindestens ebenso bunter Haufen, wie die regierenden Konservativen. Labourchef Jeremy Corbey, ein ehemaliger Gewerkschaftsfunktionär, ist bei der Basis beliebt, nicht jedoch bei seinem eigenen Parteiestablishment. Der pragmatische Ex-Premier Tony Blair wartet schon seit Corbyns Urwahl im August 2015 auf den richtigen Moment für ein „rugby tackle“, wie er sagt, eine Spieltechnik des Rugbys, um den Gegenspieler aufzuhalten: jemand müsse „diesen linken Schlafwandler“ stoppen – was nicht gelingt, weil Corbyn ein fintenreicher Überlebenskünstler ist.

Den klar und engagiert proeuropäischen Liberaldemokraten unter dem honorigen Ex-Innovationsminister Vince Cable gelingt es trotz des Schlamassels der beiden Hauptparteien bislang nicht, politischen Honig aus der Millionenschar derjenigen Briten zu saugen, die den Brexit ablehnen. Cables Forderung nach einer zweiten Volksabstimmung über den Brexit-Vertrag – wenn er denn mal vorliegt – ist populär, genügt aber nicht, um die Hürden des Mehrheitswahlrechtes zu überwinden, die kleinere Parteien benachteiligt.

Wird Regierungschefin May inmitten der Londoner Intrigen überleben? Kampfeswillen wie anno dunnemals schon Margaret „die eiserne Lady“ Thatcher hat die Hausherrin von Downing Street Nr. 10 jedenfalls. Innerhalb von Stunden besetzte sie die freigewordenen Kabinettsposten mit loyalen Köpfen, die – wie sie – zwar den Brexit wollen, aber dennoch enge Verbindungen Großbritanniens mit der EU erhalten möchten. Die konservativen Hardliner, die sich Britannien nur bei einem harten Schnitt mit der EU als weiterhin great vorstellen können, werden aber mit Sicherheit nicht aufhören die Messer zu wetzen.

Ob es nun genügt, den Angreifern aus den eigenen Reihen mit stiff upper lip zu begegnen, und nach außen hin ein Bild von „cool Britannia“ zu pflegen, ist noch längst nicht ausgemacht. Dabei richten sich die Augen besonders auf den nun listig abgetretenen bisherigen Außenminister Johnson. Ihm wird nachgesagt, Mays Stuhl haben zu wollen. Beobachter rechnen damit, dass der Brexit-Lautsprecher („Großbritannien wird zur Kolonie Europas“) noch vor den traditionellen Parteitagen im Herbst zuschlagen könnte. Lösungen für die Zukunft brächten die Ränkespiele für das uneinige Königreich wohl kaum. EU-Ratspräsident Donald Tusk kommentierte das Tollhaus von London denn auch mit dem zutreffenden Satz: „Politiker kommen und gehen, aber die Probleme, die sie geschaffen haben, bleiben für die Menschen.“

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