Wasser, Wind und weites Land – Unser siebter Urlaub in Mecklenburg-Vorpommern

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Nach den kalten Vorfrühlingswochen hatten wir uns auf diese Reise nach Wismar an der Ostsee sehr gefreut! Wir wollten einmal andere Landschaften sehen und andere Menschen reden hören als in und um Coburg. Meine Frau hatte eine Ferienwohnung angemietet im Müggenburger Weg 8. Der Ort hieß „Kuhmoor“, aber ein Schild mit diesem Namen haben wir nirgendwo gesehen.

Wir fuhren am Sonntag, 6. April, um 11.00 Uhr bei strahlendem Sonnenschein auf der Autobahn Richtung Erfurter Kreuz. Ich hoffte, der Navigator in unserem Auto würde so denken wie ich, aber dem war nicht so. Ich wäre gern ohne Navigator nach Wismar gefahren, ich brauche dazu weder Landkarten noch Navigatoren. Gefahren wäre ich zum Hermsdorfer Kreuz und von dort zum Berliner Ring. Dann wird bei Potsdam die Autobahn Richtung Hamburg angezeigt, von der die Autobahn Schwerin, Wismar, Rostock abzweigt. Aber unser Navigator dachte ganz anders, der führte uns von der Autobahn ab ins thüringische Kernland mit Orten wie Eisleben und Wittenberg, dann kam noch der erschwerende Umstand hinzu, dass meine Frau auf ihrem Handy auch einen Navigator hatte, der ganz andere Fahrtrichtungen anzeigte als der im Auto. Jedenfalls waren wir völlig verwirrt und hilflos! Es war sehr ärgerlich!

Immerhin kamen wir auf unserer Irrfahrt an Orten vorbei, die für die DDR-Geschichte wichtig sind, so an der Kleinstadt Greußen im Kyffhäuserkreis, wo von Oktober 1945 bis Januar 1945, nachdem Thüringen im Juli 1945 von der sowjetrussischen Besatzungsmacht  übernommen worden war, 38 Jugendliche wegen des Verdachts, Werwölfe zu sein, verhaftet und ohne Prozess in das von den Nazis übernommene KZ Sachsenhausen verbracht wurden. Als das Lager 1950 aufgelöst wurde, waren 24 von ihnen an Unterernährung und Krankheiten verstorben. Vor Jahren habe ich einmal den Friedhof in Greußen besucht und dort einen Gedenkstein gefunden. Einen weiteren gibt es heute vor der Staatlichen Realschule.

Später, schon auf dem Weg Richtung Halle, fuhren wir an der Stadt Schafstädt im Landkreis Merseburg vorbei. Dort hat der DDR-Schriftsteller Rainer Kirsch (1934-2015), der Ehemann der Schriftstellerin Sarah Kirsch (1935-2013) von 1957 an zwei Jahre „zur Bewährung in der Produktion“ arbeiten müssen, während sein Freund Günter Zehm (1933-2019) wegen „Konterrevolution“ zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Rainer Kirschs Vater Edgar Kirsch war Professor an der Pädagogischen Hochschule Halle und konnte seinen Sohn vor einer Zuchthausstrafe bewahren. Günter Zahm hatte keinen Vater, der war im Zweiten Weltkrieg gefallen.

Auf der Autobahn ging es nach dem Zeitverlust zügig voran, über Halle fuhren wir Richtung Berlin und erreichten bei Potsdam den Berliner Ring, von wo aus wir Richtung Hamburg fuhren. In der Prignitz mussten wir tanken. An einer Zapfsäule waren acht Zapfstutzen, Benzin und Diesel. Ich bin heutzutage sehr vorsichtig beim Tanken, weil ich vor Jahren einmal in Thüringen Benzin in unseren Tank gefüllt habe statt Diesel. Das war uns sehr teuer gekommen! Ich fühlte also Benzin SUPER 95 in unseren Tank, jedenfalls meinte ich, das getan zu haben, zog den Schlauch heraus, hängte ihn ein und ging zur Kasse. Dort verlangte die Kassiererin 79.00 Euro von mir fürs Tanken. Wir hätten Diesel getankt und müssten das bezahlen. Sie war nicht zu überzeugen, zum Bespiel dadurch, dass der Dieselstutzen überhaupt nicht in die Öffnung unseres Benzintanks passte! Erst als ich mit der Polizei drohte, lenkte sie ein und überprüfte, da alle tankenden Autos fotografiert werden, die Filmaufnahmen und stellte fest, dass eine Autofahrerin schwarz getankt hatte und weggefahren war. Schließlich merkten wir, dass wir, weil die Tanksäule noch nicht wieder freigeschaltet war, gar nicht getankt hatten, fuhren zur Nachbartanksäule, tankten und zahlten 19.00 Euro statt 79.00. Wir hatten den Eindruck, die Kassiererin wollte sich an uns bereichern, denn sie hätte ja von der geflüchteten Autofahrerin das Geld noch einmal bekommen.

Nach diesem Schreck fuhren wir weiter, riefen von unterwegs Frau Ewert, unsere Vermieterin, an, und erreichten die Wohnung am frühen Abend mit Mühe. Ein Ort „Kuhmoor“ war nirgendwo angezeigt, wir fuhren orientierungslos durch die Gegend, gerieten auf ein Kopfsteinpflaster, wo man nur höchstens 30 Kilometer fahren durfte, hinter dem Ortsschild war die Begrenzung der Geschwindigkeit aufgehoben, aber wegen des Pflasters konnte man ohnehin nicht schneller fahren. Wir überquerten im Wald eine Hauptstraße und sahen gegenüber eine Sackgasse, welche die war, die wir suchten. Endlich hatten wir unser Ziel erreicht!

Eigentlich wollten wir noch essen gehen, dann liehen wir uns bei der Vermieterin eine Tüte Milch, aßen Müsli und gingen früh zu Bett. Die Wohnung, in der wir jetzt sechs Tage übernachteten, bestand aus einem großen Zimmer mit Schiebefenstern zur Terrasse, dort stand auch ein Strandkorb. Dahinter war der Zaun zum Nachbargrundstück, das zwei große Hunde, offensichtlich Brüder, voller Angriffslust bewachten. Als ich am Zaun stand, rasten sie bellend auf den Zaun zu und standen dann hechelnd vor mir, wedelten aber mit ihren Schwänzen, was wohl bedeutete, dass sie mir freundlich gesinnt waren.

In unserem Zimmer stand in einer Ecke ein Doppelbett, in der anderen der Esstisch. In der Mitte war die Sitzecke mit Sofa und Fernsehen. In der dritten Ecke gab es eine Kochnische mit Kühlschrank. Schwierigkeiten hatten wir mit dem Empfang der Sender auf dem Fernsehen, weil das Gerät nicht an eine Schüssel, sondern an das Internet angeschlossen war. Es flimmerte und fiepte, dann war der Ton weg, es war schrecklich! Das Badezimmer war über den Flur zu erreichen, aber die Dusche, das war das zweite Ärgernis, gab nur lauwarmes Wasser ab.

Wir fuhren am Montagmorgen, 7. April, über einen Kreisverkehr zum Bäcker, kauften Brötchen und die OSTSEE-ZEITUNG und nebenan bei LIDL Butter, Milch, Marmelade und Wurst. Dann frühstückten wir mit zwei gekochten Eiern und fuhren gegen Mittag auf die Insel Poel, die nur zehn Kilometer entfernt lag und die man kennt, wenn man die Serie „SOKO Wismar“ im ZDF jeden Morgen um 11.15 Uhr sieht. Die Insel erreicht man über eine kaum bemerkbare Brücke, sie ist 37 Quadratkilometer groß und hat 2500 Einwohner, die in mehreren Dörfern wie Kirchdorf, Timmendorf und Gollwitz wohnen. Die Insel ist bekannt für ihre Pferdezucht und gehörte von 1648, dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, bis 1803 zum Königreich Schweden.

Wir parkten in Timmendorf und gingen zu Fuß zum Hafen, wo uns zwei betrunkene Männer ansprachen und uns fragten, ob sie uns duzen dürfte. Sie quasselten nur dummes Zeug und wohnten auf einem kleinen Boot, mit dem sie durch die Ostsee schipperten. Nach unserem Hafenrundgang gingen wir Fisch essen in einem Restaurant, das jetzt von Italienern betrieben wird. Abends sahen wir uns im Fernsehen den Film über Hans Rosenthal (1925-1987) an.

Am Dienstag, 8.April, fuhren wir in die Innenstadt von Wismar, die wir schon mehrmals besucht haben. Die Stadt hat 44 000 Einwohner, ist also nur wenig größer als Coburg. Hier wohnte Egon Aigmüller, mit dem ich in Torgau, Altenburg, Leipzig und Waldheim im Zuchthaus saß. Im Sommer 1963 wurde er entlassen, ich ein Jahr später. Vor Jahren haben wir ihn besucht, da wohnte er schon lange nicht mehr in der Straße Hinter dem Chor 7 an der Nikolaikirche. Diese Adresse hatte ich mir gemerkt. Damals saßen wir im Restaurant „Alter Schwede“ und erzählten uns Knastgeschichten aus Waldheim. Da er nicht mehr im Telefonbuch steht, nehme ich an, dass er gestorben ist.

Wir besichtigten die Nikolaikirche und fanden in einer Nische, die über zwei Stufen zu erreichen war, mehrere hundert Bücher gestapelt zum Verkauf. Jedes Buch sollte nur einen Euro kosten, auch die umfangreichen. Das Geld musste man durch einen Schlitz in eine Truhe fallen lassen. Ich nahm die Reclam-Ausgabe des Anna-Seghers-Romans „Das siebte Kreuz“ (1942) mit, in dem ein Nachwort der DDR-Schriftstellerin Christa Wolf (1929-2011) abgedruckt war. Auf der ersten Seite stand der Name der Vorbesitzerin aus Neubukow. Während ich später am Marktplatz saß, Kaffee trank und Frankfurter Kranz aß, ging meine Frau einkaufen, Textilien, die es in Coburg nicht gibt. Ich las die OSTSEE-ZEITUNG und beobachtete die Leute. Später gingen wir ins Restaurant „Alter Schwede“, das als Gebäude 1380 errichtet wurde, Fisch essen.

Am Mittwoch, 9. April, fuhren wir in die Landeshauptstadt Schwerin, um Erich Loests Sohn Robert zu besuchten, der seit Jahren in der Innenstadt ein Antiquariat betreibt. Als ich im Oktober 1959 seine Mutter in der Leipziger Oststraße 5 besuchte, um mir drei Romane Erichs auszuleihen, war er zwei Jahre alt. Das Antiquariat war leicht zu finden. Ich hatte ihm vorher geschrieben, und er hatte uns empfohlen, vormittags zu kommen, da er erst um 14.00 Uhr öffne.  Wir trafen gegen 10.00 Uhr ein und blieben bis 11.30 Uhr. Wir saßen zu viert um einen Tisch, es gab Kaffee und Kuchen. Ich erzählte von meinem „illegalen“ Besuch bei seiner Mutter im Oktober 1959, von meinen Hafterlebnissen in Waldheim und vom ersten Treffen mit Erich nach seiner Lesung an der Universität Münster. Es war ein anregender Vormittag!  Wir schlenderten dann noch durch die Altstadt Schwerins und tranken irgendwo Kaffee. Die Landeshauptstadt hat heute knapp 99 000 Einwohner und liegt an mehreren Seen. Abendbrot aßen wir Zu Hause.

Am Donnerstag, 10. April, holte ich zu Fuß Brötchen und die OSTSEE-ZEITUNG und verlief mich auf dem Rückweg. Ich musste einen Kreisverkehr überqueren und von dort in eine Sackgasse einbiegen. Ich geriet aber in eine Straße, durch die der Verkehr brandete und Busse fuhren. Ich fragte eine Frau nach dem Weg, die wies mich in eine Sackgasse, das war aber die falsche. Der Namen der Sackgasse, wo wir wohnten, fiel mir in der Aufregung nicht ein. Ich musste meine Frau anrufen, die mich am Kreisverkehr abholte. So etwas ist mir noch nie passiert!

Nach dem Frühstück fuhren wir nach Rostock zum Ostermarkt in der Kröpeliner Straße. Wir fuhren 54 Kilometer auf der Landstraße, nicht auf der Autobahn. In der Innenstadt fanden wir eine Tiefgarage, und gleich um die Ecke war die Kröpeliner Straße. Das ist die große Einkaufsstraße Rostocks mit Hotels, Restaurants und Cafés. Der Ostermarkt mit den vielen Buden und zwei Riesenrädern war überwältigend. Hier fanden zu DDR-Zeiten immer die Buch-Basare statt, wo Hermann Kant, Christa Wolf und auch Erich Loest lasen. Wir liefen, nachdem wir in der Fußgängerzone Kaffee getrunken und Mandelhörnchen gegessen hatten, bis zum Rathausplatz, wo es Softeis gab. Auf dem Rückweg gingen wir hinunter zum Stadthafen, aber das letzte Touristenschiff fuhr ohne uns nach Warnemünde. Schade! Nun mussten wir vom Stadthafen wieder die Treppen hochlaufen zur Galeria Kaufhof, wo meine Frau wiederum Textilien kaufen wollte, die es in Coburg nicht gab. Ich aber wollte im Parterre in der Schuhabteilung sitzen bleiben, wo eine Bank stand.

Als meine Frau nichts zum Kaufen gefunden hatte, fuhren wir nach Bad Doberan, wo wir zu Abend essen wollten. Die Stadt war zwar auf der Landstraße angezeigt, aber wir fanden sie nicht, rechts und links war nur Industriegebiet. Also fuhren wir weiter und erreichten Schwaan, ein Städtchen von 5000 Einwohnern wie Bad Rodach. Meine Frau war sehr erstaunt, dass es dort eine Straßenbahn gab. Wir fanden dort den Gasthof „Zikke“, wo wir von einem Chinesen bedient wurden und sehr gut aßen. Auf dem Rückweg fanden wir unsere Sackgasse nicht und irrten mit dem Auto durch die Gegend, bis wir wieder über das Kopfsteinpflaster holperten und dann endlich den Müggenburger Weg fanden. Inzwischen war es 20.00 Uhr geworden.

Freitag, 11. April, war unser letzter Tag in Wismar. Wir frühstückten und lasen in unseren Büchern. In der Wohnung gab es ein Bücherregal, dort hatte ich Henning Mankells Kriminalroman „Die fünfte Frau“ (1997) gefunden und kam nicht mehr davon los, obwohl ich ihn vor Jahren schon gelesen hatte. Gegen Mittag fuhren wir noch einmal die zehn Kilometer zur Insel Poel, tranken dort Kaffee und setzten uns am Hafen auf eine Bank, um aufs Wasser zu schauen. Später aßen wir im italienischen Restaurant, ich eine Dorade, was ich nicht kannte. Sie war sehr gut, ich sagte zur Wirtin „molto bene“, was sie dankbar akzeptierte.

Am Samstag, 12. April, ging ich noch einmal zu Fuß Brötchen holen. Ich wollte, auch mir selbst, zeigen, dass ich zurückfand. Der Bäcker hatte wegen Urlaub geschlossen, bei LIDL aber konnte ich die OSTSEE-ZEITUNG kaufen. Bis 10.00 Uhr mussten wir die Wohnung geräumt haben. Als wir an der Haustür klingelten, um den Schlüssel abzugeben, kam der Hausherr aus dem Garten. Wir haben mit dem Ehepaar Ewert während der ganzen Woche keine fünf Sätze gewechselt.

Dann fuhren wir zügig nach Hause, von Wismar nach Potsdam und von dort Richtung Leipzig. An der Raststätte Fläming wollten wir Brot kaufen, dort wurde aber umgebaut, es gab nur Kaffee. In Sachsen tranken wir Kaffee in der Raststätte Köckern und erfuhren, dass das Gebäck „Schnecke“ in Sachsen „Buckelcroissant“ heißt. Von Leipzig ging es nach Erfurt, dort wechselten wir die Autobahn und fuhren Richtung Schweinfurt/Suhl. Dann wurde auch schon Coburg angezeigt. Am Spätnachmittag waren wir wieder zu Hause.

 

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Dr. Jörg Bernhard Bilke, geboren 1937, studierte u.a. Klassische Philologie, Gemanistik und Geschichte in Berlin und wurde über das Frühwerk von Anna Seghers promoviert. Er war Kulturredakteur der Tageszeitung "Die Welt" und später Chefredakteur der Kulturpolitischen Korrespondenz in der Stiftung ostdeutscher Kulturrat.