Durch Bild inspiriert: Stolpersteine für die Täter

Jüdisches Denkmal in München, Foto: Stefan Groß

Jede Stadt und nun auch fast jedes Dorf nennen Stolpersteine ihr eigen, welche bei einer Größe von 10 cm x 10 cm x 10 cm in den Gehwegen eingelassen werden. Tritt man an die Messing bezogenen Steine heran, so erkennt man die Namen der Opfer, ihre letzte Adresse, eventuell Geburts- und Morddatum. 1 x jährlich, jeweils am 9. November, heute: Reichspogromnacht, früher: Reichskristallnacht, werden die Steine von abgeordneten Schülern freiwillig gewienert. An diesem Tag versammeln sich weit entfernte Familienangehörige der Täter um die nächstgelegenen Stolpersteine, singen fromme Lieder, hören ein pathetisch vorgetragenes Gebet und wundern sich nicht, dass kaum überlebende Nachkommen der Opfer bei den tief berührenden Treffen anwesend sind.

Warum erscheint keine Abordnung der Opfer zu den Feierlichkeiten?
Warum gedenkt man nur der Opfer, ohne die direkt verantwortlichen Täter auch nur zu erwähnen?

Stattdessen spricht man über die Nazi-Täter im Allgemeinen, nicht über die einzelnen Nazi-Täter! Auch die einzelnen Nazi-Täter verdienen einen Stolperstein auf dem Gehweg vor dem Haus, wo sie einst als Mörder und Mordgehilfen fürs Vaterland gewirkt haben. Um den Holocaust zu verstehen, nützen keine namenlosen Täter. Um den Holocaust zu verstehen, brauchen wir die genauen Daten der Täter – die selben Daten wie die Opfer. Erst dann werden die Nachkommen der Opfer den Holocaust verstehen. Erst dann werden auch Abordnungen der Opfer zu den Feierlichkeiten erscheinen.

Der vernünftige Vorschlag ist sehr schwer umzusetzen, wenn überhaupt. Denn niemand will in einem Haus wohnen, wo Stolpersteine an SS-Mörder, KZ-Aufsehern und anderen Massenmördern erinnern. Noch weniger als in einem Haus, wo Juden gewohnt haben, bevor die Vorfahren der jetzigen Hausbewohner diese Juden günstig beerbt haben. Doch ohne Täter-Stolpersteine ist eine Aufarbeitung der unbegreiflichen Geschehnisse eine Illusion. Und ohne Aufarbeitung werden die Nachkommen der Täter irgendwann die Untaten wiederholen (müssen). Nicht unbedingt an Juden. Es gibt ja genügend andere Feindbilder, die wir ins Land holen.

Etwa 10% der arischen Bewohner Deutschlands können als Täter oder Tathelfer klassifiziert werden: Parteigenossen (Pg.), SA, SS, KZ-Wächter und spezielle Einheiten der Wehrmacht. Grob geschätzt handelt es sich um 8 Millionen Menschen, die man als Täter kategorisieren kann. Von diesen 8 Millionen werden weniger als 1/10% bestraft, gewöhnlich unangemessen milde. 6.500 Menschen bilden diesen harten Kern.

8 Millionen aneinandergereihte Pflastersteine bedecken in verschiedenen Konfigurationen eine Fläche von 8 x 106 dm2 = 8 x 104 m² = 8 Hektar = 0,08 km². Der Hambacher Forst mit 200 Hektar ist 25 x größer! Würde man sich mit den Pflastersteinen für die 6.500 Hardcore-Nazis begnügen, so bräuchte man nur 6,5 x 103 dm2 = 6,5 x 10 m² = 65 m². Das entspricht einer angemessenen Wohnfläche für Hartz 4 Empfänger. Rechnet man auf beiden Gehwegen einer Straße eine zulässige Breite für Pflastersteine von je 30 cm, so reicht eine abgelegene Dorfstraße mit einer Länge von etwas mehr als 100 Metern aus! Das sollte uns doch die Aufarbeitung des Holocausts wert sein!?

Denn nicht die Juden sind Schuld am Holocaust, sondern die Deutschen! Wir brauchen unbedingt die Täter-Stolpersteine. Nur so können wir verhindern, dass man vor lauter toten Juden die Nazis übersieht.

 

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Über Nathan Warszawski 535 Artikel
Dr. Nathan Warszawski (geboren 1953) studierte Humanmedizin, Mathematik und Philosophie in Würzburg. Er arbeitet als Onkologe (Strahlentherapeut), gelegentlicher Schriftsteller und ehrenamtlicher jüdischer Vorsitzender der Christlich-Jüdischen Gesellschaft zu Aachen.