Corona – Filmbrancheninfos #17

Mit "Bang BOOM BANG" von Rüdiger Suchsland

Bild von Thomas Mühl, kloxklox_com, auf Pixabay

Mit der Arbeitslosenversicherung haben Filmschaffende ihre eigenen Erfahrungen – in der Krise ist es nicht besser. Die Babelsberger Kolleg*innen dürfen jetzt doch in Kurzarbeit, und zum Abschluss fragen wir etwas länger nach, wie die Synchronstudios wieder weiterarbeiten wollen. Übrigens: Die Brancheninfos erscheinen gleichzeitig auch auf unserem Blog out-takes zum Nachlesen.

Zum leichten Einstieg mal was völlig anderes: Daten sichtbar machen ist für den Berliner Infografiker Christian Laesser Berufsalltag. Nebenbei erforscht er, ob oder wie die Muster in den Daten, die Welt erklären – und bringt Struktur ins Gewirr. Ernsthaft beim „German Media Universe“, unterhaltsamer bei anderen Projekten – etwa, wie unsere Lieblingsserien miteinander verknüpft sind.

Was ist mit den vielen, die nicht soloselbständig sind oder Unternehmer – sondern „auf Produktionsdauer angestellt“? Und die bei Anbruch der Krise noch auf das nächste Projekt warteten? Sollen die jetzt stempeln gehen? Oder gar die „Grundsicherung“ beantragen, bekannter als „Hartz 4“? 
In diese Richtung zielen viele Fragen, die uns in den vergangenen drei Wochen erreichten. Das Problem: Mit dem Arbeitslosengeld tickt auch die Uhr – die Anspruchzeiten, die Filmschaffende unter den geltenden Bestimmungen ohnehin nur schwer zusammenbekommen, laufen ab, doch Jobs sind in der Krise bis auf weiteres nicht in Sicht. Eine Petition schlägt schon seit zwei Wochen eine einfache Lösung für die Freien Filmschaffenden und das Arbeitslosengeld vor: Die Uhr läuft nicht weiter ab, sondern der gegenwärtige Zustand wird eingefroren. Und zwar ab dem 18. März (der Tag, an dem die Bundeskanzlerin zur „Social Distancing“ aufgerufen hat) bis zum Tag X, dem offiziellen Ende dieser Maßnahmen. Dieser Zeitraum soll „einfach ,gelöscht’“ werden und nicht in die Berechnungen einfließen – neben dem Anspruch auf Arbeitslosengeld auch Eltern- und Mutterschaftsgeld. Erst nach der nächsten Anstellung bei einer Produktion, bei der man wieder Geld verdienen kann, soll der Anspruch weiter ablaufen.
Soweit die Forderung. Doch die Agentur für Arbeit geht einen anderen Weg. Vorigen Donnerstag hatte sie den Zugang zum Arbeitslosengeld 1 auf zweierlei Weise erleichtert (die letzten beiden Absätze der Pressemitteilung erinnern nur an das, was eh schon gilt):
1. Die Beiträge können gestundet werden: Allerdings nicht sofort: Die örtliche Agentur für Arbeit nimmt zu einem späteren Zeitpunkt Kontakt auf. Wie schnell das gehen soll, ist nicht angegeben. Stundungen sind bis längstens Oktober 2020 möglich. 
2. Ausschlussregeln werden gelockert: Wer bereits innerhalb der letzten 12 Monate Arbeitslosengeld bezogen hat und erneut Arbeitslosengeld beantragt hat, kann sich danach erneut freiwillig versichern (bisher war das nicht möglich, wenn die gleiche selbstständige Tätigkeit wieder aufgenommen wurde). Diese Ausnahme gilt bis zum 30. September 2020. Das war’s aber leider auch schon, bestätigte uns heute die Arbeitsagentur. Wer arbeitslos gemeldet ist (oder das nun tun musste), kann nur zusehen: Die Uhr läuft weiter ab, als wäre nichts geschehen.

Die Filmschaffenden in Babelsberg gehen in Kurzarbeit. Das habe die Geschäftsführung der Central Scope GmbH, eine Tochter der Studio Babelsberg AG, heute der Verhandlungsgruppe der Aktion „Wir sind Babelsberg“ mitgeteilt, teilte wiederum die Aktion mit: Die Arbeitsagentur habe rückwirkend zum 1. April 2020 Kurzarbeitgeld (KUG) bewilligt. Die Geschäftsführung habe angekündigt, „dass die vielen Hundert Kündigungen wieder zurückgenommen werden sollen, um anschließend auf Kurzarbeit umzustellen.“ Eine Aufstockung des KUG auf die vereinbarten Gagen ist nicht vorgesehen. 
Die Lösungen sei gemeinsam in „konstruktiv geführten“ Gesprächen gefunden worden – gemeinsam werde zurzeit auch nach Lösungen für die freiberuflichen Mitarbeiter gesucht.

Preisgekrönt und auftragslos? Im März wurden die Drehbuchautorin Beate Langmaack und der Showrunner Dennis Schanz mit dem „Grimme-Preis“ ausgezeichnet worden. Doch auf den Jubel folgte die Krise. Wie geht’s den Gewerken?

Was passiert grad mit dem Grundgesetz? Die „Kulturzeit“ aus 3sat berichtete gestern von Protest und Widerstand. vom 6. April. Grundgesetz in Gefahr. „I love you, but I’ve chosen Ausgangssperre.“ Michael Wolf entdeckt in seiner Kolumne auf Nachtkritik.de dramatische Spielräume in den Corona-Verordnungen.

Können sich die Talentagenturen der Coronavirus-Pandemie anpassen? Fragt das Branchenmagazin „Variety“ auf Englisch.

Rund um die Welt sind Filmschaffende zur Untätigkeit verdammt. Wie gehen Menschen, die mit der ganzen Welt vernetzt arbeiten, mit dieser Situation um?Eine Serie beim Humanistischen Pressedienst.

So zeitlos und gleichzeitig aktuell kann Literatur sein: „Die Pest“ von Albert Camus ist über 70 Jahre alt – und jetzt in Frankreich wieder ein Besteller. Auch bei uns steigen die Verkaufszahlen, berichtet der NDR. 

Wie unterstützt Europa die Branche in der Krise? Die Europäische Audiovisuelle Informationsstelle erfasst die Maßnahmen in Echtzeit online. Den „Covid-Maßnahmen-Tracker“ gibt’s kostenlos auf der Website. Der Überblick zu 41 verschiedenen Ländern und pan-europäischen Maßnahmen werde täglich aktualisiert.

Der Förderkalender soll trotz Shutdown beibehalten werden. Das fordern Produzentenallianz, Produzentenverband und Film- und Medienverband NRW heute in einer gemeinsamen Pressemitteilung: „Eine Absage von Förderterminen würde die bereits äußerst schwierige Situation der Filmbranche noch weiter verschärfen. Es droht dann ein Dominoeffekt, der die jetzigen Probleme auch noch weit in das nächste Jahr hineinträgt und alle mittelbar oder unmittelbar an einer Produktion Beteiligten und Filmschaffenden ebenso in Mitleidenschaft zieht.“

Am Konzept wird noch gefeilt, aber soviel steht fest: Die 70. Verleihung des „Deutschen Filmpreises“ wird erstmals live ausgestrahlt: Am 24. April um 22:15 Uhr im Ersten.

Kreativ in der Krise: Das Kurzfilmprojekt „4 Wände Berlin“ entsteht zurzeit auf Initiative des RBB. In jeweils 120 Sekunden inszenieren Filmemacher aus der Hauptstadtregion dafür ihr Leben in häuslicher Einsamkeit, darunter Hans-Christian Schmid und Wim Wenders. 30 Filme sollen es werden, für jeden Tag im April einer. Jeweils um 11 Uhr wird eine neue Episode veröffentlicht, unter anderem im Netz.

Wie laufen die Hilfsprogramme wirklich? Wir haben vier weitere Erfahrungsberichte erhalten:

Ich habe den Antrag am 18. März geschickt.
Am 1. April bekam ich (Gottseidank) einen Bewilligungsbescheid.
Am 6. April habe ich die Dame, die mir diesen gemailt hatte, mal angerufen, bis wann den mit der Auszahlung zu rechnen sei. And here it comes: die Soforthilfe wird laut dem, was ich am Telefon erfuhr, für viele erst in Monaten auf dem Konto sein. Warum?
Ich habe den Antrag am 18. März morgens gestellt, laut Bewilligungsbescheid war das Antrag 156.789 – wie wir wissen, kamen die nächsten drei, vier Tagen 50.000 bis 250.000 Anträge nur in Bayern dazu. Am 6. April waren in Bayern gerade mal 25.000 Anträge bearbeitet, laut der Sachbearbeiterin. Sie meinte, sie arbeiten Tag und Nacht und Wochenende. Die Flut ist nicht zu bewältigen …
Wenn ich also meinen Antrag erst am 1. April bewilligt bekommen habe, das Geld noch mal 7 bis 10 Tage braucht bis aufs Konto, kann das für andere Antragsteller bedeuten, erst in den kommenden zwei bis drei Monaten die Soforthilfe zu bekommen. Definitiv zu spät für viele von uns.

Viele meiner Kollegen dachten, „das wird nie was mit der Soforthilfe hier.“ Aber weit gefehlt! Vor drei Wochen hier in München beantragt (2 Seiten – übersichtlich), nach zwei Wochen eine kurze Mail mit der Nachfrage zur Bankverbindung, daraufhin ein kurzes Telefonat mit dem Zuständigen und ein paar Tage später ist das Geld auf dem Konto. Ich bin kein großer Politiker-Fan, aber Hut ab – hier wurde ein Versprechen gemacht und gehalten.

Ich habe als Freiberufler in Hessen Corona-Soforthilfe beantragt und musste heute auf eine Frage des Regierungspräsidiums reagieren:
„Bitte beantworten Sie folgende Rückfrage:
Die Soforthilfe wird nicht zum Ausgleich des eigenen Verdienstes gewährt. Sie dient ausschließlich als Ausgleich für aktuell laufende Verpflichtungen, welche Sie aufgrund des entstandenen Liquiditätsengpasses nicht begleichen können. Bitte teilen Sie mir mit, welche laufenden Kosten bezüglich Ihres Gewerbes nicht beglichen werden können.“ Meine Antwort (leider zu viele Zeichen):
„Als Freiberufler, Freelancer, Soloselbstständiger, nennen Sie es, wie Sie möchten, habe ich meine Lebensumstände so angepasst, dass ich, wie auch meine zahlreichen Kolleg*innen, TV-Produktionen etc. als Vollzeit-Arbeitskraft zur Verfügung stehe. Zum Beispiel schaffen wir TV-Kulturgüter wie den „Tatort“, oder aber auch die täglichen Nachrichtenberichterstattungen, welche es ohne Menschen wie uns schlicht und einfach nicht gäbe! 
Dieses Lebenskonzept bringt gewisse Freiheiten, aber deutlich mehr Hürden mit sich, weswegen mensch nur durch absolute Hingabe zum Beruf funktionieren kann. Denn: untertarifliche Bezahlung ist allgegenwärtig (sogar bei der ARD), verzögerte Gehaltszahlungen, Lohndumping… dadurch lebt mensch in einer sozialen Ungewissheit, was einerseits den finanziellen Aspekt betrifft, aber auch was das soziale Leben angeht (keine Planbarkeit). Und das am Ende Alles für das „Fernsehprogramm“ der Gemeinschaft! Zurück zu Ihrer Frage: Es entstand eine Art „Verschmelzung“ zwischen Gewerbe und meinem restlichen Dasein! Mein Büro ist mein Zuhause und mein Zuhause ist ein Campingauto! Ich kann so von weniger als 1000 Euro im Monat leben, was ich als Lebenskunst bezeichne. Zwischen zwei Jobs lebe ich allein von meinen Ersparnissen. Von diesem Geld bezahle ich KFZ-Steuer und -Versicherung, Miete (Stellplatz), Telefon und Internet, Krankenversicherung, Lebensmittel. 
Durch diverse angedachte Jobs von März bis Juni wäre mein Lebenskonzept wieder einmal aufgegangen. Der Corona-Pandemie geschuldet, wurden leider all diese Jobs abgesagt beziehungsweise bis auf weiteres verschoben, und ich kann somit die Kosten für mein „Gewerbe = mein Leben“ nicht mehr decken. Ich benötige jetzt Ihre Unterstützung! Bitte!“ Die „unkomplizierte Hilfe“ ist echt traurig!

Ich bin freischaffender Sänger und Schauspieler und hatte in Berlin vor dem 1. April das „Soforthilfepaket 2“ beantragt und auch schnell erhalten. Und dies ist für das eigene Gehalt, also auch die eigenen Lebenshaltungskosten – nicht nur für Betriebskosten. Es muss auch nicht zurückgezahlt werden. Top!

Wenn alles gut geht, wollen die meisten größeren Synchronstudios am 20. April wieder weiterarbeiten. Wie Gesundheitsschutz und Qualitätsstandards eingehalten werden sollen, erklärt Till Völger, Vorstand für den Bereich „Sprache/Synchron“ im Bundesverband Schauspiel (BFFS):

Eine überschaubare Zahl von Leuten, getrennte Räume, wenig bis kein Körperkontakt – die Synchronstudios müssten es doch einfach haben, sich auf die neuen Bedingungen einzustellen?
Nur bedingt. Der Platz in den Studios ist, gerade bei kleineren Unternehmen, begrenzt. In der Regiekabine sitzen Synchronregisseur*in und Tonmeister*in nebeneinander. Auf der anderen Seite der Scheibe steht der*die Synchronschauspieler*in – und gleich daneben sitzt auch ein*e Cutter*in, zu der im Normalfall kein hinreichender Mindestabstand besteht. Wenn man sich dann bei der Synchronisation in Rage spielt, kann die Aussprache auch mal feuchter werden. Es besteht also das Risiko, dass die Oberflächen rings herum kontaminiert und von den folgenden Kolleg*innen ebenfalls angefasst werden: Pult, Dialogbuch … 
Was haben die Synchronstudios unternommen?
Im März hatten wir bereits Corona-Fälle in der Branche, die im Studiobetrieb eine weitere Ausbreitung des Virus befürchten ließen. Als Reaktion darauf haben die meisten Unternehmen unverzüglich entschieden, dass der Sprachaufnahmebetrieb vorerst eingestellt wird. Das verlief sozusagen parallel zu den Regierungsmaßnahmen, die zur Eindämmung verhängt wurden. Der Schnitt findet allerdings vielfach noch statt, das geht weitgehend alleine. 
Alle auf einmal?
Die Entscheidung fiel relativ plötzlich, da stehen und standen die meisten Studiobetreiber im gegenseitigen Austausch. Natürlich wurde die Entscheidung nicht einheitlich getroffen, denn derartige Tätigkeiten sind nicht von den Verordnungen erfasst, die aktuell auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes im Sinne des Gesundheitsschutzes erlassen wurden. Es war eine freiwillige Entscheidung: Die Studios konnten schlicht nicht verantworten, weiterzumachen. Nach heutigem Stand weiß ich nur von einem Unternehmen, das den Sprachaufnahmebetrieb wieder aufgenommen hat, allerdings mit verschärften Maßnahmen zum Gesundheitsschutz. 
Wie gehen die mit den geschilderten Problemen um?
An Lösungen arbeiten alle. Eine diskutierte und auch schon angewendete Möglichkeit besteht darin, dass Trennwände aus Plexiglas zwischen den einzelnen Gewerken aufgestellt werden. Es gibt darüber hinaus Überlegungen, statt einer Papierfassung des Dialogbuchs einen Bildschirm zu verwenden, über den der Text übertragen wird. Auch bei An- und Abreise der einzelnen Schauspieler*innen müssen zeitliche Abstände geschaffen werden. Normalerweise gibt es fliegende Wechsel zwischen den Synchronschauspieler*innen, nun müssten wir Pausen einlegen, damit ein direkter Kontakt ausgeschlossen wird. Schwierig sind Ensemble-Aufnahmen, die müssen künftig einzeln aufgenommen und dann zusammengeschnitten werden. Dass fünf oder gar zehn Leute vor dem Mikro stehen, daran ist momentan nicht zu denken. Selbstverständlich müssen die Oberflächen regelmäßig gereinigt, der Poppschutz auf dem Mikrofon gewechselt beziehungsweise desinfiziert werden. 
Ach, gibt es doch wieder genug Desinfektionsmittel?
Das wurde mir für Flächendesinfektionsmittel bestätigt, ja. Darüber hinaus soll darauf geachtet werden, dass sich die Kolleg*innen die Hände waschen und den Sicherheitsabstand einhalten. Natürlich kann das nicht einheitlich für alle Unternehmen gesagt werden, das ist aber die überwiegende Marschroute in den Synchronstudios. 
Wie weiß man, was hilft? Gibt es eine Art Checkliste?
Eine spezielle Checkliste, wie man sich bei einer Filmproduktion zu verhalten hat, gibt es nicht. Dafür sind die Arten der Tätigkeiten auch zu unterschiedlich. Die Handlungsabläufe im Synchronstudio kann man zum Beispiel nicht mit denen beim Dreh vergleichen und umgekehrt. Für die Maßnahmen in den Synchronstudios haben viele Unternehmen die Betriebsärzte einbezogen und lassen sich von ihnen beraten. 
Offizielle Kontrollen gibt es nicht?
Nein. Die Verordnungen der Länder betreffen keine derartigen Tätigkeiten, weshalb auch niemand von den Ordnungsbehörden ins Studio kommt und die Bedingungen kontrolliert. Da geht es uns wie allen anderen an ihren Arbeitsplätzen. Die Verordnung von Berlin listet beispielsweise dezidiert auf, welche Tätigkeiten nicht erlaubt sind. Filmproduktionen zählen grundsätzlich nicht dazu. Allerdings war auch nicht zu erwarten, dass die zuständigen Stellen die speziellen Arbeitsbedingungen in der Filmbranche auf dem Schirm hatten, als sie die Verordnungen formuliert und erlassen haben. Das heißt: Zu Filmproduktionen gibt es keine Aussagen … 
… für Außenaufnahmen gibt es keine Genehmigung, im Studio darf weitergedreht werden.
Ähnlich widersprüchlich ist es an den Theatern: Die Vorstellungen sind abgesagt, die Proben wurden aber teilweise noch eine Zeit lang unverändert fortgeführt. 
Wie schlimm steht es um die Synchronstudios?
Ich bin zwei bis drei Mal die Woche im Kontakt mit verschiedenen Synchronproduzenten. Die aktuell überwiegende Haltung ist, dass man die Maßnahmen erstmal durchstehen wird. Durch Kurzarbeit konnte bei den Festangestellten einiges abgefangen werden. Manche Produzenten haben schon massive wirtschaftliche Probleme, von den Synchronschauspieler*innen ganz zu schweigen. Wenn allerdings weitere Einschränkungen hinzukommen und eine Produktion auch unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen bis auf weiteres nicht möglich ist, dann werden die meisten Studios in ernstzunehmende Existenznöte geraten. 
Die Aufträge sollten aber genügend da sein? Was synchronisiert wird, ist ja schon abgedreht …
Doch bezahlt wird meist erst bei Lieferung, wodurch schon jetzt finanzielle Engpässe entstehen können. Die Studios müssen dann in Vorleistung gehen – eine an sich schon fragwürdige Methode. Der allgemeine Plan ist aber zurzeit: Wenn der allgemeine „Lockdown“ am 20. April gelockert wird und wenn die Sicherheit stimmt, soll es wieder losgehen. Dabei müssen wir auch berücksichtigen, dass etliche in unserem Bereich auch zu Risikogruppen gehören. 
Wie wollen Sie damit umgehen?
Dazu sind verschiedene Möglichkeiten im Gespräch. Möglich wäre zum Beispiel ein Extratag nur für diese Kolleg*innen, sodass die Infektionsgefahr noch weiter drastisch reduziert wird. 
Und falls Ihre Planung nicht aufgeht?
Ja, die Lage verändert sich täglich – die Einschränkungen könnten auch schärfer werden. Für diesen Fall müssen wir über Alternativen nachdenken. In einem Punkt sind sich aber die allermeisten einig: Ein sogenanntes „Cloud-Dubbing“ wird auf jeden Fall abgelehnt. 
Also der*die Synchronschauspieler*in sitzt im Home-Office in der Küche und lädt die Aufnahme in die Cloud hoch?
Richtig. Das hat mehrere Nachteile: Das Home-Office ist in der Regel kein Studio. Wir bekommen dann ein massives Qualitätsproblem. Das Problem schlechter Synchronfassungen kennen wir schon, mit Cloud-Dubbing besteht die sehr hohe Gefahr eines massiven Qualitätsverfalls. Das betrifft ja schon die Akustik. Und man sitzt alleine da, die ganzen anderen Gewerke im Studio werden ausgeklammert. Als Synchronschauspieler brauche ich aber dieses Zusammenspiel, ich brauche die Rückmeldung von der Regie, vom Schnitt, vom Ton. Wenn das wegfällt, geht ganz viel verloren. Da tun wir uns, den Rezipienten und damit letztlich auch den Kunden künstlerisch keinen Gefallen. 
Was wäre die Alternative?
Eine Möglichkeit bestünde in einer Variante des sogenannten „Remote-Dubbing“. Alle sind beteiligt, aber an verschiedenen Orten. Ton und Synchronschauspieler*in sind beispielsweise in jeweils einem eigenen Raum, Schnitt und Ton sind zugeschaltet – es muss aber eine gute, saubere Verbindung sein. 
Auch da fehlt der unmittelbare Kontakt, den Sie brauchen. 
Das stimmt, die Alternative des Remote-Dubbing ist alles andere als ideal, aber ich habe wenigstens ein Feedback. Übergangsweise geht das. Es braucht aber die entsprechende Soft- und Hardware. Große Betriebe können sich das leisten, kleinere nicht so ohne weiteres.

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Bang Boom Bang

Zuballern im tollen Netz: Bazooka halt. Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 12. Von Rüdiger Suchsland

„Ich kann und will mein Gewissen nicht nach der diesjährigen Mode maßschneidern.“ 
Lillian Hellman

Was sich gerade ereignet, ist der Wunschtraum eines jeden Verschwörungstheoretikers: Voll-Überwachung, Ausgangsverbote, Bargeld gilt als schmutzig und könnte da kontaminiert auch bald verboten werden … 
Das Bemerkenswerte aber: Dies alles hat mit Verschwörung und Paranoia überhaupt nichts zu tun, denn die Lieblingsfrage des Verschwörungstheoretiker lautet: Cui Bono? Wem nützt es?
Aber auch wenn sich auf diese Frage keine Antworten ergeben, muss man auf der anderen Seite konstatieren, dass viele, die jetzt mit großem Vergnügen dem zustimmen, was die Wissenschaftler sagen und die Regierungen tun, doch ein bisschen in diesem Vergnügen zumindest an altkluge Kinder erinnern, an Heranwachsende, die stolz darauf sind, dass sie alles 150prozentig erfüllen, was die Erwachsenen ihnen vorgeben. Der Stolz, endlich dazu zu gehören, endlich erwachsen zu sein – den kann man in diesem Verhalten auch erkennen. Und wer widerspricht, der ist natürlich „kindisch“. 

Der NDR macht gerade irgendetwas richtig. Dabei sind die Norddeutschen auch unter den anderen ARD-Anstalten eigentlich keineswegs ein besonders origineller Sender.
Aber schon zu Beginn unserer Corona-Ferien kamen sie auf den hervorragenden Gedanken, mit dem Virologen Christian Drosten einen regelmäßigen Podcast zu machen. Wie wir wissen ist dies eines der erfolgreichsten Formate während des Ausnahmezustands. Und etwas Neues unter den ganzen Talkshows und gar nicht mehr besonderen Sondersendungen. 

Nun haben sie sich in Hamburg etwas Neues einfallen lassen. Das ganze heißt „After Corona Club“ und scheint ein regelmäßiges neues Talk-Format werden zu sollen, ein Format, bei dem man mehr über die kulturellen und sozialen Folgen und den Zustand des Pandemischen spricht, als über Fragen der Virologie. 
Erster Gast der ersten Sendung war Harald Welzer und das war weiß Gott keine schlechte Wahl. Denn Welzer ist einerseits Historiker und historisch gebildet, also gut für die etwas weiter ausholenden Vergleiche: andererseits ist er Sozialpsychologe, kann also hier schon mal ein bisschen tiefer in die Kollektive Psyche der Deutschen eindringen. Und er nennt sich oder wird beim NDR so genannt auch noch „Zukunftsforscher“. Denn tatsächlich ist er Mitbegründer und Direktor der gemeinnützigen Stiftung https://futurzwei.org/, zugleich hat Welzer in Flensburg einen Lehrstuhl für „Transformationsdesign“ – das ist zwar ein merkwürdiger Begriff, hat aber inhaltlich im Grunde sehr konkret damit zu tun, wie sich Gesellschaften wandeln wie man die Gesellschaft fit für die Zukunft macht. Diese Forschungsfelder und ihre Benennungen machen klar, dass es schon um die Zukunft geht, aber eben um eine andere Zukunft. Um eine Zukunft, die die Gesellschaft der Gegenwart nicht einfach in die Zukunft fortschreiben will. 

Und hier nun wird klar, was an Welzer in diesem Corona-Tagen grundsätzlich interessant ist: Denn eine der Kernfragen, die wir alle uns stellen müssen, ist ja die, ob wir eigentlich die Zeit nach Corona als eine Fortsetzung der Zeit von vor Corona möchten? Also: Wollen wir das? Unabhängig von der Frage, ob es dann so sein wird, ob das überhaupt möglich ist. und was dafür und dagegen spricht. Aber wollen wir das?
Und angenommen, wir wollen das nicht – was wollen wir dann? Tatsächlich sind wir alle alltagspragmatisch zwischen zwei Antworten auf diese Frage zerrissen. Auf der einen Seite möchten wir natürlich gerne, sobald wenn wir aus dem Hausarrest irgendwann wieder rausgelassen werden, auch wieder in unser Lieblingskino gehen können und in unsere Lieblingsrestaurants. Wenn wir jetzt schon darüber nachdenken, wie schön das sein wird, dann ist klar, dass wir uns das Nachher nur als eine Fortsetzung des Vorher vorstellen können. Auf der anderen Seite machen wir zurzeit gerade ganz viele Erfahrungen, die wir vielleicht auch positiv finden, oder zumindest interessant. Wir machen Erfahrungen eines anderen Lebens, eines anderen Zustands. Dieses „Es geht auch anders“ kann eine gute Erfahrung sein, weil es uns Alternativen zum normalen Jetzt zeigt, und weil wir dann überhaupt die Chance haben, zu wählen. Wir können ja sagen, dass wir diese Alternativen nicht wollen, dass wir zurück zum Alten wollen. Wir können aber auch sagen, dass das Neue eigentlich viel besser ist. So oder so ist es aber, wenn wir auf diese Weise denken so, dass wir uns das neue Zukünftige anders vorstellen, als das Vergangene. Nun wäre es in einer perfekten Welt wahrscheinlich so, dass auf der einen Seite unser Lieblingsrestaurant und unser Lieblingskino noch stehen und nicht bankrott sind und genau so weitermachen, wie bisher, und dass wir auf der anderen Seite ein paar Dinge ganz anders machen können als bisher. Und in der ganz richtig perfekten Welt gibt es dazu noch das bedingungslose Grundeinkommen, das jetzt alle fordern, und niemand von uns muss sich darüber Gedanken machen, wer dies in einem Staat, der dann um ein Vielfaches höher verschuldet sein wird als er das vorher war, wohl finanziert. Eigentlich fanden wir immer schon, dass die schwarze Null doof und Olaf Scholz ein Betonkopf ist, selbst als Sozialdemokraten. Oder?

Und jetzt auf einmal – auch das gehört zur Widersprüchlichkeit, die wir gerade erfahren, finden wir, auch wenn wir keine Sozialdemokraten sind, Olaf Scholz irgendwie cool. Wie er von der Bazooka redet und ihm das Ganze offensichtlich auch ein bisschen Spaß macht. Denn immer wieder in Talkshows, selbst in so unangenehmen wie der von Anne Will am letzten Sonntag, geht ab und zu ein ganz leichtes Lächeln über sein Gesicht. Man spürt das, man merkt, dass Scholz gerade in seinem Element ist: Kein bisschen Theoretiker, sondern durch und durch Praktiker. Er freut sich, dass er machen darf, er will machen und er genießt es, machen zu können und zwar so richtig groß machen.

Ein bisschen, das muss ich zugeben, kommt mir während ich dies schreibe und das Wort „machen“ gerade gebrauche, auch wieder das in den Sinn, was das Wort auch noch bedeutet, und was ich neulich auf eher gesittete Weise mit der Analfixiertheit der Deutschen umschrieben habe. Ein bisschen guckt Scholz dann nämlich auch so stolz wie ein kleiner Junge, der zum ersten Mal einen richtig großen Haufen ins Töpfchen gemacht hat, und jetzt von seinen Eltern, also von uns, den Bürgern dafür gelobt werden möchte. Die Bazooka halt.

Gut, zurück zum „After Corona Club“. Auch bei diesem Wort denken wir sofort an verschiedene andere Dinge und nicht alles davon ist „Club Mediterranée“ – dieser „After Corona Club“ ist jedenfalls das nächste große Ding am Medien Himmel oder zumindest am Himmel des NDR.
Ob er so groß wird, wie der Drosten-Podcast das warten wir mal ab. Muss ja auch nicht. Es soll darum gehen: Was macht diese Krise mit unserer Gesellschaft? Gedanken kluger Menschen jenseits der Schar der Virologen, werden hier präsentiert, im Gespräch in der neuen Corona-Ästhetik bewegungseingeschränkter Zoom-Talks. 
Welzer und Anne Reschke sprachen über die Versuche, die Krise beherrschbar zu machen. Welzer ist schon deshalb ein angenehmer Typ, weil er Worte wie „auf den Senkel gehen“, „Schrott“, „zuballern“ auch im Fernsehen benutzt. 
Welzer forderte eine Bilanzierung: Was sollten wir behalten, was müssen wir verändern? So folgert er zum Beispiel: „Man wird feststellen, dass von zehn Meetings neun überflüssig sind. Dass vieles an Geschäftsreisen redundant ist.“
Das hat er recht. Eine andere Frage ist die, ob wir denn immer effizient sein wollen? Ob dieser fortwährende Zwang zur Effizienzsteigerung und Optimierung nicht genau auch nur ein Stück des absurden Stresses einer neoliberalen, hyperkapitalistischen Gesellschaft sind, die wir Post-Corona vielleicht verlassen wollen? 
Und zweitens ist noch die Frage ob der Zweck von Meetings und Geschäftsreisen tatsächlich im Meeting und der Reise liegen – vielleicht geht es ja um Bedeutungssimulation? Um Tätigkeitssuggestion? Oder darum einfach mal vom doofen Schreibtisch im Büro wegzukommen, darum einen Vorwand zu haben, um durch die Straßen zu schlendern, die Tageszeitung zu lesen, oder darum um um 10 Uhr morgens dösen zu dürfen – im Flieger oder im ICE darf man das nämlich, und da erwischt einen auch keiner. Oder man will einfach mal ein paar Tage von Zuhause weg? Fremdgehen oder sich betrinken. Oder einfach doof herumsitzen, ohne dass einen jemand fragt wie bei Loriot: Was machst Du? Warum sitzt Du? Willst Du nicht was tun?

Welzer wies auf ein paar Denkfehler hin: Die „wohlfeile Euphorie“ über das Zuhause-sein, der Selbstbetrug unseres Corona-Daseins: „Alle streamen jetzt wie die Irrsinnigen. Alle müssen ständig miteinander kommunizieren. Was mir übrigens total auf den Senkel geht dass man jetzt dauernd irgendwelche tollen Sachen produziert werden müssen und man muss musizieren produzieren und singen und Briefe schreiben. Wer will denn das ansehen?
Also diese Phase der Pause, die ich ja für produktiv halte, die will ja noch gar nicht richtig einsetzen. Denn wir haben ja dieses tolle Netz wo man sich die ganze Zeit zuballern kann.“ Der Normalbetrieb bedeute, das die Leute keine Zeit haben „weil ja jede Sekunde ihrer Existenz mit irgendetwas belegt ist und seit es Smartphones und soziale Netzwerke gibt, umso mehr. Niemand ist ja mehr gewohnt leere Zeit zu haben. Also sich zu langweilen, aus dem Fenster zu gucken, eine Phase auszuhalten, wo nichts passiert – das können die Leute nicht.“ 

Ich habe mich allerdings gefragt, ob es eine Illusion ist, dass man ohne Stress auf bessere Gedanken kommt? Und wenn Welzer unterstellt, dass Untätigkeit produktiver sei, als „wenn ich Designed Thinking mache und mir die ganze Zeit unfassbar kreativ irgendwas aus der Birne quetsche“, dann hängt zumindest ja zumindest diese Formulierung komplett am Produktivitätsideal der klassischen Industrie. 
Und noch ein anderer Punkt. Welzer bemerkt, es sei historisch „total neu“, dass man „zugunsten von Minderheiten große Einschränkungen von Mehrheiten“ in Kauf nimmt – „ich finde es erstmal toll, dass es so ist. Vor 50 Jahren hätte man so nicht entschieden.“

Die Frage ist, ob es hier wirklich um Minderheitenschutz geht – zumal in den Gesellschaften des Westens ein Drittel der Bevölkerung über 60 Jahre alt sind. Und in Korea entschied man anders. 
Mir scheint, hier wird auch etwas kalkuliert von konservativen Regierungen zugunsten ihrer Wähler entschieden. Nicht nur, aber auch.

Zur endgültigen Bewertung des „After Corona Clubs“ müssen wir noch ein paar Folgen angucken (und die sind dann ja auch nicht alle mit Harald Welzer), um zu schauen ob die anderen Folgen und Teilnehmer das Niveau halten können. Der erste war jedenfalls schon mal ziemlich gut, und auf alle Fälle anregend. Und was kann man heute mehr verlangen?

+++

And now to something completely different. Es gab einmal eine Zeit, da fanden alle Dissidenten ganz toll. Es war die Zeit des Kalten Kriegs, die sowieso im Rückblick in mancher Hinsicht idyllischer und allemal gar nicht so schlimm war, wie es manchmal beschrieben wird. Das wissen alle, die das noch erlebt haben. 
In dieser Zeit des Kalten Krieges waren Dissidenten jedenfalls spannend und irgendwie rätselhaft. Sie kamen ziemlich oft aus Osteuropa, hatten linkische Bewegungen, dicke Schnurrbärte und oft etwas zu lange Haare. Einige sahen ein bisschen aus wie Rasputin, andere wie freundliche Großväter. Ganz wenige Dissidenten kamen auch von weiter her, wie aus China. Komischerweise hießen sie aber nie Dissidenten, wenn sie aus dem Nahen Osten kamen oder aus Afrika, und die Chilenen oder die Argentinier und die anderen Lateinamerikaner aus einem Land, in dem gerade irgendwelche faschistischen Militärs eine grauenhafte Diktatur errichtet hatten, das waren halt einfach Chilenen und Argentinier. Dissidenten aber umgab schon wegen dieses Namens eine gewisse Aura. Sie waren dagegen und dass sie dagegen waren, das war gut. Sie hatten Mut, denn das Dagegen-sein kostete sie etwas. Mindestens ihre Heimat und ihre Existenz, manchmal waren sie auch vorher in Haft gewesen oder auf die eine oder andere Art gequält worden. Sie hatten gelitten für ihre Wahrheit und wir fanden das toll. Wir setzen sie zu uns in die Talkshows und beklatschen sie, wir hörten uns die Konzerte an auf der sie irgendwelche Lieder sangen oder die Vorträge, in denen sie uns erzählt haben, was an einem anderen Land und an der Regierung eines anderen Landes ganz schlimm war. Und wir konnten da sitzen und uns sagen: Mensch uns geht’s ja gut, unsere Regierung ist doch offensichtlich gar nicht so schlecht, wenn dieser nette Dissident gerne hierher kommt und hier frei über die schlimmen Verhältnisse in anderen Ländern reden kann.
Der Haken ist der, das es ziemlich wenig Dissidenten im eigenen Land gab. Entweder waren dass irgendwelche Leute über die unsere Eltern sagten: Das sind Verrückte und Spinner und „Geh doch nach drüben!“ 
Oder sie waren gar im Untergrund. Mitglieder der „Baader-Meinhof-Bande“, wie es am Anfang hieß – was dann dazu führte, dass wir Kinder die wir beim Räuber und Gendarm Spiel auch lieber die Räuber waren, und abends von unseren Eltern etwas vom Räuber Hotzenplotz vorgelesen bekamen, dann dachten: „Bande das muss doch gar nicht so schlecht sein, vielleicht irgendetwas wie die Olsen-Bande.“ Irgendwann hießen sie dann nicht mehr so, sondern RAF und das irritierte nur diejenigen, die sie dann immer mit der Royal Air Force verwechselt haben. Naja. Diese RAF oder Baader-Meinhof-Bande waren jedenfalls auch keine Dissidenten sondern irgend etwas Schlimmeres. 
Heute will keiner ein Dissident sein. Dass der Dissident von dem schönen lateinischen Wort „dissidere“ kommt, ein Wort das „auseinandersetzen“ bedeutet, „nicht übereinstimmen“, „in Widerspruch stehen“, das weiß man kaum. Dissidenten sind unbequeme Andersdenkende, Querdenker, die öffentlich gegen die allgemeine Meinung Position beziehen und das aktiv. Trotzdem ist genau dieses Dissidententum und öffentlich aktiv gegen die allgemeine Meinung oder die Regierungslinie auftreten etwas, das im Augenblick während der Corona Krise gar nicht so gern gemocht wird.

Der Regisseur Dietrich Brüggemann, ein öffentlich immer wohltuend aktiver, angenehm meinungsfreudiger und unabhängiger Kopf hat einen sehr guten Text über Corona geschrieben, der, wenn man so will, dissident ist. 
Ich könnte jetzt viel zitieren, aber es können ja alle lesen. 
Wichtig ist mir das Prinzip: „Momentan sehe ich in der Öffentlichkeit eine große, weitgehend unkritische Einigkeit: Mach, was Mutti sagt. Der Diskurs nimmt gelegentlich totalitäre Züge – wer an den derzeitigen Maßnahmen zweifelt und nach anderen Wegen fragt, der hat nicht einfach eine andere Meinung, die es zu diskutieren gilt, sondern dem wird unterstellt, er sei ein vergnügungssüchtiger, herzloser Egoist, ein Soziopath, dem Menschenleben völlig egal wären, und derlei mehr. Es erübrigt sich eigentlich, zu dieser Art von Polemik Stellung zu nehmen, dennoch … Offene Debatte ist die zentrale Säule einer Demokratie. In den Wissenschaften, in der Politik, überall muß es möglich sein, andere Meinungen zu vertreten als die derzeit herrschenden. Schon mein ganzes Leben wurde ich zum Selbstdenken angehalten. Wenn das überhaupt irgendwann einen Wert haben soll, dann doch jetzt, in der größten Krise, die wir bisher erlebt haben (und hoffentlich erleben werden).“

Wann ist man als Dissident augenblicklich auf komplett verlorenem Posten? Es ist doch erstaunlich, dass Schriftsteller und Philosophen und Wissenschaftler und Kulturkritiker, die ansonsten zu allem Möglichen, was in der Welt geschieht, etwas Kritisches zu sagen haben, in diesem Fall überhaupt nichts äußern oder nur dem zustimmen, was die Regierung tut, nur auf das hören, was die Wissenschaft in ihrer Mehrheit verlautbaren lässt, und das auch noch öffentlich abklatschen. Auch Harald Welzer ist gerade wahnsinnig stolz auf die deutschen Bürger und sieht „eine Sternstunde des demokratischen Staates.“

Das Schräge ist, dass gerade offenbar alle Bescheid wissen – außer mir. Ich weiß tatsächlich nicht Bescheid, aber ich tue auch nicht so. Ich stelle Fragen, und mache auf Gegenargumente aufmerksam, das ist nicht zuletzt der Sinn dieses Blogs.
Aber es ist nicht alles gleich Deep-State und Fake-News-Paranoia, was sich nicht für Konsens interessiert. Da könnten gerade die Angehörigen der Mehrheitsmeinungen, wenn sie sich ihrer Position sicher wären, doch lebenserfahren und gelassen bleiben und einfach nur sagen: I am not convinced.
Aber nein: Gerade diese FB-Reaktionen sich in gegenseitiger Selbstbestätigung virtuell abzuklatschen und jeden der den Konsens stört, „niederzuliken“, macht mich skeptisch. Ja, die Regierung macht einen guten Job und die Virologen einen noch viel besseren, gerade weil die sich dauernd untereinander streiten und widersprechen und selber korrigieren. Das tun wir nicht, das sollten wir aber: streiten, widersprechen, selber korrigieren.
Wird der Job von Regierung und Virologen aber besser, wenn wir Voll-Laien jetzt fortwährend applaudieren, und jedem, der den Konsens stört, der nachfragt, ob nicht andere Modelle auch Argumente für sich haben, sofort erklären, warum das Unsinn ist? Was ist so toll an Konsens?
Nochmal zum Beispiel Schweden: Sind die Schweden echt Zyniker oder einfach dumm? Dabei schwenken die Deutschen längst in manchem auf das schwedische Modell ein, so wie die Schweden umgekehrt manches vom deutschen Modell übernehmen. Und manches, was wir vor hier vor zwei Wochen im Blog geschrieben haben, wird jetzt auch von den gelobten Politikern und Virologen gesagt. Da gehts uns wie Kekulé, der auch schon unangenehme Wahrheiten ausgesprochen hat, als alle noch an Drostens Lippen hingen.

Unser heutiger Buchtip, der mal nichts mit Corona zu tun hat, ist das Buch „Zeit der Schurken“ von Lillian Hellman. Hoffentlich kennen alle Hellman schon. In diesem autobiographischen Buch erzählt sie von der McCarthy-Ära, der „Hexenjagd“ (Arthur Miller), in der Menschen schon „Schuldig bei Verdacht“ (Alan Dershowitz) gesprochen wurden. Diese „Zeit der Schurken“ war eine Periode, in der in der ängstliche oder opportunistische Männer und Frauen reihenweise aus der Rolle fielen, und ihresgleichen öffentlich kritisierten, oft denunzierten. Es war eine Zeit, die Dissidenten nicht wollte und es als persönliche Beleidigung empfand, wenn Menschen öffentlich klarmachten, dass sie anderer Meinung waren. Die Mehrheitsgesellschaft jener Jahre genoss es, sich mit einem risikofreien Standpunkt in der Öffentlichkeit zu zeigen und im Beifall zu sonnen.

Bis morgen und bleibt gesund 
Euer Crew United Team

Brancheninfo von crew-united und cinearte, erschienen auf out-takes