Der andere Russe – Vladimir Sorokin und sein Engagement gegen den Ukraine-Krieg

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Der russische Erfolgsschriftsteller Vladimir Sorokin ist aktuell eine wichtige russische Stimme. Er repräsentiert das andere Russland. Er war schon lange ein anderer Russe und ein Kritiker Putins. Mehrmals wurde er wegen seiner Werke in Moskau vor Gericht angeklagt. Mit der deutschen Literaturszene ist er schon seit Jahrzehnten in einem fruchtbaren Austausch. Bereits vor mehr als 25 Jahren erhielt der einen deutschen Literaturpreis. Einige deutsche Literaturwissenschaftlicher halten Sorokin für den bedeutendsten russischen Schriftsteller der Gegenwart. International wird er seit Jahren als Anwärter für den Literaturnobelpreis gehandelt. Mit Moskau und Berlin hatte er zwei Wohnsitze und pendelte oft zwischen den beiden Hauptstädten hin und her. Seit dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine und dem grausamen Vernichtungskrieg hat er noch deutlicher als bisher Stellung gegen Putin bezogen und wird deshalb wohl nicht mehr so bald nach Moskau zurückkehren können oder wollen.

Vermittler zwischen der deutschen und russischen Kultur

Der in Moskau geborene, jetzt 67 Jahre alte russische Schriftsteller Vladimir Sorokin tauschte sich frühzeitig mit der deutschen Literaturszene aus. Seine in russischer Sprache erschienenen Romane wurden bereits vor Jahrzehnten in die deutsche Sprache übersetzt und fanden in Deutschland interessierte Leser. Aktuell sind etwa fünfzehn deutschsprachige Bücher von Sorokin im Buchhandel lieferbar. Sein neuester Erzählband „Die rote Pyramide“ ist voll von entlarvender Satire auf das autokratische russische System unter Putin. Bereits im Jahr 1996 erhielt Sorokin einen deutschen Literaturpreis. Für die Hörspielfassung seines Romans „Die Hochzeitsreise“ erhielt er von der Berliner Akademie der Künste den Hörspielpreis. An den deutschen Lehrstühlen für Slawistik sind die Werke Sorokins sehr verbreitet. Der Slawistik-Professor Dirk Uffelmann von der Universität Gießen veröffentlichte kürzlich ein Sorokin-Handbuch mit dem Titel „Vladimir Sorokins Diskurse“ (2021).

Offene Putin-Kritik seit Kriegsbeginn

Seit dem Beginn des Ukraine-Krieges hat sich Vladimir Sorokin noch deutlicher gegen Putin positioniert. Nun bleibt er auch in Berlin. Im Februar 2022 war nicht nur der Kriegsbeginn sondern auch das Erscheinungsdatum seines neuen Erzählbandes „Die rote Pyramide“.  Die Titel der Rezensionen sind sehr durch den Ukraine-Krieg und die wiederholten atomaren Drohungen Putins geprägt. In einer Erzählung geht um das allumfassende Lügengebäude der Putin-Propaganda und die Als-Ob-Welt, die von Realitätsverlust gekennzeichnet ist. Richard Kämmerlings gab seiner Rezension in der „WELT“ den Titel „Echt ist bei uns nur dieser Sprengkopf. Das funktioniert.“ Kai Sina in der „ZEIT“ verwendet den fast gleichlautenden Titel „Echt ist nur der Sprengkopf“. Schließlich ist in der Frankfurter Rundschau die Rezension von Michael Schneider mit der Überschrift „Die rote Pyramide – Echt ist nur der atomare Sprengkopf“.  Dies verdeutlicht, wie immens und radikal Kriegsrhetorik und Kriegsmetaphern aktuell die literarische Welt beherrschen. Diese Buch-Neuerscheinung hat die schon bestehende Medienpräsenz von Vladimir Sorokin noch verstärkt. In mehreren Interviews seit Kriegsbeginn ließ er in seiner Putin-Kritik nichts an klaren Worten fehlen.

Gemeinsamer Aufruf „Sprechen Sie mit Russen“ in der FAZ

Bereits zwei Wochen nach Kriegsbeginn veröffentlichten Vladimir Sorokin und zahlreiche russische Schriftstellerkollegen einen mutigen Aufruf in der deutschen FAZ. Sie appellieren an die russische Bevölkerung, sich mit anderen Russen über diesen Krieg auszutauschen, statt hinter einer Mauer des Schweigens zu verschwinden. Dort ist folgendes zu lesen:

„Amtliche Medien verheimlichen das Ausmaß der Aggression. Das russische Volk wird seit vielen Jahren mit Lügen abgespeist. Die unabhängigen Informationsquellen sind fast vollständig zerstört worden. Die Opposition ist zum Schweigen gebracht worden. Die staatliche Propagandamaschine arbeitet mit aller Kraft. Gerade jetzt ist es wichtig, den russischen Bürgerinnen und Bürgern die Wahrheit über die russische Aggression gegen die Ukraine zu offenbaren. Über das Leiden und die Verluste des ukrainischen Volkes. Über Zivilisten, die angegriffen und getötet werden. Über die Gefahren für den gesamten europäischen Kontinent. Und möglicherweise – angesichts der nuklearen Bedrohung – für die gesamte Menschheit.“ (Vladimir Sorokin und viele andere russische Schriftsteller, FAZ vom 5.3.2022)

„Putin ist geliefert“

Bereits zwei Tage nach dem Einmarsch der russischen Truppen veröffentlichte Vladimir Sorokin in der Süddeutschen Zeitung einen Gastbeitrag mit dem Titel „Putin ist geliefert.“  Dort stehen folgende Worte:

Warum ist Putin geliefert? Weil er diesen Krieg begonnen hat, der völlig sinnlos und verrückt ist. Die Folgen werden für Russland zerstörerisch sein. Dieses Land ist sehr abhängig vom Rest der Welt. Von Import und Export. Das ist das Eine – zweitens ist es ein unmoralischer Krieg. Von Anfang an hat er keinen Sinn. Nehmen wir an, dass Putin gewinnt, was kann man dann anfangen mit dem Hass, den wir von 40 Millionen Ukrainern auf uns ziehen?“ Und: „Er scheint ein verrückter Mensch zu sein. Und das ist die Folge seiner absoluten Macht, welche er über 22 Jahre innegehabt hat. Macht ist eine starke Droge, sie wirkt sehr zerstörerisch auf ihn.“

„Unser Krieg“ – Russlands imperiale Träume

 Wiederum in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichte Sorokin fast zwei Monate später einen Gastbeitrag, in dem er auf die in Deutschland verbreitete Diskussion eingeht, inwieweit die „Putins Krieg“ ist und in welchem Umfang dieser von der russischen Bevölkerung mitgetragen wird. Sorokin betont darin, dass die imperialen Träume, der Nationalstolz und der Patriotismus in der russischen Bevölkerung stark verankert sind. Seit Zar Iwan der Schreckliche seien Eroberungsfeldzüge und imperiale Strebungen Teil der russischen Identität. In den Worten von Sorokin hört sich dies wie folgt an:

„Mitte des 16. Jahrhunderts hat Zar Iwan der Schreckliche seine Herrschaft nach mongolisch-byzantinischem Muster errichtet. Er überfiel das freie Nowgorod, zuvor Hauptstadt einer Republik, welcher schon sein Großvater Iwan III. den Garaus bereitet hatte. Kiew gehörte zu der Zeit bereits zur polnischen Rzeczpospolita. Seither hat sich in Russlands Weiten dieses mongolisch-byzantinisch geartete pyramidale Herrschaftssystem mit einem absolutistischen Monarchen an der Spitze etabliert.“ Es sei auch ein Krieg der Vergangenheit gegen die Zukunft, so Sorokin weiter, der mit einem auch im Westen noch verbreiteten Missverständnis aufräumt: „Kern der ‚Entnazifizierung‚ in Putins Verständnis ist nicht der Kampf gegen die Schimäre eines ukrainischen Nazismus, sondern die Aberkennung der nationalen Souveränität schlechthin.“  Sorokins schließt mit den Worten: „Europa muss der Ukraine zum Sieg verhelfen – Europa muss Europa verteidigen.“ (Vladimir Sorokin, Süddeutsche Zeitung vom 22. 4. 2022)

Mit der Metapher „Unser Krieg“ verweist Sorokin auf die tiefe Verwurzelung im Bewusstsein des russischen Volkes.  Für die Zukunft steht dann eine immense Herkulesaufgabe bevor, wenn die Waffen endlich wieder schweigen. Dann gibt es viel „aufzuarbeiten – gerade in der russischen Bevölkerung. Dazu kommt der mühsame Wiederaufbau der zerstörten Ukraine und hoffentlich die Bestrafung der russischen Täter für die begangenen Kriegsverbrechen.

Literatur

Csef, Herbert, Vladimir Sorokin – Erfolgsschriftsteller und Putin-Kritiker. Tabularasa Magazin vom 15. März 2022

Kämmerlings, Richard, „Echt ist bei uns nur dieser Sprengkopf. Das funktioniert.“ Die Welt vom 19.2.2022

Schneider, Michael, Die rote Pyramide – Echt sei nur der atomare Sprengkopf. Frankfurter Rundschau vom 2.3. 2022

Sina, Kai, Echt ist nur der Sprengkopf. Die Zeit vom 24. 3. 2022

Sorokin, Vladimir, Der Tag des Opritschniks. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007

Sorokin, Vladimir, Die rote Pyramide. Erzählungen. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022

Sorokin, Vladimir, Putin ist geliefert. Süddeutsche Zeitung vom 26.2. 2022

Sorokin, Vladimir u.a. russische Schriftsteller, Sprechen Sie mit Russen. FAZ vom 5.3. 2022

Sorokin, Vladimir, Interview in der Deutschen Welle. Kultur 21. Zum Thema: Im Krieg: Was bewegt die Kunst? Sendung vom 12.3. 2022

Sorokin, Vladimir, Putin zerstört die russische Kulturnation. Spiegel vom 15.4. 2022

Sorokin, Vladimir, Unser Krieg. Süddeutsche Zeitung vom 22.4. 2022

Uffelmann, Dirk, Vladimir Sorokins Diskurse. Ein Handbuch. Universitätsverlag Winter Heidelberg 2021

 

 

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Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.