Tod auf dem elektrischen Stuhl – »Sterbehilfe durch Elektrizität“

elektrischer stuhl todestrakt hinrichtung verbrechen, Quelle: PublicDomainPictures, Pixabay License Freie kommerzielle Nutzung Kein Bildnachweis nötig

Vom elektrischen Stuhl bis zur Todesspitze – die Geschichte staatlichen Tötens kennt immer neue »moderne Errungenschaften«. Auch die Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl galt einst als ein Zeichen moderner Zivilisation. Die New York Times schwärmte gar von einer humanen »Sterbehilfe durch Elektrizität – sicher, sanft und schmerzlos«. Nach über 130 Jahren erlauben die Gesetze einiger US-Staaten noch immer Hinrichtungen auf dem elektrischen Stuhl – zuletzt am 20. Februar 2020 in Tennessee. Von Helmut Ortner.

In den 1870er Jahren sorgte Elektrizität dafür, die Natur zu überlisten. Sie machte es möglich, durch künstliches Licht die Dunkelheit aufzuheben; geruch- und geräuschlos, dazu noch so gewaltig und ausdauernd. Als die Wechselstromtechnik es schließlich ermöglichte, Strom über weite Entfernungen zu transportieren, schien die Vision von einem immerwährenden hellen, strahlend, schönen Amerika, alltägliche Wirklichkeit zu werden. Eine neue Technologie war geboren.

Der Enthusiasmus freilich forderte auch seine Opfer. In den ersten zwei Jahren nach der begeisternden Premiere, verzeichnete allein der Staat New York über 90 Tote durch Stromschläge. Ein Tod, der in Sekundenschnelle eintrat und ohne äußere Anzeichnung der Gewalteinwirkung, faszinierte und erschreckte die Menschen gleichermaßen. Der North American Review stellte nüchtern fest, es bestehe »nicht der Hauch eines Zweifels, dass ein Tod durch Strom schneller ist als ein Gedanke«. Das fortschrittsgläubige, technikbesessene Amerika freilich verfiel in Aufbruchsstimmung: Welche Möglichkeiten! Nun war der Geist der Erfinder gefordert, denn die Elektrizität bot neue, unendliche Anwendungen. Und weil schon frühzeitig bekannt war, dass Strom bei genügender Stärke tödlich wirken kann, lag die Konstruktion eines Tötungsgeräts, das mit elektrischem Strom arbeitet, nahe.

Alles begann mit einem tragischen Ereignis: Als der Zahnarzt Alfred Southwick aus Buffalo zufällig Zeuge eines Unfalls wurde, bei dem ein betrunkener alter Mann einen Stromgenerator berührte und dabei sofort starb, erzählte er einem Freund davon, der in New York als Richter tätig war. Der wiederum berichtete dem dortigen Gouverneur David B. Hillvon von dem Stromunfall mit dem Hinweis, auf diese Weise könnte doch das Erhängen als grausame Hinrichtungsmethode ersetzt werden. Der Gouverneur schien nicht abgeneigt, schließlich hatte er bereits ähnliche Überlegungen angestellt. 1886 berief er eine Kommission ein, deren Aufgabe es war zu untersuchen, ob sich die neue Technologie tatsächlich für Hinrichtungen eignen könnte. Nach über zweijährigen Beratungen und zahllosen Konsultationen mit Experten verschiedener Disziplinen, legte das Gremium einen umfassenden Bericht vor. Ihr Fazit: die Hinrichtungen per Elektrizität seien durchaus zu empfehlen, da dies »die humanste und praktischste Methode ist, die Todesstrafe zu vollstrecken«.

Und tatsächlich: im Vergleich dazu erschienen alle bisherigen Tötungsarten grausam und barbarisch, weil sie meist langsam und qualvoll töteten und den Körper des Delinquenten verstümmelten. Dagegen verwies der Kommissionsbericht auf den schnellen und schmerzlosen Tod und sah in der »elektrischen Hinrichtung« ein deutliches Zeichen moderner Zivilisation. Die New York Times schwärmte gar von einer humanen »Sterbehilfe durch Elektrizität – sicher, sanft und schmerzlos«.

Die neuartige Hinrichtungsmethode schien die Verantwortlichen zu überzeugen. Im Jahre 1888 beschloss die gesetzgebende Versammlung des Staates New York mit 87 zu acht stimmen, die elektrische Hinrichtung einzuführen. Zuvor hatte man im Labor des Erfinders Thomas A. Edison zahlreiche Versuche mit Gleich- und Wechselstrom an Hunden sowie einem Pferd durchgeführt und aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse praktische Empfehlungen gegeben:

»Der Verurteilte soll in horizontale oder in sitzende Stellung gebracht werden und in der Einwirkung eines Wechselstroms von 1500 Volt Spannung mit einer Frequenz von 15 bis 30 ausgesetzt werden, indem ihm zwei metallene Elektroden am Kopf und am Kreuzbein angelegt werden, die mit in Salzlösung getauchten Schwämmen versehen sind. Die für den Kopf bestimmte Elektrode hat die Form eines Helmes, die andere die Gestalt eines Pfropfens«.

Am 1. Januar 1889 trat das Gesetz in Kraft. Der Gesetzgeber des Staates New York sah sich als Wegbereiter einer neuen Zivilisation, die einerseits dem technisch-wissenschaftlichen Fortschritt Rechnung trug, andererseits neue Standards für ein humanes Strafrecht definierte. Ein Artikel des Nord American Reviews klärte seine Leser schon vorab über die neue »menschenfreundliche Form« des Hinrichtens auf und schilderte in eindringlichen Bildern das Todes-Szenario:

»Mess-Scheiben elektronischer Instrumente zeigen an, dass sich der gesamte Apparat in vollkommener Ordnung befindet. Der stellvertretene Sheriff drückt den Knopf, Atmung und Herztätigkeit hören sofort auf und mit Lichtgeschwindigkeit zerstört die Elektrizität das Leben, bevor der Nervenreiz das Gehirn erreichen kann. Die Muskulatur versteift sich, um sich nach fünf Sekunden langsam wieder zu entspannen, aber es gibt weder Kampf noch Geräusche. Die Hoheit des Gesetzes ist gewahrt worden, aber kein körperlicher Schmerz wurde verursacht – so ist eine elektronische Hinrichtung«.

Bevor ein knappes Jahr später mit dem 28-jährigen William Kemmler der erste Todeskandidat bereit stand, war es noch einmal zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen den beiden Experten Thomas A. Edison und George Westinghouse gekommen. Sie stritten darüber, welche Strom-Art sicherer in der Anwendung sei: Gleich- oder Wechselstrom, der sogar einen gerichtlich geführten Streit nach sich zog. Der elektrische Stuhl war für Wechselstrom entworfen worden und so schlug Edison den Begriff »elektrocution« vor. Westinghouse wehrte sich dagegen. Der Staat New York ließ die ersten elektrischen Stühle für seine drei Gefängnisse Auburn, Sing-Sing und Clinton von dem Techniker Harold Brown bauen, der Wechselstrom bevorzugte. Als er versuchte, die Generatoren bei einer von Westinghouses Firmen zu kaufen, verweigerte dieser die Lieferung. George Westinghouse fürchtete um seinen Ruf. Letztlich aber ging es allein um wirtschaftliche Interessen, denn Strom galt als Markt der Zukunft. Es lohnte sich zu investieren in die neuen strombetriebenen Errungenschaften wie Beleuchtungen, Nähmaschinen und Eisenbahnen. Eine elektrische Hinrichtungsmaschine stand symbolisch für den neuen Aufbruch, da konnte Westinghouse keine Negativ-Schlagzeilen gebrauchen, zumal die Presse fast täglich über die bevorstehende Hinrichtung Kemmlers berichtete und den Todeskandidaten euphorisch zum »Pionier der Wissenschaft« erkor.

Am 6. August 1890 war es endlich soweit: neben dem Gefängnispersonal, den Staatsanwälten sowie 25 Zeugen und zwei Pressevertretern, versammelte sich eine Vielzahl medizinischer und technischer Experten im Gefängnis von Auburn, um die Hinrichtung von William Kemmler zu verfolgen – zum Tode verurteilt, weil er im Rausch seine Lebensgefährtin erschlagen hatte.

Vor den Toren des Staatsgefängnisses hatte sich eine große Menschenmenge eingefunden, um dem bedeutenden Ereignis nahe zu sein. Der Kommentator der New York Times war sich sicher, dass die bevorstehende Hinrichtung den Siegeszug des elektrischen Tötens einleiten werde und auch die Kollegen vom Sunday Globe ließen sich von der allgemeinen Euphorie mitreißen und stellten fest, die Aufmerksamkeit für Kemmlers Sterben sei mindestens »so groß wie die für eine Präsidentenwahl.«

Die Exekution fand in einen eigens dazu hergerichteten Saal statt, an dessen Wänden Bänke für die Zeugen und das Personal angebracht waren. Der aus Eichenholz gebaute Stuhl stand in der Mitte des fensterlosen Raums und hatte eine leicht erhöhte, nach hinten geneigte Lehne. Er war am Boden befestigt und gut isoliert Wie von den Experten der gerichtlich-medizinischen Gesellschaft vorgeschlagen, war eine Elektrode am Kopf und die andere am Kreuzbein angelegt worden. Beide Metallelektroden waren mit nassen Schwämmen versehen.

Den offiziellen Bericht über den Ablauf der Hinrichtung an den New Yorker Gouverneur und die zuständigen Justizbehörden erststattete der Gefängnisarzt Carlos F. Mac Donald. Auszüge:

»Nachdem Kemmler hereingeführt worden war, wurde er in den geschilderten Weise befestigt. Diese Vorbereitungen nahmen nur wenige Minuten in Anspruch. Dann gab der Direktor dem in Nebenzimmer beim Kommutator befindlichen Gehilfen das Zeichen, den Hebel zu bewegen und den Stromkreis zu schließen. Im Augenblick wurde der ganze Körper starr, indem ein auf das ganze Muskelsystem sich erstreckender tonischer Krampf eintrat. Im selben Augenblick waren Gefühl, Bewegung und Bewusstsein völlig vernichtet. Der Zustand währte die ganze Zeit des Stromdurchgangs. Nach 17 Sekunden wurde Kemmler für tot gehalten. Keiner der Zeugen erhob Einspruch, und der Direktor gab das Zeichen, den Strom abzubrechen … «

Mac Donald zog am Ende seines Berichts ein positives Fazit:

»Der Zweck und Geist des Gesetzes, welcher darin bestand, dem Verurteilten einen sofortigen und schmerzlosen Tod zu geben, war vollkommen erreicht.«

Dem widersprachen Kritiker heftig. Ein als offizieller Zeuge beiwohnender Reporter der New York Times bezeichnete die neue Hinrichtungsmethode als grausame und qualvolle Art, jemanden zu töten. Sein ernüchternder Kommentar: »Ein entsetzliches Schauspiel, weit schlimmer als Erhängen.« Und auch George Westinghouse war fassungslos: »Sie hätten es besser mit einer Axt gemacht «, spottete er.

Andere Zeugen monierten, es seien trotz Berechnungen zwei Stromstöße notwendig gewesen, um den Tod herbeizuführen. Auch habe der Todesvorgang allzu zu lange gedauert, beinahe acht Minuten. Die Hinrichtung trug ihrer Meinung nach mehr den Charakter eines Experiments, als der einer sicheren Vollstreckung. Die Presse kommentierte, William Kemmler sei buchstäblich zu Tode geröstet worden. Was als Demonstration des technologischen und humanen Fortschritts , als »Eintritt in ein höheres Stadium der Zivilisation« (so die euphorischen Pressekommentare) gedacht war, schien desaströs geendet zu haben. Neben all den technischen Mängeln und der möglichen Störanfälligkeit des elektrischen Stuhls wurde vor allem auf die fehlerhafte Dosierung hingewiesen, die der Verschiedenartigkeit der menschlichen Konstitution nicht gerecht würde. Mediziner verwiesen darauf, dass Menschen unterschiedlich auf die Wirkung des Stroms reagierten, bisweilen ganz erstaunliche Spannungen ertragen konnten. Dass sie nicht ganz unrecht hatten, sollte sich in den folgenden Jahren bei zahlreichen Exekutionen zeigen.

So sollten einige Fälle bekannt werden, bei denen die Exekution keineswegs reibungslos und ordnungsgemäß vonstatten gegangen war. Experten gaben zu Bedenken, dass daran keineswegs nur die körperliche Konstitution des Verurteilten eine Rolle gespielt haben könnten, sondern auch Faktoren wie Raum-Temperatur und Feuchtigkeit. So könne starkes Transpirieren des Todeskandidaten, das in dieser extremen Situation fast immer eintritt, dazu führen, dass der Strom nicht den Körper durchdringt, sondern auf dessen Oberfläche entlangläuft.

So bei einem gewissen Henry White, der in Ohio hingerichtet werden sollte, schlug das Herz nach dem ersten Stromstoß noch regelmäßig. Als man daraufhin die Stromspannung verdreifachte, schlugen helle Flammen aus dem zuckenden Körper der Verurteilten und der Gestank von verbranntem Fleisch erfüllte den Hinrichtungsraum. Der Tod war am Ende nicht durch Stromschlag, sondern durch Verbrennung eingetreten.

Zu ebenso grauenhaften Szene sollte es einige Jahre später bei der Hinrichtung von Mary Farmer kommen, die wegen gemeinschaftlichen Mordes im April 1929, auf dem elektrischen Stuhl den Tod finden sollte. Nachdem ihr Körper eine Minute lang von den Stromstößen geschüttelt worden war, nahm der Exekutor den Hebel langsam zurück. Plötzlich drang ein lauter Schrei unter der Maske der Verurteilten hervor. Erschrocken wurde der Hebel wieder nach oben gebracht, diesmal jagte man 2000 Volt über fünf Minuten durch den Körper der Frau. Doch Mary Farmer lebte danach immer noch. Viermal schließlich wurde die grausige Prozedur wiederholt, dann konnte man sicher sein, dass die Verurteilte tot war. Eine Hinrichtungsszene, die an mittelalterliche Strafrituale erinnerte und umgehend die Kritiker wieder auf den Plan rief.

Aufgrund einiger vorangegangener Pannen hatten der New Yorker Gesetzgeber deshalb verfügt, dass jede Hinrichtung durch eine Autopsie abzuschließen sei, um »jede Möglichkeit auszuschließen, dass der Verurteilte ins Leben zurückkehrt.«

Bei aller Empörung über die unübersehbaren technischen Mängel gab es auch Stimmen, wie die von Dr. Louis Bach, Leiter der New Yorker Gesundheitsbehörde, der allen, die es hören wollten, versicherte: »Vom ersten Stromschlag an ist der Delinquent praktisch tot. Er hat keinen Schmerz und ist nie mehr bei Bewusstsein.«

 

Diese Einschätzung teilten viele Experten. Sie argumentierten unter anderem, dass bei der Hinrichtung durch Strom eine Temperatur erreicht werde, die selbst Kupfer zum Schmelzen bringe und im Gehirn zumindest den Siedepunkt erreiche. Da der Strom eine Geschwindigkeit erziele, die siebzigmal schneller ist, als das Gehirn Empfindungen registrieren könne, sei die Schmerzlosigkeit dieser Hinrichtungsart sicher. Ihrer Meinung nach ging es allenfalls darum, die technischen Defizite zu beheben. Gerade einmal ein Jahr später konnte im Staatsgefängnis Sing-Sing gleich an vier Männern gezeigt werden, wie verlässlich das elektrische Hinrichten funktionierte. Der Moment des staatlich angeordneten Tötens war nun gewissermaßen in der praktischen Anwendung rehabilitiert und damit als zukunftsweisend legitimiert worden. Der elektrische Stuhl verkörperte fortan einen Teil des rechtlichen und »humanen« Selbstverständnisses der Amerikaner, auch wenn nicht allerorten die gleichen Methoden beim Exekutieren zur Anwendung kamen. So gab es erhebliche Unterschiede bei der Auswahl und Dosierung der verwendeten Stromstöße, auch die Anwendung der Elektroden wurden unterschiedlich gehandhabt – dennoch: in der Folgezeit wurde die Exekution durch Strom zum bevorzugten Hinrichtungsinstrument. Nach New York führten die Bundesstaaten Ohio (1897) und Massachusetts (1907) die Hinrichtung durch Elektrizität ein, es folgten New Jersey (1907) sowie Virginia (1908).

Wie sich das Exekutionsverfahren in der Folgezeit vollzog, zeigt ein Bericht des deutschen Strafrechtlers Bertold Freudenthal, der am 12. September 1905 während einer Studienreise als Zeuge der Hinrichtung eines Mörders im Staatsgefängnis Auburn teilnahm und notierte:

»Kaum hatte man Platz genommen, so öffnete sich die Tür. Von Gefängnisgeistlichen geführt, erschien ein junger Mann von etwa 30 Jahren, fahl, aber in ruhiger Haltung. Er nahm ohne Widerstreben auf dem chair, einem Armstuhl, Platz und wurde außerordentlich rasch an Körper, Armen und Beinen angeschnallt. Er hatte den geschorenen Kopf von Anfang an zurückgelehnt und die Augen geschlossen. Das Kinn wurde mit einer Bandage gestützt. Eine Metallkappe wurde ihm aufgesetzt und an ihr der von der Decke herabhängende Leitungsdraht befestigt. Das linke Bein wurde entblößt. Indessen las der Kaplan mit lauter Stimme langsam die Worte eines Gebets.

Der »Staatselektriker« hielt sich in einem Nebenraum bei den Geräten auf. Der Strom von 1780 Volt und 7,5 Ampere wurde reichlich eine halbe Minute konstant gehalten, darauf allmählich vermindert und wider auf seine volle Kraft verstärkt. Dann untersuchten zwei Ärzte den Verurteilten…

Fünf Minuten nach 6 Uhr hatten wir den Raum betreten. Drei Minuten später war der erste Stromschlag erfolgt. Um 6.15 Uhr, also weitere sieben Minuten später, schloss der Deputy die Zeremonie mit den Worten „That is all, gentleman“.

Eine Hinrichtung: störungsfrei, effizient und »zivilisiert« – nicht nur die zuständigen Justizbehörden waren begeistert. Beginnend mit den 1920er Jahren setzte sich die Edinson´schen «electrcution« im ganzen Land durch. Am Ende standen in 26 Bundesstaaten ein elektrischer Stuhl. Nur Texas übernahm die elektrische Hinrichtung an Stelle des Galgens erst ab 1924, also vergleichsweise spät. Hier, im Süden des Landes, wo es in der in der Vergangenheit immer wieder – vorwiegend an afroamerikanischen Männern – zur Lynchjustiz kam, wollte man nun ebenfalls ein Signal im Sinne einer »zivilisierten« Strafjustiz setzen. Dazu gehörte, dass man die öffentlich inszenierten Exekutionen aus den Gemeinden und Städten heraus in das zentrale Staatsgefängnis nach Huntsville verlegte, wo erstmals auch gesonderte Todestrakte entstanden, in denen die Todeskandidaten unter besonderen Bedingungen inhaftiert waren und auf ihre Hinrichtung warten.

Ein Grund für ein neues zentrales Hinrichtungssystem war freilich auch die Tatsache, dass die für eine elektrische Hinrichtungen erforderliche Ausstattung nicht allerorten vorhanden war. Ein Galgen war rasch aufgeschlagen, ein elektrischer Stuhl aber benötigte zahllose technische Instrumentarien, die nicht nur erheblichen Platz brauchten, sondern auch von einer Vielzahl besonders geschultem Personal bedient werden mussten.

Nicht nur in den Anfangsjahren, auch später gab es immer wieder dramatische Vorfälle und nicht einkalkulierte Verläufe. So saß am 22. April 1983 – bald einhundert Jahre nachdem William Kemmler erstmals auf dem elektronisch exekutiert worden war, in Alabama John Evans in der Gewissheit auf dem elektrischen Stuhl, dass sein Leben gleich ein Ende hatte. Doch die Prozedur sollte 14 Minuten lange Minuten dauern.

Von New York bis Texas: auch wenn es bei die elektrischen Hinrichtungen immer wieder zu Zwischenfällen kam, so galt doch die Tötungs-Methode als die »humanste und schmerzloseste«, und erfüllte insgesamt verlässlich den Anspruch des Gesetzes, »einen Menschen mit Anstand zu töten«. Beispielsweise war Old Sparky, der »alte Funkensprüher«, wie der elektrische Stuhl im Staatsgefängnis von Florida unter den Todeskandidaten genannt wurde, bis Anfang 1993 im Einsatz. 224 Menschen fanden darauf den Tod.

In den US-Bundesstaaten Alabama, Florida, Georgia, South Carolina uns Virginia gibt es noch heute das elektrische Töten. In Arkansas, Kentucky und Tennessee werden die Todeskandidaten mittlerweile nur noch mit der Giftspritze exekutiert, allerdings können die Verurteilten, sofern das entsprechende Verbrechen noch vor dem Abschaffungsdatum stattfand, auf eigenen Wunsch auch auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet werden. Als bislang letzter Verurteilter wurde der 58-jährige Nicholas Sutton am 20. Februar 2020 in Tennessee auf dem elektrischen Stuhl exekutiert.

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Zitat:

»Der Zweck und Geist des Gesetzes, welcher darin bestand, dem Verurteilten einen sofortigen und schmerzlosen Tod zu geben, war vollkommen erreicht.«

 

Buch-Tipp:

Helmut Ortner,

OHNE GNADE – Eine Geschichte der Todesstrafe,

Nomen Verlag, 230 Seiten, 22 Euro

Finanzen

Über Helmut Ortner 80 Artikel
Geboren 1950 in Gendorf/Oberbayern und aufgewachsen in Frankfurt am Main. Schriftsetzerlehre, anschließend Studium an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main, Schwerpunkt Grafik-Design. Es folgt Wehrdienstverweigerung – und Zivildienst. Danach journalistische Lehrjahre: Redakteur, Chefredakteur (u.a. Journal Frankfurt, Prinz). Ab 1998 selbständiger Printmedien-Entwickler mit Büro in Frankfurt. Konzepte und Relaunchs für mehr als 100 nationale und internationale Zeitschriften und Zeitungen, darunter Magazine wie Focus, chrismon, The European und Cicero, sowie Tages- und Wochenzeitungen, u.a. Das Parlament, Jüdische Allgemeine, Frankfurter Rundschau, Allgemeine Zeitung, Wiesbadener Kurier, Darmstädter Echo, De Lloyd Antwerpen, NT Rotterdam sowie Relaunchs in London, Wien, Sofia, Warschau und Dubai. Zahlreiche Auszeichnungen (u.a. European Newspaper Award, Hall of Fame, CP Award Gold). Daneben journalistische Beiträge zu politischen und gesellschaftlichen Themen, veröffentlicht in div. Tageszeitungen und Magazinen. Erste Buchveröffentlichung 1975, seither mehr als vierzig Veröffentlichungen. Übersetzungen in bislang 14 Sprachen (2018). Zahlreiche Preise und Einladungen: Stadtschreiberpreis der Stadt Kelsterbach, Lesereise Goethe-Institut Südamerika, Teilnahme an Buchmessen in Havanna, Istanbul und Buenos Aires sowie Lit.Col. Köln 2017. Zuletzt Lesereisen nach Lissabon, Turin, Tokyo. Helmut Ortner lebt und arbeitet in Frankfurt am Main und in Darmstadt. Er ist passionierter Radrennfahrer, Eintracht Frankfurt-Fan und Pat Metheny-Liebhaber.