Die AfD hat die Demokratie nicht verstanden
DAS WESEN EINES DEMOKRATEN IST NICHT, DASS ER DEMOKRATISCH GEWÄHLT WURDE, SONDERN DASS ER ANERKENNT, DASS ER DEMOKRATISCH AUCH WIEDER ABGEWÄHLT WERDEN KANN UND DASS ER DIE DEMOKRATIE DAUERHAFT ERHALTEN MÖCHTE
Insbesondere aus #AfD-Kreisen ist immer wieder zu hören, die AfD sei eine hundertprozentig demokratische Partei, denn sie werde ja in freien, demokratischen Wahlen gewählt. Das greift natürlich zu kurz und trifft nicht das Wesen eines #Demokraten. Die NSDAP wurde bis November 1932 auch in freien Wahlen gewählt, Kommunisten und Sozialisten lassen sich oftmals auch wählen, in der DDR gab es auch Wahlen, die Hamas wurde 2006 in Gaza auch gewählt, Trump wurde 2016 in freien Wahlen zum US-Präsidenten gewählt. Das Entscheidende ist offensichtlich etwas anderes, nicht dass man demokratisch gewählt wurde.
Es muss vielmehr etwas Wesentliches hinzukommen, nämlich dass man anerkennt, dass der Demos in freien Wahlen einen auch wieder abwählen kann, dass man die Spielregeln der Demokratie achtet und dazu gehören bestimmte Freiheitsrechte, wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf Informationsfreiheit, auf Pressefreiheit etc., ohne welche der Demos ja gar keine Möglichkeit hätte, sich adäquat zu informieren, um so eine freie und qualifizierte Wahlentscheidung überhaupt treffen zu können. Genau das haben die Nationalsozialisten, Kommunisten, die SED-ler nicht anerkannt und nicht geduldet und genau das lassen die Hamas, Putin, die chinesischen Kommunisten, Kim Jong-un und die iranischen Mullahs nicht zu.
Trump ließ zwar freie Wahlen zu, die er schlecht verhindern konnte, aber er akzeptierte das Wahlergebnis, dass er abgewählt wurde, nicht, behauptete wochen-, monate-, jahrelang die Wahl „sei ihm gestohlen“ worden. Er akzeptiert Wahlen nur dann, wenn sie für ihn persönlich positiv ausfallen. Insofern stellt sich auch bei ihm die Frage, ob er überhaupt ein Demokrat ist.
Die AfD und BSW haben nun noch nie regiert. Insofern gibt es keine Beweise, dass sie ihre eigene Abwahl nicht in Kauf nehmen würden, aber es gibt doch Bedenken, ob sie wirklich auf dem Boden der freiheitlichen, menschenrechtsbasierten, parlamentarischen Demokratie stehen oder ob sie die Freiheiten, die diese bietet, nur benutzen, um die parlamentarische Demokratie von innen heraus auszuhöhlen, lächerlich und verächtlich zu machen, zu zersetzen mit dem Endziel, sie zu zerstören. Dafür gibt es zumindest viele Hinweise, insbesondere dass sie anti-liberale Kräfte und hier ganz besonders den russischen Faschisten, welche die freiheitliche Demokratie offen bekämpfen, hier bei uns quasi zuarbeiten und diese zum Teil sogar verherrlichen, mindestens aber systematisch und notorisch verharmlosen und deren Verbrechen permanent relativieren (Whataboutism).
Das ist ein Riesenproblem der freiheitlichen Demokratie. Wie umgehen mit antiliberalen Anti-Demokraten, die den äußeren Rahmen der freiheitlichen Demokratie nutzen, um diese von innen heraus zu bekämpfen? Es gipfelt in der philosophischen Frage: Was tun, wenn die Mehrheit des Demos die Demokratie sogar ganz bewusst abschaffen möchte? Muss man das dann akzeptieren, weil es ja der aktuelle Mehrheitswille ist, oder darf man das auf keinen Fall akzeptieren, weil es ja weitreichende Implikationen mit sich bringt? Denn wenn der Demos im Jahr X beschließt, die Demokratie abzuschaffen, so bedeutet dies ja, dass diese Wähler selbst, aber auch alle nachkommenden Wähler und Generationen gar keine Möglichkeit mehr haben, dies im Jahr X+4, X+10, X+20, X+30, X+40 … zu korrigieren, weil sie gemerkt haben, dass dies ein riesiger Fehler war. Eine solche Korrektur geht dann nur noch per Gewalt, aber nicht mehr friedlich. Und wenn die einst demokratisch gewählten Anti-Demokraten geschickt genug sind, dann lassen sie auch keine gewaltsame Revolution zu, sind auf viele Jahrzehnte hin nicht mehr los zu werden und sorgen dafür, dass möglichst viele Kinder und Jugendliche von Anfang an zu freiheitsfeindlichen Anti-Demokraten erzogen werden.
Bei all den Schwächen der Demokratie ist doch gerade ihre große Stärke, dass Fehlentscheidungen der Regierenden und Fehlentscheidungen des Demos selbst zumindest teilweise wieder korrigiert werden können, dass sie nicht irreversibel sind. Es gibt da keine Sackgasse, aus der es kein Entrinnen mehr gibt, weil man sich bei einer Wahl zum Beispiel hat blenden lassen. Wenn sich Regierende als absolut schrecklich entpuppen, ist der Demos nicht völlig machtlos. Er kann sie nämlich bei der nächsten Wahl friedlich abwählen. In anti-demokratischen Systemen gibt es diese Möglichkeit nicht. Deshalb ist dies das ausschlaggebende Kriterium, ob jemand ein Demokrat ist oder nicht: Lässt er es zu und akzeptiert er, dass man ihn nicht nur in die Regierung wählen, sondern auch wieder abwählen kann. Und akzeptiert er die Grundvoraussetzungen, dass freie Wahlen überhaupt möglich sind und dauerhaft möglich bleiben.
Ein freiheitlicher Demokrat muss also die Würde (Selbstbestimmung), die Freiheit und die politische, staatsbürgerliche Souveränität jedes einzelnen Bürgers über seine eigenen persönlichen Ziele, Wünsche und Interessen stellen. Er muss diese Dinge so sehr achten, dass er sie über seine eigenen Belange stellt. Das könnte man als #demokratische #Demut bezeichnen. Diese aufzubringen, ist alles andere als leicht, manchmal sogar sehr schwer und schmerzhaft. „Politik ist der Schmerz, der entsteht, wenn andere Leute anderes wollen“, sagte der Philosoph Peter Sloterdijk 2018 im NZZ-Interview. Aber nur wenn diese demokratische Demut gegeben und vorhanden ist sowie der Wille, die Demokratie trotz dieses Schmerzes dauerhaft zu erhalten, kann man von einem echten freiheitlichen Demokraten sprechen.
Quelle. Jürgen Fritz