Corona – Filmbrancheninfos #13

Mit "Keine Macht den Virologen" von Rüdiger Suchsland

Bild von PublicDomainPictures auf Pixabay

Die letzten Steinchen haben wir zusammen, aber unser Bild vom Kurzarbeit-Tarifvertrag ist trotzdem bloß ein Mosaik. Zusammengefasst heißt die Botschaft: In der gegenwärtigen Situation an sich eine gute Sache – trotzdem Vorsicht! Und im Zweifel jemand fragen, der*die sich auskennt. Wir stellen weitere gute Erfahrungen mit den Soforthilfen vor und viele neue Ideen gegen den Stillstand.

Schreibt ein Mann ans ZDF: Warum der Sender im Zuge der Corona-Krise nicht auf den Rundfunkbeitrag verzichtet? Antwortet das ZDF …

Kommt kein Mann in eine Bar: Wieviel Witz erträgt die Corona-Krise? Fragt Peter Wittkamp, einer der Hauptautoren der „Heute Show Online“.

Eigene Streaming-Angebote werden die Kinos nicht retten können – „die Filmkunst funktioniert nicht ohne Kinos“, meint Claus Löser vom Berliner Kino „Brotfabrik“.

Der Medienwissenschaftler Otfried Jarren kritisiert die Berichterstattung des deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehens über das Corona-Virus. Es betreibe „Systemjournalismus“.

„Jetzt geht es darum, wie vor allem mittlere und kleine Produktionsgesellschaften überleben können“, mahnt Martin Moszkowicz im Interview. Mehr Geld müsse fließen, und der Constantin-Chef sagt auch, wie. 

Wie geht’s den Kolleg*innen an der Bühne? Jörg Rowohlt von der Bühnengenossenschaft berichtet von einer „Kultur unter Quarantäne“ – gefolgt von einer erklärenden Übersicht der Hilfsprogramme.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) kritisiert den Umgang der öffentlich-rechtlichen Sender mit freien Mitarbeiter*innen in der Corona-Krise: Sie ließen einen großen Teil von ihnen einfach hängen, wirft der Verband mehreren Rundfunkanstalten vor. Der DJV hatte Briefe an ZDF-Intendant und ARD-Vorsitzenden geschickt, die bislang unbeantwortet geblieben seien. Darin fordert der DJV unter anderem, durch die Corona-Krise verursachte Ausfälle der freien Mitarbeiter*innen abzufedern. Viele erlitten massive Honorareinbußen. Kleinere Anstalten wie Radio Bremen, der RBB und der Saarländische Rundfunk hätten bereits vorbildliche Lösungen für ihre Freien gefunden.

Wie klappt’s mit den Soforthilfen? Zwei Erfahrungsberichte erreichten uns aus Berlin:

  • Freitag, 27. März: Ich reihte mich in die Warteschlange der Investitionsbank Berlin ein mit der Nummer 169240. Es gibt ein gut überprüfbares, einfach zu folgendes System auf deren Website: Ein grünes Männchen wandert – oder bleibt stehen, wenn zwischen 22 und 7 Uhr eine Aufnahmepause ist. Und die Zahl läuft rückwärts! Spannendes Wochenende verbracht, immer wieder die Nummer überprüft, mal ging es schneller, mal ganz langsam, ein lakonisches „Sie haben noch mehr als eine Stunde“ hielt mich auf Trab.
  • Montag, 30. März: Um 10:15 Uhr war es soweit, und ich bekam das Formular präsentiert – füllte es aus, schickte es ab.
  • Dienstag, 31. März: Ich traute meinen Augen nicht: Das Geld war bereits auf meinem Konto! Ich ziehe den Hut vor diesem Krisenmanagement. Ein grosses Dankeschön! Und unser Trommeln für die Filmschaffenden hat geholfen.
  • Freitag, 27. März: Hier in Berlin war die Antragstellung planmäßig 12 Uhr, wurde verschoben wegen Server-Überlastung, dann hat jede*r eine Warte-Nummer bekommen und wurde per E-Mail benachrichtigt, wenn er*sie an der Reihe ist.
  • Sonntag, 29. März: Nach einem Tag in der Warteschleife bekam ich die Info, habe ungläubig das kurze Formular ausgefüllt – schnell und problemlos.
  • Dienstag, 31. März: Zwei Tage später ist die Soforthilfe komplett auf meinem Konto eingegangen. Ich bin absolut sprachlos und sowas von dankbar, dass diese unbürokratische Hilfe-Leistung wirklich sofort eingetroffen ist! Ein paar lieben Kollegen geht es ähnlich. Würde mich sehr freuen, wenn wir als Künstler vielleicht in einem Kollektiv danke sagen könnten, wenn es anderen ähnlich geht.

Auch der Festivalbetrieb steht fast still, doch irgendwas muss doch gehen: Die Festivals von Zürich und San Sebastian rufen einen neuen Ersatz-Filmmarkt ins Leben. Darüber berichtet auch die Internet-Zeitschrift „Deadline Hollywood“.

German Films bietet einen Überblick zu abgesagten und verschobenen Festivals

Auch das Dokfest München läuft nicht im April, aber das Kinder- und Jugendprogramm „Dok.education“ soll digital laufen – mit Dokumentarfilmschule für Schulklassen verschiedener Altersstufen, Youtube-Workshop und Filmwettbewerb, an dem man von zuhause aus teilnehmen kann. Das gesamte Schulprogramm gibt’s ab sofort als kostenfreie Webinare.

Für die Krise geschaffen wurde das Kurzfilmfestival „My Darling Quarantine“: Jede Woche können Besucher hier Filme sehen und einen davon sogar zum Sieger küren. Auch Geld wird dabei gesammelt und kommt einem guten Zweck zugute.

Ein virtuelles Filmfestival: Die New Yorker Initiative Women Make Movies bietet auf ihrer Website Filme zum Streamen an. Ein virtuelles Filmfestival. Die „Taz“ berichtet auch.

Der Hartware Medien Kunst Verein (HMKV) im Dortmunder U ist geschlossen. Das „HMKV Video des Monats“ soll weiterhin gezeigt werden. Ab heute erstmals online. Die Reihe zeigt im aktuelle Videoarbeiten internationaler Künstler*innen. Im April läuft hier Kerstin Honeits Video „Panda Moonwalk or Why Meng Meng Walks Backwards“: Seit 2017 werden zwei Riesenpandas aus China für eine Millionensumme an den Berliner Zoo verliehen. Eine Werbemaßnahme, die buchstäblich nach hinten losging.

Durststrecken sind Schauspieler*innen leider allzu bekannt. Doch die gegenwärtige Situation ist völlig neu und eine Katastrophe, schreibt der Bundesverband Schauspiel (BFFS) auf seiner Website. Was sich sonst in einer Woche abspielte, läuft heute an einem Tag; was an einem Tag war, kommt heute in einer Stunde, beschrieb BFFS-Schatzmeister Heinrich Schafmeister heute den neuen Alltag. Da hatte der BFFS eine virtuelle Pressekonferenz abgehalten, um die Lage der Schauspieler*innen darzustellen. Dabei galt es auch, Branchenfremden erstmal die besonderen Beschäftigungsverhältnisse erklären. Die meisten Hilfsprogramme erreichen die Schauspieler*innen nicht. Der Verband will sich auf drei Punkte konzentrieren, um das zu ändern.
Ähnlich ist es in anderen Bereichen des Schauspielverbands, die sich oft überschneiden. Klara Deutschmann berichtete über die Theater: Nach ihren Recherchen würden Spielzeitverpflichtete noch bezahlt, mitunter in Kurzarbeit. Doch Gastschauspieler an etwa an Stadttheatern bekämen zum Teil gar nichts oder nur eine Teilgage. „Viele Theater wissen auch nicht, wie sie damit umgehen sollen. Sie wissen oft nicht, dass sie auch für Gäste Kurzarbeit anmelden können“, sagte Deutschmann. Man versuche, „auf solidarische Art Kompromisse zu finden.“ Sie verwies auch auf die Spendenaktion des Aktionsbündnis Darstellende Künstefür Theaterschaffende als Vorbild.
Die Synchronstudios müssten es einfacher haben mit Isolation und Distanz, möchte man meinen. Doch Till Völger klärte für die Synchronsprecher*innen auf: In der Regiekabine ist es oft eng, Regisseur*in und Tonmensch sitzen nebeneinander. Und hinter der Scheibe, wo gesprochen wird, sitzt auch noch ein*e Editor*in, und viele Oberflächen sind in Tröpfchenweite: Mikrofon, Pult, Dialogbuch … einige Studios hätten auf Bildschirmtext umgestellt – aber was, wenn ein Ensemble synchronisiert? Andere versuchen es mit „Remote Dubbing“ – aber das Home Office ist kein Profi-Studio und die Regie per Skype auch nicht das Wahre. „Die Qualität kann so nicht eingehalten werden“, meint Völger.

Das Modell der Kurzarbeit war für alle neu, erklärt Antoine Monot vom Vorstand auf der BFFS-Pressekonferenz. „Auch die Arbeitgeber stehen da vor hohen Hürden.“ Der 2. Vorsitzende Hans-Werner Meyer hält es für ein „sehr sinnvolles Instrument, aber mit vielen Ängsten verbunden.“
Bernhard F. Störkmann, geschäftsführender Justiziar des BFFS, hält das Zögern für verständlich. Aber für falsch. Jede*r müsse überlegen, was die Alternative sei. „Wir haben es mit kleinen, mittelständischen Betriebe zu tun, denen die Insolvenz droht.“ Würde man vor Gericht ziehen, dauere das ein bis zwei Jahre, und dann gibt es die Unternehmen nicht mehr. Und „das kann nicht in unserem Interesse liegen“, meint Meyer. Er erinnerte nochmal an das Dilemma der Produzent*innen, die ohne klare Regelungen mit der Entscheidung (und den Kosten) eines Drehabbruchs allein gelassen werden. Er ist sich sicher: Es wird einen Produktionsstau geben – darum sei der Kurzarbeit-Tarifvertrag so wichtig. Und darum musste es auch so schnell gehen, erklärte Störkmann. „Wir mussten mitmischen beim Sozialschutzpaket“, ergänzte sein Vorstandskollege Heinrich Schafmeister: „Der Kurzarbeit-Tarifvertrag ist etwas, womit wir die Branche retten können.“
Gegen Ende rät Störkmann, was auch hier zu lesen war: Es tue gut, sich an seine Berufsvereinigung zu wenden. Am besten mit Vertrag. Und er ging sogar noch weiter: er stehe auch für Fragen von Nicht-Mitgliedern zur Kurzarbeit bereit.

Wir hatten auch die Verbände um Ihre Meinung gebeten und wollten wissen: 
1. Wie schätzen Sie den Kurzarbeit-Tarifvertrag ein? 
2. Was raten Sie Ihren Mitgliedern, denen Kurzarbeit angeboten wird?

Die Bundesvereinigung Maskenbild antwortete:
„Alle, die bereits einen Arbeitsvertrag hatten, als die Drehs unterbrochen oder verschoben werden mussten, und die nach dem TV KuG (Kurzarbeit-Tarifvertrag, Red.) bis zur Wiederaufnahme der Dreharbeiten oder bis zum Vertragsende vergütet werden, haben gerade echt Glück: Sie bekommen den vollen Lohnausgleich nach Gagentabelle beziehungsweise bis zur Rentenbeitragsbemessungsgrenze. Die SV-Tage zur Erfüllung der Anwartschaft auf ALG 1 (Arbeitslosengeld, Red.) werden weiter gesammelt. Die planmäßige Gagenerhöhung wird einbezogen. Im Vergleich dazu müssen alle, die noch keinen Job hatten, ihre Anwartschaft zum ALG 1 aufbrauchen oder/und ALG 2 (,Hartz 4’, Red.) beantragen. Die Selbständigen können teilweise staatliche Überbrückungshilfe beantragen, müssen diese aber gegebenenfalls später zurückzahlen. 
Wer also die Möglichkeit hat, nach TV KuG im Arbeitsverhältnis zu bleiben, der sollte diese Möglichkeit wahrnehmen. Selbst da, wo das KuG nicht aufgestockt wird, was unter Umständen bei Langverträgen der Fall ist, die nicht unter den TV FFS fallen, ist das zwar bitter, aber immer noch besser, als arbeitslos zu werden. Allerdings kann Kurzarbeit nicht angeordnet werden, sondern muss tariflich, betrieblich oder individuell vereinbart werden.“

Die Mediengewerkschaft VRFF antwortete im Namen von sechs Verbänden,die in der BG Freie Produktionswirtschaft zusammenarbeiten: Filmschnitt (BFS), Szenen- und Kostümbild (VSK), Kinematografie (BVK), Fernsehkameraleute (BVFK), Assistant Directors Union (ADU) und Interessenverband Deutscher Schauspieler (IDS): „Grundsätzlich halten wir eine Regelung zur Kurzarbeit – auch für auf Produktionsdauer beschäftigte Filmschaffende – in der gegenwärtigen Situation für sinnvoll. Dies gilt aber nur dann, wenn der Arbeitsausfall vorübergehend ist und die Dreharbeiten im Anschluss an die Kurzarbeit fortgeführt werden.
Der Kurzarbeits-Tarifvertrag enthält zu dieser Frage nichts Konkretes, sondern nur die Vermutung der Tarifvertragsparteien (vgl. Ziffer 6.2. des TV), dass sich Produktionsunternehmen und Filmschaffende über die Fortsetzung der Produktionstätigkeit zu unveränderten Bedingungen einigen. 
Diese Regelung bietet den Filmschaffenden jedoch keine hinreichende Sicherheit, dass ihr Engagement tatsächlich über die bisher geplante Vertragszeit beziehungsweise die Dauer der Kurzarbeit hinaus verlängert wird. Es muss daher unbedingt einzelvertraglich vereinbart werden, zum Beispiel dass sich das ursprünglich vorgesehene Vertragsende um die Dauer der Kurzarbeit nach hinten schiebt. 
Auch dass die Kündigungssperre entfällt, falls die Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld nicht vorliegen (vgl. Ziffer 6.1. des TV), halten wir für unangemessen. Die Regelungen in Bezug auf den Zuschuss zum Kurzarbeitergeld, also beispielsweise die Beschränkungen auf die Tarifmindestgage (statt der individuell vereinbarten Gage) und die einschlägige Bemessungsgrenze erachten wir für zahlreiche Fälle ebenfalls als unangemessen und unangebracht. 
Im Einzelfall könnten Beschränkungen natürlich auch hinnehmbar sein, zum Beispiel wenn der Zeitraum des ursprünglichen Arbeitsvertrages tatsächlich um die Dauer der Kurzarbeit verlängert wird, also die Dreharbeiten nach der Kurzarbeit tatsächlich zu unveränderten Bedingungen fortgeführt werden.
Wegen der oben genannten Unzulänglichkeiten des Kurzarbeits-Tarifvertrages raten wir unseren Mitgliedern dringend davon ab, Änderungsverträge mit Bezugnahme auf den Kurzarbeits-Tarifvertrag für Filmproduktionen und Filmproduktionsunternehmen zu vereinbaren. 
Vielmehr raten wir unseren Mitgliedern, unter anderem darauf zu achten, dass konkret vereinbart wird, dass die Dreharbeiten nach der Kurzarbeit (mit ihrer Beteiligung) zu unveränderten Bedingungen fortgesetzt werden – und dass das Kurzarbeitergeld auf die vereinbarte Gage (ohne Deckelung etwa durch die Tarifmindestgage oder die Beitragsbemessungsgrenze) aufgestockt wird.“

Kreativ in der Krise: Für etwas Abwechslung und Unterhaltung will die Produktionsfirma Fortune Cookie sorgen: 
„Um Kindern, Familien, alten Leuten, oder kranken Menschen, die niemand sehen dürfen und auch das Haus nicht mehr verlassen können, ein kleine Freude zu machen, haben wir einen Youtube-Kanal aufgemacht, auf dem Geschichten für Klein und Groß vorgelesen werden. Einige deutsche Schauspieler*innen wie Peter Jordan, Stephan Schad, Julia Nachtmann, Janna Striebeck, Jonas Anders, Hannah Walther und viele weitere sind schon fleißig dabei und auch schon bereits zu sehen. Ganz privat, direkt, einfach auf dem Handy aufgenommen, mehr nicht. 
Wir sind seit einer Woche dabei und langsam haben wir eine schöne, bunte und abwechslungsreiche Seite. Wir wollen jeden Tag ein paar neue Geschichten hochladen.“

Die meisten Theater sind dicht, Duschkabinen mit Vorhang dienen als neue Bühne, der Livestream bei Instagram wird als das Fernsehen der Zukunft erprobt, und die Familie muss, ob sie will oder nicht, Applaus spenden. Mit #BeCreativeAtHome! schafft casting-network eine virtuelle Bühne und dies über die deutschen Landesgrenzen hinaus. Mehr als zehn Beiträge von Schauspieler*innen sind bereits auf der Startseite zu sehen – aus Köln, Berlin oder München, aber auch Peking, Los Angeles, Wien oder Graz. Wer Lust auf mehr hat. Weitere Heimvideos finden sich in der Kategorie „Further Collection“.

Die meisten Theater sind dicht, Duschkabinen mit Vorhang dienen als neue Bühne, der Livestream bei Instagram wird als das Fernsehen der Zukunft erprobt, und die Familie muss, ob sie will oder nicht, Applaus spenden. Mit #BeCreativeAtHome! schafft casting-network eine virtuelle Bühne. Mehr als 20 Beiträge von Schauspieler*innen sind da und im Youtube-Kanal bereits zu sehen.

Den virtuellen Raum wollen auch die Casting Directors Anja Dihrberg, Simone Bär and Suse Marquardt nutzen: „Dass Schauspieler*innen immer wieder mal Durststrecken haben, ist leider normal. Aber dass quasi alle nicht mehr spielen dürfen, weder Einkünfte noch Perspektiven haben, alle zu gleicher Zeit – das ist völlig neu und eine Katastrophe“, schreiben sie und laden gemeinsam mit der Internet-Plattform Castupload bei #Wirspielenzusammen zum Mitmachen ein.

Seit 23. März machen Alexander Griesser und Michael Schwarz von Nachtschwärmerfilm ihr #quarantänekino, auf dem sie einen ihrer Kurzfilme online zeigen.

30 Filme mit Abstand: Filmemacher*innen aus Berlin und Brandenburg haben sich auf Initiative des RBB in einem besonderen Projekt vereint: Vom 1. bis 30. April gibt es täglich ein „Home-Video“ eines*r Filmemacher*in über 120 Sekunden, in dem das Leben in der Corona-Krise dokumentiert wird.

Auch hierzulande geht der Trend zum Gesichtsschutz. Eine Bremer Manufaktur fertigt Masken in unterschiedlichen Designs an – lokal aus zertifizierte Stoffen, allerdings keine medizinischen Produkte, aber waschbar. Für jede Maske, die verkauft wir, geht eine weitere gratis an eine Pflegeeinrichtungen, die sie dringend gebrauchen kann.

Soviel für heute, die letzten Worte hat unser Blog:

Keine Macht den Virologen

Was heißt Gesellschaft, gegen die Expertokratie und eine Erinnerung an Eva Hesse: Apokalyptiker & Integrierte – Gedanken in der Pandemie 08. Von Rüdiger Suchsland.

„April is the cruellest month, breeding 
Lilacs out of the dead land, mixing 
Memory and desire, stirring 
Dull roots with spring rain.“
 
T. S. Eliot, „The Waste Land“

„There are a few crucial moments in life when you have to make sacrifices, not only for your own sake but also in order to take responsibility for the people around you, for your fellow human beings, and for our country. 
That moment is now. That day is here. And that duty belongs to everyone.“

Stefan Löfven, Ministerpräsident von Schweden in seiner „Address to the Nation“ am 22. März 2020

Die ganz große Eva Hesse ist tot – what a pity. Eine Frau „wie es sie heute nicht mehr gibt“. Oder doch? Jedenfalls eine Mischung aus altmodischer großbürgerlicher Damenhaftigkeit mit einmaliger Ausstrahlung und viel Stil (Tücher von Chanel oder Hermes im Haar, große Sonnenbrillen auch in Innenräumen, Cigarillos in der Hand) und einer scharfen Intellektuellen, die ihr Leben vor allem für einen Dichter aufopferte: Ezra Pound, nach dem Krieg durch seine Sympathien für Mussolini Persona non Grata der europäischen Kultur, bis ihn Hesse, selbst eine radikale Linke, wieder in die Kreise der Avantgarde zurückholte: Durch ihre Übersetzungen und mehrere Bücher mit klugen Interpretationen. Hesse war auch Übersetzerin von T.S.Eliot. 
„Aufopfern“ ist übrigens fast wörtlich gemeint, denn weil man mit Übersetzung und Literaturkritik nicht viel verdient und das Erbe der reichen Diplomaten-Familie offenbar bald aufgebraucht war, lebte Hesse mit ihrem irischen Mann, der bei Siemens angestellt war, in München lange in einer Ein- später einer Zweizimmerwohnung. 
Über diese tolle Frau haben Willi Winkler in der SZ und Hannes Hintermeier in der FAZ zwei schöne, einander ergänzende Nachrufe geschrieben. Lesen könnte man auch noch das Interview, dass Hintermeier vor acht Jahren mit Hesse geführt hat.

Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Diesen Eindruck hat man manchmal wenn dieser Tage über den schwedischen Sonderweg in Sachen Anti-Corona-Politik gesprochen wird. Da klingen viele Beiträge so, als wüssten alle anderen Bescheid, als wären die Schweden Verantwortungslose, Vollidioten, Hasardeure. Als hätten nicht alle in dieser eskalierenden Krise sich immer wieder korrigieren müssen.
Und als müssten wir uns irgendwie freuen und betätigt fühlen wenn der schwedische Versuch einer anderen Form der Pandemie-Eindämmung schiefgeht. Denn dann wären wir ja die Besserwisser. Sonst hätten wir ja Unrecht gehabt.
Eine Korrektur: In Schweden sind inzwischen Versammlungen mit über 50 Leuten verboten, nicht mehr mit über 500, wie ich gestern noch schrieb. Das war der Stand von letzter Woche. Nach wie vor allerdings ist es erlaubt, zu Hause eine Party zu feiern, oder in eine Bar zu gehen und draußen im Café zu sitzen.
Werfen wir noch mal einen Blick auf das schwedische Modell. Zugegeben: Es ist mir sympathisch. Weil es pragmatisch einleuchtet. Weil es die Bürger ernst nimmt, als Partner anspricht und als freie Menschen, nicht als Untertanen, oder als unmündige Kinder. Und wenn es klappen sollte, und sich als besser herausstellt, könnten wir es immer noch übernehmen. Wahrscheinlich werden wir es sogar übernehmen, ab dem Moment an dem die schweren Ausgangsbeschränkungen in Deutschland doch gelockert werden.

Die Rede die der schwedische Ministerpräsident Stefan Löfven am 22. März hielt, ist bemerkenswert. Ich könnte sie mir in Deutschland so absolut nicht vorstellen. Denn sie ist pathetisch, und hier näher an Figuren wie Macron, ohne dass es Löfven einmal nötig hat, von „Krieg“ zu reden. Zugleich ist sie nicht so maternalistisch, wie die im Prinzip relativ gute von Merkel, die sich darin große Mühe gibt, so zu sprechen, dass es alle Kinder im Kindergarten auch wirklich verstehen. 
Vergleichen wir einmal genau: Merkel sprach mehr als doppelt soviel, der Wortlaut hat über 10.000 Zeichen, die von Löfven nur knapp 4.200. 
Das Wort, das beim Schweden am häufigsten vorkam, heißt „Verantwortung“ (responsibility), Gleich sieben Mal kam es in der kurzen Rede vor. Bei Merkel nicht ein einziges Mal, auch nicht in abgewandelter Form (“verantwortlich“, „verantwortungsvoll“ und so weiter). Gleich fünfmal spricht Löfven von „Gesellschaft“ (society), weitere viermal von „Land“ (country). Merkel sagt nur einmal Gesellschaft, dagegen gleich viermal „Gemeinschaft“ – was ich ihr als Redenschreiber sofort herausgestrichen hätte. Nicht nur weil es unangenehme Assoziationen an „Volksgemeinschaft“ weckt, sondern weil dies auch schon vor 1933 ein dezidiert antimoderner Begriff war, ideologisch belastet, weil wie die Begriffsgeschichte zeigt, hinter der schwiemeligen Gemütlichkeit auch ein Affekt und etwas Irrationales steht. Gemeinschaft meint immer das Gegenteil von Gesellschaft
„Land“ sagt die Kanzlerin zweimal, und zweimal „Deutschland“, während Löfven fünfmal „Schweden“ sagt – all das wie gesagt in weniger als der Hälfte der Textmenge. 
Der Schlüsselbegriff bei Merkel ist nochmal ein anderer: „Wir“. Nicht weniger als unglaubliche 39 Mal kommt das Wort in Merkels Rede vor. Beim Schweden nur fünfmal. Er spricht die Bürger direkt an, als Gegenüber auf Augenhöhe und Individuum: 29 mal sagt Löfven „You“ oder „Your“. Merkel nur halb so oft. 
Solche Unterschiede sind signifikant für eine komplett andere Ansprache der Bürger. Ob eine davon besser ist, weiß ich nicht, dass mir die schwedische lieber ist, dagegen schon. In jedem Fall aber sollten wir uns dessen bewusst sein. Es geht auch anders. Genau hinsehen lohnt sich. 

Auch in Schweden wird übrigens kontrovers über die dortige wie die resteuropäische Seuchenpolitik debattiert – wie es einer offenen Gesellschaft würdig ist. Es gibt immer Alternativen, und der der sie vorschlägt, tut dies erst einmal bis zum Beweis des Gegenteils mit bestem Willen. 
Interessanterweise kommt die Kritik nicht aus der breiten Bevölkerung, sondern aus Kreisen der Wissenschaft, wenn auch nicht immer der Epidemiologie und der Mediziner. Darum hat der frühere Staats-Epidemiologe Johan Giesecke, die Forscher aufgerufen, „innerhalb des Bereichs zu bleiben, in dem sie sich auskennen.“
Das ist natürlich auch keine Haltung. 
Die Frage, die sich uns allen stellt, in Schweden wie in Deutschland, ist eher die, ob man immer auf die Experten hören sollte. Denn Experten sehen oft nur ihr Feld und ihren Horizont, der ist in der Regel genauso beschränkt ist wie der von uns allen. Das Letzte, was wir brauchen, ist eine Expertokratie, die Herrschaft der Experten. Genau darum haben wir Politiker: Weil eben nicht die Ingenieure und Ökonomen und Ärzte das Sagen haben sollen, sondern die ganze Gesellschaft. Gesellschaft heißt Kommunikation unter Unterschiedlichen. Genau darum geht es jetzt: Darum die unterschiedlichen Ansichten, Standpunkte, Positionen und Interessen miteinander in ein Gespräch zu bringen. Das wäre Gesellschaft, nicht das „Wir“ und die „Gemeinschaft“, was beides leicht etwas Debatten unterdrückendes hat, einen Hauch von „Was soll das Gerede, wir brauchen Entscheidungen.“ Dies ist das Gegenteil von Demokratie. Es wäre Aufgabe der Politik, dieses Gespräch zu organisieren, das Fremde und Andersdenkende zusammenführt.

Wir haben am Anfang dieser Pandemie merken können, dass die Virologen die Macht hatten. Was sie dachten und sagten wurde von der Regierung exekutiert. Auch wenn es sich widersprach, auch wenn die Überlegungen der ersten Wochen in der dritten wieder zurückgenommen wurden oder ins Gegenteil verkehrt. Die Regierung exekutierte, sie war nicht die, die entschieden hat. Dass sich das jetzt geändert hat ist eine gute Nachricht. So muss es auch bleiben. Zu den biologischen und medizinischen Experten kamen nun schnell andere Experten hinzu: Ökonomen, Psychologen, Polizei-Wissenschaftler. Nun brauchen wir noch mehr: Philosophen, Historiker, Soziologen. Wir brauchen diverse Kompetenz, denn tatsächlich verstehen Virologen etwas von Virologie. Aber sie verstehen schon nichts davon, wie man überhaupt einen Ausnahmezustand praktisch in Gang setzt, und was der für Folgen hat. Sie verstehen auch nichts davon, was mit Kindern passiert, die vier bis sechs Wochen lang weggesperrt sind und nicht in die Schule kommen. Oder was mit den Familien passiert, wenn die Eltern keinen Babysitter organisieren können. All das müssen wir alle zusammen entscheiden, auch wenn wir nicht fachlich hierfür kompetent sind.

Die Situation, in die wir hineingeworfen sind, jetzt anzunehmen, hieße bereit zu sein zu dieser Entscheidung. Auch wenn wir die Konsequenzen nicht zu 100 Prozent überblicken können. Es hieße Verantwortung auf uns zu nehmen und Risiken auf uns zu nehmen. Wer Sicherheit will und verlangt in einer Situation, die unsicher ist, der verweigert sich der Situation.

Zur ganzen Wahrheit im Fall Schweden gehört zum Beispiel auch die (für mich sehr überraschende) Information, dass über die Hälfte aller Schweden in Single-Haushalten lebt. Dies ist der höchste Anteil in ganz Europa. So hat die Krise immerhin ein Gutes: Wir lernen etwas über unsere Mitmenschen.

Wer noch mehr über Schweden wissen möchte, dem kann ich die interessante Seite „The Local“ empfehlen. Ich kannte sie vorher nicht, habe sie jetzt durch Zufall entdeckt: Ein in Schweden basiertes, europäisches Netzmagazin, das in vielen Hauptstädten der EU Ableger hat, auch in Berlin. Zweifellos eher kommerziell, aber niveauvoll, gut informiert und meinungsstark.
Dort findet man auch über Deutschland Zahlen, die man in deutschen Medien nicht so schnell findet; zum Beispiel diese statistische Auffächerung der bisherigen deutschen Corona-Toten.

Es sind nationale Unterschiede, die hier offenbar werden. Die dänische Regierung sagt ihrer Bevölkerung: Cancelt die Osterferien! Fahrt nicht übers Land! Die schwedischen Behörden sagen ihren Bürgern vor den Osterferien: Es ist wichtig, darüber nachzudenken, ob die geplanten Reisen wirklich notwendig sind.
Grundsätzlich ist die schwedische Gesellschaft eine höfliche Gesellschaft. Man benutzt keine harschen Ausdrücke, und spricht nicht miteinander im Befehlston, so wie das etwa in Dänemark der Fall ist. Sondern man versorgt die Menschen mit den Fakten die sie brauchen, um eine informierte und verantwortungsvolle Entscheidung zu treffen. Und man hat ein optimistisches Menschenbild, indem man glaubt, dass die größte Zahl der Menschen auch eine solche Entscheidung treffen wird.

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Brancheninfo von crew-united und cinearte, erschienen auf out-takes