Curt Bloch. Das Unterwasser-Cabaret.1943-1945. Herausgegeben von Aubrey Pomerance. Jüdisches Museum. Berlin 2025.3703 S.- ISBN 978-3-8477-2062. DIE ANDERE BIBLIOTHEK. Aufbau Verlage
Die im April 2025 als 483. Band der ANDEREN BIBLIOTHEK erschienene Publikation mit dem außergewöhnlichen Titel enthält die 95 Hefte des Onderwater- Cabaret, die die Familie Bloch im Jahr 2022 dem Jüdischen Museum in Berlin zum Zweck seiner der Veröffentlichung übergab. Ihr Autor Curt Bloch, der 1975 unerwartet starb, war, wie seine Tochter Simone Bloch in ihrem Geleitwort schreibt, jüdischer Abstammung. Er hatte zwischen August 1943 und April 1945, im niederländischen Underground – auf der Flucht vor den Hitler-Schergen, geschützt von niederländischen Freunden, – seine auf Niederländisch und Deutsch gestalteten 95 Hefte mit 483 satirischen Gedichten, in beiden Sprachen verfasst. Für die vorliegende Erstausgabe seines Werkes wurden 101 Gedichte aus 83 Ausgaben ausgewählt. „Die Auswahl stellt“, wie in der editorischen Notiz zu lesen ist,das gesamte Spektrum der Themen vor, das in der ersten „deutschsprachige(n) Buchausgabe des Onderwater-Cabaret“ präsentiert wird. Unter den ausgewählten Gedichten sind auch „die Titelblätter und die sogenannten „Titelgedichte“, die sich auf die Titelblätter und deren Fotomontagen beziehen.“(S. 394).
Der erste Eindruck von dem auf der Grundlage von mehreren Fotomontagen gestalteten Umschlag weckt Neugier und hohe Erwartung. Der Innencorpus ist auf den ersten und letzten Seiten des Bandes mit dem Abdruck von bunten Fotocollagen gestaltet. Es ist ein bedrückender und zugleich triumphaler Eindruck, der sowohl das Umfeld der in den satirischen Gedichten thematisierten auftretenden deutschen und internationalen Schergen als auch den Widerstandswillen der Gestalter des Unterwasser- Cabaretts“ offenbart. Die einzelnen Fotomontagen bilden auch den „Auftakt“ zum Abdruck der ausgewählten 101 Gedichte, die im Zeitraum zwischen dem 30.8.1943 und dem 3.4.1943 in den Niederlanden entstanden sind. Diese von Widerstand und ätzender Satire geprägten, niederländisch und deutschsprachig verfassten, vorwiegend mit Endreimen versehenen Gedichte greifen ganz unterschiedliche Themen auf. Vor allem die auf Deutsch verfassten Verse, wie z.B.. Der Falschspieler (s.26-28) oder „Doktor Göbbels Mummenschanz“ zeichnen sich durch die scharfsinnige Offenlegung nationalsozialistischer Lügen aus. Die von Curt Bloch verfassten Gedichte zeichnen sich durch satirische Zuspitzung der Themen, lakonische Kommentare und treffliche Analysen der Nazi-Lügen aus. Ausführlich haben sich dazu Kerstin Schorr und Saskia Schreuder im Anhang (vgl. S. 348-365) geäußert. Zur Machart der Fotomontagen auf den Titelblättern wie auch zu deren Inhalten hat Ulrike Kuschel (vgl. S. 336ff.) einen ausführlichen Kommentar mit Verweisen auf mögliche Gestaltungsvorbilder für Curt Blochs Schaffen geschrieben und Aubrey Pomerance (Judaist und Historiker) hat mit seinem Überblicksartikel über die Editionsgeschichte des „Unterwasser-Cabaret“ einen wertvollen Beitrag beigesteuert.
Unter den von Curt Bloch geschriebenen Gedichten ist „An meine deutschen Leser“ (vgl. Nr: 23 des Onderwater-Cabaret (1944)) mir besonders zu Herzen gegangen:
„Wenn man euch alte Fehler
Nun wiederum vergessen lässt,
Dann führt ein neuer Puppenspieler
Euch zu ‚nem neuen Schlachtefest.(Vgl. S. 142ff.)
Dieses literarische Zeugnis individuellen Widerstands im niederländischen Exil (vgl. dazu die Analyse von Kerstin Schnoor und Saskia Schreuder, S.348 ff.) zeichnet sich durch die satirisch untermauerte Analyse der Nazi-Schreckensherrschaft aus. Zugleich ist es ein Dokument deutsch-jüdischer und niederländischer Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terror der deutschen Wehrmacht in den Niederlanden. Diese Kooperation spiegelte sich auch in der vorbehaltlosen Unterstützung der redaktionellen Arbeit von Curt Bloch in Amsterdam und Enschede wider. Umso schrecklicher für ihn war die Nachricht Anfang1943, dass seine Mutter Paula Bloch wie auch seine jüngere Schwester Helene aufgrund von Verrat in ihrem Versteck in Leiden verhaftet wurden und über Westerbork in das Konzentrationslager Sobibor transportiert wurden.
Unter der Einwirkung dieser schrecklichen Nachricht stand Curt Bloch, als er in der Nummer vom 15.4.1944 (Abschied vom OWC) dichtete: „Beim Onderwater-Cabaret/Dem Kind aus dieser Zeit,! da ist die Kampfeslust passe´/ Was bleibt, ist Müdigkeit)“ (vgl. S. 120). Doch bereits eine Woche später ist unter Überschrift: Wisst ich’s noch? Ist eine pamphletartige Verhöhnung der willfähigen, Hitler treu ergebenen Deutschen, zu lesen (vgl. S. 123). „Freudig krocht ihr auf Adolfs Leim“. – Auch gegen Niederländer, die mit den deutschen Besatzern kollaborierten, benutzte Curt Bloch seine satirischen Fähigkeiten: Als der niederländische Generalstaatanwalt Dr. jur. Feitsman,seit 1941, Berater von Hitler, stellvertretender Generalstaatsanwalt am Wirtschaftsgericht in Almelo am 2. Februar 1945 von einem unbekannt gebliebenem Fahrradfahrer niedergeschosen wurde, verhöhnte Curt Bloch in seinem Underwasser- Cabaret die Zeitungsmeldung in „Volk en Vaderland“:Dass Feitsman man auf der straß erschoss,/Doch „Mord“, das klingt wohl etwas groß… Denn dieser „Mord“, der ist kein Mord. /Der Feitsman war ein übler Schuft ..“ (vgl. S. 291).
Es gehört zu den besonderen Verdiensten der vorliegenden Publikation, dass sie die von Curt Bloch geschriebenen satirischen Gedichte in Verbindung mit dessen gestalterischer Arbeit bei der Herstellung der Collagen für die 95 Ausgaben des Onderwater-Cabaret (im Zeitraum zwischen August 1943 und April 1945) zusammengefasst hat. In Verbindung mit einem Anhang, bestehend aus einer Reihe von Impulsbeiträgen, Informationen zu den Übersetzungen aus dem Niederländischen wie auch Erläuterungen zur deutsch-jüdischen Literaturgeschichte bildet die Publikation aus Die Andere Bibliothek einen markanten Meilenstein in der tragischen jüdischen Literaturgeschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.