Ottmar Edenhofer das Ende der Geschichte? Festvortrag anlässlich der Verleihung des Romano Guardini Preises am 4. Juli 2018

Preisverleihung mit Kardinal Marx, Ottmar Edenhofer, Patricia Espinosa Cantellano, Marcel Huber und Florian Schuller, Foto: Robert Kiderle
Ottmar Edenhofer, Foto: Robert Kiderle

Im Jahr 1989 wurden die Risse in der Berliner Mauer unübersehbar – eine friedliche Revolution hat sie schließlich niedergerissen. Es schien so, als hätten Demokratie und Marktwirtschaft den Wettbewerb der Systeme endgültig für sich entschieden. Man wähnte das Ende der ideologischen Auseinandersetzungen – das Ende der Geschichte, wie Francis Fukuyama meinte, – zum Greifen nahe. Mit diesem Sieg, dachte man, hätte auch die europäische Aufklärung endgültig den Sieg davon getragen.

Es dauerte nur ein Jahr, bis ich aus diesem Traum aufgeschreckt wurde, wenn ich ihn denn je geträumt habe: Ich war – durch eine Vielzahl überraschender, aber keineswegs zufälliger Ereignisse – Leiter der Flüchtlingshilfe der Jesuiten in Kroatien und Bosnien geworden, die später mein Freund Pater Martin Maier weiterführte. Mitten in Europa wurde ich in einen Krieg hinein geworfen, dessen Ursache ich zu erfassen versuchte. Die Zeichen des Zusammenbruchs der staatlichen Ordnung, Vertreibung, Plünderung und Vergewaltigung waren überall zu sehen. In die Flüchtlingslager kamen täglich traumatisierte Menschen. Nie werde ich vergessen, wie eines Morgens in der Hafenstadt Split aus einem Schützenpanzer eine junge Frau kletterte, die wenige Stunden vorher mitansehen musste, wie ihre Kinder von Nachbarn massakriert wurden, während sie selbst von UN Truppen in letzter Minute gerettet worden war. Wir kümmerten uns damals um Lebensmittellieferungen, richteten Beratungsstellen für Frauen ein, die vergewaltigt worden waren, der kroatische Provinzial der Jesuiten unterstützte mit unserer Hilfe ein muslimisches Krankenhaus. Ich war dankbar, dass ich in diesen Jahren inmitten des nationalistischen und ethnischen Wahnsinns, der sich überall breit machte, für eine Institution arbeitete, die ihre Identität gerade nicht in der nationalen oder ethnischen Abgrenzung sucht, sondern an die menschliche Würde appelliert, die allen Menschen gemeinsam ist, die also im wahrsten Sinne des Wortes katholisch ist. Es war eine Wohltat, in diesen Jahren mit der Jesuitenkurie in Rom zusammen zu arbeiten. Meine antirömischen Affekte wurden damals erheblich domestiziert.

Der Jugoslawienkrieg in den 90er Jahren zeigte mir, dass der Fortschrittsautomatismus der Moderne nicht zutreffend sein kann: Denn ich begann rasch zu begreifen, dass die ethnischen Konflikte und Bürgerkriege nicht Zeichen einer nachholenden Entwicklung sind, sondern die Signatur des beginnenden 21. Jahrhunderts werden sollten. Wenige Ereignisse in meinem Leben haben mich so verstört, meine Gewissheiten so sehr erschüttert, wie die beiden kurzen Jahre, die ich für die Bosnien- und Kroatienhilfe der Jesuiten gearbeitet habe. Die Frage nach den Gründen für Gewalt, die traumatischen Wirkungen ethnischer Säuberung, die Einsicht, dass Menschen nur foltern, wenn sie dafür ausgebildet werden, der Zusammenbruch zivilisatorischer Standards sind für mich immer noch unverstandene und ungelöste Fragen. Damals gab es den Begriff der politischen Emotionen noch nicht, aber mir wurde klar, dass Gewalt, Wut und Hass der Entfesselung durch die Politik bedürfen, um massenwirksam zu werden. Diese Entfesselung der Gewalt bedarf der Rechtfertigung entlastender Denksysteme (Hans Maier, StdZ, Heft 2014): Die Akademien der Wissenschaften lieferten diese Pseudogründe ebenso, wie Professoren und Intellektuelle bereit waren, nicht nur abscheuliche Gewalttaten zu rechtfertigen, sondern an ihrer strategischen Planung mitzuwirken. Wenn ich damals zwischen Frankfurt, Split und Tuzla pendelte, tauchte ich in Welten ein, die zwei Flugstunden auseinander lagen und doch kaum voneinander wussten – ja auch nichts wissen wollten. Das intellektuelle und politische Deutschland, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nahm diesen Krieg hin und verschwendete nicht viele Gedanken auf diese Tragödie an der Peripherie unseres Kontinents.

Was hat das mit meiner Tätigkeit heute zu tun? Wer sich die Dynamik des Klimawandels der letzten 15.000 Jahre vor Augen führt, begreift schnell, dass wir die Betriebsweise unseres Erdsystems in einem Ausmaß und in einer Geschwindigkeit verändern, die für das Zeitalter des Holozäns ohne historisches Vorbild ist. Die steigende globale Mitteltemperatur zeigt bereits ihre unumkehrbaren Wirkungen: Steigender Meeresspiegel, heftiger werdende Zyklone, Dürren, Überschwemmungen führen bereits heute dazu, dass Menschen ihre angestammte Heimat verlassen. Knappe Wasserressourcen, Dürren, Einbruch der Agrarproduktion verschärften den Konflikt in Syrien. Die Fidschi Inseln oder Kiribati werden einen erheblichen Teil ihres Staatsgebietes verlieren, zunehmende Fluten versalzen ihre fruchtbaren Böden. In ethnisch fragmentierten und polarisierten Gesellschaften steigt das Risiko von Konflikten und Gewaltausbrüchen erheblich, wenn der Klimawandel zuschlägt. Meine Erfahrungen in Bosnien haben mir gezeigt, wie dünn der zivilisatorische Firn ist und wie schnell Zivilisationen zusammenbrechen können – selbst zwei Flugstunden von München entfernt.

Seit einiger Zeit beschäftige ich mich zunehmend mit den sicherheitspolitischen Aspekten des Klimawandels und kehre damit zu meinem Ausgangspunkt zurück. Die europäische Flüchtlingspolitik ist eine Zerreißprobe für die deutsche Regierung und die EU geworden. Die Politik hat dabei die Maßstäbe in einem erschreckenden Ausmaß verzerrt. Nach den Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind in der ersten Jahreshälfte 2018 rund 50.000 Flüchtlinge über das Mittelmeer oder über die türkisch-griechische Landesgrenze nach Europa gekommen. Im weltweiten Maßstab ist das eine verschwindend geringe Zahl. Die Zahl der Flüchtlinge und Migranten, die Landesgrenzen überquert haben, hat mit 25,4 Millionen ein weltweites Rekordniveau erreicht. Nimmt man die Zahl der Menschen hinzu, die innerhalb von Landesgrenzen auf der Flucht sind, addiert sich diese Zahl auf 65 Millionen Menschen. 90 % der Flüchtlinge und Migranten unter UNHCR Mandat leben in Staaten wie der Türkei, Pakistan, Uganda, Libanon und Iran. Europa trägt also keineswegs die Hauptlast der weltweiten Migration.

Man kann sich heute den Ruf als Realpolitiker in der Flüchtlingspolitik erwerben, wenn man Härte gegen Migranten und Flüchtlinge fordert. Diese vermeintlichen Realpolitiker verweigern sich jedoch der Wirklichkeit: Europa kann die Kriege im Nahen Osten ebenso wenig ignorieren wie die ethnischen Konflikte und die Folgen des Klimawandels in Afrika und anderen Teilen der Welt. Wer glaubt, man könne Flüchtlinge und Migranten vor allem mit militärischen Mitteln an den Außengrenzen abwehren, hat die Dimension des Problems nicht einmal im Ansatz verstanden. Herausforderungen dieses epochalen Ausmaßes können nur durch einen geordneten Multilateralismus gemeistert werden, der Fluchtursachen bekämpft, für ein menschenwürdiges System der Aufnahme von Geflüchteten sorgt und die Lasten der Migration fair verteilt. Wenn Europa seine Identität bewahren will und nicht untätig zusehen möchte, wie es die Kontrolle verliert, muss es sich diesen humanitären Herausforderungen stellen. Es ist für mich eine große Ermutigung, dass die beiden Kirchen in Deutschland, dass Sie verehrter Kardinal Marx, dass Papst Franziskus mit aller Klarheit an die Maßstäbe erinnern, die für Christen in der Politik gelten sollten.

Klima, Kohle, Kapital

Wie kann man den Klimawandel begrenzen? Diese Frage hat mich in der vergangenen Dekade am meisten beschäftigt. Die vielleicht wichtigste Vorbereitung für diese Tätigkeit war das Projekt „Global, aber gerecht“, das wir zusammen mit der Hochschule für Philosophie im Auftrag von Misereor und der Münchner Rück durchgeführt haben. Als die Anfrage kam, war ich skeptisch. Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) war ein Institut naturwissenschaftlicher Positivisten, Religion galt daher als sicheres Zeichen eines mangelnden Intelligenzquotienten. Aber die katholische Kirche glich für die meisten meiner Kollegen schon so sehr einem „Alien“, dass nach einer ersten Begegnung das gegenseitige Interesse wuchs. Die Ironie der Geschichte: leidenschaftliche Agnostiker, überzeugte Atheisten, heimliche Sympathisanten und natürlich Jesuiten arbeiteten für Misereor; die Münchner Rück Stiftung war für alle Beteiligten eine Rückversicherung, dass sich die weltanschaulichen Gewichte nicht zu sehr zugunsten einer Seite verschoben.

Auch wenn das Buch „Global, aber gerecht“ medial kein großer Erfolg war, so kann doch seine Rolle für die Enzyklika Laudato Sí kaum überschätzt werden. Der damalige Chef von Misereor, Josef Sayer, veranstaltete im Vatikan eine Reihe von Tagungen zum Thema „Armut, Klimawandel und Ungleichheit“. Kardinäle und Bischöfe aus aller Welt diskutierten über dieses Thema. Das war auch dringend nötig, denn es gab einflussreiche Kardinäle wie George Pell, die den menschengemachten Klimawandel rundweg bezweifelten. Die Vorstellung, der Mensch könne und solle das Weltklima steuern, war für sie Ausdruck neuzeitlicher Hybris.

Aber als in diesen Konferenzen die Bischöfe des Südens die Folgen des Klimawandels darstellten, wurde auch im Vatikan vielen deutlich, dass sie das Thema nicht weiter verdrängen konnten. Die Wissenschaft hat mit geradezu überwältigender Evidenz gezeigt, dass der Mensch durch die Abholzung der Wälder und die Verbrennung fossiler Energieträger für den Anstieg der globalen Mitteltemperatur verantwortlich ist. Je größer die Wahrscheinlichkeit eines gefährlichen Klimawandels ist und je geringer die Kosten, einer Katastrophe rechtzeitig zu begegnen, umso mehr lohnt sich ambitionierter Klimaschutz. Mit anderen Worten: Auch wenn es Zweifel über das Ausmaß der Klimaschäden gibt, sollte man lieber Handeln. Was Wirtschaftswissenschaftlern aus der Entscheidungstheorie geläufig ist, ist Theologen und Kardinälen aus der Moraltheologie bekannt. Denn gerade das tutioristische Moralsystem spricht sich für die Maxime „in dubio pro lege“ aus, im Zweifelsfall solle man das ethisch restriktivere, vorsichtigere Gebot für richtig halten und ihm folgen (Rosenberger StdZ 2013, Heft 5). Wer sich davon exkulpieren will, müsse gute Gründe in Anschlag bringen. Die Klimaskeptiker bleiben diese guten Gründe bis heute schuldig – innerhalb sowie außerhalb des Vatikans.

Durch meine ersten sieben Jahre am PIK wurde ich für meine spätere Tätigkeit im Weltklimarat gut vorbereitet: Ich konnte mir einen umfassenden Überblick über den Forschungsstand verschaffen, ich lernte Menschen auf allen Kontinenten kennen und begriff, dass das fundamentale Problem der Klimapolitik nicht nur die wissenschaftlichen Fakten sind, sondern Konflikte um Weltanschauungen und Werte. So entwickelte ich mit einem meiner Kollegen philosophische Überlegungen, die helfen sollten, die Konflikte um Werte und Weltanschauungen rational zu durchdringen. Es würde hier zu weit führen, unsere Auseinandersetzungen mit dem Positivismus und dem Pragmatismus ausführlich dazustellen, aber für mich war eine philosophische Grundausbildung ein unentbehrliches Rüstzeug im Umgang mit Konflikten. Das war im Weltklimarat dringend nötig.

Fakten und Werte können nämlich nicht so fein säuberlich getrennt werden, wie sich das der logische Positivismus vorstellt. Wir mussten nicht nur die gesamte wissenschaftliche Literatur sichten, sondern Landkarten erstellen, die Politikern gangbare Wege zu Begrenzung des Klimawandels aufzeigen sollten. Mehrere hundert Alphatiere, Sonderlinge, tatsächliche Genies und solche, die sich selbst unter Genieverdacht stellten, mussten ermuntert, beruhigt, erheitert und unterhalten werden. Sie alle brachten mich an die Grenzen meiner psychologischen und pädagogischen Fähigkeiten und rangen mir eine neue Hochachtung vor Erziehern, Sozialpädagogen und Lehrern ab. Gemeinsam mit den anderen Vorsitzenden des Weltklimarates musste ich mit 194 Staaten die Zusammenfassung für Entscheidungsträger verhandeln und im Konsens verabschieden: Der permanente Schlafentzug, anhaltender Druck, Drohungen und Lockungen stellten meine physische und psychische Kraft auf eine harte Probe. Ich habe geflucht, geklagt und gelitten. Aber am Ende war es geschafft: Wir hatten die wissenschaftlichen Grundlagen für das Abkommen von Paris im Jahr 2015 gelegt.

Die Einsichten des Weltklimarates lassen sich einfach zusammenfassen: Es steht der Menschheit nur noch ein begrenztes Kohlenstoffbudget zur Verfügung, wenn der Klimawandel begrenzt werden soll. Wir bräuchten nicht einmal eine Klimapolitik, wenn die fossilen Ressourcen im Boden – Kohle, Öl und Gas – kleiner wären als der Deponieraum der Atmosphäre. Steigende fossile Ressourcenpreise würden dafür sorgen, dass die Menschheit auf den Pfad der klimapolitischen Tugend gezwungen wird. Die globalen fossilen Ressourcenmärkte würden die Klimapolitik ersetzen. Leider ist die Realität eine andere: Wir haben etwa 15.000 Gigatonnen Kohle, Öl und Gas im Boden. Die globalen Ressourcenmärkte werden daher das Klimaproblem nicht lösen. Dem Klimaproblem kann nur durch einen internationalen Vertrag erfolgreich begegnet werden, der die Nutzung des verbleibenden Deponieraumes in der Atmosphäre regelt. Diese grundlegende Einsicht, dass die Atmosphäre ein Gemeinschaftseigentum der Menschheit ist, das einer weltumspannenden Regelung bedarf, habe ich in den Entwurf des Fünften Sachstandsbericht geschrieben. Die gesamte Wissenschaftsgemeinschaft hat dem zugestimmt. Am Ende haben jedoch die Regierungen dafür gesorgt, dass diese Formulierung in eine Fußnote verbannt wurde. Manchmal werden Revolutionen und Schlachten in Fußnoten gewonnen.

Laudato Sí und die Begegnung mit Papst Franziskus

Wenige Monate nach der Verabschiedung unseres Berichtes, im Juli 2014, saß ich schließlich dem Mann in Rom gegenüber, der aller Welt laut und klar verkünden sollte: Die Atmosphäre ist ein Gemeinschaftseigentum der Menschheit (Laudato Sí, No. 23). Papst Franziskus lud mich ein, um mit ihm über die Fragen der Klimapolitik zu sprechen. Wir tauschten uns ausführlich über das Konzept der globalen Gemeinschaftsgüter, über die Eigentumslehre der Kirche und über Romano Guardini aus.

Die Begegnung mit Papst Franziskus war denkwürdig in jeder Hinsicht. Ich hatte zwei Gastgeschenke im Gepäck. Wie es sich für einen deutschen Professor gehört, schenkte ich ihm die englische Ausgabe unseres Buches „Global, aber gerecht“ und ich brachte eine Zeichnung mit, die meine Tochter für ihn gemalt hatte.

Für mein Buch hat sich der Papst höflich bedankt, sein wirkliches Interesse galt jedoch dem Bild meiner Tochter Sarah. Ich trete meiner Tochter nicht zu nahe, wenn ich sage, dass dieses Bild technisch nicht in jeder Hinsicht ein Meisterwerk war. Aber der Papst betrachtete es lange und sagte, er finde in dem Spiel von Licht und Dunkelheit die Situation von Kirche und Welt treffend wider. Auch ein kleines Licht mache die Dunkelheit heller.

Als ich von meiner Romreise zurückkam, lag in unserem Briefkasten ein Brief aus dem Vatikan, in dem Papst Franziskus sich bei Sarah für das Bild mit den Worten bedankte: „Liebe Sarah, vielen Dank für dein kleines Gemälde. Es hat mir sehr gefallen. Bete für mich. Gott segne Dich. Franziskus“. An der Echtheit des Briefes konnte kein Zweifel bestehen, dennoch war meine Tochter gar nicht so leicht davon zu überzeugen, dass der Papst aus Rom ihr einen Brief geschrieben hatte. Sie fragte mich, wie viele Päpste es eigentlich gäbe und ob der Papst katholisch sei. Der Wert dieses Briefes ist für meine Tochter beträchtlich gestiegen, seit ich sie davon überzeugt habe, dass wir nur einen Papst haben und – entgegen mancher Unkenrufe – unser Papst auch katholisch ist.

Die Veröffentlichung von Laudato Sí war ein unglaublicher Glücksfall. Nature Climate Change hat der Enzyklika eine eigene Sonderausgabe gewidmet, die ich Papst Franziskus bei einem zweiten Besuch überreicht habe. Darin habe ich zusammen mit einer überzeugten Atheistin und einem protestantischen Kollegen das Konzept der Gemeinschaftsgüter erläutert. Meine Kollegin Brigitte Knopf, jene überzeugte Atheistin, hat in einem deutschen Kommentar eine wunderbare Überschrift gefunden: Der Himmel gehört uns allen. Nie habe ich von einer Atheistin eine treffendere Zusammenfassung des christlichen Glaubens und der katholischen Soziallehre gehört. Seither bete ich inständig, sie möge sich auf keinen Fall zum Christentum bekehren – wir könnten doch sonst nicht mehr so glaubhaft behaupten, die katholische Soziallehre überzeuge auch eingefleischte Atheisten.

Globale Gemeinschaftsgüter – Die Frage der Eigentumsrecht

Aber auch jenseits des medialen Interesses wird diese Enzyklika in der kirchlichen Soziallehre eine überragende Stellung einnehmen, die nur noch mit Rerum Novarum vergleichbar ist. Mit dieser Enzyklika hat die Kirche 1891 begonnen, sich an der Reform des Kapitalismus zu beteiligen.

Oswald von Nell-Breuning (Freiheit und Gerechtigkeit, 195), Nestor der katholischen Soziallehre, dem 1972 der Romano Guardini Preis verliehen wurde, hat die Sozialpflichtigkeit des Eigentums unter den Bedingungen des Kapitalismus so ausgelegt: Die „allgemeine Bestimmung der Erdengüter“ ist dem Privateigentum vor- und übergeordnet. Alle Menschen sollen grundsätzlich an der Nutzung der Erdengüter teilhaben können. Die Institution des Privateigentums ist nur insofern legitim, als sie dieser allgemeinen Bestimmung der Erdengüter gerecht wird. Diesen Grundgedanken erweitert Laudato Sí auf die globalen Umweltprobleme des 21. Jahrhunderts: Die Übernutzung der natürlichen Senken wie eben der Atmosphäre, der Ozeane oder der Wälder rechtfertigt die Einschränkung privater oder nationalstaatlicher Nutzungsrechte. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde, Guardini-Preisträger des Jahres 2004, fordert darüber hinaus, dass das Aneignungsrecht von Ressourcen durch das Solidaritätsprinzip begrenzt werden muss (Wissenschaft, Politik, Verfassungsgericht, 2006, Woran der Kapitalismus krankt, 68). Eine Begrenzung der Nutzungsrechte an der Atmosphäre ist demnach sozialethisch nur dann zu vertreten, wenn die Lasten zwischen Ländern gerecht verteilt werden.

Dass hier grundlegende Fragen noch zu klären sind, versteht sich von selbst. Dies war auch der Grund, warum ich zusammen mit der Stiftung Mercator ein eigenes Institut gegründet habe, das sich mit den Globalen Gemeinschaftsgütern beschäftigt. Für diese Möglichkeit bin ich der Stiftung Mercator außerordentlich dankbar. So zeigen wir beispielsweise, dass die Begrenzung des Nutzungsraumes Atmosphäre zwar das Vermögen der Besitzer von Kohle, Öl und Gas vermindert, dass aber z.B. durch eine Bepreisung von CO2 Einnahmen erzielt werden können, die diese Verluste nicht nur überkompensieren, sondern auch Mittel für Infrastrukturinvestitionen oder Steuersenkungen bereit stellen – fiskalpolitische Maßnahmen, die vielen Ländern neue Entwicklungsmöglichkeiten erschließen. Die Fragen der Fiskalpolitik haben mich in den vergangenen Jahren intensiv beschäftigt. Nicht nur CO2-Steuern, sondern auch Maßnahmen, die die Ungleichheit vermindern, wie etwa Erbschaftssteuern oder Bodensteuern sowie die verteilungspolitischen Wirkungen von Infrastrukturinvestitionen rückten in den Fokus meiner Forschung.

Der neuzeitliche Machtgebrauch – Romano Guardini

Man hat Laudato Sí nicht nur ein romantisches Wirtschaftsverständnis unterstellt, sondern auch eine geradezu technikfeindliche Haltung. Ich bestreite nicht, dass sich da und dort Formulierungen finden, die eine solche Interpretation nahelegen. Die Enzyklika Laudato Sí verweist hier auf Romano Guardini, mit dessen Thesen sich dieser Vorwurf nicht nur entkräften, sondern ein zukunftweisendes Konzept des Umgangs mit dem technischen Fortschritt entwickeln lässt.

Denn nach Romano Guardini (Das Ende der Neuzeit, Die Macht 1965) ist das Problem der neuzeitlichen Technik gerade nicht, dass dem Menschen hier eine zu große Macht zuwächst. Im Gegenteil, der Machtzuwachs durch die Technik wird grundsätzlich positiv und produktiv bewertet. Das Problem des neuzeitlichen Machtgebrauchs besteht für ihn darin, dass dieser Machtzuwachs verleugnet wird. Der neuzeitliche Mensch konstruiert sich einen Determinismus, dem die Entwicklung und Anwendung von Techniken folgen muss. Aber genau darin liegt für ihn der Grund der Entfremdung, weil technischer Fortschritt nicht als ein Zugewinn an Freiheit, sondern als Zwang erlebt wird. Wenn wir erwachsen werden wollen, so Guardini, sollten wir nicht vor dem Machtzuwachs der Technik zurückschrecken, sondern die erhöhte Verantwortung bejahen. Verantwortung heißt ja, dass wir rechenschaftspflichtig sind. Die Herausforderung der Post-Moderne besteht aber gerade darin, dass wir nicht nur Rechenschaftspflichten gegenüber denen haben, die heute leben – auch wenn sie räumlich weit entfernt sind, sondern auch denen gegenüber, die noch gar nicht geboren sind – also gegenüber den kommenden Generationen

Zwischen Fatalismus und Hybris – vom Umgang mit dem Ende der Geschichte

Damit stellt sich aber ein grundlegendes Problem unseres Machtgebrauchs: Ist es nicht Hybris, dem Turmbau von Babel vergleichbar, diese Verantwortung tragen zu wollen? Kann der Mensch das Klima steuern und zugleich disruptive Innovationsprozesse meistern? Sind Erdsystemforscher am Ende nicht Irrende, die glauben, die Welt aus eigener Kraft retten zu können? Hat das 20. Jahrhundert nicht schon genug Weltrettungspläne gesehen, die allesamt auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet sind?

Hier wird implizit oder explizit eine Maxime kritisiert, wonach der Mensch nach dem Höchsten streben soll, auch wenn er weiß, dass er es aus eigener Kraft nicht erreichen kann (Rosenberger, StdZ 2013, Heft 5, 345). Ein Christ, so könnte man vermuten, darf nicht nach dem Höchsten streben, weil dies einer vermeintlichen Demut widerspräche.

Die beste Tradition der christlichen Spiritualität spricht hier eine andere Sprache, die den Menschen zu einer nahezu verwegenen Kühnheit verführen will. So schreibt Ignatius von Loyola:

„Vertraue so auf Gott, als ob der Erfolg der Dinge ganz von Dir, nicht von Gott abhinge; wende dennoch dabei alle Mühe so an, als ob du nichts, Gott allein alles tun werde.“

In meinem Handeln – so diese paradoxe Formulierung – soll das Maß meines Gottvertrauens zum Ausdruck kommen und nicht die Berechnung der Erfolgsaussichten. Wer wagt, wer sich selbst aufs Spiel setzt, wer seine Haut zu Markte trägt, ist der Demütige. Warum? Weil er seine Angst um sich überwindet. Wer sich zurückzieht, sich selbst nicht aufs Spiel setzt, wer immer schon weiß, dass alles scheitert, wer sich von seiner Selbstangst überwältigen lässt, ist der Hochmütige, der seine Talente vergräbt und nicht in Umlauf bringen will. Ein Mittel gegen diese lähmende Selbstangst ist die Dankbarkeit.

So habe ich heute zu danken: Der Katholischen Akademie Bayern für die Verleihung des Romano Guardini Preises, den ich als Ermutigung für meinen weiteren Weg annehme; Frau Patrizia Espinosa, die als Generalsekretärin der Klimarahmenkonvention unermüdlich für den Fortschritt dieser wichtigen multilateralen Institution arbeitet. Ich möchte Ihnen versichern, dass auch die neue Leitung des PIK, mein Kollege Johan Rockström und ich, Sie in Ihrer wichtigen Arbeit nach Kräften unterstützen werden. Ich danke Ihnen, verehrter Herr Kardinal, dass Sie durch Ihre Anwesenheit unterstreichen, dass das Ringen um Klimagerechtigkeit, Überwindung von Armut und Ungleichheit für die kirchliche Soziallehre weiterhin von zentraler Bedeutung sein wird.

Ich danke meinen Eltern, meinem Bruder und meinen Verwandten, die heute an dieser Verleihung teilnehmen. Vor allem danke ich meiner Familie, meiner Frau Annette, mit der ich nun schon seit mehr als zwei Jahrzehnten einen gemeinsamen Weg gehen darf, meiner Tochter Sarah und meinem Sohn Jacob. Die vielen heftigen Diskussionen, das Feuerwerk der Ideen und der stete Strom freundlicher, interessanter und verrückter Gedanken beleben mich. Ich danke meinen Kolleginnen und Kollegen am PIK und am MCC für die wissenschaftliche Inspiration und kontroversen Diskussionen. Susanne Stundner hilft mir nicht nur das Chaos des Alltags zu meistern; sie hat mir durch ihren freundlichen, aber entschiedenen Widerspruch buchstäblich das Leben gerettet. John Schellnhuber danke ich, dass ich von ihm lernen konnte, wie man auf höchstem Niveau Wissenschaft betreibt und ein Forschungsinstitut leitet.

Gibt es einen Weg zwischen Hybris und Fatalismus? In den besten Stunden meines Lebens erfahre ich mein Leben als unverfügbares und überfließendes Geschenk, das selbst durch meine Irrtümer, meine Fehler, meine Schuld und selbst durch Krankheit und Tod nicht entstellt werden kann. In diesen Erfahrungen ist die Hoffnung geborgen, mein Leben werde ganz und vollendet sein. Aber eine Hoffnung, die ich nur für mich hätte und die nur in den besten Stunden gilt, wäre keine Hoffnung, sie wäre Betrug. In der Bibel wird Babylon als die Stadt der Hybris beschrieben – ein sinnloser Turmbau, der Menschenopfer fordert, die menschliche Sprache verwirrt und die Begegnung zwischen Menschen zerstört. Das neue Jerusalem ist das Bild einer Stadt, in der keine Menschen mehr geopfert werden müssen. Alle Völker leben gleichberechtigt in Frieden und Wohlstand. Die Lebensbäume an den Gewässern der Stadt sind Zeichen einer geheilten Schöpfung. Diese Bilder aus dem Buch der Offenbarung halten die Hoffnung wach, dass unser Einsatz Früchte tragen wird und wir in dieser Stadt leben werden. Aber wir wissen auch, dass nicht wir es sind, die die Bäume pflanzen, und nicht wir es sind, die diese Stadt entwerfen. Wir sind nur die Gärtner und Arbeiter. Das mag fromm klingen, aber ich finde keine anderen, ich finde keine besseren Worte, den Grund meiner Hoffnung zu bezeugen.

Preisverleihung mit Kardinal Marx, Ottmar Edenhofer, Patricia Espinosa Cantellano, Marcel Huber und Florian Schuller, Foto: Robert Kiderle
Patricia Espinosa Cantellano, Generalsekretärin der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen und frühere Außenministerin der Republik Mexiko
Foto: Robert Kiderle