Von einem, der als Politiker Mensch blieb

Buchrezension: Ich hatte mir vorgenommen, Mensch zu bleiben – 12 Jahre als Christ im Deutschen Bundestag

Frank Heinrich / Anna Lutz, Ich hatte mir vorgenommen, Mensch zu bleiben – 12 Jahre als Christ im Deutschen Bundestag, Gießen 2023, gebunden, 160 Seiten, ISBN 978-3-7655-3624-3, Preis: 20 €.

Da wird ein überzeugter Christ eher überraschend in den Bundestag gewählt, verteidigt zweimal seinen Wahlkreis, beim dritten Mal verliert er ihn. Nun schreibt er über zwölf Jahre, in denen er Erfahrungen im Berliner Politikbetrieb machte. Aber ist das deswegen schon eine wichtige Autobiographie, sollte man dieses Buch lesen? Ja, man sollte – dieses Buch transportiert eine Nachricht.

Frank Heinrich gewann 2009 in Chemnitz einen Wahlkreis für die CDU. Enthusiasmus spricht aus seinen Worten, die er zusammen mit der Journalistin Anna Lutz ausarbeitete, wenn er das Gefühl beschreibt, gewählt worden zu sein. Das ist verständlich, war er doch zwei Jahre zuvor noch Pastor bei der Heilsarmee, zutiefst geprägt von einem pietistischen Elternhaus. Dankbar für das Vertrauen der Wähler kam er dementsprechend nach Berlin, dankbar für seine neue Aufgabe – aber auch geprägt von einer deutlich erkennbaren Naivität. Vor diesem Hintergrund erklärt sich das Credo, das er sich selbst gab: „Ich möchte als Politiker Mensch bleiben.“

Keine Möbel, der Raum noch nicht einmal fertig renoviert, Unwägbarkeiten beim Aufbau seiner Teams für Bundestags- und Wahlkreisbüros. Heinrich vergleicht die ersten Wochen in Plenarbetrieb des Bundestages mit der Reise in einem schlecht ausgestatteten Überschallflugzeug: „Ich hatte keine Ahnung, wie mir geschah.“ Wer eine solche Situation mit überfüllten Büros, chaotischen Zuständen auf den Fluren und der ständigen Suche nach dem Verbleib von Gesprächspartnern schon einmal selbst erlebte, weiß, wie recht der Autor mit dieser Schilderung hat.

Ja, das Chaos auf allen Ebenen ist am Beginn einer jeden Legislaturperiode im Bundestag – wie in allen anderen Parlamenten auch – unbeschreiblich. Doch das war nur der Anfang. Schnell kommt Frank Heinrich in seinem Buch, das sich sehr angenehm und flüssig liest, auf die inhaltliche Arbeit zu sprechen. Haßbriefe, Drohungen, Belehrungen ließen ihn keinesfalls kalt. Immer bemühte er sich, seinem Schwur gerecht zu werden, „als Politiker Mensch zu bleiben“. Sympathisch ist dagegen, was er über seinen Umgang mit den Mitarbeitern und Kollegen beschreibt, und es ist vor allem authentisch.

Dass einer wie Frank Heinrich in Chemnitz für die CDU einen Wahlkreis gewinnen konnte, ist bereits heute eine historische Schilderung, denn dort, in Sachsen, ist heute eine ganz andere Partei auf dem Sprung an die Spitze der Beliebtheitsskala. Ausführlich wird beschrieben, wie der Heilsarmee-Pastor vom staunenden Neuling zum Polit-Profi wurde. Das ist textlich gut gemacht, und so versteht der Leser auch recht gut, warum zum Beispiel eine Begegnung mit dem Dalai Lama, die 2019 in Indien stattfand – für den bescheidenen, idealistischen, ja, augenscheinlich nach zehn Jahren im Parlament immer noch eher machtfernen Bundestagsabgeordneten ein eminent beeindruckendes Erlebnis.

Doch diese gewisse Machtferne kann eben auch bedeuten, dass die nötige Distanz da ist, um die wirklichen Probleme der Welt zu bedenken und zu bearbeiten. Das scheint Frank Heinrich gelungen, und hier ergibt sich ein Mehrwert für die Leserschaft. Bereits 2014 war zum Beispiel im Berliner Politikbetrieb, welch riesige Gewaltwelle, welch Völkermord rund 100 Millionen Christen in Nigeria droht. Heute, nach etlichen grauenerregenden Gewaltorgien der islamischen Terrororganisation Boko Haram, ist das allgemein bekannt.

Dieses Buch ist aber auch eines, in dem das Trauma eines Scheiterns verarbeitet wird. Wo nach der Wahl die Euphorie aus jeder Zeile sprach, wird der Leser nun mitgenommen auf eine Seelenreise – hier trägt jemand schwer daran, seinen Wahlkreis verloren zu haben. Ein tiefempfundener Glaube, ein unerschütterliches Gottvertrauen trug Frank Heinrich jedoch. Er glaubte sich, im freien Fall befindlich, in Gottes Hand – wer aufmerksam liest, spürt es und kann vielleicht auch selbst gleich wieder etwas mehr vertrauen. Ein wenig Predigt à la Heilsarmee – das darf schon sein. Der Leser nimmt’s Frank Heinrich ab.

Entstanden ist ein Ermutigungsbuch für praktizierende Christen. Die Lektüre ist spannend, denn das Genre der Politik ist jedem vertraut, der Gang durch die Flure des Bundestags jedoch nicht. Ein Rückblick auf die entscheidenden Jahre der Ära Merkel ist dieses buch zudem unversehens auch geworden, allein deswegen kann man dieses Buch mit Gewinn zur Hand nehmen – und wie beschaulich muten sie uns bereits heute an, die Jahre vor Corona, Krieg und Inflation. Amüsant und leicht, aber informativ und nie belanglos ist der Schreibstil. Eine sehr elegante gelungene Biographie transportiert damit glaubwürdig, was im Titel versprochen wurde – es ist möglich in der Politik Mensch zu bleiben. Und bei Frank Heinrich lernen wir, wie das gelingen kann.

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Über Sebastian Sigler 78 Artikel
Der Journalist Dr. Sebastian Sigler studierte Geschichte, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Bielefeld, München und Köln. Seit seiner Zeit als Student arbeitet er journalistisch; einige wichtige Stationen sind das ZDF, „Report aus München“ (ARD) sowie Sat.1, ARD aktuell und „Die Welt“. Für „Cicero“, „Focus“ und „Focus Money“ war er als Autor tätig. Er hat mehrere Bücher zu historischen Themen vorgelegt, zuletzt eine Reihe von Studien zum Widerstand im Dritten Reich.