Sind AIDS-Erkrankte vor Covid-19 sicherer?

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Nach einer aktuellen Studie sterben Patienten, die mit dem HIV-Virus infiziert sind, nicht so oft an Corona. Forscher aus China und Italien untersuchen im Kampf gegen Covid-19 AIDS-Medikamente.

Woher das AIDS-Virus stammt, das sich seit den 80er Jahren als neue Zivilisationskrankheit mit pandemischen Ausmaßen verbreitet, ist bislang nicht eindeutig belegt. Die These, dass Affen die Krankheit übertragen, hält sich bis heute, aber auch Verschwörungstheorien, die das Virus Geheimdiensten und Laboren, die Biowaffen erproben, zuschreiben, wie derzeit auch bei Corona, grassieren weiter durch die Köpfe. Wie bei Covid-19 sind es Tiere, die für eine der tödlichsten Pandemien mit verantwortlich sind. Anders aber als bei Covid-19, dass insbesondere ältere Menschen mit Vorerkrankungen zur Gefahrengruppe mit hoher Sterblichkeit macht, traf die Infektionskrankheit AIDS zuerst Homosexuelle, dann aber auch immer mehr Heterosexuelle – insbesondere weiterhin in Afrika. Schädigt Covid-19 Lungen und Nieren, aber auch das Herz und andere Organe, zerstört AIDS sukzessive das Immunsystem. Bei den Erkrankten kommt es zu lebensbedrohlichen opportunistischen Infektionen und Tumoren.

Während die ersten Corona-Fälle im Dezember 2019 bekannt wurden, ist die erste AIDS-Infektion bereits beim Patienten Null im Jahr 1959 nachweisbar gewesen. Das US-amerikanische Center for Disease Control and Prevention (CDC) stufte 1981 HIV dann als eigenständige Krankheit ein.

Sind bis Mitte Juni 2020 7,5 Millionen Menschen weltweit an Corona gestorben, so seit dem Ausbruch des AIDS-Virus mehr als 35 Millionen. 40 Millionen Menschen sind derzeit HIV-positiv. Wie bei Corona steigt auch bei AIDS die Zahl der Neuinfektionen. Der Anteil der HIV-Infizierten liegt im weltweiten Durchschnitt bei etwa 0,8 % der 15- bis 49-Jährigen und erreicht in einzelnen afrikanischen Staaten Werte um 25 %. In Deutschland zählt AIDS im Vergleich zu anderen Todesursachen mit etwa 460 Toten pro Jahr zu den eher unbedeutenden Todesursachen. Doch einen ausreichend effektiven HIV-Impfstoff gibt es bis heute nicht und die Suche geht weiter. Allein mit einem Cocktail aus unterschiedlichen Wirkstoffen kann die HIV-Infektion über einen längeren Zeitraum erfolgreich kontrolliert werden. Während in den 80er und frühen 90er Jahren die Diagnose AIDS einen Todesurteil glich, gelang 1996 mit Einführung der hoch aktiven antiretroviralen Therapie (HAART) der große Durchbruch: Mediziner gingen dazu über, die antiretrovirale Therapie (ART) auf mehrere Medikamente zu verteilen. HIV wurde damit zwar nicht heilbar – aber doch gut behandelbar: Dank dieser Medikamentierung wurde aus einer potenziell tödlich verlaufenden Krankheit eine chronische. Und durch die Kombinationstherapien ist die Lebenserwartung HIV-Infizierter in Europa und Nordamerika inzwischen um rund zehn Jahre gestiegen. In Afrika – südlich der Sahara – leben heute schätzungsweise knapp 26 Millionen Menschen mit HIV. 16,4 Millionen von ihnen erhalten laut WHO eine antivirale Therapie, die sie vor dem Ausbruch der Krankheit schützen soll. Doch in Zeiten von Corona und Malaria rechnet die UN bereits mit 500.000 zusätzliche Aids-Toten in Afrika bis 2021.

Die jahrelange Erforschung und Weiterentwicklung präventiver AIDS-Medikamente könnte nun bei der Suche nach einem Impfstoff zur Bekämpfung des Coronavirus weiterhelfen.

Ähnlichkeiten zwischen AIDS und Covid-19

Ein Team der Sun-Yat-Sen-Universität in Guangzhou, Südchina konnte schon vor einigen Monaten nachweisen, dass das Coronavirus, das durch die Zelloberflächen eintritt, einige auffällige Ähnlichkeiten mit dem HIV-Virus aufweist. Professor Gu Chaojiang, ein Biowissenschaftler, der sich an der Wuhan University of Science and Technology mit HIV und Sars-CoV-2 befasst, betont zwar die Unterschiede zwischen beiden Viren, findet aber auch eine Gemeinsamkeit, da beide eine sehr ähnliche Struktur in dem stacheligen Protein hätten, das das Virus an eine Wirtszelle bindet. „Es besteht die begründete Hoffnung, eine Heilung für Covid-19 durch Anti-HIV-Medikamente, so der Wissenschaftler. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Viren erhöhe auch die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei Covid-19 um eine persistente Infektion wie Aids handele, gleichwohl das Coronavirus nicht so schnell mutiere wie HIV.

Chinesische Forscher in Wuhan, dem ersten Epizentrum des Coronavirus-Ausbruchs, fanden keine Fälle von Covid-19 bei fast 200 HIV-Patienten, die Lopinavir und Ritonavir einnahmen. Bei beiden handelt es sich um Medikamente, die seit dem Jahr 2000 in einem den Ausbruch des AIDS-Virus verhindernden Cocktail verabreicht werden. Auch Wang Guangfa, ein Experte für Atemwegserkrankungen, der sich als einer der ersten in Wuhan infizierte, bestätigte, dass Lopinavir eine große Hilfe für ihn gewesen sei.

Das bestätigt die Vermutung der chinesischen Wissenschaftler, dass die niedrigen Sterblichkeitsraten von Covid-19-Patienten mit HIV mit den antiviralen Therapien in Verbindung gebracht werden könnten. Darüber hinaus waren diese auch nicht so anfällig für eine überreagierende Immunreaktion.

Neue spanische Studie – Menschen mit HIV haben eine fünf Mal niedrigere Sterberate

Laut einer neuen Studie, die ein Forscherteam aus Madrid Anfang Juni 2020 vorgestellt hat, sind Menschen, die den HIV-Virus in sich tragen zwar besonders geschwächt und können viel öfter an einer Grippe sterben, weil ihr Immunsystem angegriffen ist, doch bei Patienten, die mit dem Coronavirus infiziert waren, lag die Sterblichkeit fünf Mal niedriger als bei Menschen, die kein HIV, aber das Coronavirus in  sich trugen. Damit haben die Spanier die früheren klinischen Beobachtungen aus China bestätigt: Wo Patienten Medikamente gegen AIDS einnehmen, ist eine Infektion mit Covid-19 nicht so groß. Nun keimt in Spanien, neben Italien, den USA und Brasilien, das Land mit den meisten Corona-Infektionen und -toten, die Hoffnung, dass sich durch die Erforschung von AIDS-Medikamenten neue Erkenntnisse bezüglich der Struktur des Coronavirus ergeben und sich wirksame Mittel im Kampf gegen die neue Pandemie finden lassen.

Federführend bei der neuen Madrider Studie war Dr. Pilar Vizcarra vom Hospital Universitario Ramon y Cajal. Sie untersuchte die Krankenakten von fast 3.000 HIV-Infizierten und identifizierte 51 Covid-19-Fälle. Das entsprach einer Infektionsrate von 1,7 Prozent. Verglichen mit den 4 Prozent-Marke der Gesamtbevölkerung von Madrid war diese Rate damit bedeutend geringer. „Unseres Wissens ist dies die erste Studie, die die Infektionsrate von Covid-19 bei HIV-Infizierten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung in derselben Region umfassend beschreibt“, so Vizcarra. Dennoch, so fügt die Wissenschaftlerin hinzu, besagt die Studie nicht, dass das Coronavirus keine Gefahr für Menschen mit HIV sei. „Trotz der niedrigen Sterblichkeitsrate wiesen 25 Prozent der HIV-infizierten Personen mit Covid-19 eine schwere Erkrankung auf, und 12 Prozent wurden auf eine [Intensivstation] eingewiesen, was eine höhere Rate als bei der Allgemeinbevölkerung ist“, doch im Verhältnis zu der besonders hohen Rate insbesondere in der Metropolregion Madrid war die Zahl eben lokal niedriger. Und das Forscherteam um Pilar Vizcarra kam zu der Erkenntnis, das Tenofovir, ein weiteres antivirales Medikament, das zur Behandlung von HIV verabreicht wird, zu einer deutlichen Verbesserung des Krankheitsverlaufes beiträgt.

Dennoch: Bislang gibt es noch keine soliden wissenschaftlichen Beweise aus groß angelegten Studien, die belegen könnten, dass Anti-HIV-Medikamente gegen Covid-19 wirksam sind. Aber mit ihren Studien zu HIV und Corona könnte den Forschern aus China und Spanien vielleicht der Durchbruch gelingen, bereits bestehende AIDS-Medikamente weiterzuentwickeln, um letztendlich Corona zu besiegen.

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Über Stefan Groß-Lobkowicz 2127 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".