Hamas-Ideologie in islamischer Tradition

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Gegründet 1987 übernahm die Hamas 2007 die Macht im Gazastreifen. Sie benutzt Elemente des europäischen Antisemitismus, stützt sich aber in Ideologie und Praxis vor allem auf die Zeit Mohammeds und der islamischen Expansion. Von Eric Angerer.

Dem palästinensischen Ableger der Muslimbruderschaft gelang ab den 1960er Jahren eine zunehmende Islamisierung des Gazastreifens. Auf dieser Grundlage und ausgelöst durch die erste „Intifada“ 1987 entschied die Führung – nach den Jahrzehnten der Vorbereitung – für eine offensivere und militantere Gangart. Der demonstrative Ausdruck davon war die Umbenennung in Hamas (Akronym für „Islamische Widerstandsorganisation“). Sie vereinte von Anfang an religiöse, politische, karitative und militärische Aktivitäten.

Die frühen Flugblätter

Die Muslimbrüder in Gaza hatten ihre islamisch-extremistische und antisemitische Rhetorik davor nur versteckt vertreten. Das änderte sich nun. Von der Gründung der Hamas an beeinflusste sie die Intifada mit Flugblättern. Das erste Flugblatt bezeichnete „die Juden“ als „Brüder der Affen, Prophetenmörder, Blutsauger, Kriegstreiber“ und rief zum Dschihad gegen Israels Besatzung „bis zum Sieg“ auf. Jeder Tropfen Märtyrerblut werde zum Molotowcocktail, Sprengsatz und zur Zeitbombe werden, „der den Juden die Eingeweide herausreißen wird“. Das zweite sprach von Allahs Befehl, „die Wurzeln der Existenz der Juden und ihrer Unterstützer herauszureißen“. Ägyptens Friedensschluss mit Israel von 1978 sei „nutzlos“ und „verräterisch“; nur der Islam sei „die Lösung und die Alternative“.

Das dritte Flugblatt, im Januar 1988, rief mit einer Koransure zur Generalmobilmachung gegen Israel auf, versprach den islamischen Märtyrern Lohn im Paradies und schloss mit einem kategorischen „Nein“ zur „zionistischen Existenz“, „jüdischen Besatzung“ und zu Konzessionen: Nicht ein Staubkorn vom Boden Palästinas werde man aufgeben. Das vierte Flugblatt im Februar 1988 forderte, Allahu akbar von allen Dächern zu schreien, und schrieb diesem Schlachtruf Wunderkraft gegen Israels Geschosse zu. Es betonte gegen die PLO, die Intifada sei eine islamische Erhebung.

Das fünfte deutete die Intifada als neue Schlacht von Chaibar. Chaibar war eine jüdische Oase auf der arabischen Halbinsel, die von den Muslimen 628 angegriffen und nach schweren Kämpfen erobert wurde. Es war die Rede von Allahs Jüngstem Gericht, in dem die Muslime alle versteckten Juden töten würden. Nach Jordaniens Verzicht auf die Westbank Ende Juli 1988 und Berichten über PLO-Pläne zur Gründung eines Palästinenserstaats an Israels Seite Anfang August veröffentlichte die Hamas das Flugblatt „Ein islamisches Palästina vom Meer bis zum Fluss“. Der Verzicht auf einen Teil Palästinas, also die Existent eines jüdischen Staates, sei Verrat an den Märtyrern und Kapitulation. Ganz Palästina stehe auch zukünftig allen Muslimen zu, so dass keine Palästinensergeneration Teile davon aufgeben dürfe. Das schloss alle Verhandlungen mit Israel kategorisch aus und war eine Kampfansage an die PLO. (1)

Damit waren wesentliche Grundlagen bereits gelegt, wie sie sich bis heute auf Palästina-Demos in westlichen Staaten in Parolen wie „From the River tot he Sea, Palestine will be free!“ ausdrücken. Und dementsprechend haben in den letzten Monaten etwa in Wien ganze Gruppen auf Arabisch skandiert: „Chaibar, Chaibar, oh ihr Juden, die Armee Mohammeds wird wiederkommen!“ Für moderne Europäer mögen Ereignisse wie in Chaibar alte Geschichten sein. Für traditionelle Islamgläubige ist das anders. Sie werden in Moscheen und Vereinen intensiv mit dem Koran und der Lebensgeschichte Mohammeds vertraut gemacht. (2)

Die Charta der Hamas

Zusammengefasst und auf den Punkt gebracht wurde die Ausrichtung der Hamas dann ebenfalls im August 1988 in ihrer berühmt-berüchtigten Charta, also ihrer Grundsatzerklärung. In der Präambel heißt es bereits: „Israel existiert und wird weiter existieren, bis der Islam es ausgelöscht hat, so wie er schon andere Länder vorher ausgelöscht hat.“ In Artikel 6 wird erklärt, die islamische Widerstandsbewegung strebe „danach, das Banner Allahs über jedem Zentimeter Palästinas zu entfalten“.

In Artikel 7 findet sich ein Hadith, also einer der überlieferten Aussprüche aus dem Leben Mohammeds, die neben dem Koran als Quelle des Islam gelten. In diesem Hadith heißt es: „Die Stunde wird kommen, da die Muslime gegen die Juden solange kämpfen und sie töten, bis sich die Juden hinter Steinen und Bäumen verstecken. Doch die Bäume und Steine werden sprechen: ‚Oh Muslim, oh Diener Allahs, hier ist ein Jude, der sich hinter mir versteckt. Komm und töte ihn!‘“ (3)

Artikel 11 erklärt Palästina zum heiligen islamischen Besitz, von dem nichts abgetrennt werden darf. Der Dschihad zur Befreiung Palästinas sei, so Artikel 13 und 15, die heilige Pflicht jedes Muslims. Alle Verhandlungen mit Israel werden ausgeschlossen und die Re-Islamisierung Palästinas gegen die „geistige Invasion“ des Westens propagiert. Nach Artikel 17 und 18 sollen auch Frauen und Mädchen zu Dschihad-Kämpferinnen erzogen werden.

Wie schon Sayyid Qubt, der Vordenker der Muslimbruderschaft, argumentiert auch die Charta der Hamas explizit mit den berüchtigten „Protokollen der Weisen von Zion“. Artikel 22 beschreibt ein angebliches Weltjudentum und führt unter anderem beide Weltkriege und die UNO darauf zurück. Bereits in den „Protokollen“ stehe, dass sich ein Bündnis des Zionismus mit dem Kolonialismus immer mehr muslimische und arabische Länder einzuverleiben; der Zionismus wolle sich vom Nil bis an den Euphrat ausdehnen. (4)

Insgesamt ist die Hamas-Charta ein Gegenentwurf zur Nationalcharta der PLO von 1968. Die Charta ist seitdem die Richtschnur der Hamas-Politik und dabei kein isoliertes Dokument.

Weitere Positionierungen

In einem Flugblatt von Oktober 1990 wurde die Hamas noch deutlicher: „Jeder Jude ist ein Siedler, und es ist unsere Pflicht, ihn zu töten.“ Und der Hamasprediger Yunis al-Astal schloss 2014 auf Al-Aqsa TV ein Lebensrecht für Juden in Palästina und religiöse Toleranz für andere Juden unter muslimischer Herrschaft aus: „Wir müssen [die Juden] massakrieren […], um sie daran zu hindern, Verderben in der Welt zu säen […]. Wir müssen sie in den Zustand der Demütigung zurückversetzen, der ihnen auferlegt wurde […]. Sie müssen die Dschizya-Sicherheitssteuer zahlen, während sie in unserer Mitte leben […]. Allerdings, in Palästina, wo sie Besatzer und Eindringlinge sind, können sie nicht den Status von Dhimmis haben.“ (5)

Ein Strategiepapier der Hamas vom Mai 2017 bekräftigte die Ideologie und Ziele der Charta, nannte aber auch einen Staat Palästina „in den Grenzen von 1967“ als „nationalen Konsens“. Einige Medien interpretierten das Papier als Anerkennung Israels und als Abkehr von der Charta, dem widersprachen allerdings nicht nur Historiker und Politikwissenschaftler, die sich genauer mit der Hamas beschäftigten, sondern auch die Hamasführung betonte, das Papier ersetze die Charta nicht.

Die Hamas bestritt – wie ihre ägyptische Mutterorganisation – wiederholt, dass es den Holocaust gegeben habe. Anfang 2000 wurde in einem Hamas-Text der Massenmord der Nazis an den europäischen Juden als zionistische Geschichtsfälschung bezeichnet. 2003 nannte der Hamasführer Abd al-Aziz ar-Rantisi den Holocaust eine Lüge und zionistische Propaganda. 2009 schrieb die Hamas an die UNRWA, sie lehne es ab, „dass unsere Kinder eine Lüge lernen sollen, die von den Zionisten erfunden wurde“. Die UNRWA erklärte dazu, der Holocaust komme im Schulmaterial der rund 200.000 Palästinenserkinder im Gazastreifen aktuell ohnehin nicht vor. (6) Gleichzeitig war die arabische Ausgabe von Adolf Hitlers „Mein Kampf“ im Gazastreifen – ebenso wie in Ägypten – ein erfolgreicher Longseller.

Ungläubige im Islam

Die Ideologie von Hamas und Muslimbrüdern ist manchen aktuellen Aspekten angepasst, in ihren grundlegenden Zügen aber tief im Islam und seiner Geschichte verwurzelt. Grundlegend werden im Islam, von Mohammed und dem Koran ausgehend, Menschen in zwei Kategorien eingeteilt, nämlich in Gläubige und Ungläubige. Bereits 1854 schrieb Karl Marx:

„Der Koran und die auf ihm fußende muselmanische Gesetzgebung reduzieren Geographie und Ethnographie der verschiedenen Völker auf die einfache und bequeme Zweiteilung in Gläubige und Ungläubige. Der Ungläubige ist ‚harby‘, d.h. der Feind. Der Islam ächtet die Nation der Ungläubigen und schafft einen Zustand permanenter Feindschaft zwischen Muselmanen und Ungläubigen“ (7).

Gläubige Muslime sind verpflichtet, den Islam, der im Wortsinn ja „Unterwerfung“ unter Gott bedeutet, auf alle Menschen auszubreiten. Gut ist in dieser Logik alles, was diesen Prozess fördert, explizit auch Raub, Gewalt und Betrug gegenüber Ungläubigen, die sich durch ihren Starrsinn diese Dinge selbst zuzuschreiben hätten. Die Gläubigen wiederum werden für ihre Bemühungen durch ein sehr weltlich beschriebenes Paradies und durch ein Anrecht auf Beute im Diesseits belohnt – schließlich gehört nach islamischer Sicht die ganze Welt Allah und die Ungläubigen haben ihren Besitz Allah gestohlen.

Während der Islam für Polytheisten oder Atheisten rundweg Tod oder Versklavung vorsah, durften Anhänger der „Buchreligionen“, also Juden und Christen, unter islamischer Herrschaft weiterleben. Sie mussten dafür aber die Dhimma akzeptieren, einen untergeordneten Rechtsstatus, der nicht nur die Bezahlung einer Sondersteuer, der Dschizya, beinhaltete, sondern auch die Chancenlosigkeit in gerichtlichen Auseinandersetzungen mit Muslimen, das Verbot von Gegenwehr gegen muslimische Gewalttäter und zahllose systematische Demütigungen im Alltag. Der so erzeugte Leidensdruck sollte die Bekehrung zum Islam fördern und tat es auch.

Dazu kam, dass der Islam seit Mohammed und der anfänglich isolierten Position seiner Anhänger ein starkes Element der demografischen Expansion beinhaltete. Beispielsweise erlaubt der Islam, dass Muslime ungläubige Frauen heiraten, da durch die Vorherrschaft des Mannes die Kinder Muslime werden. Umgekehrt ist es muslimischen Frauen strikt verboten, ungläubige Männer zu ehelichen, da die Kinder dann für die islamische Umma (= Gemeinschaft) verloren wären. Dazu kam in Ländern, die im Zuge der jahrhundertelangen islamischen Expansion erobert wurden, das weit verbreitete Phänomen des Frauenraubes, das die bisherigen christlichen Mehrheiten in Nordafrika und im Nahen Osten systematisch schwächte, die Muslime demografisch stärkte und die Gebiete zunehmend islamisierte (8).

Judenhass im frühen Islam

Schon die Teile des Korans, die in Mekka verfasst wurden, prophezeien den Ungläubigen grausame Strafen. Die späteren, in Medina verfassten Abschnitte, wenden sich dann auch konkreter gegen Christen und Juden. Dabei richten sich von den 24 Suren acht gegen Christen, elf gegen Juden — und dabei sind die judenfeindlichen deutlich ausführlicher (9).

Diese Gewichtung könnte überraschen, stehen sich doch Islam und Judentum in ihrem kompromisslosen Monotheismus und als strenge Gesetzesreligionen mit teilweise gleichen Geboten im Alltagsleben näher als dem Christentum. Dass Mohammed besonders die Juden ins Visier nimmt, kann mit der historischen Situation auf der arabischen Halbinsel im frühen 7. Jahrhundert erklärt werden. Während Christen auf der Halbinsel verstreut lebten, siedelten Juden dort als ganze Stämme und waren somit ein relevanterer Gegner für den entstehenden Islam. Jüdische Rabbiner hatten sich außerdem über Bildungslücken Mohammeds lustig gemacht, was bei einem Mann mit seinem Sendungsbewusstsein wohl nicht gut angekommen sein dürfte. (10)

In der Folge wurden im Jahr 624 die jüdischen Stämme der Nadir und Qaynuqa ihres Eigentums beraubt und vertrieben. 627 ließ Mohammed den noch verbliebenen jüdischen Stamm der Qurayza vernichten. In einem zweitägigen Massaker wurden 600 bis 700 Männer exekutiert und die Frauen und Kinder in die Sklaverei verkauft, wobei Mohammed die 18-jährige Rayhana Bint Zayd für sich selbst sicherte.

Legitimiert wurde das Vorgehen gegen die jüdischen Stämme damit, dass sie sich „Allah und seinem Gesandten widersetzten“. Außerdem wirft der Koran den Juden vor, sie hätten den Bund mit Gott gebrochen, sie seien von Gott abgefallen. Die jüdische Heilsgeschichte, die selbstkritisch die Treue des Volkes Israel gegenüber Gott thematisiert, wird von Mohammed zu einer Anklage gegen die Juden umgedreht und ihnen sogar noch Überheblichkeit vorgeworfen. Und während er den Christen nur unterstellte, die heilige Schrift falsch zu verstehen, lastete er den Juden, die im Koran auch schon mal als „Affen“ und „Schweine“ bezeichnet werden, die „Fälschung“ derselben an (11).

Judenfeindliche Leitlinien

Das Problem bei der Sache liegt nun auch darin, dass der Islam keine historisch-kritische Lesart des Korans und der Hadithe kennt. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass Allah seinem Propheten Mohammed die Suren wortwörtlich so diktiert hat, wie sie geschrieben stehen.

Außerdem gilt der Koran als vollkommen und Inbegriff des relevanten Wissens und darüber hinaus das Leben Mohammeds und seine Aussprüche als vorbildlich für alle Muslime. Dementsprechend wurden die beschriebene Einschätzung der Juden und der Umgang mit ihnen über Jahrhunderte den Islamgläubigen als Leitlinien vorgegeben. (12)

Und dementsprechend gestaltete sich die Lage der Juden unter islamischer Herrschaft seit dem 7. Jahrhundert. Die von islamophilen Europäern oftmals behauptete harmonische Koexistenz von Juden und Muslimen in der arabischen Welt war immer schon ein orientalistisches Märchen.

Juden waren wie Christen der Dhimma unterworfen, durften ihre Religion nur diskret ausüben, mussten sich gegenüber „Rechtsgläubigen“ stets ehrerbietig zeigen und besondere Kleidung tragen, die sie für die Herrschenden sofort identifizierbar machte; im islamisch beherrschten Sizilien war das ein gelber Fleck auf der Kleidung.  Juden durften keine edlen Reittiere benutzen, keine Waffen besitzen und keine höheren Häuser bauen als Muslime. Ihre Aussagen waren vor Gericht nicht zugelassen und sie mussten in muslimischen Vierteln barfuß gehen, um damit ihre Nichtswürdigkeit zu bezeugen (13).

„Volksklasse“ und Pogrome

Trotz dieser systematischen Unterdrückung waren Juden — aufgrund ihrer Erfahrung im Handel und ihrer vergleichsweise guten Bildung — im islamischen Raum oftmals ökonomisch erfolgreich. Islamische Herrscher benutzten sie häufig als ökonomische Fachleute, als kooperierende Unternehmer und als Beamte, die aufgrund ihrer Kenntnisse manchmal weit aufstiegen. Die Juden nahmen auch in Nordafrika und im Nahen Osten die Rolle einer „Volksklasse“ ein, also einer ethnischen Gruppe, die eine bestimmte ökonomische Funktion und in ihrem Bereich bedeutendes Gewicht innehatte. (14)

Im Fall von Revolten der muslimischen Bevölkerung wurde der Unmut dann — ähnlich wie im europäischen Mittelalter — oft gegen die „einflussreichen“ Juden gelenkt und es kam in regelmäßigen Abständen zu Plünderungen und blutigen Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung.

Friedrich Engels schrieb 1894 über die wiederholten „religiösen Aufstände der muhammedanischen Welt“:

„Der Islam ist eine auf Orientalen, speziell Araber zugeschnittene Religion, also einerseits auf handel- und gewerbetreibende Städter, andrerseits auf nomadisierende Beduinen. Darin liegt aber der Keim einer periodisch wiederkehrenden Kollision. Die Städter werden reich, üppig, lax in Beobachtung des ‚Gesetzes‘.

Die Beduinen, arm und aus Armut sittenstreng, schauen mit Neid und Gier auf diese Reichtümer und Genüsse. Dann tun sie sich zusammen unter einem Propheten, einem Mahdi, die Abgefallnen zu züchtigen, die Achtung vor dem Zeremonialgesetz und dem wahren Glauben wiederherzustellen und zum Lohn die Schätze der Abtrünnigen einzuheimsen.

Nach hundert Jahren stehn sie natürlich genau da, wo jene Abtrünnigen standen: eine neue Glaubensreinigung ist nötig, ein neuer Mahdi steht auf, das Spiel geht von vorne an. So ist’s geschehn von den Eroberungszügen der afrikanischen Almoraviden und Almohaden nach Spanien bis zum letzten Mahdi von Chartum, der den Engländern so erfolgreich trotzte. (…)

Es sind alles religiös verkleidete Bewegungen, entspringend aus ökonomischen Ursachen; aber, auch wenn siegreich, lassen sie die alten ökonomischen Bedingungen unangerührt fortbestehen. Es bleibt also alles beim alten, und die Kollision wird periodisch. In den Volkserhebungen des christlichen Westens dagegen dient die religiöse Verkleidung nur als Fahne und Maske für Angriffe auf eine veraltende ökonomische Ordnung; diese wird schließlich gestürzt, eine neue kommt auf, die Welt kommt vorwärts“ (15).

Muslimischer Niedergang

Beginnend mit der Renaissance, bei der Gelehrte aus Konstantinopel eine wichtige Rolle spielten, die nach dem Fall der Stadt 1453 vor den Osmanen geflohen waren, modernisierte sich Europa ab der frühen Neuzeit durch Auseinandersetzungen auf verschiedenen Ebenen. Demgegenüber blieb die islamische Welt immer mehr zurück, war festgefahren in ihren alten Strukturen. Etliche Autoren, wie etwa Thilo Sarrazin, führen diese Stagnation auch auf den Islam selbst zurück, dessen Fixierung auf die auswendig gelernten Dogmen des Korans Neugier, Wissenschaftlichkeit und Innovation verhindere (16).

Jedenfalls geriet der über lange Zeit expansive islamische Raum gegenüber den europäischen Staaten zunehmend in die Defensive. Als die Piraten- und Sklavenstaaten der muslimischen Korsaren in Nordafrika immer mehr geschwächt wurden, sich Franzosen und Briten im 19. Jahrhundert dort immer mehr festsetzten und teilweise die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz proklamierten, fanden sie unter den unter islamischer Herrschaft drangsalierten Juden Unterstützer.

Umgekehrt „rächten“ sich Muslime nach Niederlagen gegen europäische Armeen immer wieder durch Pogrome an der jüdischen Bevölkerung. Die Mehrheit der Muslime verstand es als Zumutung, Beleidigung und Angriff auf den Islam, dass Juden dieselben Rechte haben sollten wie „Rechtsgläubige“ (17).

Völkermord und Sklaverei

Schließlich hat die muslimische Welt eine Inszenierung als armes Opfer kultiviert. Hamed Abdel-Samad sieht Wurzeln dafür bis in eine kranke Psychostruktur des Religions- und Staatsgründers Mohamed zurückreichen (18).

Jedenfalls waren es die muslimischen Eliten annähernd 1200 Jahre lang gewohnt, als Herrscher aufzutreten. Die arabisch-islamische kriegerische Expansion bedeutete die brutale Unterwerfung und Unterdrückung diverser Völker von Zentralasien bis zu den Berbern in Nordafrika. Dabei wurden zig Millionen Hindus, Buddhisten, Christen und Anhänger afrikanischer Naturreligionen ermordet. Ungläubige wurden unter islamischer Herrschaft wie beschrieben drangsaliert, ausgeplündert und ihrer Töchter beraubt, ihre Länder zunehmend islamisiert (19).

Der islamische Sklavenhandel führte zur Verschleppung von etwa fünf Millionen Menschen aus Europa, vier Millionen aus Asien, vor allem aus Indien und den Philippinen, und 17-20 Millionen aus „Schwarzafrika“ in die arabischen Kerngebiete. In den schwarzafrikanischen islamischen Sultanaten wurden – über 1300 Jahre verteilt – etwa 53 Millionen Menschen von anderen afrikanischen Völkern geraubt und zur Arbeit gezwungen. Beim Widerstand dieser Völker gegen islamischen Sklavenraub dürften mindestens 15 Millionen Menschen umgebracht worden sein (20).

Islamische Herrschaftskultur

Beendet wurde dieser Horror dadurch, dass europäische Mächte wie England, Frankreich und Deutschland sowie die USA Ende des 19. Jahrhunderts weltweit die Abschaffung der Sklaverei durchgesetzt haben, teilweise gegen erbitterten Widerstand islamischer Herrscher, von Westafrika bis in den Sudan. Dort war der radikal-islamische Mahdi-Aufstand 1881 bis 1899 ganz wesentlich ein Aufstand zur Beibehaltung der Sklaverei – ebenso wie die Rebellion der muslimischen Sklavenhändler in Sansibar gegen die deutschen Kolonialisten, die die Sklaverei beendeten.

Die türkisch-osmanische kriegerische Expansion wiederum bedeutete die Vernichtung der ursprünglichen Völker in Anatolien, die Unterdrückung der Völker auf dem Balkan sowie die Versklavung und Verschleppung von Millionen Menschen von dort. Der türkische Nationalismus führte zu einer Vernichtungspolitik gegen die Armenier. Und in dieser Tradition steht auch die Vertreibung von 1,2 Millionen Griechen aus ihre jahrtausendealten Siedlungsgebieten in Kleinasien – im Jahr 1922, nach brutalsten türkischen Massakern an mindestens 500.000 Griechen, die sehr stark dem ähneln, wie die Hamas zuletzt in israelischen Siedlungen wütete.

Viele Jahrhunderte lang expandierte der Islam, entwickelte sich eine Herrschaftskultur der muslimischen Eliten und auch in der einfachen Bevölkerung eine Haltung, etwas Besseres zu sein als die minderwertigen Ungläubigen. Da die islamische Ökonomie, zurückgehend auf die Tradition der arabischen Stämme, sehr stark auf Raub basierte, waren diese Regionen aber vergleichsweise unproduktiv und fielen in der gesellschaftlichen Entwicklung immer weiter zurück.

Das Ergebnis war, dass die meisten islamischen Gebiete von fortschrittlicheren Ländern, insbesondere von Großbritannien und Frankreich, die ihre eigenen imperialistischen Ziele verfolgten, kolonialisiert wurden. Und nach dem Ersten Weltkrieg wurde auch noch das Osmanische Reich deutlich verkleinert, nämlich auf das türkische Kernland sowie kurdische, armenische und griechische Siedlungsgebiete. Das war für die herrschaftsgewohnte und hochmütige islamische Welt, die bisher andere erobert und kolonialisiert hatte, ein Trauma.

Muslimische Opfer-Inszenierung

Diese Entwicklung ist seitdem der Stoff für die Inszenierung der Muslime als arme Opfer. Ebenfalls dafür herangezogen werden die Kreuzzüge, die als christliche Aggression gegen die muslimische Welt dargestellt werden, wofür die Europäer ständig Abbitte leisten sollen. In größerer historischer Perspektive ist eine solche Darstellung unhaltbar, denn die Kreuzzüge des Mittelalters waren letztlich eine Defensivmaßnahme, eine Reaktion auf die drei vorangegangenen Jahrhunderte islamischer Expansion, auf die arabische Okkupation und Islamisierung von bislang christlichen Regionen.

Die muslimische Opfer-Inszenierung wurde jedenfalls immer mehr zu einem moralischen Angriff gegen die Europäer und fand in immer größeren Teilen der westlichen Welt offene Türen vor. Nämlich deshalb, weil im Westen die vorherige arrogante Selbstüberhöhung zunehmend in dekadenten Selbsthass umschlug, ideologisch begleitet von „postcolonial studies“, von „critical whiteness“ und schließlich einem offiziellen „Antirassismus“, der jede Kritik an Nichtweißen und außereuropäischen Kulturen auf geradezu religiöse Weise tabuisiert. (21)

Jedenfalls steht das mörderische Agieren des „Islamischen Staates“ in Syrien oder dem Irak und das der Hamas in israelischen Dörfern in einer langen Tradition – in der Tradition Mohammeds Säuberung der arabischen Halbinsel von Ungläubigen und insgesamt der islamischen Expansion von der arabischen Halbinsel nach Norden, Westen und Süden.

Unter der der Unterwerfung folgenden islamischen Herrschaft in Nordafrika und im Nahen Osten waren besonders die Juden sehr oft grausamen Pogromen ausgesetzt. Wenn 80 Prozent der aufgefundenen israelischen Toten nach dem Massaker am 7. Oktober Folterspuren aufweisen, dann sind das genau die Methoden, die über Jahrhunderte bei muslimischen Pogromen gegen Juden angewandt wurden — deren Schilderungen man, wenn man das aushalten kann, in Nathan Weinstocks Buch „Der zerrissene Faden“ nachlesen kann. (22)

Literatur

(1) Joseph Croitoru: Hamas. Auf dem Weg zum palästinensischen Gottesstaat. Beck, München 2010

(2) https://www.manova.news/artikel/umkampftes-israel-2

(3) https://www.manova.news/artikel/umkampftes-israel und https://www.manova.news/artikel/antisemitismus-neu-gesehen-5

(4) https://www.manova.news/artikel/umkampftes-israel und https://www.manova.news/artikel/umkampftes-israel-3

(5) https://www.manova.news/artikel/umkampftes-israel und https://www.mena-watch.com/missbrauch-der-holocausterinnerung/

(6) https://www.spiegel.de/politik/ausland/gaza-streifen-hamas-will-schuelern-holocaust-verschweigen-a-645935.html

(7) Karl Marx: Zur Geschichte der orientalischen Frage, MEW 10, S. 170; siehe auch: http://www.mlwerke.de/me/me10/me10_168.htm

(8) Diese Entwicklungen und Mechanismen konnten hier nur angerissen werden. Genauer beschrieben und analysiert werden sie unter anderem in diesen informativen und lesenswerten Arbeiten von zwei politisch sehr unterschiedlichen Autoren in sehr unterschiedlichen Stilen: a) dem linken Islamkritiker Hartmut Krauss: Der Islam als grund- und menschenrechtswidrige Weltanschauung, Osnabrück 2013, b) dem ehemals marxistischen und nunmehr neurechten Autor Manfred Kleine-Hartlage: Das Dschihadsystem. Wie der Islam funktioniert, Gräfelfing 2010

(9) Gegen Christen richten sich die Suren 2, 3, 4, 5, 9, 57, 61 und 98, gegen Juden die Suren 2, 3, 4, 5, 9, 57, 58, 59, 61, 62 und 98.

(10) https://www.manova.news/artikel/antisemitismus-neu-gesehen-5

(11) Siehe zu diesen Thematiken unter anderem Hans-Peter Raddatz: Allah und die Juden – Die islamische Renaissance des Antisemitismus, Berlin 2007 sowie Hartmut Krauss: Die Juden im Kontext der islamischen Ungläubigenfeindlichkeit, in: Eric Angerer / Ronald Bilik / Hartmut Krauss: Judenfeindlichkeit – Ideologische Wurzeln und gegenwärtige Erscheinungsformen, Osnabrück 2022

(12) https://www.manova.news/artikel/antisemitismus-neu-gesehen-5

(13) Land für Land nachgezeichnet werden diese Zustände in dem ausgesprochen informativen Buch von Nathan Weinstock: Der zerrissene Faden – Wie die arabische Welt ihre Juden verlor, Freiburg / Wien 2019

(14) Siehe zu dieser Analyse: Abraham Leon: Die jüdische Frage. Eine marxistische Darstellung, Essen 1995

(15) Friedrich Engels: Zur Geschichte des Urchristentums, MEW 22; siehe auch: http://www.mlwerke.de/me/me22/me22_447.htm

(16) Thilo Sarrazin: Feindliche Übernahme: Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht, München 2018

(17) https://www.manova.news/artikel/antisemitismus-neu-gesehen-5

(18) Hamed Abdel-Samad: Mohamed – eine Abrechnung, München 2015

(19) Siehe auch: Bat Ye´or: Der Niedergang des orientalischen Christentums unter dem Islam, Gräfeling 2005

(20) Wer über die Sklaverei in Afrika und in Nordamerika mehr wissen will als die oberflächlichen „antirassistischen“ Phrasen, dem sei – je nach Sprachkenntnissen – folgende Literatur empfohlen: Ralph Austen: African Economic History, London 1987, Ralph Austen: The trans-saharan slave trade, New York 1979, Humphrey Fisher: Slavery in the History of Muslim Black Africa, London 2001, Egon Flaig: Weltgeschichte der Sklaverei, München 2009, Robert Fogel / Stanley Engermann: Time on the Cross: The Economics of American Negro Slavery, Boston 1974, Patrick Manning: Slavery and African Life, Cambrigde 1990, Jochen Meissner / Ulrich Mücke / Klaus Weber: Schwarzes Amerika, München 2008, Olivier Pétré-Grenouilleau: Les traites négrieres, Paris 2004

(21) https://www.manova.news/artikel/antisemitismus-neu-gesehen-6

(22) Nathan Weinstock: Der zerrissene Faden – Wie die arabische Welt ihre Juden verlor, Freiburg / Wien 2019

 

 

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Eric Angerer, Jahrgang 1974, ist Historiker, Sportlehrer und freier Journalist. Der begeisterte Alpinist war zuletzt in der Bewegung gegen das Corona-Regime aktiv.