Georg Elser: Der Mann, der Hitler töten wollte

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Am 8. November 1939 explodiert in München eine Bombe, die Hitler töten soll – doch das Attentat misslingt. Georg Elser, der den Sprengsatz gebaut hat, wird gefasst und im April 1945 in Dachau ermordet. Heute sind Straßen und Schulen nach Elser benannt – aber es brauchte Jahre, bis seine Tat anerkannt wurde. Wer war der Mann, den »Führer« töten wollte? Von HELMUT ORTNER.

In der Galerie deutscher Widerstandskämpfer führte Georg Elser bis vor wenigen Jahren ein Schattendasein. Anders als der vier Jahre ältere Graf von Stauffenberg eignete er sich nicht für die Rolle des staatlich verklärten Helden. Hier der gebildete Offizier, der zunächst den Verheißungen des NS-Regimes vertraut, engagiert mitgemacht hat und erst später umgekehrt ist, dann aber entschieden zur Tat schritt. Dort der spröde, zurückhaltende Schreinergeselle Elser, der bereits 1939, als Stauffenberg und Millionen andere Deutsche noch dem Führer zujubelten, als Schreinergeselle mit Volksschulabschluss den mörderischen Charakter des Regimes erkannte und den Entschluss zum Attentat fasste.

Stauffenberg verstand sich zuerst als Soldat, ganz nach der jahrhundertealten Tradition seiner Familie. Obwohl er später jegliche Begeisterung zum Nationalsozialismus verlieren sollte, hatte er für die parlamentarische Demokratie zeitlebens nur Verachtung übrig. Sein Moralverständnis war ein vielschichtiges Konglomerat aus katholischer Lehre, einem aristokratischen Ehrenkodex, dem Ethos des alten Griechenland und deutscher romantischer Dichtung. Sein kühner Entschluss, Hitler mit einer Bombe zu töten, war eher Ausdruck von militärischen, als von moralischen Überlegungen. Der Zufall, durch den Hitler mit dem Leben davon kam, die aussichtlose Lage der Mitverschwörer, die hastige Hinrichtung Stauffenbergs – das alles ist ein tiefe Tragödie. Graf von Stauffenberg war ein mutiger Patriot – aber auch ein strikter Anti-Demokrat.

Interessant sind in diesem Zusammenhang die Äußerungen von Ian Kershaw, der als einer der angesehensten Historiker gilt und sich seit beinahe vierzig Jahren mit dem Nationalsozialismus in Deutschland beschäftigt. In Zusammenhang mit seinem Buch Das Ende – Kampf bis in den Untergang, NS-Deutschland 1944/45 meint er, dass das missglückte Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 zumindest vorübergehend eher zu einer Stärkung des NS-Regimes beigetragen habe. Kershaw: »in der Bevölkerung gab es einen deutlichen Anstieg der Popularität Hitlers. Der Schockeffekt des Anschlags war enorm, wie man aus vielen privaten Aufzeichnungen ersehen kann. Wichtiger aber noch ist, dass es danach bei der Wehrmacht zu einer Säuberung der Offiziersränge kam. An die Stelle von Leuten, die als unzuverlässig galten, traten Erz-Loyalisten. Damit war jeder weitere Widerstand ausgeschlossen«. (DER SPIEGEL, Nr. 46, 2011).

Die Tatsache, dass gescheiterte Attentatsversuche auf Hitler – er ist   vierzig Attentatsversuchen entgangen ­–   von den NS-Propagandisten massiv genutzt wurde, um die Unverwundbarkeit der Führers zu beschwören und dessen Vorhersehungs-Mythos zu nähren, ist historisch belegt. Dass die Geheime Staatspolizei (Gestapo) und Sondergerichte dafür sorgten, dass alle Beteiligten und Verdächtigen massiv verfolgt, inhaftiert und ermordet wurden, dieses Schicksal war nicht allein den Offizieren des 20.-Juli-Widerstands beschieden.

Auch Georg Elsers Heimatsgemeinde Königsbronn war nach seinem gescheiterten Münchner Attentat von NS-Ermittlern nach möglichen Unterstützern und Mitwisser observiert worden. Bis nach dem Krieg, ja weit in die Mitte der Siebziger Jahre, war Elser in seiner Heimatregion deshalb nicht nur eine bewunderte Figur. Es fanden sich viele, die für seine Tat allein deshalb wenig Verständnis hatten, weil damals »Menschen mit hineingezogen worden waren, die nichts mit der Sache zu tun hatten.« Es gab Bewunderer und Kritiker. Und noch fünfzig Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges standen sie sich unversöhnlich gegenüber.

Keine Frage: Georg Elser war eine Herausforderung – nicht nur für seine Heimatregion – auch für die deutsche Öffentlichkeit. Er machte deutlich, dass ein einfacher Mann aus dem Volke sich zu einer weltgeschichtlichen Tat aufraffen konnte. Er strafte all jene Lügen, die sich weiterhin einredeten, sie hätten dem Terror des NS-Staates nichts entgegensetzen können. Seine Tat beschämte viele Deutschen.

Elser war immer ein Einzelgänger. Er fühlte sich zwar der Arbeiterbewegung verbunden, stand der Kommunisten Partei nahe ohne Mitglied zu sein. Zum festen, gar vorbildlichen Genossen ließ er sich nicht stilisieren. Ideologische Fragen interessierten ihn wenig. Wie aber kann die öffentliche Würdigung für einen solchen Mann aussehen? Wie das Erinnern?

Gesellschaften erinnern sich der Vergangenheit nicht allein in Anerkennung des für sich Großen. Erinnerung bedarf einer sie tragenden Gruppe: der adelige, militärische, sozialdemokratische, der kommunistische oder kirchliche Widerstand wird von Adel, Militär, Partei oder Kirche im Gedächtnis gehalten. Wohin also mit Elser?

Vierzig Jahre wurde in München über Elsers Tat gestritten, ehe sich die Stadt zu einer Ehrung durchrang: an einer Schule leuchtet nun jeden Abend um 21.20 Uhr – dem Zeitpunkt der Explosion – ein roter Neonschriftzug auf. Mehr als vierzig Straßen und Plätze und drei Schulen sind mittlerweile im ganz Deutschland nach ihm benannt und die Post legte sogar 2003 eine Georg-Elser-Sondermarke auf. Sein Geburtsort erinnert seit 2010 an ihm mit einem Denkmal aus Stahl. Es ist 2.10 Meter hoch und steht gleich am Bahnhof der schwäbischen Kleinstadt. Im Berliner Regierungsviertel wiederum steht am Spreeufer in der »Straße der Erinnerung« eine Elser-Büste, neben Thomas Mann, Edith Stein und Walter Rathenau, dem ermordeten Außenminister der Weimarer Republik. Und nun gibt es seit November 2011 eine siebzehn Meter hohe Skulptur inmitten des alten Regierungsbezirkes  an der Wilhelmsstraße, ein Stahlband mit Lichterkette, das Profil Elsers skizzierend. Die Silhouette, so wollen des Initiatoren um den Schriftsteller Rolf Hochhuth verstanden sehen, soll sich in der Nähe des einstigen Bunkers von Adolf Hitler »über den Ort der Täter erheben«. Der  flüchtige Passant, der Elser weder kennt noch erkennt, erfährt durch eine kleine Informationstafel, wer hier geehrt wird. Das »Denkzeichen« mit den geschwungenen Neonröhren ist ein wenig reklamehaft geraten, das Individuum wird erst auf den zweiten Blick sichtbar. Georg Elser, der Zurückgezogene, der sich zum Widerstand entschloss, der Solitär, der einzig seinem Gerechtigkeitssinn folgte, ist einmal mehr anonym geblieben.

Mittlerweile gibt es hörbar auch Kritik an der »unheimlichen Gedenkkultur des Georg Elser«. Sie stellen fest, Elser biete sich als Identifikationsfigur deshalb an, weil er »weit leichter zur Selbstvergewisserung« zu nutzen sei, als etwa der elitäre Offizier Stauffenberg, ein hochkonservativer Adeliger wie der Politiker Carl Friedrich Goerdeler oder gar Mitglieder kommunistischer Widerstandzellen wie der »Roten Kapelle«. Er tauge deshalb als optimale Projektionsfläche für alle die nachgeholte Opposition gegen den Nationalsozialismus, eigne sich ideal als Vorbild für alle »zeitgeistigen Gut-Menschen«. Als sei allein das Bekenntnis für Elser und seine Tat schon eine mutige Haltung.

An der Ehrenhaftigkeit Georg Elsers ändert das nichts. Spätestens seit der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl – ein Mann, der einst ganz offiziell mit seinem Staatsgast Ronald Reagan einem SS-Soldatenfriedhof seine Referenz erwies – Elser öffentlich würdigte, ist die Frage »Wem gehört Elser?« obsolet. Der Historiker Joseph Peter Stern nannte Elser einmal einen „Mann ohne Ideologie“. Dem ist nichts hinzuzufügen.

 

Buchhinweis:

Helmut Ortner

Der einsame Attentäter

Georg Elser – Der Mann, der Hitler töten wollte

wbg – Wissenschaftliche Buchgesellschaft,

240 Seiten, 19,80 Euro

Über Helmut Ortner 82 Artikel
Geboren 1950 in Gendorf/Oberbayern und aufgewachsen in Frankfurt am Main. Schriftsetzerlehre, anschließend Studium an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main, Schwerpunkt Grafik-Design. Es folgt Wehrdienstverweigerung – und Zivildienst. Danach journalistische Lehrjahre: Redakteur, Chefredakteur (u.a. Journal Frankfurt, Prinz). Ab 1998 selbständiger Printmedien-Entwickler mit Büro in Frankfurt. Konzepte und Relaunchs für mehr als 100 nationale und internationale Zeitschriften und Zeitungen, darunter Magazine wie Focus, chrismon, The European und Cicero, sowie Tages- und Wochenzeitungen, u.a. Das Parlament, Jüdische Allgemeine, Frankfurter Rundschau, Allgemeine Zeitung, Wiesbadener Kurier, Darmstädter Echo, De Lloyd Antwerpen, NT Rotterdam sowie Relaunchs in London, Wien, Sofia, Warschau und Dubai. Zahlreiche Auszeichnungen (u.a. European Newspaper Award, Hall of Fame, CP Award Gold). Daneben journalistische Beiträge zu politischen und gesellschaftlichen Themen, veröffentlicht in div. Tageszeitungen und Magazinen. Erste Buchveröffentlichung 1975, seither mehr als vierzig Veröffentlichungen. Übersetzungen in bislang 14 Sprachen (2018). Zahlreiche Preise und Einladungen: Stadtschreiberpreis der Stadt Kelsterbach, Lesereise Goethe-Institut Südamerika, Teilnahme an Buchmessen in Havanna, Istanbul und Buenos Aires sowie Lit.Col. Köln 2017. Zuletzt Lesereisen nach Lissabon, Turin, Tokyo. Helmut Ortner lebt und arbeitet in Frankfurt am Main und in Darmstadt. Er ist passionierter Radrennfahrer, Eintracht Frankfurt-Fan und Pat Metheny-Liebhaber.