Kerntechnik ist handhabbar!

Vor zehn Tagen bebte die Erde in Nordjapan, es war die seit Menschengedenken zerstörerischste Naturkatastrophe, begleitet von einem Tsunami. – Die gesamte urbane und technische Infrastruktur der Region wurde zerbrochen. Alles? Nein, das einzige, was an Menschenwerk diese Katastrophe überstanden hat, waren die Atommeiler von Fukushima. Überstanden hatten, zwar stark versehrt, aber nicht gebrochen, die atomaren Brennkammern. – Das erinnerte mich an die Inschrift auf einer Ehrenmünze für Immanuel Kant, die von Moses Mendelssohn dem ‚Alleszermalmer’ zugeeignet wurde: Drohet, aber fällt nicht!
Verwunderlich sind die offensichtlichen Wahrnehmungsprobleme der deutschen Massenmedien, die immer nur, wenn ihre Berichte vom – unsicheren –Status quo zu handeln schienen, tatsächlich immer nur den – fatalen – Status post quem ausmalten. Und das so eindrücklich, dass das dann für die Wirklichkeit gehalten wurde. So wurde von den dramatischen Ereignissen immer nur von der Atomkatastrophe gesprochen. Es waren aber die Zerstörungen an der Außenhülle und die kollateralen Explosionen ein sicherheitstechnisch immer ins Kalkül genommener Störfall innerhalb definierter Grenzen (ein sog.GAU).
Der klammheimliche Ärger zumal der atomkritischen Medienöffentlichkeit scheint sich an dem Umstand zu entwickeln, dass diese Dinger in Fukushima selbst das seit Menschengedenken stärkste Beben (samt Riesenwelle) als einzige Bauwerke ringsum überstehen, zwar beängstigend lediert, aber nichtirreversibel kollabiert. Und dass sie immer handhabbar blieben. Kurzum: diese Kerntechnik von Fukushima zeigte sich in der Naturkatastrophe so sicher, wie man nach menschlichen Ermessen immer nur sicher konstruieren kann. Und das ist natürlich niemals endgültig sicher, sondern immer nur sicher in den Grenzen unserer technologischen Vernunft.
Das Argument gegen die Kerntechnik, sie sei restrisikobehaftet, also niemals Risiko=Null, gilt auch offensichtlich exklusiv nur hier. Das aber – als singuläres Argument – ist kein rationaler Einspruch mehr, den man ernst nehmen müsste! Denn unsere gesamte Technologie müsste, wenn man diesem Risiko=Null-Argument folgen würde, abgebrochen werden. Der entscheidende mentale und machbarkeitstheoretische Unterschied zwischen Fukushima und Tschernobyl ist: vor fünfundzwanzig Jahren hat menschliche Improvisation zur Katastrophe geführt, in Japan hat menschliche Improvisationsgabe auch dazu geführt, dass die von einer Naturkatastrophe ausgelösten Zerstörungen so beherrschbar blieben, dass eben keine Atomkatastrophe ausgelöst wurde. Diese Kerntechnologie ist offensichtlich – katastrophenerprobt – die Technik mit höchster sekuritativer Redundanzdynamik, die wir kennen.
Das Argument Atomkraft-sei-nicht-beherrschbar kann doch durch die jahrzehntelange Nukleartechnologie (kriegerische wie friedliche) als widerlegt gelten. Die Kritik an der Kerntechnik betrifft ohnehin nur die Energiegewinnung durch sie – denn die im Gesundheitsbereich für diagnostische und therapeutische Zwecke handhabbare Kerntechnik bleibt von Kritik verschont!
Wenn eine Hochwasserkatastrophe Staudämme wegspült, ist das ein Beweis, dass Wasserkraft nicht beherrschbar sei? Wenn wieder einmal ein Jumbojet abstürzt, ist das ein Beweis, dass die Überwindung der Schwerkraft nicht beherrschbar sei? Wenn ein Erdbeben wieder einmal eine Stadt zerstört, in das ein Beweis dafür, dass Städtebau eine übermütige Hoffart sei?
Wir haben in Europa nach dem Erdbeben von Lissabon gelernt [sowohl von dem, der die Stadt wiederaufgebaut hat (Pombal) und als auch von dem, der die konstruktive Vernunft dessen entwarf (Kant)], dass wir künftig unser Bauen nirgends und niemals nach einem Ideal absoluter Sicherheit ausrichten, sondern immer nur, um mal für mal die Wahrscheinlichkeitsgrade der Unsicherheit und Gefährdung zu reduzieren.
Und auch aus diesem Unglück lernt man – aber natürlich nicht, wie Unglücke endgültig zu vermeiden wären, sondern wie man im Wissen um und mit ihrer Wirklichkeit leben kann. – Aber eben zu akzeptieren, dass wir nicht in einer Grundordnung von Sicherheit, sondern in einer der Gefahr leben (und überleben wollen), das wäre ein Erziehungsgrundsatz für unsere Moderne.

Über Dietzsch Steffen 16 Artikel
Steffen Dietzsch ist Professor für Philosophie und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität Berlin. Er ist Direktor des Kondylis-Instituts für Kulturanalyse und Alterationsforschung (Kondiaf). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Kantforschung und -biographik, Philosophie des Deutschen Idealismus und europäische Nietzsche-Rezeption. Zuletzt erschien: "Wandel der Welt, Gedankenexperimente", Heidelberg 2010.

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