Vor 80 Jahren wurde der Theologe Dietrich Bonhoeffer von den Nazis umgebracht. im zweiten Teil unserer Annäherung an den den Widerstandskämpfer widmen wir uns der Theologie des aus Breslau gebürtigen Denkens zu. Von Stefan Groß-Lobkowicz.
„Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist“
Gegen das Rechtsbewusstsein des nationalsozialistischen Staates, der Unrecht durch positives Recht legitimierte, der den christlichen Glauben verachtete und anstelle Gottes die Idee des tausendjährigen Reiches setzte, widersetzte sich Bonhoeffer. Er kritisierte seine evangelische Kirche, weil sie dem Führer an den Lippen hänge, weil viele Christen nicht mehr an Gott und Jesus, sondern an das Reich und den Führer glauben und ihr Gewissen an den Nagel gehängt haben. In seinem Hauptwerk „Ethik“ formulierte er ein an den Zehn Geboten orientiertes stellvertretendes Schuldbekenntnis für das Versagen der Bekennenden Kirche gegenüber der Judenverfolgung seit 1933
Früh sah er die Kirchen berufen, gegen das dämonische System der Diktatur Stellung zu beziehen, begriff er doch die Änderung politischer Zustände nicht mehr als Sache der Welt. Wenn die weltlich-politische Vernunft sich also als chancenlos und unmächtig erweist, dem repressiven System gegenüber Widerstand aufzurichten und den menschenvernichtenden Weltkrieg zu beenden, obliegt es der Kirche, mit der Realisierung der Friedensethik zu beginnen. Hinter diesem Credo steht Bonhoeffers Verständnis von Kirche, die gleichwohl „Offenbarungsform sowie „ein Stück Welt“ ist. „Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist“ ganz in der Analogie, dass „Christus der Mensch für andere ist“.
Die evangelische Kirche hatte ihre Wächterfunktion gegenüber dem NS-Staat nicht wahrgenommen, so der langjährige Wissenschaftler und Hochschullehrer. Seiner Kirche hielt er 1944 kritisch den Spiegel vor Augen, dass sie „nur um ihre Selbsterhaltung gekämpft […]“ habe, als wäre dies einzig und allein ihr Selbstzweck. Diese Kritik war vom evangelischen Theologen auch und insbesondere an die Deutschen Christen gerichtet, eine rassistische, antisemitische und sich am Führerprinzip orientierte Strömung im deutschen Protestantismus, die diesen von 1932 bis 1945 an die Ideologie des Nationalsozialismus angleichen wollte. Den Zusammenbruch der organisierten Kirchen sah der Theologie als eine Folge der zu „billig“ erworbenen Gnade und zog daraus negative Bilanz des Volkskirchentums.
Die gewissenlose Republik
Die gewissenlose Republik ist Bonhoeffer ein Zeichen dafür, dass der christliche Glaube an Wirt- und Stahlkraft verloren hat. Frühzeitig hatte er die Kirchenferne des Bürgertums diagnostiziert und beklagte eine leere Religiosität innerhalb der Kirche. Dieser Säkularisierungsschub, dieser Hang des Einzelnen nur noch sich zu spiegeln, diese Passivität aus einer wohlsituierten Egozentrik heraus, hat die Menschen nicht nur sich selbst, sondern auch gegenüber Gott entfremdet. Wo der Glaube aber fehlt, breitet sich der Relativismus aus, dem letztendlich auch die christlichen Werte und Gebote verlustig gehen.
Sich der Selbstauslösung des Glaubens entgegenzustellen, wird für Bonhoeffer der Ort der Entscheidung. Wachrütteln will er mit seiner Theologie, mit seinen Werken Nachfolge“ und seiner „Ethik“. Er lehnt die Zwei-Reiche Lehre ab und spannt den Glauben buchstäblich vom Himmel auf die Erde. Glauben an Gott gibt es nur im Diesseits. Den puren „Jenseits-Gott“ als das Wesenskonstitutive der „Religion“ lehnt er ab. „Seit Gott in Christus Fleisch wurde und in die Welt einging, ist es uns verboten, zwei Räume, zwei Wirklichkeiten zu behaupten: Es gibt nur diese eine Welt.“ „Gott ist da; d.h. nicht in ewiger Nichtgegenständlichkeit, sondern – mit aller Vorläufigkeit ausgedrückt – ,habbar‘, fassbar in seinem Wort in der Kirche.“ Und: „Allein weil Gott ein armer, elender, unbekannter, erfolgloser Mensch wurde, und weil Gott sich von nun an allein in dieser Armut, im Kreuz, finden lassen will, darum kommen wir von dem Menschen und von der Welt nicht los […],“ bekennt der Theologe, der an der Maxime festhält, dass wir auf Erden so leben müssten, als ob es Gott nicht gäbe. „Wir können nicht redlich sein, ohne zu erkennen, dass wir in dieser Welt leben müssen, als ob es Gott nicht gäbe. Und eben dies erkennen wir vor Gott! Gott selbst zwingt uns zu dieser Erkenntnis. … Der Gott, der mit uns ist, ist der Gott, der uns verlässt. Gott lässt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns.“
Zwei Welten – Realität Gottes und In-der-Welt-Sein
Leben in der Realität Gottes und zugleich in der Welt-Sein – für Bonhoeffer sind das keine zwei parallele Universen, vielmehr kommt der gläubige Mensch nur durch die Welt hindurch zu Gott, aber nicht an der Welt vorbei. Und mehr noch: Nicht nur durch die Welt zu Gott, sondern auch durch die Gemeinschaft mit den anderen, dem Eingebettet-Sein in die christliche Gemeinschaft, vermag der Gottesbezeug gelingen.
Gegen eine positivistische Ethik im Sinne von August Comte, die sich lediglich auf eine Zweckorientierung und Wissenschaftlichkeit reduziert und damit die Wirklichkeit Gottes verleugnet, stellt Bonhoeffer seine Christozentrik und den Gedanken, dass die Kirche eine Gemeinschaft von Seelen, ein realer Leib Christi auf Erden, ist. „Christus als Gemeinde existierend“ wird so zu einem Schlaglicht seiner Theologie, in der Gott sich offenbart, um nicht frei vom Menschen, sondern frei für den Menschen zu sein. Wenn Menschen und Gott zusammenkommen sollen, so nur durch den Weg Gottes zum Menschen. So zeigen das Leben und der Tod Jesu in aller Deutlichkeit, dass Gott dem Menschen in einer bedingungslosen Liebe nachgeht, die „stärker ist als der Tod“ ist. Und dieser Christus kann „nicht in einem An-sich-sein, sondern nur in seinem Für-mich-sein, in gegenseitiger personaler Bezogenheit und nur in der Gemeinde gedacht werden.“
Ohne Kreuz keine Auferstehung
Ohne Kreuz, ohne ein Leben in Leid, gibt es für Bonhoeffer keine Auferstehung. Sein eigenes Leben hatte es unter das Kreuz gestellt. Er ertrug die Qualen, die ihm das Schicksal fesselnd an die Füße schnürte. Sich selbst für den Glauben zurückzunehmen, sich in der Diesseitigkeit allen Erfolgen und Misserfolgen, allen Erfahrungen und aller Ratlosigkeit zu stellen, hat er stets als ein Gott-ganz-in-die-Arme-Werfen verstanden. Nur so vermag man „nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der Welt“ ernst zu nehmen“. „Dann wacht man mit Christus in Gethsemane, und ich denke, das ist Glaube, das ist Metanoia und so wird man ein Mensch, ein Christ.“ Allein durch die Metanoia verändert der Mensch sein Denken, Handeln und seine Art zu leben und die Welt zu interpretieren – aber genau diese wird durch die Krise erzwungen. Bonhoeffer hat diese rigorose Wendung im eigenen Denken vollzogen und ist auf das Schafott gestiegen, wohlwissend, dass dies nicht sein Ende, sondern sein Anfang ist.
Wider die neuen Nationalen – „Dummheit ist ein gefährlicher Feind des Guten als Bosheit“
Den Spätgeborenen, den AfD-Sympathisanten, die derzeit wieder im Gleichschritt widrig-menschenverachtende Parolen in die Welt schreien, ihrer groben, die Menschlichkeit verachtenden Politik, eignet wieder der Duktus von Nationalismus, Revanchismus, Relativismus und Chauvinismus. Diesen Horden um Björn Höcke, die buchstäblich nichts aus der Geschichte gelernt haben, diese sogar relativieren, zum Vergessen und zum Schweigen bringen wollen, diese unsäglichen Nivellierer von Blutrausch und Völkermord Getriebenen, diese Geschichtsleugner und neuen Propheten, die auf der Überholspur Deutschland gerade wie einen dumpfen Sumpf überziehen – sie sind möglichweise die neuen Zündbomben, die das ehemalige Grauen wieder in die Welt tragen, die Brandstifter von morgen. Das Mittelmaß von Dummheit und Wahn, die Gefräßigkeit, Brandmauern niederzureißen und lebensfeindliche Ideologien zu säen – diese Mischung aus Dummheit und Macht hatte Bonhoeffer stets kritisiert: „Dummheit ist ein gefährlicher Feind des Guten als Bosheit. Gegen das Böse lässt sich protestieren, es lässt sich bloßstellen […], gegen das Dumme sind wir wehr- und machtlos,“ weil Argumente bei ihnen auf taube Ohren stoßen. Wehret also den Anfängen! Bonhoeffer und die vielen Millionen von Toten sind Mahnmal genug.
Zum ersten Teil kommen Sie HIER