Masse und Macht – So beeinflussen uns die Influenzer

Tiktok, App, Iphone. K, Quelle: antonbe, Pixabay License, Freie kommerzielle, Nutzung, Kein Bildnachweis nötig

Der Traum, Macht über andere zu erlangen, ist kein Phänomen der Moderne, sondern eine anthropologische Konstante. Immer gab es Menschen, die andere beeinflussten, die Ich-Identität tilgten und das große blinde und zerstörerische „Man“ für ihre Zwecke funktionalisierten. Die jüngere Geschichte ist voll von Brandstiftern, die sich dank der modernen Technik, Radio und Fernsehen, inszenierten und Massen infiltrierten und manipulierten. An die Stelle der „klassischen“ Medien sind die Sozialen Medien getreten. Facebook, Instagram, YouTube, TikTok u.a. sind die neuen Oberflächen, wo sich Welterklärer, Weltenretter, Weltverschwörer, Ideologen und Fundamentalisten tummeln. Ob „Nano“- „Mikro- oder Makro-Influenzer, sie alle haben buchstäblich die Macht, mit einem Klick das Bewusstsein von Millionen zu verändern. Fakten spielen dabei keine Rolle, allein subjektive Meinungen – gut inszeniert in den medialen Weltballon geschossen –, zementieren neue Wahrheiten, die unreflektiert übernommen zur Massenmeinung werden und die Gesellschaft in die verschiedensten politischen Richtungen verschieben.

 TikTok – Über zwei Miillarden User

Laut einer Studie von „Bit-kom“ (2022) folgen 81 Prozent der 16 bis 29-jährigen in Deutschland Influenzern. Unter den 30 bis 49 Jahre alten Menschen sind es satte 57 Prozent, bei den über 40- Jährigen 25 Prozent, bei den über 65-Jährigen immerhin noch 21 Prozent. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) ist Tik-Tok zu der am stärksten wachsenden Plattformen der vergangenen Jahre geworden. Über zwei Milliarden User holen sich hier ihre Informationen, lassen sich medial einseifen: zum Pflegetipp gleich noch ein politisches Statement gratis hinzu, eine sublime Botschaft quasi als Bewusstseins-Beauty-Massage.

 Elias Canetti und die Phänomene von Masse und Macht

Bereits der bulgarisch-britische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Elias Canetti (1905-1994) hatte in seinem Buch „Masse und Macht“ (1960) auf das Paradox zwischen Massen- und Persönlichkeitstrieb hinwiesen. Der Mensch, so seiner Argumentation, fürchtet nichts mehr als die Berührung durch Unbekanntes. Darum ist es allein die Masse, die ihn von seiner dieser Furcht zu erlösen vermag. Schon Sigmund Freud diagnostizierte in seinem Buch „Massenpsychologie und Ich-Analyse“, das auf Denkanstöße aus Gustave Le Bons Buch „Psychologie der Massen“ zurückgriff: „Eine primäre Masse ist eine Anzahl von Individuen, die ein und dasselbe Objekt (Führungsperson) an die Stelle ihres Ich-Ideals gesetzt und sich infolgedessen miteinander identifiziert haben.“ Auch für Canetti bleibt die Masse ein von „Affekten“ geleitetes Gebilde, in der der Mensch sogar die Angst vor dem Tod verliert. Allein die Masse garantiert, dass alle „ihre Verschiedenheiten loswerden und sich als gleiche fühlen“. Der Verlust jeder Individualität wird dabei als Akt der Befreiung gesehen, weil der Einzelne so nicht mehr allein der chaotischen Welt gegenübersteht. Damit wird aus Masse Macht. Von hier ist es dann nicht mehr weit zur Bewunderung und Idealisierung eines Führers durch den Prozess der Idealisierung. Wie schon Freud wusste, fließt die narzisstische Libido auf das Objekt über, das man „wegen der Vollkommenheit“ liebt, „die man fürs eigene Ich angestrebt hat.“ Durch die Influenzer verschiebt so sich die Beeinflussung von Massen samt dem dahinterstehenden Machtanspruch weg vom Nationalen hin zum Globalen, gewinnt einen weltumspannenden Einfluss. Wenn es zum Wesen der Masse gehört, dass das Andersartige das eigene „Überleben“ gefährdet und die gleichgeschaltete Meute auf „Zerstörungssucht“ und Vernichtung der Andersheit der Anderen aus ist, um ihr Überleben zu sichern, dann haben die Influenzer mittlerweile eine Macht bekommen, die nur schwer einzuhegen ist. Dies ist und bleibt eine Gefahr für jede Demokratie. Einzig die kritische Vernunft und der gesunde Menschenverstand können hier als Korrektiv wirken, diese zu gebrauchen, höchste Bürgerpflicht.

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2153 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".