Wer ist Bayerns Grüne Katharina Schulze wirklich?

Maximilianeum - Bayerischer Landtag, Foto: Stefan Groß

Die Grünen sind auf der Überholspur sowohl im Bund als auch in Bayern. In Zeiten von GroKo-Krise und Migrations-Dilemma setzen viele Wähler auf frische Gesichter, auf eine unverbrauchte Politikergeneration, die weniger mit Ressentiments arbeitet, sondern aus dem Geist der Versöhnung heraus.

 

Dass Politik nicht nur eine Männerdomäne ist, sondern zumeist weitaus geschickter und friedlicher von Frauen geführt wurde, ist bekannt. Und die Zahl aufgeklärter Monarchinnen spricht Bände. Sei es die  österreichische Kaiserin Maria Theresia als Visionärin Europas, Katharina die Große als Weltmachtführerin,  Königin Luise von Preußen als Friedensstifterin,  Katharina Pawlowna Romanowa, Königin von Württemberg, als Sozialreformerin oder Maria Pawlowna, Großherzogin von Sachsen-Weimar, als Dichterfürstin. Die Geschichte des Abendlandes zeigte ihren feinsinnigen Esprit immer dann, wenn Frauen an der Macht oder diese umsichtig und klug eine Regentschaft mit gestalteten und verwalteten.

 

Semantisch betrachtet, steht der Name Katharina seit dem vierten nachchristlichen Jahrhundert für Mut, Persönlichkeit, Überzeugungskraft und beseelter Leidenschaft. So vermochte Katharina von Alexandrien der Legende zufolge selbst Kaiserin Faustina zum Christentum zu bekehren. Auch Kaiser Maxentius konnte ihren Freiheitsdrang, ihre Ritterlichkeit und ihren Willen nicht beugen, selbst als er seine besten 50 Philosophen und Gelehrten aufbot, um Katharina vom Irrweg des Christentums abzubringen. Doch Katharina blieb standhaft bis in den Tod hinein. Dieser unbändige Wille der Heiligen hatte einst auch Jeanne d’Arc, Johanna von Orléans, beflügelt. Die Bauerntochter wurde zur Nationalpatronin Frankreichs, stand für Patriotismus, Wagemut und Standhaftigkeit, für klassische Tugenden, die sich in ihrem Frauenbild vereinigten.

Der neue Superstar der Grünen

Nun ist Katharina Schulze, der neue Superstar der Grünen nach der Landtagswahl in Bayern, keine Heilige, will dies partout auch nicht sein. Doch die Politologin, die seit 2013 im Bayerischen Landtag mit regiert, möchte sich die politische Bühne vorerst auch nicht streitig machen lassen. Ihre Feuertaufe jedenfalls hatte sie am 14. Oktober erfolgreich bestanden. Dass das Führungsduo mit Ludwig Hartmann mit frischen Winden durch den Freistaat segelt, München gar das neue Herze der grünen Bewegung ist und unvoreingenommen für eine politische Kultur der Dialogfähigkeit und Bereitschaft steht, müssen selbst viele alte CSU-Granden anerkennen. Doch wie viel Potential tatsächlich in der Grünen Newcomerin steckt, muss sie jetzt noch unter Beweis stellen. Die 17,5 Prozent werden ihr Gradmesser sein – Hürde, Auftrag und Ansporn zugleich.

Der Verband der Redenschreiber deutscher Sprache (VRdS) hatte im Landtagswahlkampf erstmals die Spitzenkandidaten der sieben größten Parteien auf ihre Redekraft hin beleuchtet und Schulze zur Siegerin vor Ministerpräsident Markus Söder gekürt. Schulze, ein neuer Cicero?, sei die beste Rednerin im bayerischen Landtagswahlkampf, weil sie so jung und authentisch auftrete wie sie im realen Leben sei, frech und unkonventionell eben, so der bayerische VRdS-Vorsitzende Christoph Meinersmann in seinem Juryurteil.

Kampfeswille, eine überzeugende Rhetorik und der ungestüme Wagemut der Jugend, die Welt zu verändern, zeichnet die 33-jährige Freiburgerin aus. Damit erweist sich Schulze nicht nur als das unverbrauchte Gesicht der ewig nörgelnden Grünen samt Gesinnungsethik, Ökokrawall und Verbotskultur, sondern als Frischzellenkur, die die Partei tatsächlich in die bürgerliche Mitte führen kann.

Erfrischend anders

Das Macho-Gehabe bayrischer Politiker lässt sie unbeeindruckt wie ein Alpengewitter an sich vorbeiziehen. Und gegenüber dem monotonen Sing-Sang eines Anton Hofreiters, der seine politischen Statements wie ein Sprachautomat von sich hin wirft, brilliert sie mit purer Lebendigkeit und Leichtigkeit. Und auch mit der ewig anklagenden Gesinnungsrhetorik einer Katrin GöringEckardt, die für den freudlosen Protestantismus der Grünen steht, hat sie wenig gemein. Und auch von Claudia Roth unterscheidet sie sich wohltuend. Denn während bei der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages ein aggressiver und anklagender Unterton immer mitschwingt, argumentiert Schulze ideologiefreier, offener und schmiegt sich somit an den Bundesvorsitzenden Robert Habeck an, der mehr die Vermittlung denn die Provokation liebt. Aber wenn es um Nazis geht, zieht auch die smarte Politikerin gern mal den Mittelfinger blank.

Der Marsch durch die Institutionen hatte die Grünen über viele Jahre lang verhärtet, sie zu erbitterten Anwälten ihrer politischen Ansichten und zu Verächtern politisch Andersdenkender werden lassen. Die Verbotskultur war nichts anderes als die verbitterte Antwort im Grabenkrieg um Anerkennung, getreu dem Motto: „Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt“, wie Johann Wolfgang Goethe in seiner Ballade „Erlkönig“ nahe Jena dichtete. Eine Verbesserung des Menschen durch Sanktionen, Erpressung, Gewalt und Willkür galt einst als politisches legitimes Mittel linker sowie rechter aufgeladener ideologisch-totalitärer Systeme, die den besseren Menschen eben nur über die Opferung seiner Freiheit auf dem Folterbänken der Diktatur repressiv zu erschaffen suchten.

Neue Aufbruchstimmung

Doch damit ist mit Katharina Schulze hoffentlich Schluss und eine Epoche grüner Fehden samt Gewaltorgien geschlossen. Mit Schulze haben die Grünen gelernt, und dafür stand letztendlich auch ihr Slogan im Bayerischen Landtagswahlkampf „Mut geben statt Angst machen! Herz statt Hetze“, dass der Kampfschauplatz sinnvoller politischer Aktion nicht in der verrohten Straßenschlacht liegt, sondern in der Kultivierung vernünftiger Argumente auf Augenhöhe. Dass Schulze hier für einen freien Geist des besseren Arguments steht, hatte sich beim Bürgerentscheid über die 3. Startbahn (Belästigung durch Lärm und Abgase), den von ihr getragenen Protest gegen die Olympiabewerbung Münchens (Kommerz und Profit) und bei der Diskussion um das rigide Polizeiaufgabengesetz der bayerischen CSU (Beschränkung individueller Freiheit) gezeigt.

Aber es sind eben nicht nur die klassischen Themen der Grünen, die auf ihrer Agenda stehen. Neben Integration, einer moderaten Asylpolitik, Mobilitätsgarantie, Bildungsoffensive und bezahlbaren Wohnraum, der Ökologie, dem Flächenschutz, der Bewahrung der Schöpfung, der Tierethik, dem Erhalt der Artenvielfalt und dem Klimawandel samt 100 Prozent sauberen Ökostrom und Klimaschutzgesetz sind es eben immer wieder Fragen zur inneren Sicherheit, die die Vorzeigegrüne wie ein Transparent vor sich trägt. So wirbt sie schon einmal für mehr Polizei und posiert mit Spezialkommandos. Was ihr aber gegen den Strom läuft, sind Überwachungsstaat und Vorratsdatenspeicherung. Was sie hingegen präferiert, sind individuelle Freiheit, Chancengleichheit und die Vision eines friedlich geeinten Europas. Diese Ideale trägt sie an ihrem offenen Herzen für jeden sicht- und spürbar – und diese Ursprünglichkeit und Authentizität macht sie für viele liebenswert und wählbar.

Söders neue Herausforderin?

Für Markus Söder hingegen ist Katharina Schulze schon jetzt, wie einst Johanna von Orleans für den englischen König Heinrich V, eine ernstzunehmende Konkurrentin und mögliche Herausforderin – zumal sie eben nicht nur grüne Themen bedient. Vorerst jedoch hat sie Söder aus dem politischen Wohlfühlklima in Bayern verband, die Angst vor den Grünen scheint zu groß. Und dennoch muss Schulze aufpassen, nicht von der CSU verbrannt zu werden, die möglicherweise mehr in Mitte rückt und den Grünen die Themen klaut. Doch von einem Spur- oder Richtungswechsel ist auch nach der Landtagswahl bei den Christsozialen wenig zu verspüren; die angekündigte Demut des Ministerpräsidenten, die für eine programmatischen Neuanfang in der CSU-Zentrale stehen sollte, ist verdampft. Ein pures Weiter-so bleibt die Devise.

Eine ernste Gefahr für das Amt des Ministerpräsidenten ist Schulze somit vorerst noch nicht, sie ist einfach zu jung und benötigt rein rechnerisch und rechtlich noch sieben Jahre um am Thron des Ministerpräsidenten zu rütteln. Mit ihrem Siegeszug jedoch macht Schulze nun auch den Süden Deutschlands politisch noch grüner, wenngleich noch nicht ganz so grün wie imbenachbarten Baden-Württemberg unter Winfried Kretschmann.

 

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2124 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".