Phobien und andere Krankheiten

Manche Muslime fühlen sich gerne beleidigt und üben sich in Selbstmitleid. Denn wer sich als unschuldiges Opfer beklagt, genießt das Mitleid der Öffentlichkeit. Wer aber jeden Anflug von Kritik gierig aufgreift, um nicht nur Mitleid zu erregen, sondern gewaltige Empörungsrituale zu organisieren, verdient weder Verständnis noch Immunität. Den Trick mit der Opferrolle, mit der ständigen Pflege von Empörungsbereitschaft durch dauerhaftes Beleidigtsein haben inzwischen nicht nur Muslime herausbekommen, die über Islamophobie klagen, sondern auch die Homosexuellenlobby, die sich von Homophobie umzingelt sieht und als ihren natürlichen Feind die katholische Kirche ausgemacht hat. Wer gegen eine sozial- und steuerrechtliche, also auch finanzielle Privilegierung der „Homoehe“ plädiert, gilt schon als homophob. Und damit als einer, der diskriminiert. Erst wird hier pathologisiert, dann kriminalisiert.
Eine „Phobie“ ist nach verläßlicher Auskunft des Dudens als „krankhafte Angst“ zu verstehen. Und als „Diskriminierung“ versteht man gewöhnlich eine „Herabsetzung“ im juristischen Sinne. Inzwischen wird aber jede, auch grundgesetzlich gebotene Privilegierung (von Ehe und Familie etwa) als Herabsetzung anderer Lebensformen interpretiert. Dieser Gleichheitswahn ist eine Krankheit, die schon die höchstrichterliche Ebene erreicht hat. Sollen sie doch leben, wie sie wollen. Oder wie es der Alte Fritz absolutistisch-tolerant mit der „eigenen Façon“ zum Ausdruck brachte: Soweit sie nicht gegen die Staatsräson verstößt. Aber für eine aparte Sexualpraxis den Staat, vielleicht auch noch die Kirche legitimatorisch und finanziell in Anspruch zu nehmen, geht weit über die gebotene Toleranz hinaus, die sich übrigens aus der christlichen Nächstenliebe, besonders der Feindesliebe speist.
Auch den praktizierenden Christen gegenüber tolerant zu sein, diese Reziprozität findet heute sogar im scheinbar so toleranten Westen wenig Anklang. Zwar werden ständig Menschenrechte beschworen und neu erfunden. Aber man tut so gut wie nichts, um die grassierende Christenverfolgung in den islamisch beherrschten Ländern zurückzudrängen. Öl ist eben schwerer als Blut, und Interessenpolitik leichter als Moralpolitik.
Keine krankhafte Angst oder Christophobie, sondern glatter Verrat an der eigenen Kultur zeichnet sich in der Europäischen Union ab. Es war nicht nur Dusseligkeit, daß die EU, die für fünf Millionen Euro rund 3,2 Millionen Schülerkalender herstellen ließ, darin zwar die religiösen Feiertage der Moslems, der Juden, der Hindus und der Sikhs verzeichnete, aber keinen einzigen christlichen Feiertag notierte. Man wollte den Taschenkalender „nicht überfrachten“, hieß es entschuldigend. Mögen auch die Christen noch 90 Prozent der europäischen Bürger stellen, sie kulturpolitisch zu berücksichtigen, wäre wohl nur eine Überfrachtung des multikulturellen Programms.
Trotz vorauseilender Islamisierung gibt es in Europa noch keine ausdrückliche Christenverfolgung. Mehr als die Christen müßten übrigens die bekennenden Homosexuellen die Einführung der Scharia fürchten. Die europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien sind aber eine gefährliche Falle, in die auch die katholische Kirche – die protestantische ohnehin – hineingetappt ist. Diese Richtlinien eignen sich paradoxerweise zu ganz neuen Formen der Diskriminierung. In extremer Auslegung, zu der dezisionistische Juristen neigen, wird bei künftigen Papstwahlen darauf zu achten sein, daß als Souverän der katholischen Kirche nicht mehr der Papst als Stellvertreter Christi, sondern irgendein demokratisches Kirchenvolk anzuerkennen sei, das Wahlkandidaten bestimmt, die nicht dem Kirchenrecht und der Rechtgläubigkeit, sondern den europäischen Richtlinien entsprechen. Die Stelle würde dann öffentlich ausgeschrieben, und für Hans Küng und Uta Ranke-Heinemann eröffneten sich neue Chancen.
Aber noch sind wir nicht soweit. Man muß ja nicht gleich Papst werden wollen. Und das Diktat totalitären Toleranzigkeit gilt nicht auf Weltebene und wird die Weltkirchenebene nie erreichen. In Deutschland, dem angeblichen Lande Luthers, in dem Luther nur noch von wenigen gesungen, aber kaum mehr gelesen wird, genügt einstweilen die Auflösung der priesterlichen Zölibatsregelung und die Zulassung von Frauen und Homosexuellen zu einem Priester- und Bischofsamt, das es protestantischerseits ohnehin nicht gibt. Umso bemerkenswerter ist die nun in der anglikanischen Kirche eingeleitete Ökumene der Rückkehr in die katholische Kirche. Wandernde soll man nicht aufhalten, sondern ermutigen. Das gilt auch für Katholiken, die schon seit längerem ihr Herz für den Protestantismus entdeckt haben. Die Toleranz gebietet es, sie ziehen zu lassen. Sie fordert aber nicht, daß sie ihre angestammte Glaubensgemeinschaft bis zur Unkenntlichkeit zu reformieren versuchen. Jeder kann ja seine eigene Kirche gründen, sich ein Hütchen aufsetzen, auf dem Flohmarkt passende Requisiten suchen und sich als Papst oder Priesterin aufspielen. Zum Gaudium der Medien.
Zur Vorbereitung des Papstbesuchs 2011 haben einige CDU-Repräsentanten mal wieder die Abschaffung des Zölibats gefordert. Warum sollten sie nicht? Weil die CDU nicht die Probleme der Kirche, sondern die des Staates zu lösen hat, und zwar nach Maßgabe der christlichen Soziallehre und des Grundgesetzes, nicht des Kirchenrechts. Überdies ist ein gewisses Maß an Glaubenskompetenz erforderlich, um den Sinn des Zölibats zu erfassen. Wer den Sinn der „evangelischen Räte“ nicht fassen kann und sie mit einer basisdemokratischen Einrichtung der Kirche verwechselt, die von einem Zentralkomitee verwaltet wird, sollte besser schweigen. Vor allem dann, wenn er ein staatliches Amt bekleidet.
Gerne verzichten wir auf eine Nationalstaatskirche BRD nach wilhelminischem Muster. Wir haben keinen Mangel an Priestern, sondern an Gläubigen. Die Pfarrgemeinden werden zu mobilen Fahrgemeinschaften. Meines Erachtens geht es nicht um die Abschaffung, sondern um die Ausdehnung des Zölibats auf jene Vollblutpolitiker und Manager, die schon mit der eigenen Familie überfordert sind und denen es an der nötigen geistigen und materiellen Unabhängigkeit fehlt.
www.die-neue-ordnung.de

Über Wolfgang Ockenfels 43 Artikel
Prof. Dr. Dr. Wolfgang Ockenfels, geboren 1947, studierte Philosophie und Theologie in Bonn und Walberberg. 1985 erhielt er eine Professur für Christliche Sozialwissenschaften mit den Lehrgebieten Politische Ethik und Theologie, Katholische Soziallehre und Sozialethik, Wirtschaftsethik sowie Familie, Medien und Gesellschaft an der Theologischen Fakultät Trier. Ockenfels ist zudem Geistlicher Berater des Bundes Katholischer Unternehmer BKU und Chefredakteur der Zeitschrift "Die Neue Ordnung" in Bonn. Er gehört zum Konvent Heilig Kreuz der Dominikaner in Köln.

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