DISKURSIVE FREIHEIT »how it goes«

»Vorgetäuschte Unordnung benötigt vollendete Disziplin; vorgetäuschte Furcht benötigt Mut; vorgetäuschte Schwäche benötigt Stärke.« (1)




Diskursive Freiheit / komplex oder kompliziert?!

Recht und Ökonomie sind unnötig komplex. Man muss sagen: kompliziert. Denn komplex kann wissenschaftlich immer auch die Reduzierung von unzähligen komplizierten Einzelphänomenen und ihren verschiedenartigen Verschlingungen genannt werden. Steigerung der Komplexität wäre insofern (systemtheoretisch) eine Gestaltung von Ordnung (Formation). Aber gut, das verlagert das Problem nur auf die Feststellung: es gibt evtl. zu viel Ordnung. Daran anschließend die Frage der Ordnung der Ordnung(en) und so weiter und so fort. Geht die rationale und kommunikative Entwicklung der Gesellschaft so weiter, dann geht die Republik vielleicht unter wie in der »Laokoon-Gruppe« dargestellt?!

Das Wort kommunikativ zuvor soll darauf hinweisen, dass es nicht nur um Aussagen, Sätze, Fakten und Entscheidungen geht, sondern dass auch Austauschprozesse beteiligt sind, seien diese eher natürlicher oder eher rationaler bzw. sprachlicher Art und Weise. Es handelt sich nicht (nur) um ein Problem von Schrift & Sprache. Also es sind keine primären Abstraktionsleistungen des menschlichen Verstandes, denn als solches könnte man Schrift und Sprache bezeichnen.

Soziale Aufgabe
Es wäre eine Aufgabe der Wissenschaft oder systematisch denkender / arbeitender Individuen (beides als Gruppen soziale Akteure), hierzu auch eine Reduzierung anzubieten. Und zwar nicht nur im Sinne einer einfacheren Darstellung. Alle Einwohner eines Landes sollten die Chance haben, zu verstehen, nach welchen Regeln und Bedingungen sie leben. Und zwar aus selbständiger Einsicht. Und nicht durch schmerzhafte Erfahrung oder zusätzliche workshops (für die man bezahlen müsste). Und eben nicht nur durch die Erkenntnis schaltender und waltender Mächte, denen man erliegt.

Die Angelegenheit der Mit- und Selbstbestimmung ist noch eine andere. Stellt aber dann auch das Problem des Verstehens. Beides sind in philosophischer Sprache eher hermeneutische Probleme, neben der politischen Tatsache. Die Erarbeitung verbindlicher einfacher Bücher oder dergleichen wäre hilfreich. Die Gesetze heute plus Kommentare füllen Bibliotheken. Ökonomische Einzelfälle wären (sinnvoll) schon gar nicht alle in diese Gestalt zu fassen. Auch aus dem Aspekt Datenschutz. Und allein die einfache Kenntnisnahme ist umfangreich zu nennen. Und selbst das Genannte ist nur ein Teilausschnitt.

Aus dieser Perspektive kommt man (schon auf sich selbst bezogen) gar nicht mehr zu den existentiellen Fragen und Aufgaben des Lebens. Womit ich meine: zum eigentlichen Leben. So verfänglich und fragwürdig das Wort »eigentlich« hier erscheinen mag. Eine Gestaltung des eigenen Lebens, nicht nur durch Zufall, glückliche Fügung oder intelligente Planung anderer. Was ja alles auch schön und gut sein kann, wenn es funktioniert. Aber es funktioniert scheinbar nicht immer, und schon gar nicht reibungslos. Und es ist eine Frage des gesellschaftlichen Anspruchs. Es geht nicht darum, Störfälle zu beseitigen, es geht um die Basis echter Entfaltung eigenen Lebens. Und dieses Leben ist als vielfältig und nicht oder nur sehr wenig als durch die Basis bereits bestimmt zu erachten.

Der Bürger / die Bürgerin ist heute eine kleine Behörde für sich. Und steht letztlich in einer Kette der Subsidiarität. An sich kann man dies als nicht- oder sogar anti-demokratisches Element der Demokratie werten. Da wird Freiheit durch Ordnung ersetzt, könnte man (zu sehr) vereinfacht hinzufügen. Der Mensch will auch beherzt und frei in die Welt treten können. Nicht nur in komplexer Erwägung bürokratischer Kalküle. Das ist eine Annahme bzw. Unterschiebung meinerseits, für die ich Berechtigung empfinde, ohne dabei detailliert auf hypothetische oder soziale Einzelfälle oder Ausnahmen einzugehen. Etwa das Phänomen kindlichen Stubenhockens, das sich im medialen Zeitalter ausweitet.

Das Urteil des Verstandes (Kant) konvergiert als bürokratisches Kalkül semantisch quasi mit dem Abstempeln eines Dokuments, Antrags oder dergleichen. Wenn auch nur im Geiste. Davon sich noch einmal zu befreien, davon träumten schon die deutschen Romantiker (Erstes Systemprogramm). So träumte sich ein Teil der Freiheit stets parallel und entlang der tatsächlichen Geschichte. Jedenfalls nicht als diese. Und kostet die Freiheit denn mehr als all die schöne Ordnung, die wir zum Zwecke der Freiheit eingeführt haben? Wir, die guten Nach-Römer, die in einer res publica leben, oder mit ihr.

Lebensorientierung Allerdings stellt sich auch immer die Frage, ob Komplexität auch eine Frage, Aufgabe oder Folge der allgem. Lebensorientierung ist. Oft scheint auch ein Mangel an Klarheit (des eigenen Geistes / Verstandes und auf die Vielen bezogen) die Illusion von notwendiger oder natürlicher Komplexität zu erzeugen. Muss man wirklich Abermillionen von Einzelmerkmalen und Einzeltatsachen berücksichtigen, will man niemanden Unrecht tun? Sind wir wirklich diese intuitiven Marktteilnehmer/innen und Teilnehmer/innen einer Öffentlichkeit, in deren Erwägungen tausende und abertausende von Impulsen zusammenfließen, und die am Ende eine Entscheidung zu treffen haben? Nach reiflicher Überlegung womöglich, oder gefühlter Richtigkeit. Lapidar kann man das auch Lebensverhinderung nennen. An anderer Stelle wird man dann, ungeachtet der Willensbildung, zu spontanen Unterschriften und dergleichen gedrängt. Dass spontanes Leben »more sexy« ist, hat sich als Aussage inzwischen selbst überlebt. Etwas weist nun über den spontanen Moment und Eindruck hinaus, sei es in die Zukunft, sei es in die Vergangenheit. Und etwas wird benötigt, das nicht nur Erfindung des Jetzt und Hier (spontan) wäre.

Eine schwelende Angst ist die vor Überrumpelung: von ganz verschiedenen Seiten. Das hat entfernt auch mit Verbraucherschutz zu tun. Und mit Bürgerrechten. Manche sehen mit dem Begriff der Freiheit eher das »Gegen den Staat« (liberale Tradition), manche eher das »Mit dem Staat« (konservative Tradition). Schutz ist nur ein Aspekt. Der gesamte Informationshaushalt, die verbale und faktische Komplexität und Kompliziertheit, hat längst Recht und Ökonomie perfekt, ja mehr als optimal, ergänzt. Allein übrigens schon daher, da jede rechtliche oder ökonomische Einzeltatsache theoretisch sprachlich oder zumindest informatorisch darzustellen ist.

Somit wird das Eintreten eines wirklichen, wahren oder eigentlichen Lebens erst im Jenseits umso wahrscheinlicher. Wenn alle formal-sachlichen Fälle, die die eigene Person betreffen (könnten), abgearbeitet sind. Am besten, man hinterlässt nicht zu viel Dreck in dieser Welt. Weder ökonomischen (Schulden), noch rechtlich-moralischen (Schuld), noch informativen (Wissen nicht, eher unnötige Kenntnisse). Für die nächste Welt sollte die Personalakte nach Möglichkeit sauber und übersichtlich sein. Überrumpelungen jedweder Art sind wieder (optionaler) Dreck.

Nachgemerkt: Die Verdoppelte Welt der Information lohnte erst ab einem gewissen Grad der Abstraktion technischer Prozesse. Dafür im Zwischenschritt mathematische Formeln (Ökonomie), die uns an die Gültigkeit per Gesetz erinnern sollen. Wie im Strafverfahren die Akten sind sonst Informationen eine Sache optionaler Nutzung. Man kann diese gesellschaftlichen Ablagerungen nicht unbedingt mit denen materiellen im Sediment eines Flusses oder in den Wänden des Gehäuses des Schneckenhauses einer Schnecke vergleichen. Die hätten teilweise realen Sinn.

Obwohl die Vorstellung in ihrer Bildlichkeit uns versöhnlich stimmen kann: wir wohnen im Schneckenhaus unserer informativen Last. So wird es nach und nach gebildet, wächst, dreht sich historisch aus sich selbst hervor. So denkt man, können all diese komplexen Ablagerungen und Schichten auch schützen (und nützen). Und so starr wie eben ein festeres Haus erscheinen sie hin und wieder. Trotz »dynamischer« Prozesse und »zyklischer« Bewegungen. Und »kompliziert« ist bestenfalls die »Varianz« des Häuschens.
Felsen in der Brandung sind »emanzipatorisch« nicht mehr so gerne gesehen. Noch wird die Gesellschaft geschliffen / geschleift. Das war teilweise idealistisch-romantische Überhöhung: vom Schneckenhaus zum Felsen.

Den Deutschen sagt man nach, sie seien teilweise sehr zurückhaltende Teilnehmer/innen am öffentlichen Geschehen. Zur Illustration: lieber nicht zu voreilig investieren. Aber dann ist es vielleicht auch schnell zu spät?! In innovative Bereiche wie Kunst und Bildung wird sowieso nicht oder nur ganz reduziert investiert. Oder später bei den »echten« Preisen, wenn die Sachen sozusagen »vollwertige« Objekte geworden sind, als was man sie scheinbar vorher nicht erkennen konnte. Oder wenn es offenbar lohnt. Das nennt man dann »klug«. Man hält an sich, selbst wenn man etwas zu geben hätte.

Der Pleitegeier durchfliegt den Wald des Journalismus. Ein hausgemachtes Problem: Ergebnis mangelnder Anerkennung und gegenseitiger Entwertung. Zu tief war bisweilen die Verinnerlichung des Konkurrenzprinzips, gerade und selbst dort, wo es offiziell ablehnt wurde. Neben der tiefen Skepsis. Dort, wo es um Aufklärung und Wahrheit gehen sollte. So beugt man sich der Lüge. Und erzeugt eben komplexe Kompliziertheit oder komplizierte Komplexität. Mal an die Massen von Texten, Berichten etc gedacht. Um jetzt nicht den Bogen zum zuvor erwähnten Dreck auch zu schlagen. Das wäre wieder zum Teil selbstbelastend.

Echte Einsicht ist schön und gut, wenn sie niemand sonst mitbekommt: ein ungeschriebenes Gesetz komplexer und komplizierter rationaler Geschehen. Anstelle »rational« böte sich das Wort »emotional« an. Aber um diese Unterscheidung muss es hier nicht gehen. Das schlägt sich über die Jahrzehnte vermutlich auch in der Psyche nieder, passiv wie aktiv. Bis hin zur sogenannten Mentalität. (andere Probleme hier ausgeklammert).

Ja gut, und über die Jahre hinweg ergänzen dann Medien wie TV den Kultur-, Kunst- und Bildungsraum. Einfach. Kompakt. Heute tragbar im Taschenformat. Mehr braucht man nicht. Neben Nahrung und ein paar Erfahrungen. Vielleicht noch ein Dach über den Kopf. Das ist wirklich »Entmystifizierung« des Lebens. Zum Beispiel der Marxsche Arbeiter war noch ein ganz mystischer / mystifizierter Zeitgenosse. In einem »great circle of life« und darüber hinaus, wenn man die überindividuelle Bedeutung beachtet. Der (und die Figur wird bei Marx tatsächlich eher in der männlichen Sprachform gebraucht) konnte noch davon ausgehen, man enthielte ihm Kultur, Kunst und Wissen vor. Der hatte evtl. noch einen ehrlichen Grund, das alles für sich einzufordern. Die Begründung, weil er dies alles mitfinanzieren und herstellen half, war schon immer eine mehr oder weniger unnötige gedankliche Schlaufe. Und auch solche Schlaufen sorgten immer für Komplexität und Kompliziertheit.

Wir alle wissen es: es geht nicht um die Begründung, noch weniger um die Letzt-Begründung. Und das gilt nicht nur für deutsche Hemisphären. Hier sind wir international. Es geht um die Teilhabe und Teilnahme.

Bildung / Autonomie Bei der Frage der Bedingungen (die auch jetzt nicht weiter spezifiziert werden muss) kommt man zügig sowohl historisch wie anschaulich zum Wissen, zur Bildung, zum Können. Und somit zu der der Bedingungen des Bildungssystems, wozu auch »Selbstbildung« inzwischen gehört. Und als klassische Bedingung kann man immer noch auf die Autonomie des Denkens verweisen.

Es geht eben doch darum, zu erkennen, dass das Denken (und nicht das System) den Diskurs mit-gestaltet, und nicht umgekehrt. Obwohl Denken sicher auch in unterschiedlichen nachahmenden Haltungen am Diskurs lernen kann oder was auch immer. Und es ist sprachlich auffällig, dass im Deutschen das Denken im Plural sich so ungewöhnlich anhört. Der Diskurs wiederum wendet sich an das System. Da gibt es von Gestaltung, über Eingriff, bis zur Mitbestimmung einige Vokabeln.

Das, die Autonomie, gilt dann für Marktteilnehmer in gewisser Weise ähnlich. Zwischen Diskurs und Markt möchte ich an dieser Stelle kein Gleichheitszeichen einfügen. Aber die Frage der geistigen Autonomie, die angesprochen wurde, dreht sich schon (in beiden Fällen) darum und um das Gleiche: Ein nicht korrumpiertes Zentrum menschlichen Verstandes (auch mit Vernunft assoziiert).

Noch vor Kurzem war bspw. Soziologie auch eine solche Wissenschaft (unter anderen), die Wirtschaft in ihren gesellschaftlichen, kulturellen, politischen Aspekten ergänzte, auch erklärend und beschreibend (Ökonomie, Wirtschaft, Politik usw. usf. quasi als Reflexionsformen). Heute, im ausgehenden Zeitalter des Individualismus, denken natürlich nicht alle insgesamt noch gesellschaftlich. Der informierte Bürger / die informierte Bürgerin war für sich soziologisch interessiert und gewappnet. Das wird einem irgendwie abgewöhnt. Allein, weil es nichts bringt. Mal große Worte wie Verantwortung nicht beachtet. Heute hat die Perpetuierung der Lüge doch etwa denselben Stellenwert. Relativismus ist sozusagen Crux, um nicht zu sagen das Kruzifix, der immer wieder »post-temporären« Dienstleistungskultur.

Und ethische Debatten werden zunehmend gern als scheußlich oder verlogen erlebt bzw. so deklariert. Man überlässt sie den Profis des ethischen Geschäfts. Die sind dann mehr oder weniger soweit finanziell abgesichert, dass sie die Folgen ihrer Meinungen nicht mehr tragen müssen oder zu ertragen haben, bestenfalls zur Kenntnis nehmen können. Ob die ihre und unsere Chance nutzen, bleibt dahingestellt. Und die Frage ist schnell und konsequent richtig auszudehnen: ob wir unsere Chance wirklich nutzen, bleibt bisher dahingestellt. Relativistisch gesehen, wäre es fast ein bisschen egal.

Der Vorrang des Ichs zeitigt Gutes wie Schlechtes. Dafür kann man heute eher dem Gewissen Luft verschaffen, indem man einer humanitären Organisation Zuwendungen macht, oder indem man plebiszitäre Prozesse unterstützt. Eine Unterschrift, ein Klick, und die Welt ist fast schon wieder gerettet. Daneben noch etwas Hintergrundwissen angeeignet, und man gehört mehr oder weniger zu den politischen Aktivisten. Man kämpft (immer noch). Auf gut Neudeutsch: »Let us fight, let us improve our public image!«

Temporäres Fazit / Nebengedanken Beachtenswert bei Lenin: er deutet den Prozess, den er beschreibt (vom Kapitalismus zum Imperialismus), selbst als Prozess der Vergesellschaftung, die nur noch nicht im vollen Rund läuft bzw. nicht so begriffen und weitergedacht ist. (3) Fast anrührend, wenn er an anderer Stelle den Leuten zuruft: »Lernt handeln!« (also nicht etwa »learning by doing«). Dazu gibt es von ihm selbst spannende Erklärungen, etwa vom Schritt zurück, welcher Anlauf für den Sprung nach Vorne ermöglicht etc. (4) (5) Offenbar ist es aber ein Schritt von Kompliziertheit (6) hin zu Komplexität, um diese Worte bzw. Begriffe aufzugreifen und somit in einem weiteren historischen Szenario zu demonstrieren.

Denkt man Lenin mit der zuvor erwähnten Systemtheorie zusammen, und versucht intentional eine Erklärung der Probleme zu finden, dann käme man vielleicht zu dem Ansatz: dass die vielen Einzelgehirne weder jeweils noch en masse die von ihnen zu beanspruchende Komplexität richtig abbilden konnten. Das ist nicht identisch ein Bildungsproblem. Nicht nur das vielzitierte Alte Zeitalter, sondern auch die Kompliziertheit der Umbrüche, werden ihre Schatten in die psychische Materialität geworfen haben. Diese Schatten-Metaphorik ist indes nicht unbekannt in den historischen Texten.

Aber grundsätzlich sollte auch diese Transformation als Kampf gemeint sein bzw. diesen in ein besseres und kultiviertes Zeitalter (5) fortsetzen. Daher selbst ein Kultivieren des Kampfes meinen. Ein Ablassen von sogenannten barbarischen Fehlschlüssen und Verfahren (und damit ist nicht nur der enge Zirkel der Kriegswirtschaft gemeint). Das alles neben den Aufräumarbeiten nach dem historischen Umbruch. Insofern war eine Transformation des Kampfes (nicht nur des Begriffs davon) gemeint. Denn rein formal und somit faktisch ist ja kein Problem gelöst. Kein Fortschritt erzielt. So weit so logisch. Lernt handeln, bedeutet dann: »seid weniger kompliziert« (und evtl. nicht unbedingt zu komplex). Eine Hypothese, die im Spontanen einen Fehlschluss erleidet?!? Denn um irgendetwas sollte es ja gehen. Nicht nur um die Beweihräucherung der tollen Gegenwart und pünktlichsten Aktualität.

Sicherlich ist aber Spontaneität bereits in ihrer einfachen Bedeutung ein gewisser Extremwert, der insbesondere in Systemen der relativ geschlossenen Planung nicht nur auf Probleme trifft, sondern diese auch hervorruft. Das lässt sich wohl auch schnell einsehen, wenn man diverse Relationen gegenseitiger Verwiesenheit bzw. Abhängigkeit bedenkt. Im historischen Beispiel war es unter anderem um die Versorgung der gesamten Bevölkerung mit Lebensmitteln gegangen, die natürlich nicht von allen produziert wurden.

Oder man deutet das Wort »komplex«, wie eingangs angemerkt, im Sinne von Kompetenz / Steigerung. »Seid komplex« (und dabei nicht indifferent kompliziert), so würde der Satz evtl. noch heute seine Interpretation finden. Im dialektischen System. Man darf eben Selbstwidersprüche, Widersprüche, Ungereimtheiten und dialektische Entwicklungen nicht miteinander verwechseln, sofern man dialektisch bei den Sachen ist. Und kein Sprecher, keine Sprecherin meint nur das Wort an sich. Es geht immer auch um Bedeutung. Zumal in sinniger Rede (Hermeneutik, Kommunikation). Und wer immer meint, durch Negation oder Verschiebung äußerer Bedingungen könne sich eine neue Bedeutung an der Stelle einer historischen oder verbalen Variable einstellen, der oder die steht (zumindest irgendwie) dialektisch bei den Sachen.

Aber es gibt Sätze, die nach sprachlicher Berechtigung als Sinn suchen: Weil ich handeln kann, bin ich komplex. Ob so ein Satz noch Sinn ergibt über sein konkretes Sinnsystem hinaus, in dem er zustande kam? Noch schräger fast die Steigerung: weil ich noch mehr (bspw. als früher) handeln kann, bin ich komplexer. Das sind Sätze, auf die man gut und gerne und ohne schlechtes Gefühl oder Gewissen antworten könnte: ich weiß, was Du meinst… das kenne ich auch / das geht mir auch so. Oft zeigt sich erst in ganz anderen Situationen, dass Sätze diskursive wie andere soziale Probleme aufwerfen können. Oder eben ihre Wirkung, Sinn oder Bedeutung herzustellen oder zu veranschaulichen, wieder (gänzlich) verlieren.

Teilhabe, etwa durch Aktien und Mitbestimmung (im Bereich Wirtschaft), kann natürlich an den Verhältnissen doch auch etwas ändern. Kann sich aber auch als große Falle herausstellen (Risiko-Investition der Belegschaft etc). Das sind Mischformen des Denkens. Einer der Fehler liegt bei Marx: er lässt die Maschinen nicht Sozialabgaben produzieren, nur Gewinne der Kapitaleigner (neben den Waren). Aber auch daran wäre völlig legal zu drehen.

Die Vorherrschaft ökonomischer bzw. wirtschaftlicher Komplexität, schon in Sprache und Form, ist gar nicht unbedingt einsichtig. Noch weniger übrigens die Kompliziertheit. Wie Lenin einst, möchte man ein imaginäres Wesen des Neuen Zeitalters den Leuten (völlig wohlmeinend, ohne Argwohn) zurufen lassen: »Simplify your lifes! Simplify your minds!« – Eine hübsche Übertragung der proto-kommunistischen Grundforderung. Woran es gebricht: die zuvor genannte Angst vor Überrumpelungen jeglicher Art.

Ein Hobby diesbezüglich ist nicht das Teilnehmen am Diskurs, sondern ein Erzeugen und Ausstreuen von Verdächtigungen. Die Kunst der Verschwörungstheorie wurde die Metaphysik dazu. Wer das Gute nicht leben kann, kann wenigstens das Schlechte noch geißeln oder an den Pranger stellen?!? Das betrifft wieder so vieles: komplex bis kompliziert. Alles schwierig. Der Volksmund würde das ein Verkümmern zur (diskursiven) Dreckschleuder nennen.

Aber man muss auch das Unrecht beim Namen nennen dürfen, selbst wenn man es nur für sich selbst als solches erkannt hat. Wie sollte sonst jemals ein Diskurs darüber entstehen können? Wie sollten sonst die bereits gewohnten Grundmuster verlassen werden können? Aber hierbei ist aus zuvor genannter Erwägung »Vorsicht und Sorgfalt« geboten, wenn nicht gar immer. Jedenfalls verwandelt Komplexität sprichwörtlichen Dreck nicht automatisch in Gold der Theorie und Praxis. Das war wohl immer ein kleiner Irrglaube der Komplexitäts-Fanatiker/innen. Und genauso sieht die Bewegung zum Einfachen aus, sofern wir es hier als andere Alternative beachten.

Auch die kommunikative Teilhabe, übersetzt als Teilnehmen an Diskurs / an Gesellschaft, will gelernt sein. Man hat heute eine gute Idee, und weiß letztlich gar nicht, wohin damit. Teilnehmen ist in ganz differente Dimensionen des Wortes zu denken, zu entwickeln und als Praxis zu erleben. Nur sollte man nicht blindlings auf das eingangs geschilderte Problem der komplizierten Komplexität oder der komplexen Kompliziertheit abermals und wiederum stoßen (müssen). Warum bereiten wir uns so viele unnötige Probleme? Etwa, um lebenslänglich herausfinden wollen zu können, wer zu Recht das größere Ego haben darf? Viele Gedanken scheinen irgendwo auf den Umwegen des (öffentlichen, populistischen) Ankreidens stehenzubleiben oder verloren zu gehen.

Eine Vermeidung dieser albernen Spieltriebe steht jedenfalls nicht nur in den Sternen. Sondern im Verstand eines jeden / einer jeden (sofern vorhanden). Einen verbindlichen Maßstab kann man daraus wohl aber nicht zimmern oder bestimmen. Es bedarf daher notwendig einer nicht (als) notwendig gewollten Gegenseitigkeit, die auch gegen Vorlieben und Präferenzen herzustellen wäre. Das meint Diskurs und »diskursive Freiheit«. Und das ist als persönliche Befähigung zu begreifen.

Es gibt in der deutschen sozialen Sprache u. a. ein Wort, dass diese Form der Gegenseitigkeit illustriert: Kollegialität. Dies auch mal dem Kontext enthoben zu denken. (7) Aber daran gebricht es wohl auch hin und wieder. Kann man da noch Menschen ernst nehmen, die von Erfolgs- oder Konkurrenzdruck im Sinne von Entschuldigung / Rechtfertigung / Erklärung für Verhalten sprechen?!? Aber das tun sie schlauerweise nicht: »Ignoranz«, das Gift der Zeit.

Es lassen sich wohl nicht alle Probleme oder Angelegenheiten mit dem erklären bzw. tilgen, was in der historischen Situation des Lenin-Zitats mit »Persönlicher Interessiertheit« (4) benannt wurde. Aber gerade diese ist auch nicht gerade weltfremd.

Fazit Eine persönliche Befähigung löst die Probleme, Gegenteiliges erzeugt sie. Und dabei werden »sukzessive« komplexe wie komplizierte Schichten an geistigem wie greifbarem Material erzeugt. Eher bzw. mehr im zweiten Fall, könnte man meinen. Die Formationen entstehen und entstanden, und haben doch weder Antwort noch Lösung parat. Wir können heute neu beginnen und kommen der Sache vielleicht näher als je zu vermuten war!!! Eine Reduktion auf Null (Stichwort: Komplexität) ist in keinem Fall zu erwarten bzw. zu fordern. Das wäre eher der Traum der Amnesie. (2)

Berlin Oktober 2014 © RA

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(1) Sun Tsu, Art of War, 5.17
(2) Frieder Otto Wolf, Radikale Philosophie, S.81
»Nicht die abstrakt konstruierte Kommunikationsgemeinschaft reiner Subjekte, sondern wirkliche Zusammenhänge menschlicher Subjekte mit ihren Wünschen und Kämpfen bilden den Hintergrund radikaler Philosophie, von dem sie sich niemals vollständig ablösen kann. Diese bewegen sich kommunikativ immer auch schon im endlichen, aber erweiterbaren Raum des Palavers und in der bemessenen, aber verlängerbaren Zeit des Solange. Wir haben daher zu bedenken, wie sich diese Konzepte des Palavers und des Solange nutzen lassen, um das Aufbrechen in die neue Zeit in eine Weise zu denken, welche die Illusion einer «Theorie des gegenwärtigen Zeitalters» ebenso vermeidet wie ein Verfallen in den «ewigen Frühling der Amnesie».«
(3) Lenin, 1917, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, X. ab
»Was bedeutet denn dieses Wörtchen «Verflechtung»?« … »dann wird es offensichtlich, dass wir es mit einer Vergesellschaftung der Produktion zu tun haben und durchaus nicht mit einer bloßen «Verflechtung»…«
(4) Neben dem Schlagwort sind kleine Textstellen zu finden, die eine Transformation (auch der inneren Ideologie, könnte man sagen) gut verdeutlichen. Lenin, 1921, Zum vierten Jahrestag der Oktoberrevolution
»Der proletarische Staat muss ein umsichtiger, sorgsamer, sachkundiger «Unternehmer», ein tüchtiger Großkaufmann werden … Persönliche Interessiertheit hebt die Produktion … Der Großhandel vereinigt die Millionen Kleinbauern ökonomisch, indem er sie interessiert, sie verbindet, sie zur nächsten Stufe hinführt: zu den verschiedenen Formen der Verbindung und Vereinigung in der Produktion selbst.«
Lenin, 1921, Über die Bedeutung des Goldes
»Wir haben uns auf den Staatskapitalismus zurückgezogen. Aber wir haben uns mit Maß zurückgezogen. Wir ziehen uns jetzt auf die staatliche Regelung des Handels zurück. Aber wir werden uns mit Maß zurückziehen. …«
(5) Lenin, 1923, Über das Genossenschaftswesen, I.
»Unter der Fähigkeit, ein Händler zu sein, verstehe ich die Fähigkeit, ein Händler zu sein, der Kulturansprüchen genügt. Das mögen sich die russischen Menschen oder einfachen Bauern hinter die Ohren schreiben, die meinen: Wenn einer Handel treibt, dann versteht er auch Händler zu sein. Das ist ganz falsch. Wohl treibt er Handel, aber von da bis zu der Fähigkeit, ein Händler zu sein, der Kulturansprüchen genügt, ist es noch sehr weit. Er treibt heute Handel auf asiatische Manier; um aber zu verstehen, ein Händler zu sein, muss man auf europäische Manier Handel treiben. Davon trennt ihn eine ganze Epoche.«
(6) Lenin, 1917, Werden die Bolschewiki die Staatsmacht behaupten?
»Oh, diese Schlauköpfe! Sie werden sich gar noch bequemen, die Revolution hinzunehmen — wenn nur die «außerordentlich komplizierte Situation» nicht wäre. …«
(7) ich meine nicht »team-work« als skill.

Finanzen

Über Rösike Axel 13 Artikel
Vita Axel Rösike, Studium an der Freien Universität Berlin. Magister Artium. Einige Schwerpunkte: Ästhetische Theorie, Kritische Theorie, Konstruktivismus, Systemtheorie, Interpretation klassischer Texte der Philosophie, Philosophie Asiens: Buddhismus, Konfuzianismus. Wertethik, Kulturanthropologie. Entwicklungspsychologie, Selbstkonzept. Tätigkeit als Freier Journalist bzw. Autor.

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