Ampelstörung – Zehn Regeln, damit die Zukunft wieder Vorfahrt hat

Ampel, Quelle: SGL

Die vielen Krisen haben sich wie Fesseln um die Politik gelegt. Proteste auf den Straßen, Streiks in den Belegschaften, Alarmstimmung in den Chefetagen. Die Gesellschaft ist erkennbar aufgewühlt und die Politik hat große Mühe, sie zu befrieden. Verteilungskämpfe, Zukunfts- und Abstiegsängste sowie gesellschaftliche Spaltung deuten auf grundlegende Konfliktlinien hin. Welche Politik aber ist geeignet, um in Zeiten multipler Krisen und tiefgreifender Transformationsprozesse einerseits gesellschaftliche Stabilität zu schaffen und andererseits den ökonomischen Wandel voranzubringen? Das ist angesichts eines die Demokratie bedrohenden Vertrauensverlusts sowie eines immer stärker um sich greifenden Pessimismus die vielleicht drängendste Frage, denn ohne Vertrauen und Optimismus wird es schwer, die Zukunft zu gewinnen.

Derzeit macht die Politik ungefähr das Gegenteil dessen, was notwendig wäre. Sie löst sich nur mühsam von einer widerspenstigen Gegenwart und überfrachtet eine stark ideologisierte Zukunft mit immer mehr Regulierung. Sie manövriert sich selbst in eine „Gegenwartsfalle“ – zurück geht es nicht, nach vorne funktioniert nicht viel.

So ist kein Staat, schon gar keine Zukunft zu machen. Dabei war doch „mehr Fortschritt wagen“ das gemeinsame Ziel der Koalitionäre in Berlin, die ihren besonderen Auftrag darin gesehen haben, unterschiedliche politische Positionen und Milieus durch einen neuen gemeinsamen Fortschrittsbegriff zusammenzuführen. Eben daran droht die Regierung zu scheitern. Stabilität und Fortschritt aber müssen kein Widerspruch sein, ganz im Gegenteil. Wer zu langsam ist, fällt um. Die Menschen sind nicht etwa, so wie oft behauptet, veränderungsmüde, sondern veränderungsenttäuscht. Es geht nicht nur um handwerklich bessere Politik, sondern auch darum, die Mentalität positiv zu verändern, eine Kultur des Wandels zu schaffen und die immer noch vorhandenen produktiven Kräfte in Wirtschaft und Gesellschaft zu mobilisieren. Eine Anleitung in zehn Regeln:

1. Regel: Pfade definieren (statt kleinteilig zu regulieren)
Der gößte Irrtum der Politik bsteht darin, die Zukunft herbeiregulieren zu können. Die Folge ist eine zu detaillierte Regulierung, die fehleranfällig ist und ein Übermaß an Bürokratie verursacht, aber kaum Innovation auslöst. Komplizierte Maßnahmen lösen keine komplexen Probleme. Neue, noch unbekannte Lösungen entwickeln sich in Such- und Entdeckungsverfahren. Viel effektiver ist es daher, glaubwürdige Pfade mit Technologieoffenheit und unternehmerischer Freiheit zu verbinden.

2. Regel: Trade-offs überwinden (statt Lasten umzuverteilen)
Kurzfristig steht Politik vielen Trade-offs und Zielkonflikten gegenüber. Das gilt gerade in Transformationsprozessen, wenn vieles gleichzeitig verändert werden soll. Politik muss darauf hinwirken, diese Trade-offs zu überwinden, um langfristig die Gestaltungsspielräume zu erweitern. Lediglich die Kosten der Knappheit umzuverteilen, verschärft die Knappheit und treibt die Kosten in die Höhe.

3. Regel: Wettbewerb stärken (statt Märkte auszuschalten)
Märkte zeigen Knappheit an und entwickeln Lösungen zu deren Überwindung. Wenn Preise steigen, interveniert Politik mit der Begründung, Marktergebnisse seien unsozial. Märkte und Marktmechanismen auszuschalten, ist aber keine Lösung. Im Gegenteil: Den Wettbewerb zu stärken, hilft, Unternehmen innovativer und Märkte effizienter zu machen.

4. Regel: Private Investitionen mobilisieren (statt unternehmerische Aktivität zu unterdrücken)
Keine Politik kann sich dauerhaft selbst finanzieren. Sie ist immer auf private Investitionen und unternehmerische Aktivität angewiesen. Nachhaltige Politik muss daher von Beginn an so designt und implementiert werden, dass sie gezielt Hebelwirkungen nutzt. Politische Maßnahmen führen heute oft zum Gegenteil, nämlich zur Verdrängung von Investitionen und zur Unterdrückung von unternehmerischer Aktivität.

5. Regel: Voraussetzungen schaffen (statt immer neue Ziele zu formulieren)
Politik hat sich immer mehr damit begnügt, Ziele zu formulieren, um sie dann, wenn sie verfehlt wurden, nach oben zu korrigieren, um dadurch Entschlossenheit zu demonstrieren. Politische Strategiepapiere lesen sich daher wie Wunschzettel. Politik muss die Zukunft wieder stärker in Voraussetzungen denken und es als ihre Aufgabe begreifen, diese zu schaffen. Das sind vor allem Infrastrukturen, die es ermöglichen, neue Lösungen zu skalieren, und Zukunftskompetenzen, die die Menschen in die Lage versetzen, den Wandel produktiv zu gestalten.

6. Regel: Realitäten anerkennen (statt Zukunft zu ideologisieren)
Politik muss in der Realität funktionieren, damit sie sie verändern kann. Zu häufig hat sich Politik über die Realität hinweggesetzt, ja, sie versteht sie oftmals nicht einmal mehr. Politik läuft dann ins Leere, häufig sogar gegen Widerstände derer, die mit der Realität zurechtkommen müssen. Menschen wollen nicht mehr und nicht weniger als eine vernünftige Politik, eine Politik also, die die Anforderungen an die Zukunft mit den Bedingungen der Gegenwart pragmatisch zusammenführt, gleichermaßen realitätstauglich und zukunftsfähig ist.

7. Regel: Institutionen reformieren (statt Verwaltung weiter aufzubauen)
Wandel findet fast nie in alten Strukturen statt. Strukturen sind zumeist auf fehlerfreie Wiederholung ausgerichtet und erzeugen ein Beharrungsvermögen, das dem Wandel entgegensteht. Politik kann daher nur dann erfolgreich sein, wenn sie zugleich das institutionelle Arrangement, in dem sie agiert, mit verändert sowie Routinen und Deutungsmuster aufbricht. Nur mehr Verwaltung aufzubauen, schafft keine Veränderung.

8. Regel: Anreize für Zukunftshandeln stärken (statt in private Lebensentwürfe einzugreifen)
In Krisen und Transformationsprozessen kommt es viel stärker als in normalen Zeiten zu Gewinnern und Verlierern. Verteilungskonflikte und Abwehrkämpfe werden ausgetragen. Politik muss die Gesellschaft in solchen Zeiten umso mehr befrieden, indem es klare und für alle gleichermaßen geltende Regeln setzt und nicht ordnungsrechtlich in Lebensentwürfe eingreift. Wenn Politik übermoralisiert, verstehen Menschen dies zurecht als übergriffig. Sie beginnen, sich von der Politik abzuwenden, obgleich sie die Ziele weiterhin teilen.

9. Regel: Breite gesellschaftliche Perspektiven schaffen (statt Gruppen gegeneinander auszuspielen) 
Ohne Vertrauen und Optimismus gelingt keine Zukunft, weil sich niemand mehr für sie engagieren will. Eine produktive und kreative Orientierung der Gesellschaft ist nur dann denkbar, wenn Politik breite gesellschaftliche Perspektiven für eine bessere Zukunft schafft. Anderenfalls dominieren Neid und Missgunst die Gesellschaft. Statt die Zukunft produktiv zu gestalten, die Chancen technologischer Entwicklung und gesellschaftlicher Emanzipation zu nutzen, geht es nur noch um die unproduktive Verteidigung von Privilegien. Gesellschaftliche Gruppen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, das Land nicht gegen die Stadt, die Jüngeren nicht gegen die Älteren, die Fleißigen nicht gegen die Hilfebedürftigen und schon gar nicht die Gegenwart gegen die Zukunft.

10. Regel: Ehrlich kommunizieren (statt falsche Versprechungen zu machen)
Menschen sind vernünftig und verantwortungsbewusst. Sie können sehr wohl notwendige Maßnahmen verstehen und sind bereit, diese mitzutragen, auch dann, wenn es eigene Einschränkungen bedeutet. Die einzige Voraussetzung dafür ist, dass es fair zugeht. Populismus dagegen schiebt die Schuld immer auf andere und verspricht einfache Lösungen. Nur ehrliche Kommunikation schafft über längere Zeiträume die Geduld und das Vertrauen, die es für eine nachhaltige Zukunftspolitik braucht.

Diese zehn Regeln klingen nach Ordnungspolitik? Ja, das tun sie. Weil Ordnungspolitik – nicht dogmatisch, sondern transformativ verstanden – gerade in Zeiten von großen Umbrüchen viel wirksamer sein kann als eine aktionistische und interventionistische Politik, die viel will und wenig bewirkt. Wohlverstandene Ordnungspolitik ist ein Konzept des gesellschaftlichen Fortschritts und der politischen Verantwortung. In Zeiten, in denen es um Grundsätzliches geht, muss Politik Grundsätzliches tun. Dann kann sie in Zeiten der Komplexität wieder verständlicher, in Zeiten der Krisen wieder nachhaltiger und in Zeiten der Spaltung wieder versöhnlicher sein, als sie es derzeit ist.

„Wir wissen erst, was auf dem Spiele steht, wenn wir wissen, dass es auf dem Spiele steht. Da es dabei nicht nur um das Menschenlos, sondern auch um das Menschenbild geht, nicht nur um physisches Überleben, sondern auch um die Unversehrtheit des Wesens, so muss die Ethik, die beides zu hüten hat, über die Klugheit hinaus eine solche Ehrfurcht sein.“ (Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung)

Quelle: https://www.cep.eu/de.html