Die Jenaer Augenärztin Renate Groß gab eine vielbeachtete Ausstellung in der Universitätsstadt an der Saale

Bilder von Renate Groß, Foto: Stefan Groß
Bilder von Renate Groß, Foto: Stefan Groß

„Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt, hatte einst Goethe geschrieben. Und dieser Goethe war ein Mensch offenen Auges. Und diese Art des Schauens, der empirisch-detaillierte Blick, die Wachheit der Anschauung, das Erarbeitete in Form zu gießen, ist sicherlich eine Maxime einer Frau, die nicht nur den Blick, den Aus- und Augenblick sich zum Beruf erwählte, sondern die die Dinge, die Phänomene, in ihrer Kleinheit, Abwägigkeit, in ihrem bloßen Vorübereilen zeitlebens mit ihren Augen aufsaugte. Ja, zum „Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt“ – dies mag vielleicht ein Geheimnis ihres künstlerischen Schaffens sein, die Welt in ihrer Fülle als Wunderhorn in sich abzubilden, um aus dem Reichtum des Erlebten, den großen Raum der Darstellung zu betreten. Doch dieser Raum, diese Welt der Bildenden Kunst, erobert sie sich leise, als Dilettant, oder wie sie gerne sagt, als jemand, dessen Anspruch es nicht ist, die Welt zu verändern, zu revolutionieren, sondern für die Kunst ein rein subjektiver Ausdruck individuellen Schaffens und eines unmittelbaren Glückserlebens bleibt. Gerade aber dieser Diletantismus als Selbstanspruch und Selbstaufgabe und Grenze, kommt nicht manieriert entgegen, vielmehr eklektisch und dennoch aus dem Spurwasser einer persönlichen langen Lebenserfahrung, die nicht ohne Zweifel, Selbstzweifel war.  Deswegen hat sie auch lange gehadert, überhaupt auszustellen.  

Bilder von Renate Groß, Foto: Stefan Groß

Ihren Blick auf die Welt, transformiert sie wechselvoll, er bestimmt sich nicht als Schema, das zugrunde liegt, sondern der als Akt oder Ereignis beflügelt. Thematisch schwenkt sie dabei sowohl ins transzendent-Religiöse quasi als Gottessucherin, aber auch die Alltäglichkeit vermittelt sich in ihren Kreidebilden, in seinem Hier- und So sein, das sich ebenso lebendig wie farbenfreudig materialisiert, sei es im Geschlecht als Hort und Quelle des Lebens, sei es im Harlekin als dem Offenbarer verschlossener Wahrheiten, seien es die verkreuzten, parallelen oder sich annährenden Wege zwischen Mann und Frau.  

Bilder von Renate Groß, Foto: Stefan Groß

Dabei variieren die Augenblicke! Mal sind sie gegenständlich naturell, mal mystisch-verklärend, mal realistisch, mal abstrakt. Bei allem Wechsel des Sujets sucht sie aber nicht nach der Regel der Kunst, sondern es ist das Ereignis selbst, das ihre Kunst gebiert, für das diese steht. Das Augenblickhafte  manifestiert sich zugleich als Stimmungsbild, zugleich aber auch als eine Ars inveniendi, einer Kunst also, die versucht die Welt zu übersteigen, Reales und Imaginäres, Wirklichkeit und Ideal miteinander zu synthetisieren. So wirken ihre Kreidezeichnungen wie aus der Zeit gefallen, und illustrieren doch immer wieder Zeitgeschichte. Sie sind Geschöpfe religiösen Glaubens wie Produkte einer lebendigen Welterfahrung, die das Universum, die Zerrissenheit, die Sehnsucht und den Tatendrang einer Rentnerin im Unruhestand spiegeln. Und seit sie Rentnerin ist, arbeitet sie viel seltener, aber ein bisschen farbenfroher und heiterer

Bilder von Renate Groß, Foto: Stefan Groß

Für den Betrachter bleiben sie Spuren, die er aufgreifen oder verwerfen kann, Bruchstücke, ein Glasperlenspiel des Lebens, Spuren eines Lebens, das in der Kunst auch, wie es Jean Paul formulierte, nicht das Brot, sondern den Wein des Lebens findet.

Ihre Bilder sind insofern postmodern, weil sie Andeutungen bleiben, weil sie den Betrachter dazu auffordern, einzutreten, und wie formulierte es einst Christoph Schlingensief: „Kunst wird erst dann interessant, wenn wir vor etwas stehen, das wir nicht gleich restlos erklären können“.

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Über Stefan Groß-Lobkowicz 2155 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".