Das Politbüro und das „Volk“ Nachdenken über den 17. Juni 1953

Kerze, Foto: Stefan Groß

Es ist schon eine merkwürdige Erfahrung im Jahr 2018, wenn der 65. Jahrestag des Arbeiteraufstandes vom 17. Juni 1953 in keiner überregionalen Zeitung Deutschlands gewürdigt wird! Mit einer Ausnahme: Die ehemalige SED-Zeitung „Neues Deutschland“, die sich nach der Niederschlang des Aufstands durch die „Rote Armee“ in wüsten Beschimpfungen der aufständischen Arbeiter erging und ihre Verurteilung durch die DDR-Gerichte zu unmenschlich hohen Zuchthausstrafen mit hämischen Bemerkungen begleitete, nahm sich des Themas an.

Während westdeutsche Historiker der mitteldeutsche Aufstand nicht mehr interessiert, scheint er für den Ostberliner Historiker Dr. Stefan Bollinger (1954), der heute auch am Otto-Suhr-Institut“ der Freien Universität in Westberlin lehrt, ein politischer Vorgang ständigen Nachdenkens zu sein. In seinem ganzseitigen Artikel „Wenn Arbeiter die Partei nicht verstehen“ vom 16. Juni im ehemaligen SED-Zentralorgan holt er weit aus und sieht die Gründe für den Arbeiteraufstand gegen die „Arbeiterpartei“ schon in der II. Parteikonferenz vom Juli 1952 verankert, als der „Aufbau der Grundlagen des Sozialismus“ beschlossen wurde.

Leider nur ist der Verfasser, der auch der „Historischen Kommission“ der Partei „Die Linke“ angehört, nach wie vor der SED-Geschichtsideologie verfallen und denkt nicht weit genug. Könnte es nicht sein, dass die Gründe für den Aufstand schon in der illegalen Staatsgründung vom 7. Oktober 1949 liegen? Mit welchem Recht gründete eine Bande von Berufsrevolutionären einen Staat, der nur der Ausbeutung der Arbeiter diente? So müsste der Titel des Artikels auch wahrheitsnäher heißen „Wenn die Partei die Arbeiter nicht mehr versteht“.

Nach dem 17. Juni wurde von der DDR-Führung behauptet, das „Volk“ hätte das Vertrauen in die Regierung verloren. In Wirklichkeit hat das „Volk“ nie Vertrauen in die Regierung gehabt, 40 Jahre lang nicht!

 

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Über Jörg Bernhard Bilke 258 Artikel
Dr. Jörg Bernhard Bilke, geboren 1937, studierte u.a. Klassische Philologie, Gemanistik und Geschichte in Berlin und wurde über das Frühwerk von Anna Seghers promoviert. Er war Kulturredakteur der Tageszeitung "Die Welt" und später Chefredakteur der Kulturpolitischen Korrespondenz in der Stiftung ostdeutscher Kulturrat.