Das Expressive in der Kunst 1500-1550

Foto: Stefan Groß

Jiri Fajt/Susanne Jaeger (Hrsg.): Das Expressive in der Kunst 1500-1550. Albrecht Altdorfer und seine Zeitgenossen, Deutscher Kunstverlag, Berlin 2018, ISBN: 978-3-422-07303-6, 58 EURO (D)

In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts bricht sich in der Kunst Mitteleuropas eine Tendenz zu expressiven Ausdrucksformen in Malerei, Skulptur und Zeichnung Bahn. 

Licht- und Farbeffekte sind genauso wie groteske Formen und Posen Elemente einer gesteigerten Innerlichkeit der Handlungsträger und der sie umfangenden Natur. Angefangen  von Albrecht Altdorfer, Wolf Huber (um 1485–1553), dem Passauer Bildschnitzer Meister IP (tätig bis nach 1520) und Hans Leinberger (Landshut, 1510–1530) geschaffen, zeigen eine neue und erstaunlich internationale Stilsuche. Dies ist der Tagungsband zur Ausstellung »Fantastische Welten« (in Frankfurt am Main vom 5. November bis 8. Februar 2015 und in Wien vom 17. März bis 14. Juni 2015, in dem sich Experten mit dem expressiven Tendenzen in Malerei, Skulptur und Zeichnung um 1500 und der Kunst der Donauschule im europäischen Kontext in einzelnen Essays auseinandersetzen. 

Dabei distanzieren sich die internationelen Autoren von dem Begriff der „Donauschule“ und sprechen in einem transnationalen Kontext von prägenden Faktoren mitteleuropäischer Kunst. Die Natur erhält in ihren Bildern einen eigenständigen Rang. Erstmals im mitteleuropäischen Raum wird das Bildgeschehen auch in eine Landschaft eingebettet, die neuartig symbolhaft hervorgehoben wird. 

Die hier erkannten Stilmittel wurden mit Elemente des späteren Zeitalters des Expressionismus verglichen. Dieser Vergleich der Stilmittel führte zu lebhaften Diskussionen und voneinander abweichenden Deutungsmustern, die hier in den einzelnen Beiträgen auch sichtbar werden. 

Nach einem längeren Vorwort der Herausgeber behandeln drei Essays die Grundlagen und Begriffe dieses Zeitalters. Danach werden in fünf Beiträgen die Stilmittel des Expressiven anhand von Beispielen dargelegt. Den künstlerischen und kulturhistorischen Hintergrund beleuchten anschließend acht Aufsätze, bevor die Erfolgsbedingungen, die verschiedenen Werkstätten der Zeit und die personellen Netzwerke untereinander oder zu potenten Auftraggebern herausgearbeitet werden. Im Anhang findet man noch ein Personenregister, ein Orts- und Objektregister, die Biografie der Autorinnen und Autoren sowie einen Bildnachweis.

Der transnationale oder transregionale Ansatz des Buches und der Forschungsdebatte ist zu loben. Diese Fachkontroverse rund um die provozierende Bezeichnung des Expressionismus für die Kunst um 1500 in Mitteleuropa kann und soll nicht abschließend bewertet werden, da die Stilmittel in Malerei, Skulptur und Zeichnung heterogen sind und sich manchmal gar widersprechen. 

Wissenschaft muss nicht immer pointierte und populistische Aussagen machen. Auch die einzelnen vorgestellten Künstler waren kein homogenes Gebilde oder gar in einer Künstlergruppe zusammengefasst. Das macht gerade den Reiz des Buches aus, sich selbst anhand der Beiträge und auch der zahlreichen Abbildungen eine eigene Meinung zu erschließen.

Über Michael Lausberg 542 Artikel
Dr. phil. Michael Lausberg, studierte Philosophie, Mittlere und Neuere Geschichte an den Universitäten Köln, Aachen und Amsterdam. Derzeit promoviert er sich mit dem Thema „Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen 1946-1971“. Er schrieb u. a. Monographien zu Kurt Hahn, zu den Hugenotten, zu Bakunin und zu Kant. Zuletzt erschien „DDR 1946-1961“ im tecum-Verlag.