„Wir schaffen unser Glück selber.“ (King Vidor, Gilda)

„Marianne: Glaubst du, zwei Menschen können ein ganzes leben zusammen verbringen?
Johan: Die Ehe ist eine idiotische soziale Konvention, die man jedes Jahr erneuern oder aufkündigen kann. (…) Denk daran, deine Strafzettel zu bezahlen, es werden immer mehr.“
Diesen Auszug aus Ingmar Bergmans „Szenen einer Ehe“ (1973) hat der marokkanische, heute in Paris lebende Autor seinem jüngsten Roman vorangestellt. Marianne, die passive Ehemannsbewunderin und Kinderversorgerin mutiert mehr und mehr zur selbstbewussten, selbstbestimmten Frau, die die Scheidung fordert. Sie kann die Dauer-Affäre ihres lebenskrisengeschüttelten Ehegatten mit einer 22-Jährigen nicht mehr ertragen. Liv Ullmann brauchte für diese Wandlung knapp 300 Minuten.Tahar Ben Jelloun überträgt auf etwas mehr als 300 Seiten Papier den ewigen Geschlechterkampf ins Jetzt.

Sein „Zerfleischungsstück“ ist „die Geschichte eines Mannes, der geglaubt hatte, Menschen könnten sich ändern, aus ihren Fehlern lernen, ihre guten Seiten stärken, sich in Frage stellen und bessere Wesen werden. In seinem tiefsten Inneren hatte er die Hoffnung gehegt, dass seine Frau eines Tages zwar nicht zahm und unterwürfig, aber zumindest entgegenkommend und liebevoll werde, ruhig und vernünftig – kurzum eine Ehefrau, die zusammen mit ihm ein Familienleben teilte und aufbaute. Es war ein Traum. Er schlug den falschen Weg ein und gab seiner Frau die Schuld, statt auch seien Tel der Verantwortung an der Misere einzugestehen.“ Schon dieser kurze Abschnitt zu Beginn erzeugte in mir ein ungutes Lesegefühl. Ein Gefühl, das sich Seite um Seite kumulierte und mich letztendlich das Buch mit einer herben Enttäuschung schließen ließ. Was machte mir das Lesen der Geschichte des aufstrebenden Malers, der sich 1986 in Paris Hals über Kopf in die bildhübsche Kunstgeschichtsstudentin Amina aus niederen Milieu verliebt – sie ist Berberin, seine Familie gehört zum gebildeten Bürgertum in Fès -, mit ihr gegen alle Einwände eine Familie gründet und nun im Jahr 2000 nach einem Schlaganfall – dessen Ursache er indirekt seiner Frau anlastet – auf fremde Hilfe angewiesen, über sein Leben sinniert, so schwer?

Schon einige Bücher mit gleichgeartetem Sujet kreuzten meine Bahn. Am Thema lag es keinesfalls. Versprach doch gerade die Konstellation des Aufeinandertreffens islamischer Traditionen versus Moderne sowie älterer Mann liebt junge Frau reichlich interessanten Zündstoff. Zudem ist Tahar Ben Jelloun kein Unbekannter im literarischen Sektor. 1987 heimste er als erster nordafrikanischer Autor den renommierten „Prix Goncourt“ ein und einige seiner Romane konnten mich mit ihrer psychologischen Sprechweise tief beeindrucken. Doch in diesem Roman schippert Ben Jelloun erstaunlicherweise seicht an der Oberfläche. Den sonst so wunderbaren psychologischen Tiefgang vermisst man geradezu schmerzlich. Der Text, der die Sichtweise der beiden Protagonisten jeweils aus ihrem eigenen Blickwinkel schildert, liest sich eher wie eine müde Anklageschrift. Schuldzuweisungen, Affären, Lügen und seelische Gewalt ziehen sich durch den inneren Monolog des gelähmten Malers, dessen Name nicht genannt wird. Er sieht sich als Opfer, von Neid, Missgunst, Stress und besonders seiner Frau. Schon sein Vater hatte ihn gewarnt: „früher oder später wirst du die Zielscheibe frustrierter Menschen sein; erscheine nicht zu sehr; sei diskret; vergiss nicht, was der Prophet sagte: keine Extreme, das Beste ist die Mitte!“ Fast weinerlich mutet sein Soliloquium an. „Ist ein Leben in den Händen anderer Menschen überhaupt noch ein Leben?“, „Sie (…) war eine Person, die das Beste an sich für die anderen aufhob und das Schlimmste für ihren Ehemann.“ „Bin ich so ein Ungeheuer und so ein perverses Schwein, wie sie sagt? Bin ich emotional unterentwickelt…?“ Das ermüdende Vorbeiziehen seiner ehemaligen (unzähligen) Geliebten vor seinem geistigen Auge , eine Persiflage, die er wie ein huldvoller König zelebriert, auf einem „Balkon, von dem aus er die Frauen bewunderte, die anmutig vorbeispazierten“, verschlimmert dieses Jammern noch. Im Gegensatz dazu erhöht er Krankenschwester Imane, die ihn täglich pflegt auf beinahe peinliche Art und Weise. Sie erscheint ihm fortan als die Richtige und Wahre. Letztendlich bringt auch die Sichtweise seiner Frau, die das Manuskript ihres Gatte findet und ihre Version am Ende des Romans aufzeigt, keine Erleichterung.

Nein, Herr Ben Jelloun. Das ist ganz und gar nicht ihr Schreibstil, den ich bis dato liebte und genoss: Sei es der schockierend, realistische Blick in die Abgründe einer menschlichen Seele in „Das Schweigen des Lichts“, die wundervollen, kleinen Lebensskizzen seiner Protagonisten in „Zurückkehren“ oder aber das liebevolle Kinderbuch „Papa, was ist der Islam?“ Zwar flackern auch in diesem Roman mitunter ein paar Glanzlichter in der Introspektion des Textes auf und lassen die literarischen Qualitäten des Autors erahnen. „Eheglück“ in seiner Gänze erreicht sie jedoch bei Weitem nicht.

Tahar Ben Jelloun
Eheglück
Aus dem Französischen von Christiane Kayser
Titel der Originalausgabe: „Le bonheur conjugal“
Berlin Verlag (Januar 2014)
319 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3827011671
ISBN-13: 978-3827011671
Preis: 19,98 EUR

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Über Heike Geilen 597 Artikel
Heike Geilen, geboren 1963, studierte Bauingenieurswesen an der Technischen Universität Cottbus. Sie arbeitet als freie Autorin und Rezensentin für verschiedene Literaturportale. Von ihr ist eine Vielzahl von Rezensionen zu unterschiedlichsten Themen im Internet zu finden.

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