„Die Welt bietet keine Wahrheiten, sondern Liebesmöglichkeiten.“ – Albert Camus und die Liebe

„Elend und Größe dieser Welt:
Sie bietet keine Wahrheiten, sondern Liebesmöglichkeiten.
Es herrscht das Absurde.
Und die Liebe errettet davor.“
(Albert Camus, Tagebücher Band I, S. 60)

Liebe ist ein Hauptthema im Leben und Werk von Albert Camus (1913-1960). Anlässlich seines 100. Geburtstages hat im Jahre 2013 die Journalistin Anne-Kathrin Reif ein sehr lesenswertes Buch hierüber vorgelegt. Der Titel: „Albert Camus – vom Absurden zur Liebe.“ Die Autorin hatte bereits im Jahre 1999 ihre Dissertation diesem Thema gewidmet: „Die Welt bietet nicht Wahrheiten, sondern Liebesmöglichkeiten. Zur Bedeutung der Liebe im Werk von Albert Camus.“ (Wuppertal 1999). Albert Camus ist als Schriftsteller und als Existenzphilosoph berühmt geworden. Als Schriftsteller errang er Weltruhm, weil sein literarisches Werk 1957 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. Als Philosoph zählt er zu den fünf wichtigsten Existenzphilosophen des 20. Jahrhunderts. Er steht in einer Reihe mit berühmten Vertretern dieser Richtung wie Karl Jaspers, Martin Heidegger, Viktor Frankl und Jean-Paul Sartre. In der Gegenwart ist eine gewisse Camus-Renaissance zu beobachten. Diese wurde durch zwei Gedenktage wesentlich beflügelt: der 50. Todestag im Jahre 2010 und der 100. Geburtstag im Jahre 2013. Allein im Jahre 2013 sind im deutschsprachigen Raum drei bedeutende neue Biographien über Albert Camus erschienen (von Iris Radisch, Martin Meyer und Michel Onfray). Im französischen Verlag Gallimard, in dem Camus zu seinen Lebzeiten jahrelang Lektor und zeitweise sogar Cheflektor war, wurden im Jahr 2013 fast 30 Bücher über Camus publiziert. Schließlich plädierte vor einigen Jahren der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy dafür, dass die sterblichen Überreste von Camus umgebettet werden sollten, damit er ruhmesreich im Pantheon in Paris in der Reihe von Voltaire und Rousseau seine letzte Ruhestätte fände. All dies verdeutlicht die Modernität und Bedeutung von Albert Camus. Eine kürzlich veröffentlichte Facebook-Analyse verdeutlicht, dass sich Camus besonders bei der jüngeren Generation großer Beliebtheit erfreut. In dieser Analyse wurden Facebook-Mitglieder danach untersucht, welche Angaben sie über Literatur- oder Dichtervorlieben machten, oder von welchen Dichtern sie ihre Lieblingszitate auf ihren Facebook-Profilen hatten. Das Ergebnis offenbarte, dass in der Facebook-Generation Albert Camus mehr Anhänger, Fans oder Liebhaber hat als Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller oder Thomas Mann. Der in der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ (vom 1. April 2010) veröffentlichte Artikel von David Hugendick trägt den Titel „Nietzsche schlägt Schiller“. Friedrich Nietzsche war der absolute Sieger dieses Facebook-Wettbewerbs.

Albert Camus war ja überwiegend Dramatiker, Romancier und Essayist. Liebeslyrik haben wir von ihm also nicht zu erwarten. Dennoch ist Liebe zentrales Thema in seinen Tagebüchern, seinen Essay-Bänden, in den Dramen und Romanen. Hinsichtlich der Geschlechter hat Camus eine deutliche Tendenz, was das Scheitern oder Gelingen der Liebe anbelangt. Die männlichen Protagonisten (z.B. Caligula, Meursault in „Der Fremde“) scheitern in ihrem Liebesleben. Sie werden entweder als liebesunfähig, beziehungslos und kontaktgestört dargestellt oder sie widmen ihre Lebensenergie anderen Leidenschaften (z.B. Caligula der Macht). Die weiblichen Hauptfiguren wollen in Camus‘ Dramen und Romanen meist die Männer, die sie lieben, „erretten“, was ihnen jedoch oft nicht gelingt. Die Frage, ob die Kunst des Liebens gelingt oder ob die Liebenden scheitern, ist für Camus ein tägliches Ringen um einen hohen Wert. Für diese große existenzielle Aufgabe des Liebens gilt, was Camus im Sisyphos-Mythos beschreibt: Entscheidend ist das tägliche Sich-Bemühen, das „immer wieder den Stein den Berg hochrollen“, das immer wieder neu versuchen, auch wenn etwas zeitweise misslingt. Insofern spricht Camus sogar von der Liebe als „Pflicht“.Die gelebte Liebe ist ja meistens in einen längeren Beziehungsprozess eingebettet, in dem die Liebenden sich kennenlernen, sich ausloten und durchdringen, miteinander streiten und sich wieder versöhnen. Bindung und Trennung sind schließlichoft die Wendepunkte des Liebeslebens. Die Trennung von Liebenden oder eine Scheidungwerden von den Betroffenen oftals Scheitern erlebt. Für viele Menschen folgt jedoch einem Scheitern auch ein Neubeginn – und das spricht sehr für die Liebesauffassung von Albert Camus.

Um die Kunst des Liebens zu erlernen, plädiert Albert Camus für die aktive Form des Liebens und nicht für das passive Geliebtwerden:
„Wer je das Glück hatte, einmal heftig zu lieben, wird sein Leben verbringen auf der Suche nach dieser Glut und diesem Licht“ (Camus, Hochzeit des Lichts).
Die Camus-Kennerin Annemarie Piper (1984) fasst diese Grundideen treffend wie folgt zusammen:
„Der Mensch ist mithin für Camus nur dort ganz Mensch, wo er liebt, und lieben heißt im umfassenden Sinn: sich leidenschaftlich auf alles Lebendige einlassen, in der Öffnung aller Sinne für die Schönheit des Lebendigen das eigene Leben bejahen. In der liebenden Vereinigung mit dem Lebendigen fallen kosmischer Akt und erotischer Akt unterschiedslos zusammen und durchdringen sich in wechselseitiger Einheit.“

In seinen frühen Werken – besonders in „Hochzeit des Lichts“ – verwendet Camus eine sehr lyrische, bildhaft-poetische Sprache. Diese mutet den Leser vollkommen anders an, als die in einem philosophischen Duktus geschriebenen berühmten Essays. Ein Beispiel aus „Hochzeit des Lichts“ soll den lyrischen Sprachstil von Camus verdeutlichen:
„…schon nach wenigen Schritten überwältigt uns der Duft der Wermutbüsche. Ihre graue Wolle bedeckt die Ruinen, soweit das Auge reicht. Ihr Saft gärt in der Hitze und verbreitet über das ganze Land einen Duftäther, der zur Sonne steigt und den Himmel schwanken macht. Wir gehen der Liebe und der Lust entgegen. Wir suchen weder Belehrung noch die bittere Weisheit der Größe. Sonne, Küsse und erregende Düfte – alles Übrige kommt uns nichtssagend vor. Ich möchte hier nicht allein sein. Oft bin ich hierher gekommen mit denen, die ich liebte, und habe auf ihren Gesichtern das leuchtende Lächeln der Liebe gelesen… Die verwirrende Duft- und Farbenfülle war dahin; in der kühlen Abendluft beruhigte sich der Geist, und der entspannte Körper genoss jenes innere Schweigen, das eine Frucht gestillter Liebe ist.“

Für Camus ist die Liebe in erster Linie ein Geschenk, das aus wechselseitiger Zuneigung und Zuwendung entsteht. In seiner Sprache klingt dies wie folgt:
„Und wenn ich mich damals liebend selbst hingab, so war ich doch endlich ich selbst, da uns allein die Liebe uns selbst zu schenken vermag.“
(Albert Camus, Literarische Essays, S. 36)
„Es ist nicht nötig, sich den anderen anzuvertrauen, sondern nur denen, die man liebt. Denn in dem Fall gibt man sich nicht mehr preis, um etwas zu scheinen, sondern einzig, um zu schenken.“
(Albert Camus, Tagebücher, Band 1, S. 39)

Sehr viel ernster und besinnlicher wird der Sprachduktus in seinem Roman-Fragment „Der erste Mensch“. Dieser Roman sollte „ein Fresko der Gegenwart“ werden, „eine Art Krieg und Frieden“. Höchste Ansprüche hatte er an diesen Roman, über den er viel in seinen Tagebüchern geschrieben hat. Hier geht es hinsichtlich der Liebe nicht nur um Hingabe, Verlangen, Lust und Vereinigung, sondern auch um Eifersucht, Ehebruch, Liebesschmerz, Unfähigkeit zu lieben und das Scheitern an der Liebe. „Der erste Mensch“ hat in seiner Entstehungsgeschichte viele Besonderheiten: Er blieb ein Fragment. Albert Camus hatte die 144 Manuskriptseiten bei sich, als er bei dem Autounfall im Januar 1960 sein Leben verlor. Die Erben konnten sich lange nicht zu einer Veröffentlichung durchringen und brauchten 34 Jahre, bis schließlich der Roman erstmals in französischer Sprache erschien. 1997 folgte dann die deutsche Übersetzung im Rowohlt-Verlag. In seinen späten Tagebucheintragungen finden sich wichtige Hinweise zu seinem Verständnis von Liebe. Sie sind durchwachsen, zum einen zeugen sie von der großen Kraft der Liebe, jedoch auch von ihrem möglichen Scheitern. Mit Worten von Camus wirddie große Bedeutung der Liebe im menschlichen Leben nochmals verdeutlicht:
„Eine Frau, die wirklich liebt, mit ihrer ganzen Seele, mit völliger Hingabe, und dann erlangt sie eine so maßlose Größe, dass es mit ihr verglichen keinen Mann gibt, der nicht mittelmäßig wäre, erbärmlich und bar jeder Großmut.“
(Albert Camus, Tagebücher, Band 2, S. 24)
„Denn nicht geliebt zu werden ist nur misslicher Zufall, nicht zu lieben jedoch ist Unglück.“
(Albert Camus, Heimkehr nach Tipasa, S. 175)

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Über Herbert Csef 136 Artikel
Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.

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