Gallup-Studie: Land der Lustlosen? Noch nie zuvor haben so viele Beschäftigte in Deutschland Dienst nach Vorschrift gemacht

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  • Sinkende Bindung: Zahl der emotional hoch gebundenen Arbeitnehmenden bricht auf einstelliges Rekordtief ein
  • Nachlassende Loyalität: die Hälfte der Beschäftigten (50 %) will in einem Jahr nicht mehr bei ihrem derzeitigen Arbeitgeber sein, nur ein Drittel (34 %) will weitere drei Jahre bleiben
  • Weniger Zuversicht: nur noch 34 Prozent haben uneingeschränkt Vertrauen in die finanzielle Zukunft ihres Arbeitgebers, Vertrauen in Führungskräfte sinkt um 20 Prozentpunkte
  • Studienleiter Marco Nink: „Führungskräfte tun mittlerweile etwas gegen Demotivation, aber nicht genug für Motivation. Das Resultat ist Dienst nach Vorschrift“

Die derzeitigen Krisen schlagen auf die Stimmung der Arbeitnehmenden in Deutschland durch: Emotionale Bindung, Loyalität und Vertrauen in die finanzielle Zukunft des Arbeitgebers sind deutlich eingebrochen. Die hohe emotionale Bindung liegt das erste Mal seit Beginn des Gallup Engagement Index, der seit 2001 jährlich erhoben wird, im einstelligen Bereich (9 %, 2023: 14 %). Gleichzeitig ist auch die Zahl der inneren Kündiger gesunken (13 %, 2023: 19 %). Mit 78 Prozent haben noch nie so viele Beschäftigte in Deutschland Dienst nach Vorschrift gemacht. Die Langzeitstudie Gallup Engagement Index gehört zu den wichtigsten Indikatoren für die Führungskultur und das Arbeitsumfeld in Deutschland.

Bei den Beschäftigten in Deutschland herrscht zunehmende Gleichgültigkeit im Job: Mit 78 Prozent (2023: 67 %) erreicht der Anteil der emotional gering Gebundenen, die Dienst nach Vorschrift machen, einen historischen Höchststand. Gleichzeitig erleben nur noch neun Prozent ein durch gute Führung geprägtes Arbeitsumfeld, das in einer hohen emotionalen Bindung resultiert. Hochgerechnet auf die Erwerbstätigen in abhängiger Beschäftigung in Deutschland entspricht jede Veränderung um einen Prozentpunkt über 390.000 Beschäftigten. Das heißt, dass fast zwei Millionen weniger Arbeitnehmende als im Vorjahr mit Hand, Herz und Verstand bei der Sache waren.

Der Lichtblick: Die Zahl der inneren Kündiger, die letztes Jahr bei fast einem Fünftel (19 %) lag, ist ebenfalls auf den niedrigsten jemals verzeichneten Stand gesunken (13 %). Trotzdem wirken sie sich nicht nur auf Unternehmen, sondern auch auf die Volkswirtschaft negativ aus: Denn die durch sie entstehenden Kosten aufgrund von Produktivitätseinbußen belaufen sich für 2024 auf eine Summe zwischen 113,1 und 134,7 Milliarden Euro.*

„Unternehmen haben es geschafft, innere Kündigung durch gezielte Maßnahmen zu reduzieren

– aber sie haben es nicht geschafft, Motivation zu wecken und zu stärken. Inmitten wirtschaftlicher Unsicherheiten, Transformationsthemen und Personalmangel bleibt Führung oft funktional: Sie zielt darauf ab, Demotivation zu vermeiden und damit unmittelbares Risiko einzudämmen. Diejenigen, die schon hoch gebunden sind, verschwinden bei diesem Ansatz zunehmend vom Aufmerksamkeitsradar. Stattdessen müssen Unternehmen eine kontinuierliche, motivierende Führungskultur schaffen, die zu hoher emotionaler Bindung führt und Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit steigert – und zwar nicht nur in Krisenzeiten“, sagt Marco Nink, Director of Research & Analytics von Gallup EMEA.

Unlust am Job treibt Lust zum Wechsel

Doch nicht nur die emotionale Bindung hat gelitten: Auch die Loyalität der Beschäftigten in Deutschland hat weiter abgenommen. Nur die Hälfte der Befragten (50 %, Vorjahr: 53 %) beabsichtigt uneingeschränkt, in einem Jahr noch bei ihrem derzeitigen Arbeitgeber zu sein. Damit hält der Abwärtstrend der letzten Jahre weiter an, seit 2018 ist der Wert kontinuierlich um insgesamt 28 Prozentpunkte gesunken (2018: 78 %). Bei der mittelfristigen Bleibeabsicht ist die Situation für Unternehmen noch besorgniserregender: Nur 34 Prozent der Beschäftigten haben vor, noch drei Jahre lang bei ihrem aktuellen Arbeitgeber zu bleiben (Vorjahr: 40 %; 2018: 65 %). „Die vorherrschende schwach ausgeprägte emotionale Bindung trägt zur Wechselwilligkeit bei, während sich die Einschätzung des Arbeitsmarktes zunehmend von der wirtschaftlichen Lage entkoppelt“, sagt Marco Nink. „Trotz der zahlreichen schlechten Nachrichten der letzten Monate scheinen die Beschäftigten in Deutschland ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt weiterhin positiv einzuschätzen, was sicherlich auch damit zu tun hat, dass der Arbeits- und Fachkräftemangel täglich zu spüren ist.“

Bestärkt wird die Wahrnehmung der Lage auch durch die wieder zunehmende Aktivität von Talentscouts: Einem Drittel (33 %) der Befragten wurde in den letzten zwölf Monaten ein Job durch eine Headhunterin oder einen Headhunter angeboten (Vorjahr: 25 %) – auch das ist ein neuer Rekordwert. Seit 2010 wird das aktive Recruiting im Gallup Engagement Index nahezu jährlich erfasst (Durchschnitt 2010 bis 2019: 13 %).

Hohe emotionale Bindung zahlt sich aus

Unternehmen können dem Risiko eines Arbeitskräfteverlusts wirksam vorbeugen sowie kurz- und mittelfristige Planungssicherheit schaffen, indem sie Maßnahmen zur Stärkung der emotionalen Bindung ihrer Mitarbeitenden ergreifen. Denn bei den emotional hoch Gebundenen wollen 71 Prozent auch in einem Jahr noch ohne Wenn und Aber bei ihrem Arbeitgeber sein; mittelfristig will über die Hälfte (54 %) bleiben. 70 Prozent der emotional hoch Gebundenen sind aktuell nicht offen für Neues – während 63 Prozent der inneren Kündiger aktiv suchen (23 %) oder sich umschauen (40 %).

Eine weitere spürbare Folge hoher emotionaler Mitarbeiterbindung sind reduzierte Fehlzeiten. Waren Beschäftigte, die sich emotional bereits von ihrem Arbeitgeber verabschiedet haben, 2024 im Schnitt 7,9 Tage pro Jahr krank, reduzierte sich die Fehlzeit bei hoch gebundenen Mitarbeitenden mit 5,0 Tagen deutlich (Beschäftigte mit geringer Bindung: 7,7 Tage). Jeder Fehltag kostet einen Arbeitgeber im Schnitt 330,40 Euro. Wenn ein Unternehmen mit 2.000 Mitarbeitenden die Fehlzeiten auf das Niveau von Beschäftigten mit hoher emotionaler Bindung senken könnte (5 Fehltage pro Jahr), entspräche das einer Kostenersparnis von über 1,6 Millionen Euro.

Vertrauen in Unternehmen und Führungskräfte sinkt ebenso wie die Zufriedenheit

Angesichts der herausfordernden wirtschaftlichen Situation kann das Nutzen von Einsparpotenzialen dabei helfen, finanzielle Stabilität zu ermöglichen. Die allerdings sehen Beschäftigte zunehmend gefährdet: Immer mehr mangelt es an Zutrauen in die finanzielle Zukunft des aktuellen Arbeitgebers. Diese Einschätzung dient als Indikator für die wirtschaftliche Stimmung im Land, da Mitarbeitende unmittelbar wahrnehmen, ob ihr Unternehmen beispielsweise Aufträge gewinnt, investiert oder Stellen ausschreibt. Und dieses Zutrauen ist mit 34 Prozent (Vorjahr: 40 %) so niedrig wie seit der Banken- und Finanzkrise und der daraus resultierenden weltweiten Rezession 2008 (34 %) nicht mehr. Ein knappes Viertel (24 %) ist zwar „äußerst zufrieden“, beim derzeitigen Unternehmen zu arbeiten, aber auch dieser Wert ist gegenüber dem letzten Jahr um sieben Prozentpunkte gesunken (2023: 31 %; 2022: 37 %).

Aber nicht nur das Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens, sondern auch das in die Vorgesetzten hat gelitten. 2019 vertrauten 49 Prozent ihrer Führungskraft uneingeschränkt. Nachdem der Wert im Jahr 2022 auf 41 Prozent gesunken war, ist er jetzt um 20 Prozentpunkte auf 21 Prozent abgestürzt. Darüber hinaus sind nur noch 16 Prozent voll und ganz mit ihrer Führungskraft zufrieden (2023: 22 %; 2022: 25 %). „Vertrauen ist die Grundlage jeder Beziehung. Wenn das Vertrauen in die Führungskraft sinkt, werden ihre Handlungen kritisch hinterfragt. Die Daten deuten auf tiefe Skepsis und ein Empfinden von Entfremdung in weiten Teilen der Arbeitnehmerschaft hin. Damit sich das ändert, ist ein Kurswechsel nötig. Führungskräfte müssen ihre Beschäftigten nicht nur mitnehmen, sondern aktiv zum Mitmachen bewegen. Wer erlebt, dass seine emotionalen Bedürfnisse bei der Arbeit kontinuierlich erfüllt werden, ist eher bereit, auch herausfordernde Wege mitzugehen“, so Marco Nink.

Der Fokus auf Stärken bringt Erfolg

Neben dem Einbinden und Wertschätzen der Mitarbeitenden ist vor allem Stärkenorientierung ein Bestandteil guter Führung. In diesem Punkt scheinen Deutschlands Führungskräfte zugehört und dazugelernt zu haben: Denn 34 Prozent der Befragten sagen, dass sie in den letzten drei Monaten ein gehaltvolles Gespräch über ihre Stärken geführt haben, doppelt so viele wie vor knapp zehn Jahren (2015: 18 %). Befragte, die eine klare Stärkenorientierung erleben, sind achtmal häufiger hoch emotional gebunden als diejenigen, deren Stärken nicht im Fokus stehen. Allerdings berichten derzeit nur 3 von 10 Beschäftigten (30 %), dass ihre Vorgesetzten den Schwerpunkt auf ihre Stärken und positiven Eigenschaften legen.

„Eine Führung, die den Fokus auf Stärken legt, fördert das Selbstvertrauen. Es geht darum die Stärken des Einzelnen zu veredeln und nicht die Schwächen in den Vordergrund zu stellen“, unterstreicht Marco Nink. „Unsere Zahlen zeigen: Mitarbeitende, die ihre Stärken einbringen können, haben deutlich mehr das Gefühl, sie selbst sein und jeden Tag ihr Bestes geben zu können.“

Freud und Leid des Homeoffice

Eine der Herausforderungen dabei kann auch das Remote-Arbeiten sein. Nachdem zahlreiche Arbeitnehmende jetzt auf mehrere Jahre Erfahrung mit dem Homeoffice zurückblicken können, hat sich ihre Einschätzung dieser Arbeitsform zum Teil drastisch geändert. 2021 haben nur sechs Prozent die Aussage „Wenn ich von zu Hause aus arbeite, kann ich effektiv mit meinen Kollegen und Kolleginnen zusammenarbeiten“ kategorisch verneint, jetzt sind es 36 Prozent. Und während 2021 nur 5 Prozent die Teilnahme an Besprechungen vom Homeoffice aus als schwierig eingeschätzt haben, ist der Anteil jetzt auf 20 Prozent gestiegen. Aspekte, die über das Tagesgeschäft hinausgehen, kommen oft zu kurz: 39 Prozent stimmen überhaupt nicht zu, dass sie ausreichend Gelegenheit haben, mit anderen darüber nachzudenken und zu diskutieren, wie man Dinge verbessern kann (2021: 5 %).

Die Befragten sehen Remote-Arbeit allerdings nicht nur negativ: 8 von 10 Beschäftigten (79 %), die teilweise oder vollständig von zu Hause arbeiten, sagen, dass sie dort genauso gut (47 %) arbeiten können wie an ihrem Arbeitsplatz – oder sogar besser (32 %). Ausreichend informiert trotz Homeoffice fühlen sich 57 Prozent (2021: 39 %), als Teammitglied geschätzt fühlen sich 53 Prozent (2021: 48 %). Die Sorge um negative Auswirkungen des Homeoffice auf die eigene Karriere hat radikal abgenommen: Während sich 2021 knapp die Hälfte (47 %) überhaupt keine Gedanken um ihre Entwicklungs- oder Aufstiegsmöglichkeiten gemacht hat, sind es inzwischen sogar 71 Prozent. Auch wenn der Anteil derjenigen, die vollständig von zu Hause aus arbeiten, seit 2021 kontinuierlich gesunken ist (3 %, 2021: 12 %), ist hybrides Arbeiten in vielen Unternehmen das neue Normal. Es gibt allerdings immer wieder Bestrebungen, die Möglichkeit für Homeoffice zu begrenzen, oft mit der Begründung, Neid bei denen zu vermeiden, die nicht ortsunabhängig arbeiten können. Für Beschäftigte hierzulande spielt dieser Grund jedoch keine Rolle: 79 Prozent der Befragten, die ausschließlich vor Ort arbeiten, haben mit diesem Privileg anderer kein Problem.

„Konzentrations- und Routineaufgaben lassen sich gut im Homeoffice erledigen. Doch das Büro bleibt unverzichtbar als Ort des Miteinanders, sowohl für den kreativen Austausch als für das Lösen von Problemen, auch wenn diese Interaktionen in der Regel nur einen kleinen Teil der Arbeitszeit ausmachen“, so Marco Nink. „Für Innovation und die Unternehmenskultur ist es wichtig, sich regelmäßig persönlich zu treffen. Für die Performance allerdings sind gute Führung und der Fokus auf Stärken ausschlaggebend – egal, ob remote, hybrid oder vor Ort. Und das muss das Ziel jedes Unternehmens sein.“

Ergänzende wichtige Kennzahlen

Auswirkungen von emotionaler Bindung auf die Unternehmensleistung:

  • 21 % bis 51 % geringere Fluktuation (51 % bei Unternehmen mit einer niedrigen Fluktuation, 21 % bei Unternehmen mit einer hohen Fluktuation)
  • 78 % weniger Fehlzeiten
  • 63 % weniger Arbeitsunfälle
  • 32 % weniger Qualitätsmängel
  • 10 % bessere Kundenbewertungen
  • 18 % höhere Produktivität (Vertriebskennzahlen)
  • 14% höhere Produktivität (Produktionskennzahlen)

Quelle: Gallup Meta-Analyse von 347 Unternehmen mit 3.354.784 Mitarbeitenden in 53 Branchen und 90 Ländern, Stand: Mai 2024

Zwei Drittel der Befragten (67 %) schätzen den Arbeitsmarkt positiv ein, was einem Minus gegenüber dem Vorjahr entspricht (2023: 71 %). 2022 erreichte der Wert – nach einer Delle im Corona Jahr 2020 – ein historisches Hoch, seitdem die Kennzahl im Jahr 2010 erstmals erhoben wurde (2022: 81 %; 2021: 53 %; 2020: 37 %). Die aktuelle Beurteilung des Arbeitsmarktes liegt leicht unter dem Schnitt der Vor-Corona- Jahre (2019: 73 %; 2018: 72 %). (Quelle: Gallup World Poll Deutschland 2024)

Die Mehrheit der Beschäftigten in Deutschland ist mit ihrer Entlohnung zufrieden. Der Aussage „Von meinem Standpunkt aus gesehen werde ich für die Arbeit, die ich leiste, angemessen bezahlt“ stimmen zwei Drittel der Befragten zu (64 %; 2023: 59 %; 2022: 58 %; Schnitt 2013–2019: 58 %). (Quelle: Engagement Index Deutschland 2024)

* Berechnung auf Basis von Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2024

Ausführliche Informationen und zahlreiche weitere Datenpunkte finden Sie im Report zum Gallup Engagement Index 2024.

Über den Engagement Index Deutschland:

Seit dem Jahr 2001 erstellt Gallup jährlich, anhand von zwölf Fragen zum Arbeitsplatz und -umfeld, den sogenannten Q12®, den Engagement Index für Deutschland. Die Studie gibt Auskunft darüber, wie hoch der Grad der emotionalen Bindung von Mitarbeitenden und damit das Engagement und die Motivation bei der Arbeit ist. Für die jüngste Untersuchung wurden zwischen dem 18. November und 20. Dezember 2024 insgesamt 1.700 zufällig ausgewählte Arbeitnehmende ab 18 Jahren telefonisch interviewt (Dual Frame: Festnetz- und Mobilfunkstichprobe; zufällige Auswahl von Telefonnummern, zufällige Auswahl der Zielperson im Haushalt mittels Geburtstagsverfahren bei mehr als einer relevanten Zielperson pro Haushalt). Die Ergebnisse sind repräsentativ für die Arbeitnehmerschaft in Deutschland ab 18 Jahren.

Über das Beratungsunternehmen Gallup

Gallup ist ein forschungsbasiertes Beratungsunternehmen an der Schnittstelle zwischen Ökonomie und Psychologie. Durch kontinuierliche Forschung in über 150 Ländern und 90Jahren Erfahrung in der Verhaltensökonomie verfügt Gallup über ein umfassendes Wissen zu den Einstellungen und Verhaltensweisen von Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen, Kunden/Kundinnen und Lieferanten/Lieferantinnen.

Quelle: PM Gallup

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