Kulturelles Kapital im Wandel – Was gilt heute als „gebildet“?

Soziale, mediale und kulturelle Einflüsse auf die Wahrnehmung von Bildung

Bild von Mirko Stödter auf Pixabay

Was bedeutet es eigentlich im Jahr 2025, „gebildet“ zu sein? Ist es noch immer das Zitieren aus Goethe, das Verständnis für klassische Musik und die Kenntnis aller Fakten zu der Französischen Revolution? Oder zählen heute digitale Souveränität, multiperspektivisches Denken und die Fähigkeit, Informationen kritisch zu filtern, schon wesentlich mehr als humanistische Bildungsideale?

Soziale, mediale und kulturelle Einflüsse auf die Wahrnehmung von Bildung

Früher diente ein fest umrissener Bildungskanon als Maßstab. Heute befinden wir uns allerdings in einer Phase grundlegender Verschiebungen. Diese betreffen nicht nur die Inhalte, sondern auch die Art und Weise, wie Wissen erworben, bewertet und weitergegeben wird. Was in Deutschland als „gebildet“ gilt, hängt zunehmend weniger von dem klassischen Bildungswissen ab – und stärker von sozialen, medialen und kulturellen Rahmenbedingungen.

In diesem Kontext wächst auch das Bedürfnis nach niederschwelligen Formaten, um das eigene Wissen zu festigen oder selbstständig zu überprüfen – zum Beispiel durch ein interaktives Quiz zur Allgemeinbildung, das unabhängig vom Bildungshintergrund genutzt werden kann.

Kulturelles Kapital nach Bourdieu: Ein dauerhaft wirksames Konzept

Der französische Soziologe Pierre Bourdieu prägte mit dem Begriff des „kulturellen Kapitals“ ein bis heute vielbeachtetes Erklärungsmodell der sozialen Ungleichheit.

Er unterschied dabei drei Formen: das inkorporierte Kapital (verinnerlichtes Wissen und Habitus), das objektivierte Kapital (beispielsweise Bücher und Kunst), sowie das institutionalisierte Kapital (zum Beispiel Bildungsabschlüsse). Diese Dimensionen beeinflussen maßgeblich, wer gesellschaftliche Anerkennung und Zugang zu sozialen Ressourcen erhält.

Auch im Jahr 2025 bleibt dieses Modell aktuell. So zeigen etwa die Daten der OECD und der Stiftung Bildung und Gesellschaft, dass in Deutschland Bildungsungleichheit nach wie vor stark von der sozialen Herkunft geprägt ist. Der Nationale Bildungsbericht 2022 nennt als zentralen Befund, dass Kinder aus Akademikerhaushalten dreimal häufiger ein Gymnasium besuchen als Kinder aus Arbeiterfamilien – selbst bei gleicher Leistung.

Bildungsexpansion mit ungleichen Chancen

Statistisch gesehen ist Deutschland heute jedoch besser gebildet als je zuvor. Laut dem Statistischen Bundesam konnten im Jahr 2023 rund 35 Prozent der Erwachsenen zwischen 25 und 64 Jahren einen Hochschulabschluss vorweisen. Dies entspricht einer klaren Steigerung gegenüber den Vorjahren. Gleichzeitig nehmen auch die Weiterbildungsquoten im Erwerbsleben zu.

Doch diese Zahlen täuschen schnell über tiefer liegende strukturelle Probleme hinweg. Die Bertelsmann Stiftung dokumentierte 2023 erneut, dass Kinder mit Migrationshintergrund und aus einkommensschwachen Haushalten deutlich geringere Chancen auf höhere Bildungsabschlüsse haben. Studien wie die PISA-Studie oder die IQB-Bildungstrends zeigen zudem einen alarmierenden Leistungsrückgang bei den Schüler*innen, insbesondere in den Fächern Lesen und Mathematik.

Kulturelles Kapital wird also weiterhin vererbt – trotz Bildungsexpansion. Die gesellschaftliche Vorstellung davon, was als „gebildet“ gilt, orientiert sich häufig an tradierten Normen, die nicht jeder Gruppe gleichermaßen zugänglich sind.

Digitalisierung und Medienkompetenz: Der neue Bildungsmaßstab?

Mit der Corona-Pandemie und dem anschließenden Digitalisierungsschub hat sich allerdings auch das Verständnis von Bildung weiter verschoben. Die digitale Souveränität – also die Fähigkeit, sich im Netz sicher, kritisch und zielgerichtet zu bewegen – ist zu einem neuen Maßstab des kulturellen Kapitals geworden.

Programme wie der DigitalPakt Schule oder die Umsetzung von Medienkompetenzrahmen in den Bundesländern haben versucht, diesen Kompetenzerwerb zu fördern. Doch laut einer ifo-Studie von 2023 sind digitale Bildungsangebote häufig noch ungleich verteilt: Schulen in sozial schwächeren Regionen weisen beispielsweise eine schlechtere IT-Ausstattung und weniger geschultes Personal auf.

Dazu kommt: Das Erkennen von Fake News, die Bewertung wissenschaftlicher Aussagen oder das Verständnis algorithmischer Logiken stellen heute Schlüsselkompetenzen dar. Bildung bedeutet also nicht mehr nur das Wissen um historische Daten oder literarische Werke, sondern auch das Verstehen der komplexen digitalen Ökosysteme.

Interkulturelle Kompetenz und gesellschaftlicher Zusammenhalt

In einer zunehmend diversen Gesellschaft verändert sich zudem der Anspruch hinsichtlich der Allgemeinbildung.

Interkulturelle Kompetenz, Sprachbewusstsein und historisch-politische Bildung gewinnen an Relevanz. Das zeigt sich unter anderem im Bildungsauftrag der Kultusministerien, die seit 2021 in allen Bundesländern Konzepte zu Demokratiebildung, Antirassismus und Diversität verstärkt in den Lehrplänen verankert haben. Beispielhaft zu nennen ist hier die Initiative „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, die laut eigenen Angaben mittlerweile an über 3.500 Schulen in Deutschland aktiv ist.

Bildungsprozesse, die soziale Teilhabe und Toleranz fördern, gelten zunehmend als Kernbestandteil kulturellen Kapitals, auch jenseits der klassischen Kanonbildung.

Sprachliche Bildung im Fokus: Lesekompetenz als Schlüsselressource

Einen weiteren Aspekt des kulturellen Kapitals stellt die Sprachkompetenz dar. Die Ergebnisse der IQB-Studie 2023 zeigten, dass die Lesefähigkeit von Grundschulkindern in Deutschland im internationalen Vergleich weiter zurückgefallen ist. Nur 58 Prozent der Viertklässler*innen erreichten die Regelstandards im Lesen. Dies entspricht einem klaren Rückgang gegenüber dem Jahr 2016.

Die Lesekompetenz gilt jedoch als entscheidende Grundlage für Bildungsbeteiligung. Wer nicht in der Lage ist, komplexe Texte zu verstehen, bleibt schließlich von vielen gesellschaftlichen Diskursen ausgeschlossen. Daher investieren Bund und Länder seit 2022 verstärkt in Programme wie „Lesen macht stark“ oder „AlphaDekade“, um die Sprach- und Leseförderung zu stärken.

Zertifikate vs. praktische Kompetenzen: Was zählt wirklich?

Bildungsabschlüsse – das sogenannte „institutionalisierte Kapital“ – werden nach wie vor gesellschaftlich hoch bewertet. Allerdings verschiebt sich im Arbeitsmarkt der Fokus. Unternehmen suchen vermehrt nach konkreten Problemlösefähigkeiten, Teamfähigkeit, Kreativität und Flexibilität.

Auch die zunehmende Bedeutung von lebenslangem Lernen stellt die klassischen Bildungswege infrage. Micro-Degrees, Online-Kurse und praxisorientierte Weiterbildungen gewinnen gegenüber traditionellen Studiengängen immer stärker an Bedeutung. Damit wird Bildung sowohl modularer als auch individueller – und lässt sich weniger an einem bestimmten Abschluss festmachen.

Zwischen Kanon und Kompetenz: Die Debatte geht weiter

Angesichts dieser Dynamik stellt sich die Frage, ob ein gemeinsamer kultureller Kanon heute überhaupt noch möglich oder sinnvoll ist.

Während manche Stimmen, beispielsweise aus dem Kulturrat oder der FAZ, eine „Renaissance der klassischen Bildung“ fordern, setzen andere auf pluralistische Bildungsangebote, die auf Vielfalt, digitale Integration und globale Perspektiven ausgerichtet sind.

Die Debatte um Curricula an deutschen Schulen spiegelt diese Spannung ebenfalls wider: Sollen weiterhin Werke wie Schiller oder Lessing verpflichtend unterricht werden, oder ist es zeitgemäßer, aktuelle Themen wie Digitalisierung, Klimawandel und Gendergerechtigkeit in den Fokus zu stellen?

Bildung muss sich weiterentwickeln, ohne Substanz zu verlieren

Kulturelles Kapital stellt kein statisches Konzept dar. Es verändert sich dynamisch mit den gesellschaftlichen Anforderungen, den technischen Entwicklungen und den politischen Rahmenbedingungen.

Bildung im Jahr 2025 bedeutet damit nicht nur das Wissen um klassische Inhalte. Es geht vor allem auch um die Fähigkeit, kritisch zu denken, differenziert zu urteilen und sich in einer komplexen Welt zu orientieren. Die Herausforderung besteht darin, die Bildungsprozesse inklusiv, zukunftsfähig und substanziell zu gestalten – und dabei die sozialen Voraussetzungen der Lernenden ernst zu nehmen.

Was als „gebildet“ gilt, sollte nicht durch Herkunft oder Status definiert sein, sondern durch den Zugang zu relevanten Kompetenzen und reflektiertem Wissen. Der Weg dahin ist offen – und erfordert ein neues Bildungsverständnis, das Vielfalt zulässt und Qualität sichert.

 

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