„Tri Carti“ – das ist der Ruf, der Peter I. Tschaikowskis Oper „Pique Dame“ durchtönt. „Tri Carti“, drei Spielkarten, die es in sich haben. Kommen sie zum Einsatz, bedeutet das Geld für den Spieler, viel Geld. Klar, dass der labile Deutsche, Hermann, in der russischen Oper nach der Roman-Vorlage Alexander Puschkins danach giert. Der arme Schlucker braucht Zaster, um sich einzureihen in die Spieler-Riege der noblen Herren Offiziere mit dem Fürsten Jelezki. Der ist dabei, Hermanns große Liebe Lisa, eine Adelige, zu ehelichen. Lisas Großmama, in diesem Stück namenlos „die alte Gräfin“ genannt, könnte Hermann reich werden lassen – gäbe sie nur das von ihr gehütete Geheimnis preis: Mit welchen Karten trifft Hermann ins Schwarze? Sie allein kennt den Weg zum Glück. Und muss dafür mit dem Tod bezahlen.
An der Bayerischen Staatsoper, an der es 1933 zur Münchner Erstaufführung der 1890 in St. Petersburg uraufgeführten Tschaikowski-Oper kam, haben sich zuletzt 2001 Jun Märkl (Dirigat) und David Alden (Szene) der „Pique Dame“ angenommen. Nun später stellten sich der Deutsche Sebastian Weigle und der Australier Benedict Andrews dieser Aufgabe, Weigle mit dem begeisternden Bayerischen Staatsorchester, das er, der leider zu wenig beachtete Könner am Pult, erfolgreicher als Andrews mit seinem auf nihilistisches Tiefschwarz setzenden Bühnenbildner Rufus Didwiszus.
Mit Asmik Grigorian hatte das Produktionsteam den Reibach gemacht. Ihre schon oft erprobte Lisa stand aber für die Wiederaufnahme an Ostern nicht mehr zur Verfügung. Die Rolle der opferwilligen Liebenden hat nun die Russin Elena Stikhina übernommen. Man sieht sie riesig groß und nah auf Schwarzweiß-Videos agieren – diese Idee, die nicht in allen Teilen klar ist, verlängert die normalerweise ca. 2,5 Stunden dauernde Aufführung beträchtlich.
Die Karsamstag-Aufführung kam beim Publikum erstaunlicherweise – war sie doch alles andere als für Ostern passend – sehr gut an. Im Gegensatz zum Premierenabend. Stikhina, den Münchnern als Aida bekannt, wurde als Grigorian-Ersatz akzeptiert. Die beiden großen Arien gelangen ihr bestens.
Mit dem leider zu wenig fokussiert singenden Tenor des in Eriwan ausgebildeten Arsen Soghomonyan musste man vorliebnehmen. Der bis in den Wahnsinn hinein vom Spielteufel Besessene hatte schon als Figur keine guten Karten. Unter den Männern stach stimmlich eindeutig Boris Pinkhasovich mit klug geführtem, profunden Bass heraus. Sehr großes Glück hatte man mit Victoria Karkacheva als Polina, einem Mezzo von beachtlichem Tiefgang.
Der fehlte der „alten Gräfin“ alias Violeta Urmana. Sie sich als Greisin vorzustellen, war schwierig. Als verblasste Pariser Schönheit ging sie durch. Und als von Hermann – wie auch immer im Wasserbecken oder anders – getötete Geheimnisträgerin auch. Da war sie ganz Domina und fand im letzten Chor (über die Maßen prachtvoll alle Auftritte, die der Kinder inklusive) zig Doubles – ein guter Einfall der Kostümbildnerin Victoria Behr. Tomski (beachtlich im Ausdruck: Vladislav Sulimsky) stellte die ruhmreiche Vorgeschichte der alten Gräfin in seiner klangschönen Ballade mitreißend vor.
An mehreren Stellen wich Benedict Andrews von der Novelle Puschkins und dem Libretto Modest Tschaikowskis ab. Die entscheidende: Lisa darf leben, muss sich nicht aus Verzweiflung in die Newa stürzen. Gemessenen Schritts lässt sie den sich selbst die Kugel gebenden Hermann hinter sich. Ihm war an der Liebe weniger gelegen als am Geld. „Herr, vergib ihm und gib Frieden seiner rastlosen und gequälten Seele“ – ein wunderbar flehentlich gesungener Schluss-Chor.