Dr. Kurt Zeitler – Mit Rötelstift und schwarzer Kreide

Kurt Zeitler, der im April in Pension gehende stellv. Direktor von Münchens Graphischer Sammlung, in seinem Element: Er interpretiert ein Selbstbildnis von Bartolommeo, Anfang des 16. Jh. Foto: Hans Gärtner.

Im April geht er in Pension: Dr. Kurt Zeitler, in hohem Maße verdienstvoller stellvertretender Direktor der Staatlichen Graphischen Sammlung in München. Sein Abschieds-Geschenk an alle, die der von ihm ein Berufsleben lang geschätzten und wissenschaftlich gedeuteten Zeichenkunst zugetan sind, konnte im Graphischen Kabinett der Pinakothek der Moderne nicht üppiger, anregender und variationsreicher ausfallen. Zeitler hält uns in der Ausstellung „Den Menschen vor Augen“ mit den erlesensten Stücken, die er zu betreuen und nun auszuwählen hatte, selbst den Spiegel vor. Es geht ihm um des Menschen sprechendes Gesicht, wie dies vor allem die Künstler Italiens der nachwirkenden Gotik über die Renaissance bis zum Barock zuerst noch mit Silberstift und weißem Pinsel auf Pergament, dann aber mit Rötelstift und schwarzer Kreide zu Papier brachten. Neue „Abbildungs-Strategien“ hätten sie sich erschlossen, sagt der durch zahlreiche Publikationen ausgewiesene Kurator und Katalog-Autor, der im eigenen Haus fündig wurde und 100 Zeichnungen ans Licht brachte. Er teilte sie in vier „Abschnitte“, um die Vielfalt der gut erhaltenen Blätter sinnvoll zu gliedern.

Unter „unbefangen und verwundbar“ lässt Zeitler Nackte und Halbnackte von Gozzoli über Michelangelo bis Cortese, unter „gewandet und kostümiert“ Einzelne und Gruppen auftreten, die „meist mehr offenlegen als verdecken“. Im Kapitel „neben-, mit- und gegeneinander“ wenden sich Künstler wie Fra Bartolommeo, Pontormo oder Guido Reni vorzüglich dem Mann als Sozialwesen, im letzten Teil („privat und offiziell, ideal und grotesk“) Meister wie Jacopo Amigoni oder Giovanni Battista Tiepolo in Selbstbildnissen und  Kopfstudien selbstbestimmten Frauen und Männern zu.

Um 1520 datiert Zeitler eine Rötelzeichnung zweier stehender Frauen des 35jährigen Jacopo Pontormo, das er fulminant findet und als „fraglos eine der schönsten und rätselhaftesten Arbeiten des Hauptvertreters des Florentiner Manierismus“ einschätzt. Vor Fra Bartolommeos unspektakulärem Bildnis eines älteren Mannes, das auch als Selbstporträt durchgehen kann und 1508/17 entstand, gibt Zeitler zu bedenken, dass einige Porträts, namentlich die der Hochrenaissance, der ungeschönten Realität, nicht der Idealität den Vorzug geben: Augen der Enttäuschung, Lippen der Skepsis, Haupthaar der Zerstreutheit. Die gelb erhöhte schwarze Kreide macht das alles auf grauem Papier deutlich.

Wer hätte im Hauptsaal solche Porträts der „Veritas“ erwartet, nachdem er im langen Gang des Graphischen Kabinetts die Galerie der 24 wunderschönen, mit schwarzer, roter, brauner und weißer Kreide auf blaugrauem Papier aufgereihten Porträt-ähnlichen Brustbilder adeliger Damen des Römers Ottavio Leoni abgeschritten hatte? Edel, stark, selbstbewusst, gewinnend und ihre Nobilität mit einem unwiderstehlichen Lächeln präsentierend – die Damen mit ihren Spitzenkrägen sind eine Beauty-Galerie der Sonderklasse, die gut und gerne mit Ludwig II. Nymphenburger Frauen-Schönheiten konkurrieren können.

Eine willkommene „Seh- und Versteh-Hilfe“ gibt der scheidende Zeichnungs-Experte Kurt Zeitler dem Besucher-Klientel in die Hand: Gratis erhält man ein 44 Seiten starkes, mit Abbildungen einiger ausgesuchter Exponate versehenes Geheft. Es dient unmittelbar als Lese-Führer, macht aber als Begleitheft dem opulenten Katalog keineswegs Konkurrenz. – Bis 13. April täglich außer Montag von 10 bis 18, Donnerstag bis 20 Uhr. Am 20. Februar um 18 Uhr führt Kurt Zeitler noch einmal selbst durch die mit einem Sonderpreis auszuzeichnende große Ausstellung.

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.