Pinakothek der Moderne | Astrid Klein. Dass vollkommene Liebe die Angst austreibe

Astrid Klein (DE 1951), daß vollkommene Liebe…,1979, Fotoarbeit, 149 x 125 cm Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München, Foto: Sprüth Magers @ Astrid Klein

SAMMLUNG+ | SAAL 27+ PDM WAND TREPPE OST

Ausstellungsdauer | 21. juli 2020 BIS 17. januar 2021

Astrid Klein (*1951) zählt zu den wichtigsten Stimmen der deutschen Nachkriegs- und Gegenwartskunst. Zentraler Aspekt ihres Gesamtwerks ist die Auseinandersetzung mit dem politischen Klima im Nachkriegsdeutschland und der westlichen Welt, mit Ängsten und Sehnsüchten, die über die Medien global transportiert werden. Sie untersucht diese grenzübergreifenden, gleichwohl stereotypisierten Machtverhältnisse, wobei ihr künstlerischer Ansatz auf der wahrnehmungspsychologischen Hinterfragung tradierter Bildkultur fußt. Ihre konzeptuelle Herangehensweise steht dabei in enger Verbindung mit amerikanischen Zeitgenossen*innen, John Baldessari, Jenny Holzer, Barbara Kruger oder Richard Prince.

Dank der substanziellen Förderung der Michael & Eleonore Stoffel Stiftung wurden 2019 fünf Werke von Astrid Klein für die Sammlung Moderne Kunst in der Pinakothek der Moderne erworben. Der nunmehr sieben Exponate umfassende Sammlungsbestand zentraler Fotoarbeiten und Collagen aus den 1970er-1980er Jahren wird erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Zudem wird eine großformatige, aus zerschossenen Spiegeln bestehende Installation der Künstlerin gezeigt, die die BesucherInnen beim Aufgang in das 1. Obergeschoss mit einem fragmentierten Abbild ihrer selbst konfrontiert.

Vier der fünf neu erworbenen Werke von Astrid Klein knüpfen in besonderem Maß an die bereits im Sammlungsbestand vorhandene Fotoarbeit „daß vollkommene Liebe…“ von 1979 an. Darunter bildet das Werk „Eine Frau muß geliebt werden…“ von 1978 in Format und Bildsprache ein visuelles Pendant. Die zwei Werke zeigen eine Szene physischer Nähe zwischen Mann und Frau, in der sich Bedrängnis und Aneignung des weiblichen Körpers offenbaren. Ein jeweils quer über das Bild gelegter Schriftzug liest sich dabei wie der bevormundende Gedanke des im Bild agierenden männlichen Protagonisten. Astrid Klein kombiniert hier die Ausdrucksgewalt eines Bildes mit der Prägnanz einer Textstelle, und führt vor, wie leicht wir uns der Illusion hingeben, dass Text Bild erklärt und Bild Text illustriert. Die Wahrnehmung des Betrachters wird durch die Dissonanz zwischen den beiden Ausdrucksvarianten aktiviert und zum eigentlichen Thema der Werke.

Noch entlarvender ist das Verhältnis von Bild und Text in den drei Collagen von 1980, die zur Serie „Les tâches dominicales“ (Sonntagsarbeiten) gehören. Astrid Klein verbindet in diesen Arbeiten eine Bildästhetik, die sie dem damals populären Genre des Fotoromans entlehnt, mit Textpassagen aus poetischen und philosophischen Schriften. In „BB“ erstreckt sich über die unter diesem Kürzel bekannt gewordene Brigitte Bardot der wiederholte Schriftzug „Ich weiß keine bessere Welt“. Es wirkt, als spreche die Protagonistin diesen Satz in Reaktion auf den Übergriff einer männlichen Hand, die ihr das Handtuch von ihrer nackten Haut zu entziehen versucht. Der Satz ist jedoch auch titelgebender Ausdruck eines Gedichts aus Ingeborg Bachmanns Spätwerk. Auf ähnliche Weise verdichtet Astrid Klein in den beiden anderen Collagen weitere Zitate, etwa von Erik Satie und Georges Bataille. Wessen Stimme spricht und wem wird sie zugeordnet? Mit diesen Leitfragen eröffnet Astrid Klein immer wieder die Suche nach neuen Sinn- und Sinnesebenen.

Die wandfüllende Arbeit „Endzeitgefühle II“ von 1982 ist ein weiteres Hauptwerk der Künstlerin, das den thematischen Fokus der Sammlungspräsentation entscheidend erweitert. Es besticht mit einem kraftvollen Motiv: dunkle Hunde-Silhouetten stürzen aus dem geschwärzten linken Bildrand quer an einer vermauerten Tür vorbei. Der spannungsreiche Moment dieses monumentalen Bildes liegt in der Ambivalenz seines Ausdrucks: Flucht oder Angriff, Sackgasse oder Schlupfloch? Ende oder Kehrtwende? Alles schwingt hier gleichzeitig mit, worin auch die Brücke zu dem bereits in der Sammlung vorhandenen Werk „Gleichzeitigkeiten“ von 1984 geschlagen wird.

Die Spiegelinstallation „untitled“, 1993 bildet den Auftakt und Abschluss der konzentrierten Sammlungsschau. Hier wird im wortwörtlichen Sinn die gewohnte Wahrnehmung „zerschossen“ und die glatte Oberfläche des Scheins „aufgebrochen“. Somit werden Bruchstücke einer neuen Realität greifbar, was sich nicht zuletzt auch mit der aktuellen Lage und Neuordnung der Welt in Verbindung bringen lässt.    

Kuratorin: Corinna Thierolf unter Mitarbeit von Tatjana Schäfer