Franz von Sales: Cancel Culture ist der falsche Weg

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Der Ton in den Medien ist oft rau, reißerisch und angriffslustig. Anstatt aufeinander zuzugehen, miteinander zu kommunizieren, regieren Vorurteile, die wie in Stein gemeißelt zu scheinen. Es hagelt von Anfeindungen und Provokationen. Der Patron der Journalisten, Franz von Sales, hatte vor vielen hundert Jahren eine ganz andere Botschaft gesendet, die heute keineswegs aus der Mode gekommen ist.  

Wer ist Franz von Sales?

Aus moderner Sicht gesehen, könnte man Franz von Sales (1567-1622) als Bestsellerautor bezeichnen, der sich mit seinen dreitausend Predigten und über 20.000 Briefen unermüdlich für die Glaubens- und Lebensberatung eingesetzt hat. Bis heute steht der Mann, der die Freude am Glauben in das Zentrum seines Denkens stellte, mit seiner „Anleitung zum frommen Leben“ („Philothea“) immer noch auf Platz 10 der christlichen Weltliteratur.

Der in der katholischen Kirche als Heiliger verehrte Fürstbischof von Genf mit Sitz in Annecy, der Ordensgründer, Mystiker und Kirchenlehrer war aber nicht nur ein Mensch mit einem fast überirdischen Output, sondern auch einer, der lange mit dem Glauben rang, der mit der calvinistischen Lehre von der Vorherbestimmung haderte und sich persönlich von Gott verdammt glaubte. Doch auf den Zweifel und das Hadern folgte die Erlösung im Anvertrauen an Gott. Fortan war er von der Überzeugung getragen, dass das, was immer Gott auch mit ihm vorhabe, gut werde, weil Gott die Liebe ist. Und dieses im Glauben fundierte Gottes- und Menschenbild sowie sein Optimismus waren es, die sein Leben prägten.

Als Patron der Schriftsteller und Journalisten einerseits, der Gehörlosen andererseits dafür stand von Sales in persona, dem es in seinem Schrifttum um geistliche Begleitung ging und zugleich um das Werben, das ein Leben in der Gegenwart Gottes pure Freude impliziert. Diese frohe Gottesliebe zeige sich in der Bejahung der Lebenswirklichkeit und in der von Gott mitgeschenkten Fülle selbst über den Tod hinaus. Laut Genesis 1,11 soll ein jeder in Demut, Sanftmut Geduld und Optimismus die Früchte seiner Arbeit buchstäblich in Gottes Dienst stellen, denn alle Früchte will Gott, jede nach seiner Art. „Liebe, und dann tu, was du willst“, so das Credo eines ursprünglich vom heiligen Augustinus stammenden, aber von Sales realisierten Satzes. „Hab’ Freude im Herzen, denn Gott schaut auf dich in Liebe.“

Statt kommunikativen Diskurs regiert oft Cancel Culture

Die Tugenden der Sanftmut und der Heiterkeit, wie sie dem „Gentlemen“ unter den Heiligen auch für den journalistischen Diskurs vorschwebten, sind aus der Mode gekommen. Statt kommunikativem Miteinander regieren heutzutage oft Cancel Culture und eine Schwerhörigkeit, ja Gehörlosigkeit gegenüber Andersdenkenden. Der Meinungspluralismus scheint eingedampft und an die Stelle von Diskurskultur, offener Meinungsbildung und Toleranz sind Vorurteile getreten, wo nicht mehr das bessere Argument gilt, sondern buchstäblich mit dem Hammer kommuniziert wird.

Die neuen Gehörlosen von heute sind mehr als jene der antiken Welt, die einst durch Aristoteles stigmatisiert wurden und die man in Sparta tötete, weil sie damals als kulturelle Analphabeten und sprachlose Wesen nicht am Logos teilhaben konnten. Die neue Gehörlosigkeit zeigt sich hingegen heute als Nicht-Hinhören und ist damit Zeichen einer medialen Polarisierung, die nur noch Extreme kennt, keine Schattierungen, kein Grau als die Farbe der gesunden Mischung, wie jüngst Peter Sloterdijk formulierte, sondern sich nur im Entweder-Oder und als Schwarz-Weiß-Klassifizierung in den Grabenkämpfen in Stellung bringt.

Von Sales Maxime „Deutlich in der Sache – aber freundlich in der Art“ ist der heutige Kampagnenjournalismus, dem es immer weniger um Inhalte gleichwohl aber um die Instrumentalisierung des je eigenen Weltbildes geht, Lichtjahre entfernt. Diesem Klick- und Geschwindigkeitsjournalismus geht es weder um die Wahrheit, sondern um eine blinde Aufmerksamkeitshascherei, die Informationen nur als bloße Mittel zum Zweck einer überquellenden Turbomaschinerie instrumentalisiert. Was auf der Strecke bleibt, ist die Ausgewogenheit der Argumente.

Wieder mit dem Herzen hören

Johannes von Guttenberg hatte mit der Erfindung des Buchdruckes und der Druckerpresse die Welt revolutioniert, von Sales mit Hilfe des Flugblattes ein Instrumentarium mit Breitenwirkung vergleichbar der modernen Sozialen Medien geschaffen. Doch ganz im Unterschied zur modernen Kommunikation, die dann den Turbo erst richtig zündet, wenn es um Anfeindungen und Hetze geht, setzte Sales in seiner Kommunikationsstrategie auf die Liebe zum Nächsten, die ganz konkret in der grundsätzlichen Annahme des anderen Menschen als Person besteht. Auch hier bleibt sein Menschenbild grundbildend für die Anerkennung und Toleranz der anderen Wesen als von Gott geliebten Personen.

Es ist dieser Gottesbezug, der nicht nur dazu führt, den Anderen in seiner Meinung zu achten und an seine guten Qualitäten zu glauben, sondern durch die gelebte Haltung der Liebe wird auch beim anderen Menschen der Wert der Liebe entdeckt und entzündet. Für den „Medienbischof“ wurde so das Herz zum Zentrum von Spiritualität und menschlicher Seele. „Wer das Herz eines Menschen gewonnen hat, hat den ganzen Menschen gewonnen.“  Wie einst König Salomo im Alten Testament wünscht sich Sales ein „hörendes Herz,“ – und dies gleichermaßen mit Blick auf die Medien und diejenigen, die tatsächlich taub sind.

„Gebt also acht, dass ihr richtig zuhört“

Zuhören mit dem Herzen – diese liebende Anweisung ist es, die uns Franz von Sales als Kommunikationsbotschafter der Vergangenheit in unsere Zeiten hinein sendet. Denn nur der kann die frohe Botschaft des Evangeliums mit dem Herzen hören, wenn er befähigt bleibt, seinen Mitmenschen zuzuhören. „Gebt also acht, dass ihr richtig zuhört!“, so die durchaus moderne Empfehlung.

Schon 1877 hatten sich italienische Journalisten an den Papst mit der Bitte gewandt, Franz von Sales zum Patron der Journalisten, Publizisten und Schriftsteller zu machen. Anlässlich des 300. Todestages des heiligen Kirchenlehrers kam Papst Pius XI. diesem Wunsch in der Enzyklika „Rerum omnium“ nach.

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2127 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".