Die Angst der Deutschen vor der Zukunft in die Vergangenheit

Kein westliches Land ist so technikfeindlich und fortschrittspessimistisch wie Deutschland. Nirgendwo auf der Welt sind Atomkraft, Gentechnik und Stammzellenforschung so geächtet, Chemieangst und Mobilfunkfurcht so verbreitet. Trotz höchster Sicherheitsstandards ist der Ausstieg aus der Kernenergie beschlossene Sache, während alle anderen deren Vorteile gerade wieder entdecken und nutzen. Eine CSU-Agrarministerin tut im Jahr 2009 alles, um die Pflanzengentechnik abzuwürgen. Universitäten haben resigniert und die Forschung auf diesem Gebiet aufgegeben. 80 Prozent der Gentechnikforscher sind bereits ausgewandert oder wollen es tun. Wichtige Grundlagen der Pflanzengentechnik wurden einst in deutschen Labors entwickelt. Doch Fortschritt war gestern. Eine mächtige Koalition aus Öko-Aktivisten, Pfarrern, Politikern und Journalisten hat es geschafft, dass die Deutschen neue Technologien nicht mehr als Chance, sondern nur noch als Risiko betrachten.
Das Denken der Menschen wird von Angst regiert. Angst beugt Realität. Seltene Ereignisse werden groß. Von der Sinnflut in Kleinasien vor Jahrtausenden, die in einem umschriebenen Gebiet vielen Menschen das Leben kostete, weiß noch heute jedes deutsche Kind.
Es sterben weniger Menschen in Flugzeugen als in Autos auf dem Weg zum Flughafen. Im Auto bin ich der Fahrer, der Erfahrene, der Führer. Mein Wissen und meine Erfahrung und meine Umsicht bewahren vor Unfällen. Deshalb fahre ich Auto. Und wegen der Bequemlichkeit.
Im Flugzeug bin ich auf Piloten angewiesen, deren Wissen, Erfahrung, Umsicht ich nicht kenne. Deshalb ist es gefährlicher, ein Flugzeug zu besteigen. Wenn das Flugzeug abstürzt, was selten ist, sind viele Menschen tot, auch ich. Ich sitze im Flugzeug wegen der Vorteile, die die Nachteile vergessen machen, solange ich nicht abstürze.
Die Betreiber der Kernkraftwerke wissen nichts, sind unerfahren, nicht umsichtig. Wenn ein AKW explodiert, sterben sehr viele Menschen, vielleicht auch ich. Ich erkenne keine Vorteile in der Kernenergie. Mein Strom aus der Steckdose verrät nicht seine Entstehung. Die Kraft des Wassers, des Windes, der Kohle, des Maises, des Atoms unterscheiden sich in Nichts in meiner Steckdose. Ich kann auf Kernenergie verzichten.
Deutschland kennt zwei große gesellschaftliche Ströme. Die Einen glauben, dass der Mensch die Natur beherrscht, die Anderen, dass die Natur vom Menschen nicht beherrscht wird.
Die Ersten sind überzeugt, dass die Klimaerwärmung von Menschen verursacht wird, die Letzten, dass Atomreaktoren niemals sicher sind.
Wenn nun von Menschen gebaute Atomreaktoren in Japan nicht sicher sind, dann sind die von Menschen gebaute Atomreaktoren in Deutschland auch nicht sicher, genauso unsicher wie die von Menschen gebaute Atomreaktoren in der Ukraine. In Deutschland sind Erdbeben mit Tsunami ungewöhnlich, in Чорнобиль ereignete sich der GAU ohne Naturgewalten. Folglich ist ein GAU in Fukushima auch ohne Erdbeben mit Tsunami möglich, wahrscheinlich. Erdbeben und Tsunami sind Fermente, die den GAU-Eintritt in Fukushima beschleunigt haben. Der GAU in Fukushima wäre auch ohne Erdbeben und Tsunami gekommen, später.
Deshalb glauben die Letzten zu wissen, dass Deutschland die Atomenergie verlassen muss.
Die Ersten glauben zu wissen, dass der Mensch willentlich die Klimaerwärmung zurückschrauben kann. Sie bekämpfen den Ausstoß des CO2. Keine Kohle, kein Gas, kein Öl soll Energie erzeugen. Nur wachsende Pflanzen, fließendes Wasser, wehender Wind und das Atom!
Um beide Ströme im Alltag zu vereinen, wird Harmonie, Verzicht geübt. Kein Atom zur Stromerzeugung, keine Autos zum Vergnügen. Gedrosselter Verbrauch.
Diejenigen, die fühlen, dass die Natur vom Menschen beherrschbar ist, glauben sich von progressiven Grünen vertreten.
Diejenigen, die fühlen, dass die Natur vom Menschen nicht beherrschbar ist, glauben sich von konservativen Christen vertreten.
Seit Fukushima verschmelzen beider Sprachen der Energien. Aromreaktoren abschalten. Kein Krieg in Libyen.
Ideologisch sind beide Ströme unversöhnlich, für Mitläufer nicht erkennbar. Lassen sich die Gegensätze verheimlichen? Ist der Zusammenprall historisch notwendig?
Wenn Ja, dann wird die eine oder die andere Seite siegen. Mehr Atom oder mehr CO2. AKW oder PKW.
Wenn Nein, dann wird die ideologische Basis geändert. Weniger Freiheit und mehr Armut.

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Über Nathan Warszawski 535 Artikel
Dr. Nathan Warszawski (geboren 1953) studierte Humanmedizin, Mathematik und Philosophie in Würzburg. Er arbeitet als Onkologe (Strahlentherapeut), gelegentlicher Schriftsteller und ehrenamtlicher jüdischer Vorsitzender der Christlich-Jüdischen Gesellschaft zu Aachen.

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