Webers Werk ,,Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ und dessen handlungstheoretische Begründung des Profit- und Besitzstrebens im modernen kapitalistischen Sinne

Max Weber (1864 – 1920) versteht – als einer der Gründerväter der Soziologie – genauso wie auch Marx die Entwicklung der kapitalistischen Profitlogik als wichtigsten Faktor des Übergangs von der traditionellen Ständegesellschaft zur modernen Klassengesellschaft. Für Marx liegt der entscheidende Umbruch in den ökonomischen Produktionsbedingungen – der ,,Basis“ –, den damit einhergehenden Ausbeutungs-, Unterdrückungs- und Enteignungsprozessen und der fortschreitenden Domestizierung der Natur (vgl. Rosa/Strecker/Kottmann. 2007: 30ff.). Weber sieht die entscheidende Wandlung der vormodernen zur modernen Gesellschaftsform hingegen primär resultierend und vorangetrieben durch ,,Überbau“-Phänomene wie der, von Rationalisierung geprägten, menschlichen Lebensführung und der damit einhergehenden veränderten Werthaltung (vgl. ebd.: 48ff.). Das sich wandelnde Handeln der Menschen, das im Weiteren noch nähere Ausführung findet, ist allerdings, Weber zufolge, – ähnlich wie Marx dies sieht – entscheidend von der Logik des Kapitalismus‘ und der daraus folgenden strikten Bürokratie geprägt, welche fortschreitend in sämtliche Lebensbereiche vordringt und diese förmlich (fremd)bestimmt. Während sich somit Marx für die Zukunft der, verselbstständigende Züge annehmenden, kapitalistischen Profit- und Kapitallogik interessiert, versucht Weber die ideellen und religiösen Wurzeln des Zustandekommens des Kapitalismus‘ freizulegen und deren Einfluss auf die Gesellschaftswandlung und die Akzeptanz hinsichtlich Besitz- und Kapitalstrebens zu erforschen. Daher ist Webers Ansatz den Handlungstheorien zuzuordnen, welche, anders als Strukturtheorien, die das Handeln der Individuen durch die herrschenden Strukturen determiniert sehen, im Gegenzug davon ausgehen, dass sich individuelles Handeln grundlegend auf die Strukturen auswirken und diese verändern bzw. reformieren kann. Damit lassen sich gesellschaftliche Veränderungen, nach Weber, in ihrer Vollständigkeit und Tiefgründigkeit nur verstehen, wenn die Handlungsmotive und -ziele der Akteure mit einbezogen und als zentral erachtet werden. Webers handlungstheoretischer Ansatz, welcher soziale Phänomene oder gesellschaftliche Veränderungen ursächlich durch das subjektive Handeln und die Handlungsabsichten der Individuen heraus zu erklären vermag, folgt dem methodologischen Individualismus’ (vgl. ebd.: 16f.). Dieser betont, Wandlungen der Gesellschaftsform weniger aus den herrschenden Strukturen, sondern vielmehr aus der Wichtigkeit nicht-wirtschaftlicher Faktoren, vor allem aus den Folgen des Handelns individueller Akteure, heraus zu erklären (vgl. Giddens. 1999: 621). Webers Ansicht des, vom Handeln der Individuen beeinflussten und vorangetriebenen, Kapitalismus‘ ist allerdings nicht als Gegenpol zur Marxschen historisch-materialistischen Ansicht zu verstehen, sondern vielmehr als Ergänzung dessen Wirkens. Weber versteht die Soziologie als ,,Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will (…)“ (Weber. 1921). Er untersucht den zentralen Aspekt des sozialen Handelns, welches mit Handlungsmotiven und einem subjektiven Sinn verbunden und zudem sinnhaft auf das Verhalten anderer Menschen bezogen ist. Zudem unterscheidet er vier Bestimmungsgründe menschlichen Handelns (vgl. Rosa/Strecker/Kottmann. 2007: 52). Erstens wertrationales Handeln, anhand dessen der Handelnde seine Handlungsweisen aus religiösen, ideellen oder ethischen Gründen heraus verfolgt, rechtfertigt und legitimiert. Zweitens affektuelles Handeln, bei welchem das handelnde Subjekt durch seine eigenen Gefühle beeinflusst bzw. geleitet wird und diesen entsprechend affektuell – sprich in situativ, oft nicht rational kontrollier- oder begründbarer, emotionaler, überschwänglicher Art und Weise – Ausdruck verleiht. Drittens das traditionale Handeln, bei dem sich der Handelnde anhand ,,eingelebter Gewohnheiten“, Traditionen oder Sitten orientiert. Und viertens das, vor allen innerhalb moderner Gesellschaften vorherrschende, zweckrationale Handeln, bei welchem der Zweck und die Folgen eigener sozialer Handlungsweisen möglichst erfolgsversprechend gegeneinander abgewogen und, sich daran orientierend, möglichst effektiv bzw. lohnenswert auf ein bestimmtes, angestrebtes Ziel verhalten wird. Erwähnenswert ist darüber hinaus noch die Tatsache, dass das traditionale und das affektuelle Handeln weniger von individuellen Reflexionen durchdrungen ist, als das, an rationalen Bestimmungsgründen orientierte, Handeln (vgl. ebd.: 52).
Die moderne Lebensform – geprägt und durchdrungen von der, nicht zu entkommenden, kapitalistischen Produktions- und Wirtschaftsweise –unterscheidet sich von der traditionalen Lebensführung dahingehend, dass alt bewährte geregelte und vor allem gesicherte Produktionsverhältnisse von rastloser, schrankenloser Produktionssteigerung und Profitmaximierung überlagert und eingenommen werden. Organisatorisch bzw. bürokratisch ist die Form des Kapitalismus’ durch doppelte, geregelte Buchführung, die fortschreitende und sich ausdehnende Trennung von Wohn- und Arbeitsplatz, die spezifizierte Arbeitsteilung und die betriebliche Arbeitsweise gekennzeichnet (vgl. ebd. 55f.). Für Weber allerdings existentieller als die strukturellen Wandlungen im Bereich des Sozialen ist der sog. Geist des Kapitalismus’, welcher sich durch asketischen und methodisch-berechnenden Arbeitseifer, eine rationalistische Kosten-Nutzen-Abwägung und eine schier maßlose Profitgier und Kapitalanhäufung auszeichnet. Exakt dieser Problematik widmet sich Weber primär innerhalb seines, im Jahr 1905 entstandenen, Werkes ,,Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“. Er legt darin die, auf individuellen und religiösen Wurzeln basierenden, Ursprünge der kapitalistischen Wirtschaftsweise und die damit verbundene Legitimation hinsichtlich Kapitalanhäufung und Profitstreben bzw. -gier ,,im Sinne Gottes“ offen und geht der Frage nach, warum sich der Kapitalismus ausschließlich im Westen und sonst nirgends entwickeln konnte (vgl. Giddens. 1999: 623).
Entscheidender Einfluss auf das Ethos der Moderne, die Vorstellung der ,,Prädestinationslehre“ (die Lehre der Vorherbestimmung) und die ,,innerweltliche Askese“, verbunden mit intrinsischem Arbeitseifer, ging von den calvinistischen Protestanten im 17. Jahrhundert bzw. genauer gesagt den Puritanern aus – diese spezielle Form der Protestanten können als die frühen Kapitalisten bezeichnet werden (vgl. Weber. 2009: 25ff.). Diese verfolgten regelrecht akribisch die eigene Arbeit, um Gottes Gnadeim Jenseits zu erreichen und die Rettung der eigenen Seele zu gewährleisten. Da sich der Protestant selbst nur als ,,Verwalter“ von Gottes Gütern auf Erden sah, musste sich dieser kontinuierlich, ein Leben lang, in Form einer asketischen Lebensweise bemühen, im Jenseits von Gott für die eigene Tüchtigkeit und das eigene, von Askese durchdrungenen, Leben belohnt zu werden und zu Gottes ,,Auserwählten“ zu gehören (vgl. Winckelmann. 1956: 359ff.). Die Protestanten sahen sich selbst mit der Aufgabe konfrontiert, die von Gott zugewiesenen, Güter innerhalb des, ebenfalls von Gott zugewiesenen bzw. vorherbestimmten, Berufs mithilfe eines asketischen Sparzwangs bestmöglich im Sinne Gottes zu vermehren. Die asketische Lebensweise beinhaltete nur äußerst wenig zu schlafen (5-8 Stunden) und keinen Sport treiben zu dürfen (vgl. ebd.: 367). Denn beide Aktivitäten würden – der ,,Prädestinationslehre“ folgend – vom erwünschten Arbeitseifer und asketischem Sparzwang, welcher zu enormer Besitzanhäufung führte, abhalten. Außerdem galt es als verboten bzw. fatal und wurde zudem als Müßiggang bezeichnet, sich auf dem durch Fleiß erarbeiteten, angesparten Besitz/Kapital auszuruhen. Das komplette Leben sollte von Askese, Arbeitseifer und dem Streben nach Besitz/Kapital durchdrungen sein (vgl. Giddens. 1999: 624). Das Ansparen persönlichen Reichtums wurde jedoch keinesfalls für einen luxuriösen, sondern im Gegenteil für einen ruhigen, bescheidenen Lebensstil aufgewendet. Der eigene Besitz wurde von den Menschen selbst vorausschauend und planend reinvestiert, um eine Expansion des Kapitals zu erreichen. Hierin sah Weber den Rationalisierungsfortschritt in zweierlei entgegengesetzter Art und Weise (vgl. Rosa/Strecker/Kottmann. 2007: 55ff.). In positiver Hinsicht lernten die protestantischen Unternehmer auf der einen Seite, die Produktionsweisen – im Sinne eines effizienten, Kosten-Nutzen abwägenden, Strebens nach Mehr – systematisch zu ordnen, zu rationalisieren und zweckrational auf ein langfristig angestrebtes Ziel auszurichten. In pathologischer Hinsicht hat sich allerdings auf der anderen Seite durch die Beherrschung und Berechnung der irdischen Welt, dem innerweltlichen Streben nach Gewinn und Profitmaximierung eine zunehmende Säkularisierung und eine ,,Entzauberung der Welt“ vollzogen. Dieser Aspekt wird ein wenig später nochmal explizitere Ausführung finden.
Der religiös angetriebene und damit legitimierte Arbeitseifer und Sparzwang des Protestantismus bzw. Puritanismus im 17. Jahrhundert schürte das kapitalistische Besitzstreben und die Besitzanhäufung – als von Gott gewollt und damit religiös gerechtfertigt und angemessen. Gegenwärtig hat das ökonomische Wettbewerbsdenken innerhalb des Kapitalismus‘ äußerst ernst zu nehmende, verselbstständigende und entfremdende Züge angenommen, dessen religiös zu verortende Wurzeln scheinen hingegen schier gänzlich an Bedeutung eingebüßt zu haben und letztlich völlig ausgestorben zu sein. So nehmen die kapitalistische Produktions- und Wirtschaftsweise und das Streben nach Mehr innerhalb der modernen Gesellschaft immens ausufernde Züge an, ohne dass dies noch groß auf ideellen, geschweige denn religiösen, Gründen fußt und von diesen vorangetrieben wird. So hält, nach Weber, die zunehmende und sämtliche Lebensbereiche durchdringende, Rationalisierung auf Basis des technischen Wissenstandes – in Form rigorosen Zeitmanagements, einer permanenten Kosten-Nutzen-Analyse jeglicher Handlungsschritte und vorherrschend zweckrational orientierten Handlungsweisen – in die alltägliche Lebensführung der Menschen Einzug (vgl. Giddens. 1999: 622, Sennett. 2006: 131ff.). Dies beinhaltet den Umstand, dass Gesellschaftsformen, die durch Vergemeinschaftung und Solidarität geprägt waren (Zusammengehörigkeit aufgrund gemeinsam geteilter Werte, Interessen und ideellen Überzeugungen) sich in immer stärkerem Maße zu vergesellschafteten sozialen Zusammenschlüssen transformieren, die auf wert- oder zweckrationalem Interessenausgleich und -verbindungen basieren und, auf Basis eigentlich unvereinbarer Interesseren oder Werte. Aufgrund dieses fortschreitenden, in sämtliche Sphären des täglichen Lebens eindringenden, Rationalisierungsprozesses, der mit einem zunehmenden Freiheits- und auch Sinnverlust einhergeht, kommt es darüber hinaus zu dem, was Weber mit der ,,Entzauberung der Welt“ bezeichnet hat (vgl. Rosa/Strecker/Kottmann. 2007: 61f.). Der irdischen Welt wird, durch das völlige, allseits präsente, berechnen und kalkulieren Können sämtlicher Lebensbereiche, alles Magische und Geheimnisvolle, dem sich die Menschen noch bis ins 16. Jahrhundert hingaben, geraubt. Mit dieser Art des Sinnverlustes sieht sich innerhalb der Moderne und Postmoderne jeder Einzelne von uns unaufhaltsam konfrontiert. Heute wird das komplette Leben möglichst effizient, pragmatisch und, auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnitten, kalkuliert, um einen größtmöglichen Erfolg – im Sinne eines Zugewinns an Besitz und Kapital – zu erzielen. Die Rationalisierung hat somit heute exakt diejenigen beängstigenden Züge angenommen, vor denen Weber seinerzeit bereits gewarnt hat, nämlich dass man aufpassen müsse, den Rationalisierungsprozess lediglich als, das Leben peripher beeinflussend – quasi als dünnen Schleier – zu begreifen, und nicht als stahlhartes Gehäuse, dem die Menschen nicht mehr zu entkommen vermögen. Durch bloßes individuelles Handeln scheinen die Gesellschaftsstrukturen und die Logik des Kapitalismus‘ gegenwärtig kaum änderbar, was die Wirkung und die Gültigkeit Webers handlungstheoretischen Ansatzes stark schmälert. Seine Ideen bleiben umstritten, jedoch hat seine Theorie in vielerlei Hinsicht Neuland erschlossen und zahlreiche Autoren stark beeinflusst. Webers handlungstheoretische Begründung der Entstehung kapitalistischen Besitz- und Kapitalstrebens hat unter anderem Parsons strukturtheoretischen Ansatz, Horkheimers/Adornos pessimistischen Ansatz der kritischen Theorie oder Habermas‘ Theorie des ,,kommunikativen Handelns“ stark beeinflusst, um nur einige wenige Autoren zu nennen.

Literaturverzeichnis:
Giddens, Anthony. 1. Auflage (1999): Soziologie. Graz: Nausner & Nausner Verlag.

Rosa, Hartmut/Strecker, David/Kottmann, Andrea. (2007): Soziologische Theorien.
Konstanz: UVK Verlag.

Sennett, Richard. (2006): Der flexible Mensch. Berlin: BvT Berliner Taschenbuch Verlag.

Weber, Max. (2009): Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus.
Köln: Anaconda Verlag GmbH.

Winckelmann, Johannes. 2. Auflage (Hrsg.) (1956): ,,Asketischer Protestantismus
und Kapitalistischer Geist. In: ders.: Soziologie – Weltgeschichtliche Analysen – Politik.
Stuttgart: Kröner Verlag.

Über Weiß Susanne 31 Artikel
Susanne Weiß, geboren am 26.06.1987, ist Studentin der Soziologie und Philosophie an der TU Darmstadt. Nach dem Masterabschluss strebt sie eine Promotion und eine universitäre Laufbahn – im Idealfall innerhalb der Bildungs-, Wissens- oder Kultursoziologie – an. Sie ist aktiv als wissenschaftliche Hilfskraft im Bereich ,,Methoden der empirischen Sozialforschung“ tätig.

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