Pressesterben

Da der angeblich im Maja-Kalender für Ende 2012 vor gesehene und von der Sensationspresse gierig aufgegriffene Weltuntergang nicht stattgefunden hat, der ja zwangsläufig auch den Untergang eben jener Presseerzeugnisse bewirkt hätte, die ihn herbeiredeten, müssen wir mit unangenehmen Verzögerungen rechnen und etwas mehr Geduld aufbringen in hoffnungsvoller Erwartung des Ablebens einiger Blätter. Schon die Pietät verlangt es, keine Namen zu nennen, die so klingen wie Bild, Stern, Spiegel oder auch Süddeutsche. Überdies ist es nach Karl Kraus„in einem Rechtsstaate verboten, zum Boykott gegen die Pest aufzufordern. Schützen Sie sich selbst!“ Den einsamen Kulturkampf gegen den geistlosen Geist seiner Zeit, gegen die Konstruktion und Manipulation der Welt durch die Zeitung („Im Anfang war die Presse“) hatte Kraus im letzten Jahrhundert verloren. Die letzten Tage der Presse scheinen erst jetzt anzubrechen. Aber ihr Niedergang folgt nicht aus Notwehr und Selbstschutz des Publikums, das sich aus kulturellen, ethischen oder religiösen Gründen vor der Pest bewahren will, sondern hängt mit einer technischen Entwicklung zusammen, die nicht mit humanitärem Fortschritt gleichzusetzen ist. Es ist schlicht und einfach alles ergreifend das Internet. Und wie immer bei technischen Revolutionen, schließt sich ihnen das ökonomische Kalkül an.
Anders als das von den Zeitungen angedrohte Waldsterben findet das Zeitungssterben tatsächlich statt. Es ist ein gedehntes Sterben in unmerklichen Etappen, über das die Moribunden wenig zu berichten haben, weil sie sich immer noch an Strohhalme einer Überlebenshoffnung klammern, die wohl kaum in Erfüllung geht: Im Unterschied zum heilsam-makabren Beerdigungsritual der Kirche, bei dem man für „denjenigen unter uns“ mitleidsvoll betete, der als nächster sterben und vor Gottes Gericht treten müsse. Hierbei richteten sich die Blicke der Trauernden auf den gebrechlichsten Todeskandidaten, dem das Ableben seines Vorgängers eine ebenso furchtbare wie fruchtbare Erinnerung sein sollte.
Dieses memento mori läßt sich leider nicht so ohne weiteres auf unsere Zeitungswelt pastoraltheologisch anwenden. Herausgeber und Journalisten von Zeitungen, die dem Tag oder gar „der Moderne“ dienen, halten sich für unentbehrliche Missionare im geschichtlichen Kampf um eine Aufklärung, die alles, nur nicht ihr eigenes Schicksal umgreift. Darin liegt ihre abergläubische Erwartung auf ein geschichtsnotwendiges Überleben begründet, die sich durch angestrengtes Suchen nach immer neuen sensationellen Neuigkeiten erfüllen soll. Mag die wahre Wirklichkeit dramatisch, traurig und gefährlich genug sein: Die Augen, die man vor ihr verschließt, müssen abgelenkt werden durch möglichst primitive mediale Reize. Dann wird der verbale Furz eines angeheiterten Wirtschaftsministers, der sich leichtsinnigerweise für ein Thekengespräch mit einer Journalistin hergab, als Ausdruck jenes verabscheuungswürdigen „Sexualismus“ angenommen, über den sich das Journal in gespielter Entrüstung erst hermachen konnte, als es ihn zuvor begrifflich präpariert hatte.
Spätestens nach der Konstruktion des „Brüderle-Skandals“, aber lange vorher schon, seit Erfindung der Hitler-Tagebücher, wäre der sinkende Stern eigentlich fällig gewesen, ebenso wie andere Magazine und Unterleibsorgane, die ihre Geschmacklosigkeiten und Geistesverwirrungen mit notorischem Haß auf Christentum und Kirche verbinden. Aber man hört schon die Wälder rauschen, und die Blätter rascheln besonders laut, bevor sie fallen.
Die Erben sollen sich nicht zu früh freuen. Totgesagte leben manchmal etwas länger. Dafür trifft es gelegentlich, plötzlich und unerwartet, auch die vermeintlich Gesunden. Den Produzenten und Konsumenten des globalen Medienmarktes sollte es inzwischen klar geworden sein, daß sie Opfer oder Profiteure eines säkularen Ereignisses sind. Im world-wide-web verfängt und versammelt sich heute jede Information, Botschaft und Kommunikation, da gibt es kein Entrinnen. Die internationale Entwicklung folgt dem US-amerikanischen Muster und Vorbild. Hierzulande sind die Reaktionen auf den Untergang der „Frankfurter Rundschau“, der „Financial Times“ und der „Westfälischen Rundschau“, auf den Niedergang der WAZ-Gruppe und weiterer Konzerne, eher verhalten und nüchtern. Man bedauert den Verlust von Arbeitsplätzen, plant Fusionen oder strategische Allianzen – und will die „heimatlos“ gewordenen Rest-Abonnenten als Werbungspotentiale gewinnen.
Bezeichnend ist, daß es bei diesen Abwicklungen nicht mehr um das „geistige Erbe“ der Verblichenen geht. Derlei kulturpolitische Nachrufe wirken antiquiert, denn seit vielen Jahren haben sich auch die „Qualitätszeitungen“ immer mehr einander angepaßt und büßten dabei Profil, Charakter und Niveau ein. Unverzichtbar ist die Presse nicht, und wer sie für „systemrelevant“ erklärt, ist vor allem an staatlichen Subventionen interessiert.
Leute von heute abonnieren keine Zeitungen mehr und empfinden keine Trauer über den Verlust. Eher denken sie an die vielen Bäume und Wälder, die zur Papierherstellung ihr Leben lassen mußten. Die elektronisch-digitale Technik wird uns schon aus ökologischen Gründen den Kauf eines flüchtig-aktuellen Printmediums verleiden, wenn wir es als „E-Paper“ überall auf der Welt und schon vor Drucklegung „downloaden“ können. Und dann noch zu Preisen, die zu preisen sind. Und vor allem in einer Vielfalt, die jede Form von Indoktrinierung konterkariert, wenn man dieses Medium richtig zu nutzen weiß. Das gilt auch für Bücher; ganze Bibliotheken sind im Laptop verfügbar und warten auf Leser.
Junge Nutzer und Nichtsnutze treffen sich im Internet, „twittern“ mit dem Papst , bilden Gemeinschaften, orientieren sich bei Wikipedia und geben bei Google vielleicht den Suchbegriff „Wahrheit“ ein. Ein Treffpunkt natürlich auch für Dilettanten, Schmarotzer, Diebe, Falschmelder, Hetzer und Dummköpfe, die im Schutz der Anonymität viel Schmutz produzieren. Gewiß ist das Internet zu einem Leitmedium geworden, das zugleich anarchisch-subversive Züge trägt. Damit können Minderheiten, auch die Christen, dem mainstream Paroli bieten.

(c)-Vermerk: Die Neue Ordnung, Jahrgang 67, Nr 1/Februar 2013

Über Wolfgang Ockenfels 43 Artikel
Prof. Dr. Dr. Wolfgang Ockenfels, geboren 1947, studierte Philosophie und Theologie in Bonn und Walberberg. 1985 erhielt er eine Professur für Christliche Sozialwissenschaften mit den Lehrgebieten Politische Ethik und Theologie, Katholische Soziallehre und Sozialethik, Wirtschaftsethik sowie Familie, Medien und Gesellschaft an der Theologischen Fakultät Trier. Ockenfels ist zudem Geistlicher Berater des Bundes Katholischer Unternehmer BKU und Chefredakteur der Zeitschrift "Die Neue Ordnung" in Bonn. Er gehört zum Konvent Heilig Kreuz der Dominikaner in Köln.

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.