Die Kinder vom Lager Föhrenwald

Ausdruckstarke S/W Fotos mit Gruppenbildern ernst blickender oder mal auch fröhlicher Kinder vor einer heute schwer identifizierbaren Kulisse.
Kinder unterschiedlichen Alters in ihrem Wägelchen sitzend nebst Halbwüchsigen im schulischen Alltag, auf der Straße, beim Basketballspiel oder wartend auf eine warme Mahlzeit. Kinder, deren bloße „Existenz eine heroische Tatsache“ war, denn sie– so die Schriftstellerin Lea Fleischmann auf einer der informationsreichen Begleittafel –, den Beweis dafür lieferten, dass „die Nazis ihr Werk nicht vollendet hatten…“
Eine von Kirsten Jörgensen und Dr. Sybille Kraft aus internationalen Archiven und aus Privatbesitz zusammengetragene Dokumentation bringt in der Jüdischen Gemeinde am Jakobsplatzeinen noch nicht gründlich erforschten Kapitel der Shoah und deren Folgen ans Licht. Sie bietet Einblicke in die Lebensumstände im so genannten „Lager Föhrenwald“ nahe Wolfratshausen, das zum größten und am längsten bestehenden Sammelplatz für DPs – Displaced Persons -in Nachkriegsdeutschland wurde. DPs – Displaced Persons – wurden „heimatlose Ausländer“ genannt, die oft nur durch ein Wunder oder seltsamen Glücksfall der Shoah entronnen waren. Die meisten kamen aus den befreiten KZs, aus Verstecken oder Wäldern in den Ostgebieten. Sich selbst definierten sie als „She'erit Hapleh“, was „Rest der Geretteten“ bedeutet. Für etwa 200.000 jüdische Überlebende war die amerikanische Zone im besetzten Deutschland eine Zwischenstation vor der Ausreise in den erst 1948 gegründeten Staat Israel oder nach Übersee. Die Mehrzahl von ihnen kam nach Bayern, wo niemals so viele jüdischen Menschen lebten wie in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Das DPs-Lager Föhrenwald gilt als das„letzte jüdische „Schtetl“ (Prof. Michael Brenner) in Europa. Die Erinnerung an seinem Da-Sein bietet zum ersten Mal die Gelegenheit, die Geschichte der DPs an einen „authentischen Ort zu verankern“. Zwischen 1947 und 1957lebten im Lager Föhrenwald zeitweise 6.000 heimatlos gewordene Juden, die vorwiegend aus Polen, Litauen, Russland, Rumänien und Ungarn stammten, wo in der Zeit „Pogromstimmung“ herrschte. Die meisten von Ihnen hatten Unsägliches im Zuge von Vertreibung und Verfolgung erlitten. Im Föhrenwald bildete sich dank der Unterstützung amerikanisch-jüdischer Hilfsorganisationen wie das JOINT (American Jewish Joint Distribution Comittee) eine Gemeinschaft, die abgeschirmt von der Rest der Welt und von ihrer feindseligen Umgebung in Selbstverwaltung lebte. Untergebracht wurden die Überlebenden in eine Siedlung, die bis Kriegsende als nationalsozialistische Wohnstätte für Dienstverpflichtete und ausländische Zwangsarbeiter aus 16 Ländern einer Pulver- und Munitionsfabrik im benachbarten Geretsried diente. Solide gebaute Reihenhäuser mit hohen Dächern boten den Ankömmlingen und den neuen Familien, die sich allmählich bildeten, einen provisorischen Zufluchtsort, an dem sie sich langsam an ein Leben ohne Angst wieder gewöhnen konnten. Während die Erwachsenen sehnsüchtig auf die Ausreise nach Israel warteten oder von einem Visum für die USA oder Kanada träumten, verbrachten die vielen Kinder eine trotz vieler Entbehrungen und widriger Verhältnisse unbeschwerte Kindheit und Jugend. Föhrenwald bot Sicherheit und Geborgenheit jenseits von Vorurteilen und „abfälligen Bemerkungen“, jenseits des nach Jahren des Haßes und der Hetze in den Köpfen schwer ausrottbaren Antisemitismus. Neben einer großen Anzahl von Kindern und Jugendlichen, die nach Föhrenwald ohne Eltern kamen und in ein Waisenhaus aufgenommen wurden, gab es viele, die dort geboren wurden. In Föhrenwald war die höchste Geburtenrate aller jüdischen Gemeinden Europas zu verzeichnen, was als Zeichen des wieder gewonnenen Mutes und der Hoffnung, als Sieg des Lebens über die Kräfte der Zerstörung zu deuten war. Die Kinder – liest man in der Ausstellung – wurden „verwöhnt und bei jeder offiziellen Gelegenheit hoch gelobt“, man versuchte, sie nicht unmittelbar mit den schrecklichen Erfahrungen zu konfrontieren, die die meisten Lagerbewohner hinter sich gebracht hatten. Trotzdem sollten diese Erfahrungen Teil ihrer Existenz bleiben. „Die Erwachsenen im Lager waren gezeichnet von der Vergangenheit und was in der Zukunft aus ihnen werden sollte, wußten sie nicht. Wir alle waren sozial Entwurzelte und Deplazierte im Lande der Täter“ – schreibt Rachel Salamander – „Nichts war selbstverständlich, nicht die Sprache, nicht die Heimat.“
Gesprochen wurde in Föhrenwald English, Hebräisch und Jiddisch. Dominierend war aber das Jiddische, das allen Kindern als Muttersprache, als „Erbe der osteuropäischen Heimat“ mitgegeben wurde.
Dr. Rachel Salamander, die mit der von ihr 1982 gegründeten „Literaturhandlung“ in der Fürstenstraße (heute im Jüdischen Museum am Jakobsplatz), mit ihren Lesungen und Vortragsreihen die große Tradition der jiddischen Kultur und die jüdische Literatur überhaupt in München wieder „salonfähig“ gemacht hat, verbrachte ihre früheste Kindheit in Föhrenwald. Die Straße, in der sie mit ihrer aus Polen stammenden Familie und ihrem älteren Bruder Beno wohnte, hieß New-Jersey-Street. Wie alle anderen Straßen der Siedlung trug sie den Namen eines amerikanischen Bundesstaates. In derselben Straße soll die Adresse eine der Schulengewesen sein, in denen unfangreiches Wissen vermittelt und in Berufsbildungskursen auf die Auswanderung nach Israel vorbereitet wurde. Neben Sportplätzen und einem Kino gab es Synagogen und religiöse Lehrstätten, eine Talmud-Thora-Schule für Jungen und eine Beth-Jakov-Schule für Mädchen.
Am Independance Place – bis 1945„Danziger Freiheit“ genannt – befand sich der mit Warmwasser versorgte Sanitärbereich des Lagers, den Frauen am Donnerstag, Männer am Freitag nutzen durften. In dem neulich vom Abbruch geretteten„Badehaus“ befand sich auch ein jüdisches Ritualbad (Mikwe), wo nun ein Begegnungs- und Dokumentationszentrum entstehen soll. Die Initiative zum Aufbau der Gedenkstätte geht auf den Verein „Bürger fürs BADEHAUS Waldram-Föhrenwald e.V.“ mit Sitz am Kolpingplatz in dem Wolfratshauser Stadtteil Waldram zurück. Nach Auflösung des Lagers mit dem poetischen Namen Föhrenwald im Jahre 1957 ging die Liegenschaft in den Besitz der Katholischen Kirche über, die sie 1955 erworben hatte und anschließend renovieren ließ. Im Zuge einer „Re-Katholisierung“ des Ortes wurde sie nach dem Benediktbeuerer Gründungsabt Waldram umgetauft. Sämtliche Straßen wurden auch umbenannt, während die Häuser zum Teil an Kriegsopfer, Heimatvertriebenen u.a. aus dem Sudetenland sowie an kinderreiche Familien verteilt und verkauft wurden. Dies erklärt, weshalb die Geschichte dieses größten, mit Unterstützung der UNO errichteten Auffanglagers für jüdische Überlebende Jahrzehnte lange verdrängt wurde und vielen der späteren Einwohner weitgehend unbekannt blieb. Die geplante Gedenkstätte ist Teil einer auch von der Bayerischen Regierung unterstützten „Regionalisierung des Erinnerns“, die in einer sich anbahnenden Zukunft„ohne Zeitzeugen“ neue Formen des Gedenkens vorsieht. Sie sollen helfen, ins Bewußtsein der Nachgeborenen einzuprägen, dass die Shoah sich nicht nur an bestimmten Schauplätzen wie Auschwitz oder Treblinka, sondern auch lokal, sozusagen „vor der Haustür“, abspielte.

Die Kinder vom Lager Föhrenwald – Fotodokumentation
Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern
13. Februar bis 13. März 2014- Mo mit DO 15-19 Uhr
www.ikg-m.de

Begleitprogramm
Dienstag, 18. Februar 2014, 19.30 Uhr-„Befreit & Vergessen“ , Film und Gespräch
Vorführung des gleichnamigen Dokumentarfilms von Henriette Schroeder, Joachim Schroeder und Werner Kiefer (1995, Preview Productions)
Dr. Rachel Salamander, Inhaberin der Literaturhandlung und Publizistin, erinnert sich im Gespräch mit Schülern des Gymnasiums Geretsried an ihre Kindheit in Föhrenwald.
Montag, 24. Februar 2014, 19.30 Uhr -„Draußen waren die anderen“, Gesprächsrunde
Die ehemaligen „Föhrenwalder“ Abraham Ben, Jacques Cohen, Leibl Rosenberg, Icek Surovicz und Majer Szanckower erzählen über das Lebensgefühl„Weiterleben! Jüdischer Neuanfang in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg“ nach dem gleichnamigen Dokumentarfilm von Henriette Schröder (2009, Preview Production).Moderation: Dr. Sybille Krafft
Eintritt frei
Veranstaltungsort aller Veranstaltungen: Jüdisches Gemeindezentrum, St.-Jakobs-Platz 18

Links:
Initiative Bürger fürs Badehaus
Waldram- Föhrenwald
info@BadehausWaldram.de
www.BadehausWaldram.de

Publikation:
Beno Salamander, Kinderjahre im Dispaced-Persons-Lager Föhrenwald, München 2011
Eine Veröffentlichung der Bayerischen Landeszentrale für Politische Bildungsarbeit und vomJüdischen Museum München

Bild unten:
Die Zwillinge Sonja und Rosa Moczydlower, 1953/54 . Die Familie, die später in die USA auswanderte, wohnte in der Auerbachstraße (vor 1945 Ostmark Straße, heute Bettingerstraße). Während alle anderen Straßen im DP-Lager die Namen von amerikanischen Bundesstaaten trugen, wurde diese Straße nach dem jüdischen Rechtsanwalt Philipp Auerbach benannt.
© Verein „Bürger fürs BADEHAUS Waldram-Föhrenwald“

Finanzen

Über Anna Zanco-Prestel 178 Artikel
Dr. Anna Zanco-Prestel, hat Literaturwissenschaften (Deutsch, Französisch und Italienisch) und Kunstgeschichte in Venedig, Heidelberg und München studiert. Publizistin und Herausgeberin mit Schwerpunkt Exilforschung. U.d. Publikationen: Erika Mann, Briefe und Antworten 1922 – 69 (Ellermann/DTV/Mondadori). Seit 1990 auch als Kulturkoordinatorin tätig und ab 2000 Vorsitzende des von ihr in München gegründeten Kulturvereins Pro Arte e.V.

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