Vor 80 Jahren wurde der Theologe Dietrich Bonhoeffer von den Nazis umgebracht. Unbeugsam ging er seinen Weg zum Strang, getragen von Glauben und Liebe. Doch wer war dieser Theologe, der in seiner Jugend ein passionierter Wanderer, Klavier- und Tennisspieler war, der die Welt durchmessen, Europa durchquert hatte? Von Stefan Groß-Lobkowicz.
Der deutsche Pastor und Widerstandkämpfer Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) zählt zu den bedeutendsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Für den Glauben und für die Wahrheit zu sterben, lies ihn schnell zum Märtyrer des 20. Jahrhunderts werden. Seine Gottesfürchtigkeit wie sein Wissen, dass das Gute über die dämonische Macht des Bösen, inkarniert im damaligen Nationalsozialismus, siegen wird, zählte für ihn zu einem unverbrüchlichen Geheimnis des Glaubens. Die guten Engel waren es gewesen, die ihn in dunklen Zeiten retteten, als das Absurde ihn wie ein Krake in den Händen hielt, das Böse mit seinen finsteren Mächten umfesselte und in die seelischen Abgründe der Verzweiflung führte. Wie einst Martin Luther auf dem Reichstag zu Worms widerstand der Christ und Mitbegründer der Bekennenden Kirche den Schergen der Nazi-Diktatur – er blieb seinem Gewissen und Glauben bis in den Tod hinein treu und unbeugsam. Und wie einst der Reformator aus Eisleben betonte Bonhoeffer, dass die Christen die „Gehorsamspflicht“ so lange binde, „bis die Obrigkeit ihn direkt zum Verstoß gegen das göttliche Gebot zwingt.“ Wenn das System aber unmenschlich und antichristlich wird, wurde für Bonhoeffer der Widerstand gegen die Barbarei, die Verbrechen an der Menschlichkeit Christenpflicht.
Der Erzfeind Adolf Hitlers
Am 9. April 2025 jährt sich nun zum 80. Mal sein Todestag. Zusammen mit weiteren Angehörigen des Widerstands um den 20. Juli 1944, dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler, wurde er am 9. April 1945 im Arresthof des Konzentrationslagers Flossenbürg durch den Strang hingerichtet. Ohne Angst, dem Tod in die Augen zu blicken, ist Bonhoeffer diese letzten Schritte hin zum Schafott seines irdischen Lebens gegangen – nicht zuletzt in der Gewissheit und Hoffnung auf ein gnadenreiches ewiges Leben. Berühmt wie emotional berührend – eine letzte Botschaft kurz vor dem Tod, einem Mitgefangenen überliefert, gerichtet an den väterlichen Freund und großen Ökumeniker Bischof George Bell: „Sagen Sie ihm, dass dies für mich das Ende ist, aber auch der Anfang. Mit ihm glaube ich an unsere weltumspannende christliche Bruderschaft, die sich über allen nationalen Hass erhebt, und: dass unser Sieg gewiss ist.“
Ob seines couragierten Eintretens gegen den Nationalsozialismus geriet er bereits früh in das Visier der Nazis. Bald stand er auf der Top-Todesliste jener Personen, die Führer und Reich massiv bedrohten. Adolf Hitler selbst hatte sich des Schicksals des aus Breslau gebürtigen Pastors angenommen und dieses bis zu seinem Tod – schon als der Krieg als verloren galt – persönlich verfolgt und den Tod höchstpersönlich angeordnet.
Im Jahr 1943 wurde Bonhoeffer von den Nationalsozialisten in Berlin verhaftet. Während dieser Zeit schrieb er Briefe und Gedichte an seine Familie und Freunde. Es müssen schreckliche Stunden und Tage gewesen sein, die er im Kellergefängnis des Reichssicherheitshauptamts in Berlin, in der Prinz-Albrecht-Straße, durchlitten haben muss. Geprägt von Todesangst und seiner aussichtlosen Lage, möglicherweise den Krieg nicht zu überleben, schrieb er im Dezember 1944 einen Brief an seine Verlobte Maria von Wedemeyer. Auf der Hinterseite vermerkte er das Gedicht „Von guten Mächten“, welches ihn später – bis in die Gegenwart hinein – unsterblich machen sollte.
Gerade in der Zeit tiefster Ungewissheit und größten Leides spiegelt sich in den Zeilen keineswegs Resignation über sein aussichtloses Schicksal. Vielmehr verleihen die Worte eine tief empfundene Hoffnung und das Vertrauen auf die Gegenwart Gottes. Schon 1940 erhielt Bonhoeffer Rede- und 1941 Schreibverbot. Die Angst vor dem „kleinen Theologen“, der wie Alfred Delp und Paul Schneider, der Prediger von Buchenwald, ein ganzes System zu Wanken bringen könnte, war bei den Nazis groß. Alles, was sie aus ihrer menschenfeindlichen Ideologie verachteten, was ihnen am bösen Herzen fremd war, wehte durch die Reden und Schriften dieser Theologen, war Ärgernis und Bedrohung des sich als allmächtig verstehenden Systems. Gegen die Unmenschlichkeit und den Rassenwahn von Hitler und Co plädierten die Widerständler für die Menschenwürde, gleich welcher Religion und Hautfarbe sie angehörten. Anstelle auf Repression, Angst und Kriegseuphorie setzten sie auf Zivilcourage, Alltagstugenden, Ehrlichkeit und die Einheit von Reden und Tun.
Im Jahr 1943 schrieb Dietrich Bonhoeffer im Gefängnis sein persönliches Glaubensbekenntnis, das sein ganzes Denken, Fühlen, Wollen und Handeln, aber auch seine Zuversicht spiegelte: „Ich glaube, daß Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, daß Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müßte alle Angst vor der Zukunft überwunden sein. Ich glaube, daß auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und daß es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten. Ich glaube, daß Gott kein zeitloses Fatum ist, sondern daß er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.“
„Der Staat, der die christliche Verkündigung gefährdet, verneint sich selbst.“
Verweigerte die Kriegseuphorie vielen Deutschen eine kritische Wahrnehmung und Reflexion auf das Unrechtregime, waren viele durch die Nebelkerzen verblendet, durch die Propaganda gefangen und aus Angst vor Repression und Konzentrationslager zu Mitläufern der NS-Ideologie geworden, so gab es doch viele, die sich nicht den Rücken verbogen und den Mut hatten, sich zu widersetzen. Die Liste jener Menschen ist lang. Sie alle, die Verschwörer des Hitlerattentates, wie auch der seit Anbeginn gegen Hitler rebellierende Journalist Fritz Gerlich waren wie Bonhoeffer von einem fast übermenschlichen Mut getragen, dem Nationalsozialismus als unmenschlicher Diktatur den Kampf anzusagen. So forderte Bonhoeffer bereits 1933 in dem Radiovortrag „Wandlungen des Führerbegriffes“ eine Begrenzung totaler Machtfülle des Kanzleramtes durch rechtsstaatliche Ordnung und Volkswohl: „Der echte Führer […] muß die Geführten von der Autorität seiner Person weg zur Anerkennung der echten Autorität der Ordnungen und des Amtes führen […] Führer und Amt, die sich selbst vergotten, spotten Gottes.“ Bonhoeffer, einer der profiliertesten Vertreter der Bekennenden Kirche nahm bereits April des gleichen Jahres öffentlich Stellung gegen die nationalsozialistische Judenverfolgung. Er engagierte sich im Kirchenkampf und bezog Stellung gegen die Deutschen Christen.
Bonhoeffer rebellierte gegen den Arierparagraphen im Berufsbeamtengesetz und verhalf in späteren Jahren jüdischen Gläubigen zur Flucht. Als einer der ersten thematisierte er das Verhältnis der NS-Rassenideologie zum christlichen Glauben und griff die traditionelle antijudaistische Substitutionstheologie auf: „Niemals ist in der Kirche Christi der Gedanke verloren gegangen, daß das ‚auserwählte Volk‘, das den Erlöser der Welt ans Kreuz schlug, in langer Leidensgeschichte den Fluch seines Leidens tragen muss.“ […] „Der Staat, der die christliche Verkündigung gefährdet, verneint sich selbst.“ Gegen diesen Staat sich aufzulehnen, der mit seinen Gesetzen gegen die Menschlichkeit verstößt, bleibt daher eine Christenplicht. Die Plicht zu protestieren, zu widerstehen, darf nur auf friedlichem Weg geschehen. Mahatma Gandhis Friedensethik des gewaltlosen bzw. gewaltfreien Widerstandes hatte den Theologen tief geprägt, seine Vision blieb eine Weltgemeinschaft, in der alle Menschen in Frieden miteinander koexistieren. „Es gibt keinen Weg zum Frieden – Frieden ist der Weg.“ „Wer von uns darf denn sagen, daß er wüsste, was es für die Welt bedeuten könnte, wenn ein Volk – statt mit der Waffe in der Hand – betend und wehrlos und darum gerade bewaffnet mit der allein guten Wehr und Waffen den Angreifer empfinge?“