„Gehen Sie nicht, bitte, bleiben Sie doch!“ Das zufällig wiedergesehene Künstlerpärchen wollte die beiden Schluss-Akte von Puccinis „Manon Lescaut“ an der Münchner Staatsoper nicht mehr sehen. „Uns reicht`s. Die vielen grauen Mäuse mit den roten Haaren. Was hat sich Neuenfels dabei gedacht? Man kann ihn ja nicht mehr fragen, er ist ja vor zwei Jahren gestorben. Aber was er sich da als Regisseur geleistet hat …“ Ich konnte mit der „Ausstattung“ der damals, November 2014, neuen „Manon Lescaut“-Inszenierung ebenso wenig anfangen wie die beiden Bekannten. „Bleiben Sie doch noch“, wiederholte ich, „jetzt kommt doch erst noch …“ „… das Intermezzo, wir wissen das“, halten sie fest dagegen. Im Nu waren sie auf dem Weg zur Garderobe. „Bis bald mal wieder, wir hören uns das Intermezzo daheim an, versprochen!“
Mein zweites Mal Puccinis „Manon“ im Münchner Nationaltheater hatte zwei Gründe: 1. der andere Dirigent, 2. die anderen Protagonisten. Pult-Tausendsassa Marco Armiliato erlebt man gern wieder einmal live. Er zwang einen, energisch bis zur Verbeugung, förmlich schon mit seinem rasanten, glitzernden Vorspiel in diese Schnulze „Manon Lescaut“ hinein. Und erwies sich als einer der ganz Fabelhaften, die das Intermezzo vor dem 3. Akt schlank und bewegend dirigieren, durchglüht. Und die beiden neuen Haupt-Figuren? Als cavalliere Renato Des Grieux, 2014 war`s der noch, unvergesslich, Jonas Kaufmann, als seine Partnerin nicht die vorgesehene Anna Netrebko, sondern Kristine Opolais, beide auf hohem Niveau, und nun: zwei Rollen-Debütanten, Saimir Pirgu (statt Yusif Eyvazov und, statt Ermonela Jaho: Joyce El-Khoury. Schon ihre klangvollen Namen: ein Abenteuer. Und als unvorhergesehene Gestalter der zentralen Partien? Er: fesch, in den besten Jahren, wie Jonas Kaufmann seinerzeit ganz in Schwarz, jedoch mit stählernem Tenor, eher heldisch als lyrisch, sehr strong. Metallisch, gerne laut. Im Spiel gewinnend. Albaner, soweit festzustellen war. Vor 20 Jahren, so liest man, jüngster Tenor in einer Hauptpartie, womit er sich in Salzburgs Festspiel-Historie einschrieb.
Und sie? Libanesin mit amerikanischem Vornamen. Zart, zerbrechlich, am Haus schon als Musetta in „La bohème“ zu erleben gewesen, also Puccini-erfahren. Die Manon schafft man so leicht nicht wie Mimis aufgekratzte Freundin. Besonders der Schluss von Puccinis Manon-Oper: eine nervenzehrende Sache. In der von Stefan Mayer geschaffenen Beton-grauen Ödnis der abweisenden Weiten einer „Neuen Welt“? Hier – kein Grün, kein Wasser, keine Hoffnung – seinem Ende zuzugehen, zu singen, zu spielen, die totale Erschöpfung, die Auszehrung, die Verlassenheit, die Chancenlosigkeit? Die libanesische Sopranistin schaffte das. Mit ihrem Partner. Und mit großem Respekt fürs Durchhalten bis zum bitteren Ende, das Grab als Sehnsuchtsort vor sich. Groß, lange und herzlich war der Applaus für diese Leistung. Joyce nahm ihn erst scheu, dann entschieden entgegen. Wie Saimir. Ein Paar, das sich in die Herzen des Publikums sang.
Der Beifall des Künstlerpärchens, das stur blieb und sich vom Bleiben wegen alberner Kostüme des Chors abhalten ließ, fehlte allerdings. Egal. Aber dennoch bedauerlich. (Zur Inszenierung s. meine Besprechung vom November 2014)