Franz Lambert im Interview: Gibt es etwas, das Sie Helmut Kohl vor seinem Tod noch gerne gesagt hätten?

Welche Bedeutung hat Helmut Kohl für Sie?

Ich denke, dass Helmut Kohl mir vom Himmel aus nicht widerspricht, wenn ich sage, dass wir musikalische Freunde waren. Von der ersten Begegnung an passte die sprichwörtliche Chemie, oder lieber mit einem Begriff aus der Musik gesagt: die Harmonie. Er mochte meine Musik und mein Instrument, die Orgel. Das gilt aber auch für seine erste Frau Hannelore, die selber auch Orgel spielte. In Fernsehdokumentationen über Helmut und Hannelore Kohl wird oft eine Szene gezeigt, in der sie zuhause in ihrem Haus in Ludwigshafen an einer Orgel sitzt, während er ihr beim Spielen über die Schultern schaut. Vielleicht hat Hannelore Kohl deshalb auch einen Anteil dazu beigetragen, dass Helmut Kohl mich für seine Bonner „Kanzlerfeste“ engagierte und damit eine Tradition seiner Vorgänger Willy Brandt und Helmut Schmidt fortsetzte, für die meine Orgel und ich auch regelmäßig vor tausenden Gästen auftreten durften. Als die Kohls und ich uns persönlich kennenlernten, war ich schon viele Jahre mit Konzerttourneen unterwegs, Gast in Fernsehsendungen und hatte diverse LPs veröffentlicht – doch Helmut Kohl hat mir als Musiker noch viele weitere Türen geöffnet.

Was schätzten Sie besonders an Helmut Kohl?

Ich habe Helmut Kohl ja nicht nur aus der Ferne als Politiker im Fernsehen erlebt, als den damals gefühlt ewigen Kanzler, der unser aller Leben über viele Jahre begleitete und beeinflusste. Sondern ich hatte das Glück, ihn auch von einer ganz anderen, ganz persönlichen Seite kennenzulernen. In beiden Fällen beeindruckte mich, egal ob man nun immer seiner Meinung gewesen sein mag oder ob alles richtig war, seine Standfestigkeit, wenn es darum ging, Überzeugungen und Haltungen zu vertreten. Sein Stehervermögen, sein starker Wille. Er stand für etwas ein. Und nicht nur für „etwas“, sondern auch für Menschen. Freundschaften waren für ihn nicht nur Worte. Freunde konnten sich auf Helmut Kohl verlassen. Da war er auf so angenehme Weise altmodisch und bodenständig. Auch beim vollsten Terminkalender vergaß er nicht, zu besonderen Anlässen ein paar persönliche, oft handgeschriebene Zeilen zu schicken, die auch mich und meine Familie immer wieder erreichten. Auch als international anerkannter Staatsmann blieb er dem Pfälzer Saumagen und seinem Lieblingslokal „in der Provinz“, dem Deidesheimer Hof, treu. Hierher, in seine Heimat, in seine Wohlfühlwelt, holte er auch so manchen Staatsgast „weg von rotem Teppich und Protokoll“ – und begründete auf diese Weise so manche Freundschaft, was später auf der politischen Ebene nicht selten half, Probleme zu lösen. Ganz selbstverständlich feierte Helmut Kohl hier aber auch private Familienfeste, zu denen ich dann mit meiner Orgel die musikalische Umrahmung bieten durfte, auch als er schon lange nicht mehr Kanzler war. So habe ich Helmut Kohl auch als einen Menschen kennengelernt, wie man ihn aus dem Fernsehen nicht kannte: sehr empfindsam und mit großer Herzenswärme für die Musik. Egal, wo ich mit meinem Instrument aufgetreten bin, ob bei CDU-Parteitagen, beim jährlichen Ball des Sports, auf den Bundeskanzlerfesten, bei privaten Familienfeiern oder im Kanzler-Bungalow in Bonn – die Journalisten von Presse, Radio und Fernsehen und ich wussten, dass er irgendwann an dem Abend zu mir kommt und neben mir auf meiner Orgelbank Platz nimmt. Denn so war es immer. Er sagte dann: „Franz, spiel mal ….“ Und es folgte stets ein kleines Wunschkonzert. Seine Lieblingsmelodien kannte ich im Laufe der Jahre natürlich. Und je nachdem, welche Lieder er gerade hören wollte, konnte ich in seine Gefühlswelt einblicken: Moonlight Serenade, In the Mood, Il Silenzio, Ein Jäger aus Kurpfalz, die Caprifischer – vom leicht traurig-sentimental klingenden Moll bis zum heiteren Dur war alles dabei. Wie bei jedem von uns auch …

Welchen Stellenwert hat Helmut Kohl in der Deutschen / europäischen Geschichte?

Ich glaube, man muss kein Historiker oder studierter Politologe sein um anzuerkennen, dass Helmut Kohl zu seiner Zeit der richtige Mann im richtigen Moment war. Gerade mit seiner besonderen Art, international Politik zu machen. Er verstand und vermochte es oft, Politik auf eine zwischenmenschliche und vertrauensvolle Ebene zu heben, persönliche Beziehungen und echte Freundschaften zu Regierungschefs und Präsidenten aufzubauen und zu pflegen. Eine Fähigkeit, die Menschen und – auf dieser Ebene – auch Völker zusammenführen kann. Um es musikalisch zu sagen: Helmut Kohl nutzte seine Rolle als deutscher Dirigent, um auf der großen internationalen Bühne (genau wie hinter dem Vorhang) Harmonie und Wohlklänge zu erzeugen. Auch, weil in seinem inneren Liederbuch immer auch eine europäische Melodie mitklang. Als geschichtsbewusstem Patrioten war für Helmut Kohl „Einigkeit und Recht und Freiheit“ als unsere Nationalhymne immer genauso wichtig wie „Freude schöner Götterfunken“ als Hymne Europas. Diese Melodie von Beethoven hat er sich übrigens auch oft von mir gewünscht, wenn wir zusammentrafen und er neben mir auf meiner Orgelbank saß. Das von ihm zutiefst als zusammenhängend empfundene Duo, Deutschland und Europa, und das daraus gewachsene Vertrauen gegenüber Deutschland hat gegen manche Widerstände die Vollendung der Deutschen Einheit erst ermöglicht. Und für sie wird Helmut Kohl sicher – auch hier eine Anleihe aus der Musik – zu den großen Politik-Komponisten gezählt und in der ewigen Kanzler-Hitparade weit oben stehen. Ich weiß von meinen vielen Auftritten im nahen und fernen Ausland, dass er international sehr geschätzt und geachtet war, ein wahrlich erfolgreicher Botschafter Deutschlands und leidenschaftlicher Verfechter der europäischen Freundschafts- und Friedens-Idee, der aus guten Gründen als „Ehrenbürger Europas“ ausgezeichnet wurde. Denn Helmut Kohl war zu Recht davon überzeugt, dass Freundschaften Vertrauen schaffen und Brücken bauen, im Kleinen wie im Großen, im Persönlichen wie in der Politik, zwischen Menschen und zwischen Nationen – genau wie die Musik es kann.

An welche Begegnung mit Helmut Kohl erinnern Sie sich besonders gerne zurück?

Eigentlich war jede Begegnung mit ihm beeindruckend. Nicht nur, weil er nun mal der Bundeskanzler war und ihn der Nimbus dieses herausgehobenen, historischen Amtes begleitete. Dieser Mann füllte Räume, in dem Moment, in dem er sie betrat. Und das lag nicht nur an seiner imposanten Körpergröße. Es war seine Ausstrahlung, seine authentische Art. Während er im Fernsehen immer irgendwie ungelenk wirkte, war er im persönlichen Erleben locker, direkt und spontan. Besonders in Erinnerung ist mir eine Gala in Leipzig, bei der Helmut Kohl mich Michail Gorbatschow vorstellte. Dabei empfahl er dem weltberühmten russischen Gast: „Wenn Du mal ein besonderes Fest in Moskau feierst, musst Du unbedingt den Franz Lambert engagieren.“ Ein Jahr später spielte ich bei einer privaten Veranstaltung für Gorbatschow und seine Tochter. Nicht nur berühmte russische Melodien, sondern auf persönlichen Wunsch des ehemaligen Kreml-Chefs auch „Wind of Change“. Die Rockballade der „Scorpions“, die vor über dreißig Jahren den Fall des Eisernen Vorhangs, der Europa und die Welt teilte, begleitete …

Gibt es etwas, das Sie ihm vor seinem Tod noch gerne gesagt hätten?

Dass ich ihm sehr dankbar bin für seine wirklich langjährige musikalische Freundschaft. Da meine Sprache sich aber eher in Noten ausdrückt, würde ich Helmut Kohl die letzten Worte eigentlich lieber mit meinem Instrument spielen, zum Beispiel mit einem Lied, das Peter Alexander berühmt gemacht hat und das Abschied zugleich mit Hoffnung verbindet – passend zu Helmut Kohl und auch mir als gläubige Christen: „Dankeschön, es war bezaubernd. Dankeschön, wenn wir auch auseinander geh’n gibt’s doch ein Wiederseh’n. Dankeschön, Sie war’n bezaubernd nett zu mir. Das bleibt mein schönstes Souvenir – bis wir uns wiederseh’n“

Franz Lambert

Musiker, Komponist, Organist

Über Aljoscha Kertesz 2 Artikel
Der 1975 geborene Kommunikationsberater Aljoscha Kertesz studierte Betriebswirtschaft und International Relations in Brighton, New York, Wellington und Wuppertal. Seit 1997 schreibt er regelmäßig für Fachzeitschriften und Tageszeitungen, insbesondere über politische Themen in Großbritannien und Irland.