Weltschmerz schlägt Ware, Rückblick auf die diesjährige Friedenspreis-Verleihung an Anselm Kiefer

Viel ist seinerzeit darüber geschrieben worden, ob die Verleihung des Friedenspreises an Anselm Kiefer Sinn macht oder nicht. Erstmalig ging die Ehrung an einen bildenden Künstler, nach grands hommes de lettres wie Friedländer, Habermas oder Martin Walser.

Wer Kiefers Auftritt in der Paulskirche mitverfolgt hat – was dadurch erschwert wurde, dass die ARD nach 15 min die Berichterstattung abbrach, als der erste von drei Vorrednern noch am Podium weilte – konnte sich davon überzeugen, dass hier weniger ein Mann des Friedens geehrt wurde als einer, dessen äußerliche Unscheinbarkeit über eine wogende Innerlichkeit hinwegzutäuschen erlaubte. Selbst dann, wenn man Frieden nicht im Sinne des biedermeierlichen „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“ versteht, dürfte es schwer sein, Kiefers friedensstiftenden Beitrag namhaft zu machen. Versucht wurde es natürlich: Angeboten wurde das Interpretament, dass das Engagement des Künstlers seit den 50er Jahren gerade darauf ziele, jene trügerische Behaglichkeit, die sich nach dem Krieg im wiederstandenen Wohlfahrtsstaat Deutschland ausbildete, zu untergraben und uns immer wieder schmerzlich an jene unheilvolle und barbarische Vergangenheit zu erinnern, um an ihr den Wert des Gegenwärtigen zu ermessen und gleichzeitig zu relativieren. Folgerichtig begann Kiefer seine Rede in der Paulskirche – einem, wie man so sagt, „geschichtsträchtigen“ Ort – mit einer Illustration der Heideggerschen Kategorie der Geschichtlichkeit, Lieblingskind des deutschen Geistes spätestens seit Hegel: Wenn er auf diese Mauern blicke, so könne er zwar die Anwesenheit der großen Vergangenheit gleichsam spüren, noch deutlicher jedoch sei das schmerzliche Bewusstsein einer Profanierung zu merken: Zwar seien die Mauern der Kirche und all das Drumherum noch dasselbe, jedoch sei das Bedeutungsvolle daran verloren gegangen – oder, in theologischen Begriffen gesprochen, ‚der Geist entwichen‘.

Bevor der menschenscheue Kiefer ans Rednerpult trat, hatte zunächst der Pariser Kunsthistoriker Werner Spies seinen großen Auftritt als Laudator. In einer wortgewaltigen, um keine Verzierung verlegenenen Rede präsentierte er Kiefer als existentialistischen Propheten, als Sänger des Abgrunds und der Grenze, vor allem aber auch als Leser und Schriftsteller, dem das Wort ebenso wichtig ist wie seine Bilder, Skulpturen und Installationen. Spies diagnostizierte bei Kiefer eine „saturnische Melancholie“, die sich dem Vergänglichen und Ruinösen zuwende und die Einsamkeit gegen den alles übertönenden Lärm einer allzu selbstgewissen Gegenwart stelle. Spies’ sicherlich nicht nur angedrehte Begeisterung für Kiefer speiste sich aus seiner These, dieser habe das Dogma von der Ungegenständlichkeit in der Nachkriegskunst überwunden. Im Gegensatz zu jener Tendenz, die auf die Gräuel des Zweiten Weltkriegs und den Zivilisationsbruch von Auschwitz nur mehr die Antwort parat hatte, die Undarstellbarkeit der Ereignisse müsse Ungegenständlichkeit nach sich ziehen (man denke etwa an die Farbflächen Rothkos), hätten es Kiefer und andere geschafft, eine andere Antwort auf die entgleiste Moderne zu finden – eine Antwort, die sich auf die Tradition des deutschen Expressionismus nach dem 1. Weltkrieg, aber auch auf Picassos „Guernica“ besonnen habe.

Als nun nach diesem Feuerwerk von Ideen der eher schüchterne, etwas unbeholfen wirkende Künstler selbst in den Mittelpunkt trat, schien es zunächst so, als sollte die moderne Klage vom Verschwinden der Kunst hinter ihren Deutungen ein weiteres Echo finden. Nachher las man dann auch in der Presse, Kiefer sei ja vielleicht ein großer Künstler, nicht aber ein ebensolcher Redner. Doch auch die leisen Töne können aufhorchen lassen, und das taten sie gleich zu Beginn, als Kiefer die „laute Stille“ und „volle Leere“ der Paulskirchenatmosphäre beschwor. Unter Anrufung der Bergwerkstradition der deutschen Romantik versuchte Kiefer einige Sätze lang, die dem (post-)modernen Menschen verlorengegangene Dimension von Geschichtlichkeit wiederzubeleben. Entgegen der Rede vom heilsamen Vergessen beklagte der Künstler, dass sich nach dem Ende der DDR dieselbe Verdrängung wiederholt habe wie nach dem Nationalsozialismus. Statt die Grenzgebiete, die sogenannten „Todesstreifen“, durch Reintegrierung in die Landschaft unsichtbar zu machen, hätte man sie zu Meditationszentren ausbauen sollen, so Kiefer.

Anschließend durchlief seine Rede ein kleines Wellental, als Kiefer seine künstlerische Allverbundenheit durch naturwissenschaftliche und philosophische Thesen zu untermauern suchte, deren gehaltvollste noch die war, auch die Wissenschaft sei ein Mythos und man habe daher kein Recht, die eine gegen den anderen auszuspielen. Danach aber lieferte Kiefer einen kleinen Einblick in sein Selbstverständnis als Künstler, das nach dem Vorherigen zwar nicht überraschend, dafür aber nicht minder eindrucksvoll ausfiel. Im Innern des Schaffenden herrsche der Krieg, der schöpferische, heraklitische Krieg, den es zu bändigen und durch das Werk stillzustellen gelte – jedoch nur momenthaft, temporär, niemals abschließend-endgültig. Aus dem Erlebnis, das in seiner „schmerzlichen Undeutlichkeit“ festgehalten werden muss, kreiert der Künstler sein Werk, bei dem er allerdings stets aufs Neue feststellt, das es hinter der „anfänglichen Nähe“ des Erlebten zurückbleibt. Somit sei also zwar im Prozess des Schaffens „der inwendige Krieg irgendwann zum auswärtigen Frieden“ geworden, der Künstler sei jedoch niemals davor gefeit, dass das Werk wieder in den „Fluss der Materie“ zurücksinke, worauf neue Arbeit erforderlich sei, um es diesem zu entreißen.

So wie sich Kiefer in Frankfurt präsentierte, wird man in ihm kaum einen Mann des Friedens sehen können – vielleicht nichts weniger als das. Er stellte sich dar als skrupulöser, nachdenklicher Mensch, der in rastloser Suche nach künstlerischer Erleuchtung langt und dabei als ‚Methode‘ sich des geschichtlichen Eingedenkens bedient. In Zeiten der Kommerzialisierung der Kunst und der Hast nach Publicity ein verblüffend ehrlicher Auftritt, der zeigte, dass Ware und Weltschmerz zwar kommensurabel seien können, es aber für Augenblicke einmal nicht waren.

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Über Lembke Robert 35 Artikel
Robert Lembke, geb. 1980, bis 2005 Studium der Philosophie, Germanistik und Psychologie. Von 2006 bis 2008 Mitarbeiter und Doktorand an der Universität Jena. Seit 2008 freier Autor und Schriftsteller (Gedichtband „Stadien“, 2010). Veröffentlichte u.a. in „FUGE – Zeitschrift für Religion und Moderne“.

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