Religionskundliche Basiskompetenz für alle

Von einigen kirchlichen Kreisen wird die alte Berliner Regelung, dass Religionsunterricht reines Wahlfach ist, als Nachteil angesehen, den man jetzt im Zuge des Volksbegehrens aufheben möchte.
Könnte es nicht sein, dass sich dieses Bemühen als kontraproduktiv für eine neue, vielleicht einzig mögliche Präsens der Religion in der Öffentlichkeit von Heute erweisen würde?
Denn das berühmte neue Interesse für Religion wird keine Rückkehr der Religion im alten Gewand sein, in dem religiöse Instanzen zu den Offiziellen der Gesellschaft gehörten und vielfach noch gehören. Da nützt es auch nichts, wenn diese neue Bewegung als Patchwork-Religion beschimpft wird, nur weil das gewohnt obrigkeitliche Denken auf dem religiösen Feld damit nicht umzugehen versteht?
Es scheint, dass jetzt erst die Früchte der Aufklärung im religiösen Bereich selbst angekommen sind.
Die Aufklärung musste sich zunächst im Gegensatz und Widerstand zur Religion entwickeln – eroberte sich dann eigenständig Bereiche in Natur- und Geisteswissenschaft mit Erkenntnisfrüchten über Evolution und textkritischen Einsichten bis hin zur historisch-kritischen Methode. Schwerer noch hatte es die Aufklärung in Politik und Wirtschaft – gerade jetzt erleben wir wieder Folgen der anhaltenden Irrationalität im wirtschaftlichen Handeln.
Alle diese Erfolge in den Sachbereichen trugen dazu bei, dass die Aufklärung allmählich auch beim Einzelnen ankommen konnte in seinem Verhältnis zu sich selbst – spürbar u.a. in der sogenannten sexuellen Revolution, die bei allen Einseitigen solcher Prozesse allmählich ein persönliches Verhältnis zur eigenen Sexualität ermöglicht. Das neue religiöse Interesse scheint eine Fortsetzung dieser Entwicklung zu sein im Sinn einer religiösen Revolution. Diese hilft trotz aller Umwege dem Menschen, ein persönliches Verhältnis zu dem Geheimnis, das uns alle umfängt, zu gewinnen. Nicht mehr fremdbestimmt, wohl aber fremder Hilfe bedürftig, z.B. der religiösen Institutionen, wenn sie sich als „Helfer der Freude“ (Paulus) beim Entdecken des Geheimnisses und nicht als dessen Definierer und eifersüchtigen Verwalters verstehen.
Wer diese geistliche Befreiung mit vollzieht, kann es gar nicht anders wollen, als dass konfessionelles Leben in religiöser oder weltanschaulicher Gestalt sich als Angebot darstellt – als freie Wahl – und nicht als ordentliches Schulfach mit Noten und Zeugnis.
Wer diese neue religiöse Welle in dieser Richtung interpretiert, versteht auch, dass als Bildungsträger der religiös-weltanschaulichen Allgemeinbildung eben nicht mehr der konfessionelle Träger akzeptiert wird. Also fällt auch der zweite, immer wieder genannte Grund für Religion als ordentliches Schulfach aus. Denn die „religiöse Basiskompetenz“ ist wie die naturwissenschaftliche oder geisteswissenschaftliche wirkungsvoller aufgehoben bei der Religions- und Kulturwissenschaft, damit ich sie zu gebrauchen lerne für das Leben – wie Rechnen, Lesen, Schreiben.
Wer diese Entwicklung der Religion nicht in Richtung Privatsache sondern in die des Persönlichen deuten kann, wodurch Religion nicht mehr unbedingt offiziell aber öffentlicher zur Geltung kommt, weiß auch, dass es bei der zunehmenden Vermischung der Überzeugungen eine Verständigung braucht, die gemeinsam mit Andersdenkenden gelernt werden muss – eben in einem ordentlichen Unterrichtsfach, das wir in Berlin „Ethik“ nennen, um den Jugendlichen Basiskompetenz für ein gemeinsames Leben in der demokratischen Gesellschaft zu vermitteln.

Josef Göbel: Religionskundliche Basiskompetenz für alle

Finanzen

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.