Bodo Ramelow versus Sahra Wagenknecht – Mehr Kampf war nie bei den LINKEN der jüngeren Generation

Antipoden gibt es viele. Der Agon regiert das polische Geschäft und emotional ist das Regieren in Zeiten von Flüchtlingskrise und dem Hervorbrechen der AfD, sehr emotional. Selbst unter Schwesterparteien gehört die Fehde zum Alltag. Horst Seehofer und Angela Merkel schenken sich beide nichts, nur im Duell der beiden Alphatiere gewinnt letztendlich stets die Kanzlerin. Auf dem Berliner Spielfeld trumpft Merkel auf und verweist den brüllenden Bayern immer wieder des Platzes. Gegen die Richtungskompetenz der CDU-Chefin kann auch ein Stürmer wie Seehofer nichts ausrichten. Kurz vorm Tor wird er zurückgepfiffen. Doch nicht nur bei den alten Schwestern rumort es kräftig, auch die DIE LINKE geht intern auf Konfrontation. Kipping, Wagenknecht und Ramelow – Liebe ist was anderes.

Wie steht es um die LINKEN? Um Kipping, Wagenknecht und Lafontaine?

Auch die Linkspartei kennt keine Gnade gegenüber Abweichlern und Andersdenkenden. Katja Kipping, das „erfrischende“ Gesicht der Partei, die ob ihrer Jugend altbacken, burschikos, gereizt und irgendwie permanent überfordert wirkt und aggressiv über die Bildschirme flattert und darüber hinaus zuweilen wie ein Betonkopf mit einem fast unintellektuellen Starsinn gebetsmühlenhaft ihre antiquierten Thesen formuliert, gilt als das emotionale Gewissen ihrer Partei. Herrschsüchtig, ignorant und arrogant kommt die gebürtige Dresdnerin daher. Sie hat am nachhaltigsten den Tonfall des Ostens kultiviert, und gäbe es die DDR noch, dann hätte sie gute Aussichten auf eine grandiose politische Karriere. Sie ist die intonierte DDR und verlängert diese als Sprachrohr in den Westen. Das Schöne am Schlechten: Im Osten ist man an Befehlstöne gewöhnt, im Westen verursachen diese Unbehagen.


Katja Kipping ist die Schiedsrichterin, die über den Tonfall, die politische Korrektheit und letztendlich, was viel wichtiger ist, über die Wahrheit entscheidet, dies kann sie gut, fast klerikal. Im Kleinen ist sie fast wie Merkel, nur dieser um Lichtjahre, was Kompetenz, Führungsfähigkeit, politisches Kalkül und Ausstrahlungskraft betrifft, unterlegen.
Gern im Visier von Kipping sind linke Exoten und Populisten wie Sahra Wagenknecht und das ehemalige Ur-SPD-Gestein aus dem Saarland, Oskar Lafontaine. Beide scherten in Sachen Willkommenskultur aus dem einmündigen Chor immer wieder aus, äußerten Kritik und inszenierten ihre Polemik geschickt. Mediale Aufmerksamkeit, nach der beide fast egomanisch gieren, war ihnen gewiß. Lafontaine war schon in den 90er Jahren gegen zu viele Flüchtlinge, selbst die aus dem Osten mochte er nicht integrieren. Und seine Ehefrau Wagenknecht, welch Ironie der Geschichte, geboren und sozialisiert im ostdeutschen Jena und Berlin, zeigte sich auch nicht gerade als die galanteste Fürsprecherin in Sachen Offene-Tor-Politik, sprach vom Gastrecht, das man verwirken kann.

Was macht eigentlich der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow?

Ähnlich wie Winfried Kretschmann, dem weisen Landesvater aus Baden-Württemberg, der mittlerweile Deutschlands Lieblingspolitiker ist und für die Kanzlerin betet, die mit ihm möglicherweise 2017 Großes vorhat, geht es mittlerweile Bodo Ramelow. Viele Thüringer lieben ihn, die Kanzlerin sicher nicht. Während Kretschmann bei Merkel fast alles darf, nur Kanzler darf er nicht, gewinnt ein Linker in Thüringen an Popularität.


Bodo Ramelow ist der Winfried Kretschmann der LINKEN

Was Winfried Kretschmann für die Grünen ist, ist Bodo Ramelow für DIE LINKE. Ramelow gibt sich bescheiden, ist affärefrei und ein überzeugter Kapitalismusgegner, was im Osten zumindest eine gute Tradition hat. Seit Ende 2014 regiert der Bäckersohn, der wegen Legasthenie (Lese- und Rechtschreibschwäche) sein Abitur später nachholen musste und auch um dieses frühere Handicap keinen Hehl macht, den Freistaat Thüringen wie ein weiser Landesvater. Selbst Kritiker und eingefleischte CDU-Anhänger unter den damaligen ostdeutschen Protestwählern, die in erster Linie Frau Christine Lieberknecht, ihres Zeichen protestantische Pfarrerin, abstrafen wollten, sind von Ramelow angetan. Von Pastoren hatte man im Osten schon unmittelbar nach der Wende genug. Ihr Seligkeitsanspruch und der beschwichtigende Tonfall war – nach dem Zeitalter der Betonköpfe – selbst den Ossis unerträglich, zumal sie Religion ohnehin nicht auf der Agenda hatten und die Sprache derselben schon gar nicht.


Der Protestant aus dem Westen

Auch Ramelow wollte eigentlich Pfarrer werden. Er stammt aus einem uralten Protestantengeschlecht. Einer seiner Urahnen taufte einst den Dichter der Deutschen – Johann Wolfgang Goethe und nun regiert der Protestant im Kernland von Aufklärung und Reformation und goetheanischer Weitsichtigkeit – der Import aus Westdeutschland, der ursprünglich aus Osterholz-Scharmbeck in Niedersachsen stammt. Das Protestantische liegt Ramelow im Blut, es ist ihm in die Wiege gelegt. Gelegentlich tauscht er den politischen Tonfall gegen einen religiösen. Er ist bekennender Christ, besucht die Armen und Entrechteten, die Hartz-IVler, von denen es, trotz Ramelow, in Thüringen immer noch viele gibt – auch in Erfurt träumt man von bayerischen Zuständen und einer minimalen Arbeitslosenrate.


Viele Kritiker des ersten linken Ministerpräsidenten hätten es lieber gesehen, wenn er Pfarrer geworden wäre. Als Pfarrer, was sie dann natürlich nicht wollen, könnte er sogar für das Amt des Bundespräsidenten kandidieren oder darauf spekulieren und müßte nicht im provinziellen Thüringen die Prinzenrolle ausüben. Durch seine Vergangenheit hätte er auch gute Chancen, die Regierungschefin zu beerben. Doch die setzt partout nicht auf Links, sondern auf Grün. Und so wird Ramelow zumindest in naher Zukunft nicht Kronprinz, Vizekanzler oder Außenminister.

Ramelow hat eine Affinität zur katholischen Kirche

Ramelow, für den sein Christsein eine ganz persönliche Angelegenheit bleiben soll, ist offen für den intra-religiösen Diskurs und scheut sich auch nicht davor, zum 90. Geburtstag des Papa Emeritus, Papst Benedikt XVI., eine Festveranstaltung in der Thüringer Staatskanzlei zu organisieren. Ein Bild – gemeinsam – mit dem Papst aus Bayern, den er persönlich besuchte und davon schwärmt, steht unweit des Schreibtisches des Regierungschefs im Arbeitszimmer an prominenter Stelle. Aber mehr als mit dem Theologieprofessor verbindet ihn mit Franziskus; die gemeinsame Überzeugung für den Kampf gegen die Armut, die Kapitalismuskritik des argentinischen Kirchenfürsten, seine Mißachtung des weltlichen Ruhmes und Tands, seine Bescheidenheit und Weltoffenheit. Franziskus, so scheint es, wenigstens ist für Ramelow, ein Bruder im Herzen, zumal der jetzt in seinem neuen Schreiben zu Ehe und Familie, „Amoris Laetitia“, eine Fußnote verpackt hat, die wiederverheirateten Geschiedenen Hoffnung macht, am Sakrament des Abendmahles teilzunehmen. Eine Geste, die in der katholischen Kirche lange als Tabu gehandelt wurde. Wenn auch nicht direkt davon betroffen, würde es doch Ramelow freuen, der immerhin schon in dritter Ehe verheiratet ist.


Thüringen ist auf Erfolgskurs, doch die Willkommenskultur sorgt für Unmut

Das kleine Land inmitten Deutschlands ist, wider Erwarten und prognostiziert, weder von den LINKEN ruiniert worden noch auf die schiefe Ebene gekommen. Unter Ramelow, was die Opposition zum Rasen bringt, blüht das Land. Die Wirtschaft boomt, die Arbeitslosenzahl ist rückläufig. Ramelow ist um einen soliden Haushalt bemüht und will Neuschulden vermeiden. Für Unmut sorgt der Landeschef allerdings mit seiner offenen Flüchtlingspolitik. Das löst Mißbehagen aus. Aber auch hier ist er ganz auf Kurs der Kanzlerin.

Eigentlich könnte Ramelow auch in der CDU sein. Wie auf dem Berliner Parkett changiert er wie ein galanter Kellner zwischen den politischen Milieus, balanciert die Teller aus und füllt das Tablett mit aller Geschicklichkeit. Er greift in die Mitte und nach Grün und Gelb, garniert den Teller mit ausgewogener Kost. Er scheut sich nicht, potentielle CDU-Wähler zu umgarnen, um sie für sein politisches Menü zu gewinnen.
Nur Rechts will er nicht. Und Björn Höcke ist der Teufel in Person, der Erzfeind schlechthin. Wenn es um die AfD und ihrem Aufstieg geht, versteht Ramelow keinen Spaß. Der ansonsten um Ausgleich Bemühte verwandelt sich in ein Raubtier, das auch mit Kritik in den eigenen Reihen nicht spart.


Auf Konfrontation mit Sahra Wagenknecht

Die Linke ist unter Druck und die rechtspopulistische AfD im Aufwind. Laut ZDF-Politbarometer hat sie in Ostdeutschland mit 19 Prozent die LINKEN überholt, die nur auf 17 Prozent kommt. Bei der Bundestagswahl würde die LINKE derzeit nur noch 7 Prozent erreichen, die AfD hingegen 12 Prozent. Dass in der „Alternative“ Potential steckt, dass auch die LINKEN immer deutlicher zu spüren bekommen, wenn der Wähler bei ihnen kein Kreuz setzt, hat Ramelow zu einer außergewöhnlichen Abrechung mit der eigenen Partei genötigt. Selten und so scharf im Ton hat ein Spitzenpolitiker mit den Parteifreunden abgerechnet. Den LINKEN wirft der Thüringer vor, das Profil der Partei verwässert zu haben und beim Umgang mir der AfD Fehler gemacht, diese gar gestärkt zu haben. Während man vor 10 Jahren noch wußte, für was die LINKEN stehen, für die „Hoffnung, dass es auch anders“ geht, habe sich die Partei nun zu sehr dem politischen Establishment angeglichen, sei Teil desselben geworden. Das Profil der Partei sei kaum mehr zu erkennen. Ramelow selbst sieht nur noch „viele Konzepte“. Die LINKE leidet an einer Profilneurose. Sie sollte sich satt dessen inhaltlich klarer positionieren, was sie derzeit nicht ausreichend macht, so die Kritik. „Sich nur als Opposition gegen alle anderen zu definieren,“ reicht eben nicht, denn dies macht die AfD derzeit erfolgreicher.
Ramelows Attacke richtete sich insbesondere gegen die Fraktionschefin Wagenknecht, der er vorwirft, übrigens ganz wie Kipping, „die Tonlage der AfD zu imitieren“. Die Bundestagsfraktionsvorsitzende hatte für Irritationen in ihrer Partei gesorgt und einen Eklat ausgelöst, als die erklärte, dass sich die Linke bei ihrem Flüchtlingskurs von Kanzlerin Merkel hat „mitverhaften lassen“. Vor den Landtagswahlen hatte Wagenknecht von „Kapazitätsgrenzen und Grenzen der Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung“ gesprochen und wurde daraufhin für Stimmverluste sowohl von ihrem Vorgänger Gregor Gysi als auch Bundesparteichefin Kipping mitverantwortlich gemacht.


Wenn es um Macht geht, dann wird auch aus einem sonst diskutierfreudigen und dialogoffenen Menschen wie dem Thüringer Regierungschef ein reißender Wolf, der für den Machterhalt streitet – wenn nötig dann auch gegen die eigene Partei. Mehr Agon war nie, und schon recht nicht unter den Linken, die sich nun gegenseitig die Schuld am Verlust der Wählerstimmen zuweisen und sich in einen Schaukampf, in eine Schlammschlacht ohnegleichen begeben. Die Waffen sind geschmiedet und von der sozialistischen Idee wahrer Menschlichkeit ist man weit entfernt und Ramelow dann doch nicht so weit weg von Kipping. Die AfD wird die Selbstzerfleischung und den Grabenkrieg der LINKEN genießen. Und Frau Merkel und ihr Königinanbeter Kretschmann könnten sich nichts Besseres wünschen. Blöd ist nur, dass die AfD derzeit jegliches Zweierbündnis auf Landesebene und möglicherweise im Bund verhagelt. Aber vielleicht schaffen sich ja die LINKEN selbst ab – sie sind zumindest auf dem besten Weg.

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2127 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".

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