Volksbürgerliche Schwanengesänge – vom Niedergang der großen Volksparteien

endlose Koalitionsgespräche, Versäumnisse und Plattitüden

Friedenstauben, Foto: Stefan Groß

„Ich wünschte ein Bürger zu sein!“
Theodor Mommsen

Der CDU droht ein dauerhaftes U-30 Desaster. Freilich: So ging das einst auch mit der alten Tante SPD los. Erinnert: Als man auf Bundesebene erstmals unter dreißig Prozent rutschte, wurde das von den Genossen noch als echte Katastrophe empfunden. Heute wären die ziemlich glücklich, kämen sie da noch mal irgendwie hin. Derzeitige Umfragewerte erinnern eher an eine Fortsetzung des freien Falls. Dieweil verkommt die Union so beharrlich wie unvermeidlich zum Juniorpartner der GRÜNEN, deren oberstes Personal unentwegt öffentlich onaniert und vor lauter Selbstbefriedigung nicht mehr zur Besinnung kommen möchte. Mit der AfD will keiner ins Bett steigen, mit den LINKEN unter Umständen, aber es stellt sich schon die Frage, ob ein derzeit flotter Dreier, etwa im ur-roten Bremen, als Beischlafoption dauerhaft zünden mag. Früher hat man sich, diesseits der Alpen, über italienische Verhältnisse mokiert. Längst sind die auch bei uns angekommen. Lachhaft vorgeführt schon in den endlosen Koalitionsgesprächen im Anschluss an die letzte Bundestagswahl. Weitere Fortsetzungen mögen folgen.

Der Niedergang der großen Volksparteien wird begleitet von lauter kleinen, unnötig angezettelten Ritualen, deren Verläufe einander so ziemlich gleichen. Harakiri mit Ankündigung. So stellt Frau Kramp-Karrenbauer, deren Akzeptanz laut öffentlicher Umfrage verlässlich schwindet, die alles entscheidende Frage, ob man den eigensinnigen Herrn Maaßen nicht langsam aus der Partei ausschließen solle. Denn: “Seine Haltung passt nicht mehr zur CDU.“ Die Spitzenfunktionäre des Koalitionspartners lassen und ließen sich ganz ähnlich vernehmen. Zum nunmehr dritten Male unternimmt die SPD den Versuch, den Genossen Sarrazin loszuwerden. Nicht gerade auf basisdemokratischem Wege, dafür aber mittels juristischer Verrenkungen, die stets das gute Gewissen auf ihrer Seite haben. Gleichzeitig werden, passend zum Sommerloch, die angestammten, Identitäts-stiftenden Grundwerte der Partei als Leckerli von der Stange aufgewärmt. Der unvermeidliche Herr Heil, ordentlich ämtererprobt und mittlerweile aus allen Hüftnähten platzend, macht einen auf Tafel-Chef, dabei hat seine Partei ihr Tafelsilber längst aus der Hand gegeben. Und zu Ramschpreisen verhökert. 

Mit viel Häme und Spott begleiten wir derlei dreist-dämlichen Polit-Aktionismus. Die allzu Schlauen unter den Neunmalklugen versichern, dass in Zeiten wie diesen den großen Volksparteien ohnehin die alte Geltung nicht mehr zukäme. Denn diese Zeiten seien ein für allemal vorbei. Auch solches passt ins Bild. Die klassische Kleinfamilie löst sich gerade im Schatten frech auftrumpfender, quasi-inzüchtiger Großclans in ihre Bestandteile auf. Gleichzeitig dominieren verbliebene Großkonzerne ganze Nationen und Volkswirtschaften. Zwischen prekärer Beliebigkeit und großprotziger Omnipotenz, die von keinem mehr ernsthaft in Frage gestellt werden, bleibt vieles auf der Strecke. Ein Vakuum entsteht, das der bloßen Beliebigkeit nur weiter Tür und Tor öffnet. In der Politik habe man sich fortan daran zu gewöhnen, dass praktische Bündnisse auf Zeit die stabilen von Dauer ersetzen. Ob das so alternativlos ist, wie es dauernd dargestellt wird? Man könnte auch fragen, ob es den europäischen Nationalstaaten auf Dauer gut bekommen wird, wenn die am Ende nur mehr belächelten Volksparteien nach und nach, nicht zuletzt aufgrund eigener Versäumnisse, abdanken und lauter kleineren Giftpilzen Platz machten. Sind die verbliebenen Bündnisse pragmatischer oder nicht eigentlich oberflächlicher, taktischer, kurzsichtiger geworden? Auf Deutschland übertragen: Wird die politische Landschaft beliebiger oder verlässlicher, farbiger oder blässlicher werden?

Eines ist sie allenthalben geworden: ziemlich unberechenbar. Und ärmer obendrein. Dem entsprechen nahezu täglich die Einlassungen überbezahlter, nur auf das eigene Fortkommen abonnierter Volksvertreter, die sich dabei auf die üblichen, an Idiotie grenzenden und allzu zeitgeistig zugeschnittenen Allgemeinplätze verlassen. Keiner will das mehr hören, wiewohl jeder ständig damit rechnet und die meisten selbst mit ähnlichen Plattitüden hausieren gehen. Freilich: Was möchte der Bürger stattdessen hören oder seinerseits, Sammlung und innere Ruhe vorausgesetzt, zum Allerbesten geben? Gibt es ihn eigentlich noch, diesen Souverän im eigentlichen, sehr substantiierten Sinne, dessen Ansprüche in einem reichen Kulturerbe wurzeln? Noch im tiefsten tagespolitischen Dreck behauptet die Res Publica Würde und Stolz, Eigensinn und Eigenart. Das ist nicht zu groß gedacht. Was mag davon geblieben sein? Heute scheint sich der begleitende Typus, den die Franzosen recht bescheiden, aber mit umso mehr Nachdruck als Citoyen auffassen, tatsächlich aus der Geschichte zu verabschieden. Wo seine Exponenten überhaupt noch Gehör finden, werden sie von denen, die eigentlich in ihrem Auftrag handeln, umgehend diffamiert oder einfach nur lächerlich gemacht. Und sollte das nicht reichen: reicht es, sie zu verleumden und zu verunglimpfen. Sie haben die Macht – sie haben die Medien auf ihrer Seite. Und die Moral, dauernd bemüht, sowieso. Man verwechsle übrigens den Bürger alter Provenienz nicht mit der infantilen Nachhut sattgefressener Bourgeois, deren Angehörige aus Bequemlichkeit die feine Nase rüffeln, mit öden Schlagworten hausieren gehen und immer schon vorher wissen, dass die begleitende Party nicht viel kosten wird. Der geneigte Leser weiß, wer gemeint ist.

Genug. SPD und CDU, ehedem bürgerlich im besten Sinne, krepieren an der Lasterhaftigkeit eigener Verstiegenheiten. Sie vertreten Eliten und Randgruppen. Nicht mehr das eigene Volk. Wir erinnern uns mahnend der ersten Hälfte des verblichenen Jahrhunderts. Auch da haben es die Würdenträger volksnaher Parteien selbst in der Hand gehabt – und leichtfertig verspielt, was am Ende nur mehr Konkursmasse gewesen ist. Wir dürfen ihnen dennoch eine kleine Träne nachheulen. Im Tal der Tränen, mit dem jederzeit zu rechnen ist, gleicht eine nur der anderen. 

Über Nathan Warszawski 535 Artikel
Dr. Nathan Warszawski (geboren 1953) studierte Humanmedizin, Mathematik und Philosophie in Würzburg. Er arbeitet als Onkologe (Strahlentherapeut), gelegentlicher Schriftsteller und ehrenamtlicher jüdischer Vorsitzender der Christlich-Jüdischen Gesellschaft zu Aachen.