„Wo ich bin, ist Deutschland“ – Thomas Manns amerikanische Jahre und sein Widerstand gegen den Nationalsozialismus

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Die Emigration Thomas Manns in die Vereinigten Staaten im Jahr 1938 markiert einen Wendepunkt in seiner politischen und literarischen Entwicklung. Als der Literaturnobelpreisträger die Entscheidung traf, vor dem Nazi-Regime aus Deutschland zu fliehen, verließ er nicht nur seine Heimat, sondern trat eine Reise an, die seine Perspektiven auf die Welt und seine Rolle als Schriftsteller und politischer Kommentator maßgeblich veränderte. Von den USA aus sollte Mann sich nicht nur als eine der führenden Stimmen des intellektuellen Exils etablieren, sondern auch als einer der entschiedensten Gegner des Nationalsozialismus, der die Rolle Deutschlands in der Welt und die Auswirkungen des Krieges immer wieder kritisch hinterfragte. Von Stefan Groß-Lobkowicz.

Hans Rudolf Vaget beleuchtete in seiner detaillierten Studie „Thomas Mann, der Amerikaner“ die prägende Zeit, die der Schriftsteller im Exil verbracht hat. Die Bedeutung dieser Jahre ist nicht nur in Manns literarischem Schaffen zu finden, sondern auch in seiner politischen Haltung, die in den 14 Jahren seines amerikanischen Exils eine tiefgreifende Entwicklung durchlief. In der neuen Welt wurde Mann zu einem Symbol für die deutsche Kultur im Widerstand gegen den Faschismus und stellte sich nicht nur als Kritiker des nationalsozialistischen Regimes, sondern auch als Mahner an das deutsche Volk dar.

Der berühmte Satz „Wo ich bin, ist Deutschland“ – den Mann am 21. Februar 1938 in New York äußerte – trägt die gesamte Ambivalenz seiner Exilzeit in sich. In der Konfrontation mit der neuen Welt verfolgte er nicht nur die Aufgabe, seine eigene kulturelle Identität zu bewahren, sondern auch die deutsche Kultur als geistigen Schatz zu bewahren und diesen in den USA zu vertreten. Die Nazis, so sein Vorwurf, wurde diese verwüstet und missbraucht. Für Mann selbst war es ein Akt der moralischen Verpflichtung, Deutschland und die deutsche Kultur zu repräsentieren, selbst wenn er sich als „Emigrant“ von einem Regime entfremdet hatte, das er als unvereinbar mit den besten Traditionen seines Landes betrachtete. Der Satz war weniger ein Ruf nach Heimat, als vielmehr eine Feststellung der Verantwortung. Thomas Mann trug sein Land im Geiste, weil er glaubte, dass die Kultur, für die er stand, von einem Regime verraten worden war, welches diese Kultur nicht repräsentierte.

Thomas Mann in den USA – Amerika ein Neubeginn

Die Reise nach Amerika, bei der Mann auf der „Queen Mary“ in New York ankam, war eine der ersten, die ihn durch das Land führte, das bald zu seiner neuen Heimat werden sollte. Doch es war nicht nur eine Reise der Flucht, sondern auch eine Reise des Engagements und der politischen Verantwortung. In einer Reihe von Vorträgen, die von März bis Mai 1938 durch die Vereinigten Staaten führten, traf er auf ein breites Publikum. In Städten wie New York, Washington, Los Angeles, Chicago und vielen anderen hielt er Reden, die sowohl literarische als auch politische Themen behandelten. Dabei blieb Mann der deutsche Exilant, der durch seine Werke und sein Engagement für die Demokratie und gegen den Faschismus das Bild einer verfolgten, aber nicht besiegten Kultur vermittelte.

Thomas Mann war in den USA kein Unbekannter. Schon bevor er aus Deutschland fliehen musste, war er international ein anerkannter Schriftsteller, und die Vereinigten Staaten hatten ein reges Interesse an seiner literarischen Arbeit. Dennoch erlebte er in Amerika eine Art von Neuanfang, da er sich selbst im Land der Freiheit als jemand verstand, der einen bedeutenden Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Diktatur leisten konnte. Und während er in Europa als Emigrant und Flüchtling galten, trat er in Amerika mit einem tiefen Selbstbewusstsein auf – als Vertreter einer Kultur, die weit mehr als nur eine politische Auseinandersetzung betraf. Es war diese Haltung, die den Satz „Where I am, there is Germany“ so bedeutungsvoll machte. Mann verstand sich als der Vertreter einer geistigen und kulturellen Welt, die auch im Exil weiterlebte.

Doch Manns Zeit in den USA war keineswegs nur von literarischen Triumphen und öffentlichen Erfolgen geprägt. Die Reise war auch von einer inneren Zerrissenheit begleitet, die auf seine persönliche und politische Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Deutschland und seinem eigenen Exil zurückzuführen war. Besonders deutlich wird dies in seinen öffentlichen Reden und seinem Engagement gegen den Krieg. In den Jahren zwischen 1940 und 1945 sprach er regelmäßig über den BBC-Sender zu den deutschen Hörern, die ihm trotz der Gefährdung ihres Lebens in Nazi-Deutschland zuhörten. Diese monatlichen Ansprachen bildeten einen wichtigen Teil seiner politischen Tätigkeit und seine Antwort auf die Verbrechen des Regimes.

„Deutsche Hörer“

Die BBC-Radiosendungen „Deutsche Hörer!“ begannen 1940 und wurden schnell zu einem entscheidenden Instrument, um das deutsche Volk mit der Wahrheit über die Gräueltaten des Nationalsozialismus zu konfrontieren. Thomas Mann prangerte in seinen Reden die Kriegsverbrechen und die Unterdrückung der Freiheit an. Besonders unermüdlich setzte er sich für die Aufklärung über die Verfolgung der Juden und die Verbrechen in den Konzentrationslagern ein. In einer seiner wohl bedeutendsten Ansprachen, die am 27. September 1942 ausgestrahlt wurde, sprach er erstmals direkt die Vernichtung der Juden an, was zu dieser Zeit noch relativ wenige andere öffentlich taten.

„Wisst ihr Deutschen das?“, fragte er damals. „Und wie findet ihr es?“ Mit dieser bohrenden Frage versuchte er, das moralische Gewissen seiner Landsleute zu wecken und sie auf den verheerenden Pfad des Nazismus aufmerksam zu machen. Die Zerstörung des jüdischen Volkes, die systematische Ermordung von Millionen, war für Mann der eigentliche Skandal des Krieges. Doch er ging weiter: „Wem ist damit gedient? Wird irgendjemand es besser haben, wenn die Juden vernichtet sind?“ Diese Fragen waren nicht nur moralische Appelle, sondern eine tiefgehende Auseinandersetzung mit der gesamten ideologischen Grundlage des Nazi-Regimes.

Mann setzte sich mit den politischen Entwicklungen in den USA auseinander

Doch nicht nur das Nazi-Regime war Gegenstand seiner Kritik. Thomas Mann zeigte auch eine bemerkenswerte Bereitschaft, sich mit den politischen Entwicklungen in den USA auseinanderzusetzen. In einer Zeit, in der die McCarthy-Ära bereits im Anmarsch war, hatte Mann Bedenken über die zunehmende Einschränkung der freien Meinungsäußerung und die Bedrohung, die der politische Wahnsinn Amerikas auslöste. Während er Roosevelt bewunderte und seine Politik des New Deal als einen starken Gegenspieler des Faschismus betrachtete, behielt er stets einen kritischen Blick auf die innenpolitischen Entwicklungen, die eine ähnliche Gefahr wie der Nationalsozialismus hervorrufen könnten.

Sein politisches Engagement in den USA war nie nur ein passiver Widerstand, sondern ein aktiver Einsatz für das, was er als die wahren Werte der Demokratie und Menschlichkeit betrachtete. In diesem Zusammenhang stand auch seine Rolle als Berater der Washingtoner Kongressbibliothek, eine Position, die ihm die Möglichkeit gab, direkten Einfluss auf die kulturellen und politischen Diskussionen in Amerika zu nehmen. Er hielt Vorträge an Universitäten, diskutierte mit politischen Eliten und setzte sich für die Verteidigung einer freien und aufgeklärten Gesellschaft ein.

Der Literat wurde nie in den USA heimisch

Doch trotz all seiner Erfolge und seiner wichtigen Rolle im amerikanischen Exil blieb Thomas Mann ein Mann, der niemals wirklich heimisch wurde. Als er 1950 in einem Brief an Theodor W. Adorno erklärte: „Nach Deutschland bringen mich keine zehn Pferde“, war dies ein klares Statement über seine Entfremdung von dem Land, das er einst geliebt hatte. Die politischen und moralischen Entwicklungen in Deutschland nach dem Krieg hatten ihn endgültig davon überzeugt, dass seine Rückkehr unmöglich war. Gleichzeitig wusste er, dass seine Aufgabe nicht beendet war. Er sah sich auch weiterhin als aktiven Kritiker und als jemand, der Verantwortung für das, was in Deutschland geschehen war, übernehmen musste.

Insgesamt zeigt Vaget in seiner Studie, dass Thomas Manns Jahre in Amerika weit mehr waren als eine bloße Flucht oder ein „Intermezzo“. Diese Jahre waren von fundamentaler Bedeutung für das Werk und die politische Haltung des Schriftstellers. Die „Amerikanischen Jahre“ prägten nicht nur seine Literatur, sondern auch seine politische Identität. Thomas Mann war derjenige, der die Stimme Deutschlands im Exil wurde, der unermüdlich gegen das Unrecht kämpfte und als ein Kämpfer für die Werte der Demokratie und Menschenrechte in die Geschichte einging. Und gerade in diesen Jahren wurde er zu einem der bedeutendsten geistigen Widerstandskämpfer des 20. Jahrhunderts.

Hans Rudolf Vaget, Thomas Mann, der Amerikaner: Leben und Werk im amerikanischen Exil, 1938-1952, Verlag S. Fischer, 2011.

Hans R. Vaget, Thomas Mann, der Amerikaner,
Leben und Werk im amerikanischen Exil, 1938-1952, S. Fischer-Verlag.

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Über Stefan Groß-Lobkowicz 2201 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".