Das Gerede von der „Lügenpresse“ ist Unsinn

Lügenpresse, Foto Stefan Groß

Früher waren Politik und Journalismus aufeinander angewiesen. Um seine Botschaften unters Volk zu bringen, brauchte der Kommunalpolitiker das Lokalblatt und der Bundespolitiker ARD, ZDF, FAZ, BILD und Co. Heute könnte Frau Merkel beim Regieren vielleicht nicht ganz auf „Bild, BamS und Glotze“ verzichten. Aber so wichtig wie zu Gerhard Schröders Zeiten ist die Trias nicht mehr.

Im digitalen Zeitalter hat man den Eindruck, dass die Presse häufig viel stärker die Politik braucht als umgekehrt. Eine Projektseite des Lehrstuhls für Fernseh- und Crossmedialen Journalismus am Institut für Journalistik der TU Dortmund beschäftigt sich damit, wie es sich auswirkt, „Wenn Politik Journalismus macht“.

Insbesondere der AfD sei es gelungen, „ein eigenes Medien-Biotop aufzubauen“. Rund 85 Prozent der geteilten Beiträge bei Facebook stammten von der AfD, die restlichen 15 Prozent teilten sich Union, SPD, Grüne, Linkspartei und FDP. Die in den sozialen Medien dominierende AfD plane sogar den Aufbau eines eigenen Newsroom.

Man kann einer Partei aber kaum vorwerfen, dass sie besonders aktiv ist und die anderen den technischen Wandel weitgehend verschlafen haben. Zudem ließe sich anmerken, dass die deutsche Presse oft keinen gelassenen Umgang mit der AfD pflegt, wie es zum Beispiel der „Neuen Zürcher Zeitung“ aus der Schweizer Distanz heraus gelingt. Zumeist werden ihre politischen Vertreter verteufelt. Oder man tut der AfD den Gefallen, dass man über jedes Stöckchen springt, den sie den Medienvertretern hinhält.

Das Verhältnis der Medien zur AfD lässt sich wahrscheinlich nicht mehr reparieren. Doch es ist auch klar, dass sich eine Partei nicht dauerhaft in eine Wagenburg zurückziehen kann, wenn sie den öffentlichen Diskurs verweigert und nur über die eigenen Kanäle kommuniziert. Der aktuelle Zustand lässt sich nur einhalten, wenn man sich mit dem Status als Protestpartei begnügt, mit der niemand etwas zu tun haben will.

Die Macher der Projektseite der TU Dortmund stellen die Frage, ob es einen allgemeinen Trend zum Parteien-Newsroom gibt. Die SPD-Parteizentrale verfüge schon seit Jahren über ein „Neuigkeiten-Zimmer“. Kritisch verweisen sie darauf, dass Journalisten von der Auftaktveranstaltung zum CDU-Werkstattgespräch ausgeschlossen worden seien. Aber haben Journalisten wirklich das Recht, überall mit dabei zu sein? Ist es einer Partei nicht gestattet, auch erst mal intern miteinander ins Gespräch zu kommen, bevor man den Weg an die Öffentlichkeit wagt? Geht es um Vorgänge im eigenen Haus, die vielleicht nicht das Zeug zur Jubelarie haben, dann neigen doch auch klassische Medien zur Heimlichtuerei. Oder werden die Gründe für einen Herausgeberwechsel bei der FAZ etwa ausführlich im eigenen Blatt der Öffentlichkeit dargelegt? Natürlich nicht. Dieses Messen mit zweierlei Maß, das Journalisten manchmal betreiben, stößt manchem sauer auf.

Eine demokratische Gesellschaft ist auf eine freie Presse angewiesen. Doch es ist ja wohl kaum die Schuld der „bösen Parteien“, dass immer weniger Menschen zur Tageszeitung greifen oder keine Lust auf öffentlich-rechtliches Fernsehen haben. Ein wenig mehr Selbstkritik und Demut würde „den“ Journalisten gut zu Gesicht stehen.

Das Gerede von der „Lügenpresse“ ist Unsinn. Aber dass wir eine Tendenz zur „Lückenpresse“ haben, dürfte nicht bestritten werden. Vieles, was den mehrheitlich grün gestimmten Medienvertretern nicht in den Kram passt, wird eben einfach verschwiegen oder stark abwertend kommuniziert. Bisweilen hat man zurzeit den Eindruck, als bräuchten die Grünen gar keinen eigenen Partei-Newsroom mehr, weil sie ja Tina Hassel von der ARD und ganz viele Fans in den Lokalzeitungen und sogenannten Qualitätsmedien haben.

Die FDP wurde einst systematisch kaputt geschrieben. Heute werden die Grünen medial hofiert. Und eine echte Distanz zur Kanzlerin und ihrer Koalition von Seiten der Hauptstadtpresse war auch über lange Zeit Fehlanzeige.

Die Uhr lässt sich eh nicht mehr zurückdrehen. Schon allein, um jüngere Menschen zu erreichen, werden die Parteien ihre digitale Kommunikation stark ausbauen müssen. Mit Leser-, Wähler- oder Politikerbeschimpfung werden die „klassischen Medien“ ihre alte Rolle nicht wieder erlangen. Etwas weniger Haltungs- oder Moraljournalismus, dafür mehr sauber aufbereitete Fakten und eine strikte Trennung zwischen Bericht und Kommentar, dies dürfe „den“ Medien wieder zu mehr Glaubwürdigkeit verhelfen.

Link zur Projektseite der TU Dortmund:

Über Ansgar Lange 14 Artikel
Ansgar Lange wurde 1971 in Arnsberg / Westfalen geboren. Er studierte Politische Wissenschaft, Geschichte und Germanistik in Bonn und schrieb seine Magisterarbeit über "Christa Wolf und die DDR" bei Professor Hans-Peter Schwarz. Während seines Studiums war er freier Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Schloss Eichholz . Anschließend arbeitete er in einer Bonner Kommunkationsagentur und journalistisch (u. a. Deutschlandfunk, Die Furche, Die Tagespost, Die Politische Meinung, Die Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte). Seit 2009 ist er als Geschäftsführer einer Ratsfraktion in Remscheid tätig.