Im Gespräch mit Stefan Groß – Frank Walthes: Europa muss ein Friedensprojekt bleiben

Quelle: Frank Walthes, Versicherungskammer Bayern

Europa ist ein Friedensprojekt. Was ist Ihre Vision von einem gemeinsamen Europa?

Ja, Europa ist ein Friedensprojekt. Da bin ich einig mit Jean-Claude Juncker, dem diesjährigen Preisträger des „Freiheitspreises der Medien“: „Will man die Wirkung von Europa spüren, fühlen und sehen, muss man nur an die Soldatenfriedhöfe des ersten und zweiten Weltkriegs gehen.“ Damit so etwas nicht mehr passiert, lohnt alle Anstrengung für ein gemeinsames Europa.
Meine Vision ist, dass ein vereinigtes Europa im Sinne einer gemeinsamen Organisation entsteht. Ob Staatenbund, Bundesstaat oder vereinigte Staaten, wird der politische Diskurs zeigen. Wir sehen aktuell, dass Europa bereits heute nahezu unauflöslich miteinander verbunden und es schwierig ist aus diesem Staatenverbund – wie ihn die Europäische Union derzeit bildet, auszusteigen. Sonst würden sich die Engländer mit dem Brexit nicht so schwer tun.

Was macht einen überzeugten Europäer, wie Sie einer sind, aus?

Dass ich ein überzeugter Europäer bin, begründet sich zum einen durch meine familiäre Prägung, zum andern aus meinem gesellschaftspolitischen Engagement. Ich bin in Nordbayern, im ehemals bayerischen Zonenrandgebiet in Oberfranken, aufgewachsen und konnte die Folgen des zweiten Weltkrieges noch unmittelbar erleben. Mein Vater war noch Kriegsteilnehmer und u.a. auch in Frankreich im Einsatz. So habe ich mich während meines Studiums bewusst für längere Aufenthalte in Frankreich entschieden und ebenso entschied sich vor kurzem mein Sohn in Paris zu studieren. Was ich damit sagen möchte ist, dass mich das Thema Europa schon immer begleitet und ich durch die enge Bindung, in diesem Fall eben an Frankreich, die europäischen Ideen und deren Entwicklung zu schätzen weiß. Meine Mutter war während ihrer Schulzeit als eine Fullbright-Stipendiatin in den USA. Beide Elternteile haben mir Werte, wie Offenheit, Toleranz, Pluralismus und ein gutes Demokratieverständnis vermittelt. Folglich habe ich mich selbst bereits als Abiturient für die Europa Union und die Jungen Europäer engagiert und war stellvertretender Landesvorsitzender in Bayern. Ich habe an den Grenzen Europas zwischen Deutschland und Österreich oder zwischen Deutschland und Frankreich für freie Fahrt für freie Bürger demonstriert. Das alles hat dazu beigetragen, dass ich ein überzeugter Europäer bin. Ich habe vom Geldwechseln bis hin zu den Schwierigkeiten im europäischen Ausland ein Praktikum zu absolvieren oder zu studieren, das Meiste selbst erlebt hat. Das war noch vor den Verträgen von Maastricht und Lissabon sowie noch vor dem Bologna-Prozess der Anerkennung von Studienleistungen.

Die EU wird oft kritisiert, weil sie für zu viel Bürokratie steht. Stimmt das?

Grundsätzlich sehe ich das auch so und wer selbst davon betroffen ist, der ärgert sich auch darüber. Dennoch, die Einheit in der Vielfalt abzubilden ist auch eine große Herausforderung und dafür muss man auch ein gewisses Verständnis aufbringen. Ich meine, das richtige Maß ist noch nicht gefunden. Wenn ich mir die nicht enden wollenden Regularien für die Finanzindustrie ansehe, die stetig wachsende Kapazitäten in den Unternehmen binden, ohne dass ein Nutzen für das Unternehmen oder für unsere Kunden erkennbar ist. Hier halte ich nicht in jedem Punkt eine europäische Regelung für sinnvoll. Oft sind diese auf nationaler oder gar regionaler Ebene oft schlicht nicht umsetzbar ist. Auch verstehe ich überhaupt nicht, weshalb wir seit diesem Jahr bei grenzüberschreitenden Geschäftsreisen alle wieder A1-Formulare in Europa mitführen müssen. Das halte ich für deutlich überzogen. Aber es gibt natürlich eine Reihe von Themen, die einheitliche Normen und übergeordnete Regelungen erfordern, weil externe Effekte sich auf lokaler oder regionaler Ebene nicht integrieren lassen. Beispielsweise beim Klimaschutz. Auch die Sozialstandards, die mit dem freien Binnenmarkt für die Arbeitnehmerfreizügigkeit einhergehen, erfordern zentrale Regelungen seitens der europäischen Union.

Brauchen wir eine europäische Armee?

Das Thema einer europäischen Armee beschäftigt uns seit Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Durch die NATO und durch die bilaterale Zusammenarbeit der NATO-Staaten stand dann aber viel mehr die gemeinsame Entwicklung von Verteidigungssystemen, wie man das von Airbus oder Eurofighter kennt, im Vordergrund. Durch die von den USA jedoch zunehmend lauter werdende Kritik an der NATO, rückt die Frage einer europäischen Armee wieder stärker in den Fokus. Ich vertrete die Ansicht, dass wir eine europäische Armee brauchen. Wir müssen Europa militärisch und sicherheitspolitisch vernünftig ausstatten, nicht zuletzt um sein politisches Gewicht in der Welt und seine Unabhängigkeit zu stärken. Die deutsch-französischen Aktivitäten oder bilaterale Aktivitäten sind zu wenig, um einen verteidigungs- und einen sicherheitspolitischen Beitrag zu leisten. Deswegen glaube ich, dass die Europäische Verteidigungsgemeinschaft tatsächlich vor einer Renaissance steht.

Wo liegen die Grenzen Europas? Sollte man, bevor man weitere Länder in die EU aufnimmt, nicht erst dafür sorgen, dass die jetzigen Mitgliedsstaaten harmonisch agieren?

Europa ist ja nicht nur das Europa, das wir von der Landkarte kennen und auf Ländergrenzen beschränken können. Die Europäische Union ist, und war auch schon immer, eine bedeutende Wertegemeinschaft, die nach dem Zweiten Weltkrieg deshalb gut funktioniert hat, weil, trotz aller Unterschiedlichkeit der Länder, eine Vielzahl gemeinschaftlicher Interessen verbunden wurden. Das waren Demokratieverständnis, Pluralismus und die Integration von politischen und ökonomischen Themen in das Gesellschaftliche. Es ging um eine Einheit bei bekannter Vielfalt. Mir liegt vor allen Dingen an dieser Wertegemeinschaft und weniger an der Frage, wer historisch gesehen welche Einflusssphären für sich in Anspruch nehmen kann. Die westlichen Länder, insbesondere wir Europäer, bekennen uns zu bestimmten Mechanismen der Meinungsbildung, der Mehrheitsbildung und der Daseinsvorsorge. Die Länder, die sich diesen Werten verschreiben und diesen auch folgen, haben die Chance, über viele verschiedene Stadien der Zugehörigkeit an Europa heranzurücken.

Welcher Europäer hat Sie am nachhaltigsten beeindruckt?

Das war vor allem Charles De Gaulle. Er hat mit Adenauer zusammen den deutsch französischen Freundschaftsvertrag auf den Weg gebracht. Charles De Gaulle war eine Person, die viele der zum Teil bis heute strittigen Themen angestoßen hat: Vom Europa der Vaterländer zum Bundesstaat Europa bis hin zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Es zeigt sich seither, dass Europa immer um den rechten Weg gerungen hat. Charles De Gaulle ist an dieser Stelle für mich immer einer der Initiatoren eines friedvollen Europas gewesen. Eines der bedeutendsten Beispiele einer friedvollen Revolution ist für mich die Wiedervereinigung innerhalb Deutschlands.

Welches Thema ist für Sie das Thema, das Europa dringend lösen muss?

Das eine Thema als solches gibt es nach meiner Einschätzung nicht. Es sind die festgeschriebenen vier Freiheiten der EU (freier Personenverkehr, freier Warenverkehr, freier Dienstleistungsverkehr, freier Kapitalverkehr) an denen gleichermaßen stringent gearbeitet werden muss. Als Vorstandsvorsitzender des Konzerns Versicherungskammer, dem siebt größten Erstversicherer und größtem öffentlichen Versicherer in Deutschland, liegt mir natürlich in erster Linie an den Finanzmarktthemen. Finanzmarktstabilität muss das oberste Gebot sein. Die durch die Finanzmarktkrise 2008 eingeläutete und bis heute anhaltende Niedrigzinspolitik geht einher mit einer schleichenden Geldentwertung und einer Entmündigung sowie Enteignung der Sparer. Diese zwischenzeitlich als kritisch einzustufende Situation erfordert dringend wieder eine Normalität in der Geldpolitik. Das setzt stabile Staatshaushalte voraus und damit die Befolgung und Einhaltung der Mechanismen, um die Staatsschuldenkrise zu bekämpfen. Wir brauchen hier eine Politik der Austerität, d.h. eine restriktive Fiskal- und Sparpolitik, die Angela Merkel zu Beginn der Finanzmarktkrise in den Mittelpunkt gestellt hat.

Des Weiteren erachte ich das Thema der inneren Sicherheit für sehr wichtig. Wir haben die sozialen Standards auf der einen Seite, und das Bedürfnis nach Sicherheit und Rechtssicherheit auf der anderen. Dies in Einklang zu bringen, halte ich für eines der Ziele, die mit höchster Priorität verfolgt werden müssen. Zusammenfassend sind mir somit diese drei Themen wichtig: Finanzen, Soziales und innere Sicherheit.

Fragen: Stefan Groß

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