Der Theologe auf dem Papstthron

Foto von Papa emeritus im Regensburger Dom , Foto: Stefan Groß

Der weltweit gute Ruf deutscher Theologie dürfte ein wichtiger Grund für die Wahl Ratzingers zum neuen Papst gewesen sein. Dieser hatte vor seiner Ernennung zum Erzbischof von München und Freising an fünf Hochschulen gelehrt: in Freising, Münster, Bonn, Tübingen und Regensburg. Der ehemalige Präfekt der römischen Glaubenskongregation gilt als scharfsinniger Denker, dessen theologische Qualitäten selbst Kritikern Respekt abverlangen. Als solcher hat Ratzinger stets die Zusammengehörigkeit von Glaube und Vernunft verteidigt.

Im Heimatland des neuen Papstes Benedikt XVI. ist der Theologie ihr guter Ruf jedoch keineswegs mehr so sicher. Ihre Fakultäten stehen unter ökonomischem Rechtfertigungs­zwang. Immer lauter wird von Bildungspolitikern, Rechnungshöfen oder Wissenschaftsfunktionären die kritische Frage gestellt, ob der Nutzen, den die Theologie für die säkularisierte Gesellschaft erbringt, den gegenwärtigen Stand an Ausstattung und Personal überhaupt noch rechtfertigt. Inzwischen halten auch die Bischöfe selbst, wie in Passau geschehen, die Schließung von Fakultäten angesichts sinkender Studierendenzahlen nicht mehr für unvermeidbar. Der Bolognaprozess, der das Erscheinungsbild und das Selbstverständnis der deutschen Hochschule einschneidend verändern wird, zwingt auch die Theologie zu einer Umstrukturierung der Studiengänge. Eine Absenkung des wissenschaftlichen Standards durch verminderte Sprachanforderungen oder die Einführung von Kurzstudiengängen ist dabei keinesfalls ausgeschlossen.

Und zu allem Übel signalisieren die unter Finanznot leidenden Bistümer, dass sie an gut ausgebildeten Theologen mittelfristig keinen Bedarf mehr haben. Immer mehr Bistümer schließen Neueinstellungen auf Jahre hinaus aus. Einer ganzen Generation engagierter junger Theologinnen und Theologen wird die Chance genommen, jemals in ihrem angestrebten Beruf arbeiten zu können – selbst bei herausragenden theologischen Qualifikationen. Ohne Zukunftsperspektive und Wohlwollen seitens der Kirche wird das Interesse am Theologiestudium dramatisch zurückgehen. Sehr viel Motivation, theologisches Potential und Engagement wird den Kirchen dadurch verloren gehen, so steht zu befürchten.

Innerkirchlich gefragt sind – so hat man den Eindruck – heute eher niedrigschwellige und eingängige Seelsorgsangebote. Auf theologisches Denken, das auch den sperrigen Fragen des Lebens nachgeht, meint man vielfach leichthin verzichten zu können. Auf Dauer läuft die Kirche Gefahr, dadurch ihre Seele zu verlieren sowie an Orientierungskraft und geistiger Ausstrahlung einzubüßen. Hinter der gegenwärtigen Krise des Glaubens in den westlichen Ländern steckt auch ein Verlust an theologischer Tiefe. Die Effizienz pastoraler Arbeit lässt sich nicht beliebig steigern, indem Gemeinden vergrößert und Aufgaben rationalisiert werden.

Ohne regelmäßige theologische Fortbildung, ohne die Zeit zu gründlicher Lektüre oder ohne Muße für Kultur und Spiritualität verflacht das theologische Denken und Handeln. Wenn kirchliche Mitarbeiter nicht mehr die Zeit finden, ein anspruchsvolles Geistesleben zu pflegen und ihren Verstand zu nähren, leidet darunter auf Dauer ihre Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft. Ein kurzatmiger Aktionismus, belanglose Predigten oder triviale Seelsorgsangebote statt ernsthafter Sinnsuche, überzeugender Verkündigung und geistlicher Anregung können leicht die Folge sein.

Darüber hinaus verliert eine Gesellschaft, die ihre geistigen Traditionen verachtet und auf theologische Forschung meint verzichten zu können an Humanität, Kreativität und Vitalität. Die Geisteswissenschaften sind kein überflüssiges Glasperlenspiel, sondern unverzichtbar für ein tieferes Verständnis der Gegenwart und eine nachhaltige, über einen tagesaktuellen Pragmatismus hinausreichende Bewältigung der Zukunft. Die aktuellen Hochschulreformen lassen für die künftige geistige Leistungsfähigkeit unserer Gesellschaft leider nichts Gutes erahnen; deren negative Auswirkungen werden sich jedoch – sollten sich die Befürchtungen bestätigen – erst langfristig zeigen.

Der neue Papst sollte deutlich machen, dass die Kirche, aber auch die Gesellschaft insgesamt auf theologische Anstrengung nicht verzichten können, ohne auf Dauer ihre Identität, ihre geistige Spannkraft und ihre Zukunftsfähigkeit zu verlieren. Ein Verschanzen hinter Konkordaten oder der bloße Verweis auf die lange Tradition deutscher Universitätstheologie, wie es einige Bischöfe gegenwärtig praktizieren, reichen nicht mehr aus. Der inner- und außerkirchliche Wert der Theologie muss vielmehr offensiv verteidigt werden.

Es wäre zu wünschen, dass der ehemalige Konzilstheologe dies zu einem Anliegen seines Pontifikats macht. Der Theologe auf dem Papstthron könnte für die Theologie auf diese Weise zu einer großen Chance werden. Gute Theologie braucht aber einen Vertrauensvorschuss: Nicht ängstliche lehramtliche Kontrolle, sondern die Selbstregulierung durch den wissenschaftlichen Diskurs macht diese stark und glaubwürdig. An dieser Stelle wäre dem früheren Glaubenshüter deshalb auch unbedingt Lernfähigkeit im neuen Amt zu wünschen.

Axel Bernd Knnze: Der Theologe auf dem Papstthron. Gedanken über Chancen für die universitäre Theologie von Axel Bernd Kunze, in: Basis-Post. Zeitschrift für die Theologiestudierenden in Deutschland (2006), Heft 1, S. 16 f.

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