Warum man die Freiheit nicht umsonst bekommt

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Weltbekannt ist Steven Spielbergs Dokumentation von Zeitzeugenberichten des Holocaust. Überlebende der Shoah berichteten in Videos über ihre persönlichen Erfahrungen. Von 1994 bis 1999 zeichnete die Organisation ca. 52.000 Interviews in 56 Ländern und 32 Sprachen auf. Das Erzählen von Geschichten ist schließlich ein grundlegendes und effektives Mittel, um Erinnerung weiterzugeben und für Toleranz zu sensibilisieren. Ziel ist auch, Erinnerungen der Überlebenden zu bewahren und der Nachwelt zugänglich zu machen.

Jetzt gibt es in Deutschland ein ähnliches Projekt. »Glaube, Mut & Freiheit« gibt Christen, die an der Friedlichen Revolution 1989 beteiligt waren – aber auch vorher Widerstand gegen die real-sozialistische SED-Diktatur leisteten, die Möglichkeit, über eine Zeit zu sprechen, in der alles Politische von der „Partei, die immer Recht hatte“ vorgegeben war. Ein Förderverein, der sich 2018 gründete, hat initiiert, was Kirchenobere seit 30 Jahren versäumt haben. In 40 Kurzfilmen erzählen DDR-Bürger von ihren Erfahrungen, und auch davon, wie sie wurden, was sie sind, warum ihnen Freiheit wichtig ist und dass sie kommenden Generationen vermitteln wollen, gegen die Ausgrenzung Andersdenkender Widerstand zu leisten.

Diesem Zeitzeugen-Projekt ist es zu verdanken, dass unfassbare Äußerungen und bösartige Verhaltensweisen kommunistischer Machthaber und ihrer gehorsamen Vasallen unterdrückten Erinnerungen entrissen wurden. Sie sind gleichsam Zeugnisse beherzter Zivilcourage, furchtloser Wahrheitssuche und mutigen Widerstandes gegen Lüge, Betrug, Verleumdung und Repression Oppositioneller durch von der SED praktizierte „Feindbekämpfung“.

Die Interviews leisten freiheitsliebenden Christen ebenso einen Dienst wie der Gesellschaft als Ganzes, deren Heilungsprozess ohne angemessene Diagnose und Aufklärung nach 1990 nicht beginnen konnte, geschweige denn heute vollendet werden kann. Bisher gab es keine umfangreiche Interviewsammlung von Christen, wie sie hier vorliegt.

Es sind Aussagen, die es in sich haben, wertvolle Dokumente ethischer Verwahrlosung moralisch verkommener Machthaber, die im „sozialistischen Arbeiter-und Bauernstaat“, den so mancher westdeutsche Intellektuelle als „das bessere Deutschland“ wähnte, gedeihen konnte. Hier wird das Ausmaß totalitärer Entgleisung in unserer Gesellschaft sichtbar.

Da die Täter von gestern jegliche Beteiligung abstreiten, gilt es Beweisstücke zu sammeln, um die Zivilisationsbrüche der Vergessenheit zu entreißen.                                            

Exemplarisch ist Hansjörg Weigel zu nennen. 1973 gründete er im sächsischen Königswalde ein „Christliches Friedensseminar“. Wie kam eigentlich ein junger KFZ-Elektriker auf die Idee, zu Zeiten des religionsfeindlichen sozialistischen SED-Regimes ein Umfeld für junge Christen zu schaffen? Denn sie alle hatten den Mut, sich für eine offene und friedliche Gesellschaft auszusprechen und sahen sich deshalb außerstande, die obligatorische Wehrpflicht zu erfüllen. Damit trotzten sie gewaltlos der SED-Diktatur.

Hansjörg Weigel war eigentlich durch und durch von der DDR-sozialisiert, war Junger Pionier, später FDJler, schoss mit Inbrunst bei der GST (Gesellschaft für Sport und Technik) und weinte 1953 hemmungslos beim Tod des „Großen Stalin“.

Er kam durch Zufall in die Junge Gemeinde und begann Bücher zu lesen. Es war verpönt, offen politische Themen anzusprechen. In der Jungen Gemeinde erlebte er eine andere Wirklichkeit, es wurde diskutiert und gestritten. Er weigerte sich, als Christ eine Waffe in die Hand zu nehmen, wurde Bausoldat, wollte eine friedliche Gesellschaft. Deshalb organisierte er das „Friedensseminar“ in Königswalde mit anfangs 27 Begeisterten, das der SED von Anfang an ein Dorn im Auge war. Sie diskutierten Themen, die öffentlich in der DDR nicht besprochen werden durften, niemand wurde ausgeschlossen – egal welche verrückten Ansichten er vertrat – jeder war willkommen, es war ein offenes Haus.

Weigel hatte ein verbotenes Buch („Die wunderbaren Jahre“) des Schriftstellers Reiner Kunze, der in der DDR wegen seiner kritischen Gedichte in Ungnade gefallen war, an andere Interessierte weitergegeben. Das war Anlass für seine Inhaftierung.

Früh um 7 Uhr wurde er aus der KFZ-Werkstatt geholt und zum Verhör nach Karl-Marx-Stadt gebracht. Die erste Vernehmung ging bis Mitternacht. Eigentliches Ziel der SED war, das Friedensseminar zu zerstören. Weigel wurde bedrängt, Namen von Teilnehmern preiszugeben. Während der gesamten Pfingstfeiertage wurde er von früh bis abends vernommen. In dieser Verhörsituation war er „kurz vor dem Verrat“ wie er traurig bekannte.

Der beteiligte Stasimajor fragte hinterhältig:“ Wo wohnen denn Ihre Geschwister?“ Antwort: „Bei meinen Eltern“, „Na, da hat es ja ihre Mutter gut, da ist sie nicht allein! Ihr Vater ist gestorben, mein Beileid!“ „Da bin ich zusammengebrochen!“

Weigel erzählt weiter: „Es liefen Verhöre und damit war klar, es ging um das Friedensseminar.“ Der Staatsanwalt begann im Prozess sein Plädoyer mit den Worten. “Was ist der Zweifel? Der Weigel das war ein ganz guter Kerl, hat gut gearbeitet, hat auch im Dorf Aufbaustunden mitgemacht, ist beliebt im Ort – aber das Schlimme am Weigel ist, dass er ein Zweifler ist. Der Zweifel ist das, was unsere Gesellschaft und unser ganzes Gefüge kaputt macht“.

Weigel ergänzt: „Da hätte ich nur noch weinen können, weil die, die von sich behaupten, sie vertreten die einzig wissenschaftliche Weltanschauung und gleichzeitig den Zweifel als das schlimmste und größte Gift zu bezeichnen – das zu vertreten, muss zum Scheitern verurteilt sein. Denn der Zweifel, ist das Leben.“

Weigel: „Dann kam ein ganz hoher Offizier herein, vermutlich der General und drohte: Wenn Sie so weitermachen wie bisher, sage ich ihnen hier an dieser Stelle: „Merken Sie sich das gut: Wir haben noch ganz andere Methoden als Gefängnisse. Morgen früh werden Sie entlassen.“

„Von da an war mir klar, dass die DDR zum Scheitern verurteilt ist.“

1980 wurde Weigel unter dem Vorwurf »staatsfeindlicher Hetze« verhaftet, erhielt eine Bewährungsstrafe, weil sich die offizielle Amtskirche hinter ihn stellte und westdeutsche Medien den Fall aufgriffen. Er ließ sich nicht in den Westen abschieben, entschied sich im Sommer 1989, die Gründung einer Oppositionspartei aus dem Friedenskreis vorzubereiten.

In seiner Selbstauskunft gibt Weigel weiter zu Protokoll:

„Im Oktober 1989 waren mindestens 600-650 Leute in der Königswalder Kirche- sie saßen im Kirchenschiff, auf den Emporen, auf der Treppe, auf dem Oberboden, fast im Finstern nur mit einer einzelnen kleinen Glühlampe beleuchtet. Es war eine ganz freie Stimmung und eine sehr faire. Alles, was an Gesprächen und Diskussionen, Aufrufen, lief, war fair und freundschaftlich. Das war eine unserer Stärken, das waren vor allem einfache Leute, Arbeiter, junge Leute, viele Schüler. An den Mauerfall haben wir damals gar nicht gedacht. Ich hatte einen großen  mundgeblasenen Cognacschwenker und habe immer gesagt: den Schwenker trinke ich mal aus, wenn die Mauer fällt!“ Alle haben gelacht, weil damit niemand rechnete. Am 9. November 1989 abends kommt Schabowski und ich sagte: Maria, die Mauer ist gefallen!“

Viele haben sich das Paradies vorgestellt und viele haben das Paradies gewollt. Sie haben bloß eine andere, eine freiere Gesellschaft mit anderen Qualitäten gekriegt – aber eben nicht das Paradies. Freiheit bekommt man auch nicht umsonst, finde ich!“

Jetzt sieht der Zuschauer, wie Weigel einen großen Koffer schleppt und dazu erklärt. „Seit 1993 habe ich die Unterlagen aus der BSTU-Außenstelle Chemnitz. Sie haben mir die Kopie meiner Stasiakte gebracht. Die haben wir dann in den Koffer gepackt. Vielleicht war es Angst, Dinge zu lesen, die Freundschaften zerbrechen lassen. Ich hatte 48 IM`s und habe von keinem den Klarnamen verlangt, zwei haben sich von sich aus gemeldet und Wolfgang Schnur war offensichtlicher Spitzel. Das sind die drei, die ich kenne, es bleiben immer noch 45. Ich denke, im Nachhinein haben einige von denen selber gemerkt, was es für eine dumme Haltung war. Eigentlich waren sie alle dumm – von Dummheit inspiriert. Das Leben ist doch nicht schwarz-weiß, Wir sind doch nicht „die Guten“-wir sind Menschen. Das ist doch schon genug. Und das sind die anderen auch.“

Wer sich die Selbstauskünfte anhört, ist erstaunt, wie mutig Menschen in auswegloser Situation handelten und sich vom Diktatur-System nicht einschüchtern ließen. Sie waren überzeugt, das Richtige zu tun, wenn sie die Symbole „Schwerter zu Pflugscharen“ auf Jackenärmel nähten. Oder – sie standen allein in der Elternversammlung auf und weigerten sich, die Zumutungen des übergriffigen Staates auf ihre Kinder zu akzeptieren.

Einzelne brutale Äußerungen diverser Würdenträger über „feindlich-negative Konterrevolutionäre“ werden mit den Videos der Nachwelt zur Kenntnis gebracht. Angst verbreiten, psychischen Druck erzeugen, die Familie in Sippenhaft nehmen – das sind die üblen Tricks von Machthabern, die überzeugt sind, dass man sie nie zur Verantwortung ziehen wird.

Bei Betroffenen und Zuschauern kann das Übelkeit erregen und einen Eindruck vom Ausmaß der „moralischen Niedertracht“ im real existierenden totalitären Sozialismus vermitteln. Viele Einzelaussagen machen deutlich, wie Demokratie und Menschlichkeit in der DDR erodierten.

Und doch, es ist schlimm gewesen – sehr schlimm.

Man ist nicht erst dann traumatisiert, wenn man Opfer physischer Gewalt, eines Krieges oder einer Flutkatastrophe geworden ist: Trauma-Therapeut Franz Ruppert analysiert

„Dies kann auch auf der psychischen Ebene geschehen durch Lüge, Betrug, Demütigung, Beschämung, Entwürdigung und Erniedrigung.“

Und weiter schreibt Ruppert über die Mentalität der Täter:

„Es kann sein, daß Täter keinerlei Grenzen respektieren, weder rechtliche noch moralische. Daher kommt es, daß Täter Dinge tun, die dem gesunden Menschenverstand völlig fremd erscheinen. Falls ihre schlimmen Taten nicht zu verleugnen sind, ist das Hauptziel dieser Täter, sich als unschuldig darzustellen. Dazu ist es am besten, Täter-Opfer-Umkehr zu versuchen, d.h. sich selbst als eigentliches Opfer darzustellen, Lügen über die Opfer zu verbreiten, sie zu beschuldigen und zu beschämen.“

Ruppert ergänzt: Gelingt es Tätern, sich selbst und andere von ihrer Täter-Ideologie zu überzeugen, so können sie sich erlauben, ihre Taten immer weniger zu verschleiern“.

„Zweifeln am Marxismus/Leninismus – das durfte man nicht, das war das schlimmste Verbrechen. Es war das, was George Orwell „Gedankenverbrechen“ nannte und man den heutigen „Querdenkern“ unterstellt.

Weitere Porträts von Harald Bretschneider, Christoph Wonneberger, Ruth Misselwitz, Wolfgang Hardegen, Ulrike Poppe, Uwe Holmer, können auf der Seite der Sächsischen Staatskanzlei kostenlos heruntergeladen und angesehen werden.

Auch Vera Lengsfeld, Eberhard Heiße oder Theo Lehmann und weitere 30 Zeitzeugen wurden interviewt, können aber leider nicht abgerufen werden, weil ausgerechnet die zur „christlichen“ CDU gehörende Ex-Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters, es unterließ, dafür zu sorgen, die für den Verein vom Bundestag am 8. November 2018 bewilligten 1,23 Millionen € auszuzahlen.

Zudem ist äußerst enttäuschend, dass die EKD trotz mehrfacher Zusagen keinen Cent für die Erfahrungsberichte ihrer mutigen Mitglieder in der DDR zur Verfügung stellte.

Die Produzenten Alexander Thies und Henriette Gotaut gingen im christlichen Vertrauen auf gegebene Versprechen des Bundestags in private Vorleistung, wobei sie sogar ihre Produktionsfirma gefährdeten. Ihnen ist christliches Bekenntnis zur Freiheit noch etwas wert.

Können sich Kirchenobere und „Volksvertreter“ gebrochene Versprechen noch erlauben angesichts nötiger Aufklärung von Verbrechen und Verbrechern der SED-Diktatur?

So wie man Freiheit nicht umsonst bekommt, kosten gebrochene Versprechen das Staatsvertrauen der Bürger in Demokratie und Rechtsstaat.

Von Gastautorin Angelika Barbe

Quelle: Vera Lengsfeld

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