1919: Als eine junge Demokratie nach Soldaten rufen musste

Freikorps Epp im Strassenkampf, gemeinfrei

Freikorps – ein strenger Geruch von Radikalismus und scheiternder Demokratie umweht diesen Begriff. Doch ist diese Pauschalzuweisung wirklich haltbar? Eine von der SPD geführte Reichsregierung und ein gleichfalls von der SPD gestellter Reichspräsident haben die Freikorps gerufen, haben ihren Dienst als Soldaten auf Zeit begleitet und ihn unterstützt. Bernhard Schroeter hat nun den Einsatz der Studenten im Freikorpseinsatz in dem eng umgrenzten Zeitraum von der Novemberrevolution bis zur Unterzeichnung des Versailler Vertrages untersucht.

Es ist ein wenig anders, als heutzutage so mancher denkt. Das legt eine neue, gründliche Studie von Bernhard Schroeter dar, und sie ist unbequem für alle diejenigen, die sich stromlinienförmig bequem am seit 1968 beständig wehenden Zeitgeist ausgerichtet haben. Natürlich gab es auch diejenigen in den Freikorps, die Jahre später zu Nationalsozialisten wurden. Das aber ist in diesem eng umgrenzten Zeitfenster irrelevant, denn – nota bene! – zu Beginn klassischen Freikorpszeit gab es die NSDAP überhaupt noch nicht. Die Freikorpsleute waren nichts als Zeitfreiwillige, unter ihnen viele Studenten, denn der Sold war gut und die Not war groß.

Die Freikorpsleute kamen aus einer Monarchie, die Republik war soeben ausgerufen. Trotzdem waren sie in ihrer frühen Phase Verteidiger der Demokratie und retteten schlichtweg Tag für Tag Menschenleben. Sie schützten Wahlen und verfassunggebende Nationalversammlung für das Reich und die Länder. Ganze Aktivengenerationen taten sich zusammen, wurden zu Einheiten zusammengefasst und mit der Reichsbahn dorthin gebracht, wo Sozialisten oder Kommunisten zu Plünderung, Mord und Umsturz ansetzten. Unser obiges Bild illustriert eine Art Allegorie auf die Freikorps. Zwar ist ein Originalschauplatz in München-Haushausen zu sehen, an dem im Kampf gegen die bayerischen Kommunisten tatsächlich ein Schüsse fielen – allein, es dürfte sich um eine nachgestellte Szene handeln.

Die Freikorps waren keine Revoluzzer-Kommandos – ganz im Gegenteil: Ihr Einsatz war wichtig für die Unterstützung der jungen, mehr als fragilen Demokratie. Das Freiwillige Landesjägerkorps schützte zum Beispiel die Sitzungen der Nationalversammlung in Weimar. Natürlich gab es auch Ereignisse rund um die Freikorps, die bis heute höchst umstritten sind, und das mit gutem Grund. Schroeter verschweigt dies nicht, aber er bleibt objektiv. Das unterscheidet ihn von den zuweilen sektiererischen Anklägern der Freikorps mit ihren Zeitgeistfähnchen, die seit 1968 fröhlich flattern. Nein, Schroeters Ausarbeitungen sind und bleiben wissenschaftlich fundiert. Geschichte kann eben nur aus ihrem jeweiligen Kontext verstanden werden – oder sie wird nicht verstanden, wie Professor Moshe Zimmermann, Jerusalem, völlig zurecht feststellt. Und der Kontext, die Lebensrealität der Freikorpskämpfer waren der Erste Weltkrieg, mancherlei frech-sozialistische Subordination und ständig und überall drohende kommunistische Umstürze.

Dr. Bernhard Schroeter hat die Studentenschaften von insgesamt acht Universitätsstädten untersucht – Berlin, Tübingen, Erlangen, München, Leipzig, Halle, Jena und Heidelberg. Zum Untersuchungsfeld gehören auch fünf Technische Hochschulen – Charlottenburg, Stuttgart, Hohenheim, Braunschweig und München. Dies war mehr als die Hälfte der seinerzeit über zwanzig Universitäts- und Hochschulstädte und entsprach somit ebenfalls ungefähr der Hälfte der 85.000 bis 100.000 Studenten im damaligen Deutschen Reich. Die vorgelegte Arbeit bezieht sich damit auf all diejenigen Hochschulstädte, in denen schwere Kampfhandlungen unter studentischer Beteiligung stattgefunden haben. Zusätzlich sind die Städte Esslingen und Augsburg in die Untersuchung einbezogen, weil in Esslingen einerseits das Stuttgarter Studentenbataillon Anfang April 1919 die Räteherrschaft in einem Überraschungsangriff ohne Blutvergießen beenden konnte und weil andererseits das revolutionäre Augsburg für die geplanten Kämpfe gegen die Münchener Räterepublik Ausgangspunkt der militärischen Operationen des württembergischen Truppenkontingents gewesen ist.

Zum Verständnis der vielfältigen Ereignisse in der Nachkriegszeit bis zum Versailler Vertrag war es erforderlich, die Strukturen der politisch und militärisch handelnden Kräfte und deren Absichten differenziert aufzuzeigen, um daraus die Notwendigkeit militärischer Einsätze abzuleiten. Das gelingt Schroeter, und er legt dar, wie wenig stabil diese Strukturen anfangs noch waren, wie stark sie sich veränderten. Andererseits stellt der das Unvermögen der Resttruppen des alten Heeres und der Polizeikräfte heraus, denn diese waren schlichtweg nicht in der Lage, „Ruhe und Ordnung“ zu gewährleisten.

Sehr interessant ist, wie klar es Schroeter gelingt, darzustellen, dass sich das Deutsche Reich im Anschluss an die Kapitulation von Compiègne am 11. November 1918 im fünfjährigen „Deutschen Bürgerkrieg“ befand, der bereits mit der Novemberrevolution am 9. November 1918 begann und bis zum Hamburger Oktoberaufstand und dem Hitler-Ludendorff-Putschversuch am 9. November 1923 dauern sollte. So gut, wie das sonst kaum einem seiner Historikerkollegen gelingt, hat er berücksichtigt, daß die Kampfhandlungen von Linksextremisten, zu denen damals auch ein gewisser Adolf Hitler zu zählen war, immer wieder und zu unterschiedlichsten Zeiten an wechselnden Orten aufflammten, daß sie keinen eindeutigen oder vorhersagbaren Frontverlauf hatten. Das führte zu instabilen innenpolitischen Verhältnissen im gesamten Deutschen Reich. Es dürfte indessen am enorm umfangreichen Material liegen, dass Schroeter weitere bedeutende Freikorpseinsätze im Baltikum und in Oberschlesien unter studentischer Beteiligung nicht mit einbeziehen konnte – hier wäre ein Ansatzpunkt für zukünftige Doktoranden.

Schroeter selbst zitiert schließlich selbst den Historiker Jürgen Schwarz, der im Jahre 1971 schrieb, die Freikorpseinsätze der Studenten hätten ihren Ursprung in einem zeitgemäßen und gemäß ihrem sozialen Kontext „tiefverwurzeltem Pflichtgefühl gegenüber dem Vaterland“ gehabt. Sie seien nicht als Täter, sondern eher als fast schon naive Idealisten anzusehen: „Die Studentenschaft scheint sogar in dieser im Grunde vorurteilslosen und einfachen Treue zur Nation ausgenutzt worden zu sein, um dann später obendrein noch als reaktionär beschuldigt zu werden.“ Unter diesen Vorzeichen sollte Schroeters große und umfassende Studie von allen Interessierten genutzt werden – zum Abbau linker Vorurteile könnte die Lektüre jedenfalls helfen. Das wäre heilsam, denn diese Vorurteile wurden seit 1968 derart penetrant wiederholt, dass sie sogar Anhänger bis ins bürgerliche Lager hinein haben. Erschienen ist „Als die Republik die Studenten verlor“ als „book on demand“, es wird also nur auf Bestellung gedruckt. Das ist schade, denn dieses Werk hätte einen größeren verlegerischen Rahmen durchaus verdient.

Bernhard Schroeter, Als die Republik die Studenten verlor – Studenten im Freikorpseinsatz von der Novemberrevolution bis zur Unterzeichnung des Versailler Vertrages, zugleich: Inaugural-Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Dr. phil. an der TU Chemnitz, Norderstedt 2025, 400 Seiten, Festeinband im Din-A-4-Format, ISBN 978-3-7693-5242-9, 59,99 Euro.

 

Über Sebastian Sigler 116 Artikel
Der Journalist Dr. Sebastian Sigler studierte Geschichte, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Bielefeld, München und Köln. Seit seiner Zeit als Student arbeitet er journalistisch; einige wichtige Stationen sind das ZDF, „Report aus München“ (ARD) sowie Sat.1, ARD aktuell und „Die Welt“. Für „Cicero“, „Focus“ und „Focus Money“ war er als Autor tätig. Er hat mehrere Bücher zu historischen Themen vorgelegt, zuletzt eine Reihe von Studien zum Widerstand im Dritten Reich.